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Interview
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Business-Vordenker Tim Leberecht: „Innovativ ist nur, wer Zeit verschwendet“

Tim Leberecht gilt als einer der scharfsinnigsten Vordenker unserer Arbeitswelt. Im Interview verrät er, wie wir wieder Erfüllung im Job finden und wie Arbeitswelt von morgen aussieht.

8 Min. Lesezeit
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Foto: Beowulf Sheehan

t3n Magazin: Tim, in deinem Buch „Business Romantiker – von der Sehnsucht nach einem anderen Wirtschaftsleben“ forderst du eine neue romantische Bewegung in der Wirtschaft. Zitat: „Wir sollten aufbegehren gegen die Entzauberung der Welt durch die Ökonomisierung (…) und Datafizierung unserer Identitäten und Beziehungen am Arbeitsplatz.“ Das klingt ja wie ein Aufruf zur Revolution. Dann lass doch die Katze mal aus dem Sack: Was läuft denn verkehrt bei unseren Arbeitgebern?

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Tim Leberecht: Problematisch ist der Glaube an die radikale Vermessung unseres Lebens – sowohl im Privat- als auch im Berufsleben. Vor allem in Unternehmen wird Effizienz immer mehr zum allein gültigen Gestaltungsprinzip erklärt. Das halte ich für einen großen Fehler. Amazon ist ein gutes Beispiel für diese Entwicklung.

t3n Magazin: Warum?

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Leberecht: Amazon überwacht die gesamte Kommunikation seiner Mitarbeiter. Jede E-Mail, die verschickt wird, wird gemessen. Amazon weiß ganz genau, was die Mitarbeiter tun, wo sie hingehen, mit wem sie sprechen, wie lang ihre Mittagspausen sind. Auf der einen Seite lernst du als Firma so natürlich eine Menge, etwa was deine Mitarbeiter glücklich macht oder wann sie besonders produktiv arbeiten. Auf der anderen Seite entsteht unter Mitarbeitern dadurch eine große Angst. Weil es nicht mehr reicht, eine Aufgabe bloß zu erledigen. Das ist quasi wie ein neuer Taylorismus, nur mit wesentlich radikaleren Mitteln durch digitale Technologien. Das lässt natürlich überhaupt keinen Raum für Spontanität und Vorstellungskraft. So fördert man keine Innovationen. Deshalb ist pure Effizienz nicht nur aus wirtschaftlichen Gründen ein Fehler, sondern widerspricht auch der Natur des Menschen. Wir wollen uns ausdrücken und auch mal irren. Darum kämpfe ich für eine Gegenbewegung.

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t3n Magazin: Und die soll von „Business-Romantikern“ ausgehen?

Leberecht: Richtig.

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t3n Magazin: Was machen die denn anders?

Leberecht: Business-Romantiker halten Gefühle, Emotionalität und Verletzlichkeit im Job für mindestens genauso wichtig wie Vernunft. Das heißt im Geschäftsalltag: Sie sind auch mal in der Lage, auf Daten zu pfeifen. Sie sammeln und analysieren Daten, ja, aber sie treffen Entscheidungen auch mit Herz.

t3n Magazin: Hast Du ein paar Beispiele für solche Leute?

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Leberecht: Typen wie Richard Branson, Steve Jobs oder Elon Musk sind die Inbegriffe der Business-Romantik. Oder Howard Schultz, der CEO von Starbucks, der seine 12.000 Baristas im Rahmen der „Race together“-Kampagne dazu aufforderte, mit Kunden offen über Rassendiskriminierung zu sprechen. Im Nachhinein erntete er dafür einen riesigen Shitstorm, weil die Schlangen in den Filialen noch länger wurden und die Kunden lieber an ihrem Kaffee als an einem ernsten Gespräch interessiert waren. Hätte Schultz vorher Marktforschung betrieben, wäre das gar nicht passiert. So aber hat er seine persönlichen Werte der unternehmerischen Entscheidung vorangestellt und Starbucks nachhaltig als eine menschliche, wertebasierte Marke mit Persönlichkeit in den Medien platziert.

t3n Magazin: Wie schafft man die Voraussetzungen für eine solche romantische Unternehmenskultur?

Leberecht: Ich glaube nicht, dass es dafür eine große Strategie gibt, die man sich auf Knopfdruck über fünf Jahre hinweg auferlegen kann. Es sind eher viele kleine Rebellionen, die man im Arbeitsalltag anstiften kann: Zum Beispiel einfach mal die Rollen zwischen Mitarbeitern tauschen oder Meetings im Dunkeln abhalten.

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t3n Magazin: Wie bitte? Meetings im Dunkeln!?

