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Reportage
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Chinas Digitalkonzerne: Die Trendsetter aus Fernost

Chinas Wirtschaft haftete lange der Kopiervorwurf an. Doch die Unternehmen in Fernost machen längst nicht mehr nach, sie setzen selbst Trends. Die besten Beispiele: Alibaba, Baidu und Tencent.

14 Min. Lesezeit
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(Foto: Kevin Münkel)

Michael dreht sich herum, zielt und löst den Zeigefinger vom Con­troller. Der virtuelle Pfeil rast ins Ziel und streckt einen angreifenden Ritter zu Boden. „Man muss den Arm weit nach hinten ziehen, damit der Schuss genug Power hat“, erklärt er. Der 28-Jährige ist Besitzer eines kleinen VR-Studios im Norden Shanghais, in dem er Leuten das Spielen mit der neuen Technik beibringt.

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Der Laden liegt versteckt im siebten Stock eines Wohnhauses. Einen kleinen Raum seiner Wohnung hat der Chinese für das Studio zu einer Virtual-Reality-Zone umgebaut, in den anderen wohnt er. In den Ecken hängen vier Lautsprecher, in der Mitte der Decke zwei Haken, an denen jetzt die Controller baumeln. Für rund 20 Euro können Nutzer Spiele wie das virtuelle Bogen­schießen ausprobieren. Michaels Studio gehört zu den beliebtesten Anbietern für die neue Spieletechnik in Shanghai und ist regelmäßig ausgebucht.

Bis spätabends hockt Michael neben seinem Computer und schaut seinen Kunden beim Spielen zu. Für die Anlage von HTC hat er umgerechnet 2.700 Euro bezahlt. 700 Euro für die Brille, 2.000 Euro für den Rechner, der leistungsstark genug sein muss, damit die Spiele laufen. Er habe gehört, dass VR in anderen Ländern noch nicht so wichtig sei. Wundern tut ihn das nicht. „Im Techbereich ist China einfach schneller.“

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Eine einzigartige Entwicklung

Der Hype und die schnelle Adaption neuer Technologien wie Virtual Reality steht exemplarisch für den gewaltigen Aufstieg, den China in den vergangenen Jahrzehnten erlebt hat. Nach der wirtschaftlichen Öffnung in den 1980er Jahren wuchs die Wirtschaft jährlich im zweistelligen Bereich. Das Land entwickelte sich zur Werkbank der Welt, und jahrzehntelang kannte man
China vor allem von Labels auf billigem Kinderspielzeug und günstigen Klamotten, die es für wenige Euro im Discounter gab. Alles nur kopiert und geklaut, so der Ruf des Landes. Das hat sich mittlerweile geändert.

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Weitgehend unbemerkt hat sich in den vergangenen Jahren eine zweite Dimension aufgetan: Eine digitale Netzwelt, die an Tempo und Innovation kaum zu überbieten ist. Trotz Internetzensur und mangelndem Schutz geistigen Eigentums hat sich eine einzigartige Internetökonomie entwickelt. China ist das einzige Land außerhalb der USA, in dem es in fast jeder Branche Unicorns gibt. Das sind junge Unternehmen, die mit mindestens einer Milliarde US-Dollar bewertet werden. Dazu zählen etwa der Lieferdienst Ele.me mit drei Milliarden US-Dollar Bewertung, der Taxidienstvermittler Didi Chuxing mit 17 Milliarden US-Dollar und der Drohnenhersteller DJI mit acht Milliarden. Der Gutscheinanbieter Meituan-Dianping ist sogar gleich neunmal höher bewertet als der bekannte Konkurrent Groupon. Trotzdem kennen nur die wenigsten Westler die Unternehmen.

Die BAT -Ökonomie vereint: Tencent-Gründer Ma Huateng, Alibaba-Chef Jack Ma und Baidu-Schöpfer Robin Li (v.l.n.r.) auf dem IT -Summit in Shenzhen. (Quelle: dpa picture alliance)

Dabei hat der Markt mit mehr als 731 Millionen Internetnutzern gewaltiges Potenzial. Und die Treiber der digitalen Revolution des Landes sind inzwischen zu wahren Giganten herangewachsen. Die erste Generation der chinesischen Internetindustrie wird häufig mit BAT abgekürzt: Die drei Buchstaben stehen für Baidu, Alibaba und Tencent. Die Internetunternehmen sind fast gleichzeitig zur Jahrtausendwende gegründet worden. Heute erreichen sie mit ihren digitalen Diensten hunderte Millionen Kunden. Sie sind Milliarden wert und längst keine billigen Copycats mehr. Im Gegenteil: Nun kopiert das Silicon Valley China.

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Während in Deutschland und anderen westlichen Ländern die wichtigsten Tech-Unternehmen aus den USA stammen, konnten sich in der Volksrepublik fast ausschließlich lokale Anbieter etablieren. Wie konnte es dazu kommen? Warum spielen Facebook und Google keine Rolle in einem der wichtigsten Digitalmärkte? Hauptgrund für die einzigartige Entwicklung in China: In den 2000er Jahren bekamen immer mehr Menschen einen Zugang zum Internet. Wie überall auf der Welt hatten sie plötzlich fast unbegrenzten Zugang zu Informationen. In dem autokratischen, durch die Kommunistische Partei regierten Land konnten Internetnutzer plötzlich mit wenigen Klicks Millionen von Menschen erreichen. Auf Plattformen wie dem Blogsystem Weibo begannen Blogger, über politische Skandale zu berichten und Affären in Echtzeit zu kommentieren. Dieses Monopol lag bis dato bei den Staatsmedien, die durch den Zentralstaat in Peking streng überwacht wurden. Als 2011 ein Zug