Leberecht: Ja! Genau das ist ja das Spannende an der Business-Romantik. Man lädt funktionale Formate aus dem Arbeitsalltag mit romantischen Elementen auf. Durch Meetings im Dunkeln werden soziale Vorurteile zwischen Mitarbeitern und Chefs doch vollständig über Bord geworfen. Man weiß nicht, wer gerade neben einem sitzt, welchen Status die Leute in der Gruppe haben und so weiter. Das kann ziemlich befruchtend sein. Vor allem aber ist es dieser Kick, einfach mal was Neues auszuprobieren. In den USA gibt es zum Beispiel auch Networking-Events, bei denen Namen und Identität der Teilnehmer gar nicht erst bekannt gegeben werden. Das ist funktional, weil es Vorurteile eliminiert, aber gleichzeitig auch romantisch, weil es dich zum Leben erweckt. Und dafür kann man am eigenen Arbeitsplatz viel Raum schaffen.

t3n Magazin: Das klingt ja alles schön und gut, aber bekommen wir von unseren Chefs auch den Raum für solche Spielereien?

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Leberecht: Jeder, der in einem Unternehmen arbeitet – ob in der Chefetage, im mittleren Management oder im Mitarbeiterstab – hat die Wahl, effizient oder romantisch zu handeln. Ich behaupte: Innovativ ist nur, wer auch mal bereit ist, Zeit und Kreativität zu verschwenden. Natürlich ist das vielen Effizienzdenkern völlig fremd, ich aber bin davon überzeugt, dass man sich damit viele Freiheiten für sein Unternehmen zurückerobern kann.

„Kein Raum für Spontanität und Vorstellungskraft“: Tim Leberecht kritisiert die Erhebung der Effizienz zum alleinigen Gestaltungsprinzip unserer Arbeitswelt. (Foto: Beowulf Sheenan)

„Kein Raum für Spontanität und Vorstellungskraft“: Tim Leberecht kritisiert die Erhebung der Effizienz zum alleinigen Gestaltungsprinzip unserer Arbeitswelt. (Foto: Beowulf Sheehan)

t3n Magazin: In welchen Unternehmen wird diese Business-Romantik denn schon erfolgreich gelebt?

Leberecht: Es gibt einige Beispiele: Zappos etwa verfolgt die Idee von der Holocracy und belohnt Mitarbeiter im Kundensupport darüber hinaus bewusst für längere Telefongespräche. Dann wäre da Airbnb, ein schönes Gegenmodell zu Amazon. Zwar arbeiten die auch sehr datenbasiert, allerdings ist die Idee, für ein paar Tage in die Welt eines Fremden zu tauchen, natürlich zutiefst romantisch. Und bei Etsy in New York gibt es ein „Ministry of unusual Business“, also ein Schattenmandat, das Mitarbeiter anonym und ohne erkennbares System mit genüsslichen Überraschungen für besondere Leistungen belohnt. Es gibt also durchaus schon Formate, die mit Zufall, Rätselhaftigkeit und Geheimnissen spielen.

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t3n Magazin: Apropos Geheimnisse. In deinem Buch vertrittst du auch die These, dass Intimität statt Transparenz ein wichtiges Merkmal von romantikgetriebenen Unternehmen ist. Führt das nicht zu bösem Blut zwischen den Mitarbeitern?

Leberecht: Tja, das ist die dunkle Seite der Romantik. Je mehr Emotionalität man im Unternehmen zulässt, desto größer sind die Risiken. Man muss extrem aufpassen, es nicht zu übertreiben und aus der Romantik eine Geheimniskrämerei zu machen, die Neid und Misstrauen schürt. Andererseits: Wenn man das ganze Unternehmen auf Transparenz und Inklusion trimmt, gibt es auch keine Reibungspunkte mehr. Die sind aber wichtig, damit die Arbeit spannend bleibt und sich die eigenen Mitarbeiter mit Leib und Seele dem Job verschreiben können.

t3n Magazin: Das klingt aber ziemlich ungesund …

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Leberecht: Das Spannende daran ist, dass eine romantische Ehe oder eine langwierige Beziehung ja tatsächlich auch Arbeit sind. Man muss sich über Jahre hinweg zueinander committen, jeden Tag versuchen, Schönheit und Bedeutung zu erfahren. Ich finde nichts Schlimmes daran, dieses Prinzip auch auf unseren Job zu übertragen. Wir verbringen immerhin 70 Prozent unserer wachen Stunden mit Arbeit. Warum also sollten wir unsere Arbeit auf einen rein funktionalen Vorgang reduzieren, wenn er doch ein riesiger Bestandteil unseres Lebens ist?

t3n Magazin: Heißt das, dass es keine Work-Life-Balance gibt?

Leberecht: Work-Life-Balance ist für mich ein schwieriges Wort. Balance impliziert ja eine Dynamik, die ständig austariert werden muss. Ich bin mir nicht sicher, inwiefern ein Gleichgewicht zwischen Arbeit und Familie mit der Business-Romantik vereinbar ist. Die Amerikaner sprechen übrigens eher von „Work-Life-Integration“. Das heißt: Man bringt automatisch mehr von sich zur Arbeit mit, weil man ja unweigerlich mehr von der Arbeit zu sich nach Hause nimmt. Die Grenzen sind ja inzwischen fließend. Aber ja, natürlich geht es auch darum, Räume zu schaffen, wo Mitarbeiter komplett abschalten können. Angebote wie die von Volkswagen, keine E-Mails mehr nach Feierabend zu verschicken, finde ich zum Beispiel sehr gut.

t3n Magazin: Du sprichst im Zusammenhang mit der Business-Romantik oft von Konzernen oder gewachsenen Unternehmen. Welche Rolle spielt das Thema denn für junge Startups?

Leberecht: Startups sind per se romantisch. Die meisten Gründer machen das ja nicht wegen des Geldes, sondern weil sie ein Abenteuer suchen, sich ausprobieren und eine Grenzerfahrung wollen.

t3n Magazin: Zählt nicht gerade am Anfang einer Gründung mit wenig Budget die pure Effizienz?

Leberecht: Ich würde mir wünschen, dass Gründer sich nicht immer so sehr auf die Idee des Lean-Startups versteifen. Statt einen Pivot nach dem anderen zu machen, kann man ja auch mal kontinuierlich an eine Idee glauben. Das ist übrigens auch eine wichtige Voraussetzung, um ein romantisches Unternehmen auf den Weg zu bringen.

t3n Magazin: Auf welche Faktoren kommt es denn noch an?

Leberecht: Der Knackpunkt bei Startups ist immer der Wachstumszwang. Irgendwann kommt der Moment, wo die erste Finanzierungsrunde abgeschlossen werden muss und Investoren einsteigen. Plötzlich muss man skalieren und harte Entscheidungen treffen. In dieser Phase geben Gründer meiner Meinung nach sehr schnell sehr viel von ihrem persönlichen Werteverständnis auf. Startups müssen begreifen, dass die Kultur, die sie sich in den ersten sechs Monaten aufbauen, die Grundlage für die nächsten zehn Jahre darstellt. Die lässt sich danach nicht mehr so schnell ändern.

t3n Magazin: Wie kann man sich die Romantik am besten bewahren?

Leberecht: Ich rate jedem Gründer dazu, schon sehr früh entsprechende Werte und Spielwiesen festzulegen, die entweder heilig oder im Investorengespräch verhandelbar sind. Die Crowdfunding-Plattform Kickstarter beispielsweise hat einem Börsengang oder Verkauf entgegen der Erwartungen ja erst vor Kurzem eine Absage erteilt und seine Rechtsform in die eines Social Business gewandelt. Das ist quasi das perfekte Zusammenspiel zwischen romantischem Geist und einer sozialen Vision eines Unternehmens. Wer das schafft, kann über Jahre hinweg seine Integrität wahren und gleichzeitig eine romantische Kultur ausleben – die für Leute im und außerhalb des Unternehmens überaus attraktiv ist.

t3n Magazin: Welche Trends werden unsere Arbeit in den nächsten Jahren noch bestimmen?

Leberecht: Die Spannungen zwischen offenen oder geschlossenen Arbeitsräumen werden weiter zunehmen. Unsere Arbeitsplätze werden immer modularer, also kann jeder Mitarbeiter frei entscheiden, wie er im Büro arbeiten möchte. Überhaupt werden Büros an die Bedürfnisse verschiedener Generationen angepasst und auch das Design speziell für Frauen wird an Bedeutung gewinnen. In den USA sind die Raumtemperaturen zum Beispiel oft an Männer angepasst, nicht aber an Frauen. Der größte Trend neben der Datafizierung wird aber zweifelsfrei die Automatisierung sein.

t3n Magazin: Was bedeutet das für unsere Jobs?

Leberecht: Dass die Zukunft der Arbeit ganz klar in der Nichtarbeit liegt. Wir werden immer mehr Freizeit haben. Eine Oxford-Studie prognostiziert für die nächsten zehn Jahre schon jetzt einen Verlust von 30 Prozent der Arbeitsplätze in den USA, in Deutschland sogar 50 Prozent. Die Wertschöpfung der Arbeit muss also anders verteilt werden, weil die Hälfte der Bevölkerung nicht mehr angestellt ist, sondern freiberuflich in der Gig-Economy arbeitet. Innovationen werden immer mehr von außerhalb der eigenen vier Bürowände kommen. Unternehmen müssen sich sehr gut überlegen, wie sie damit umgehen wollen.

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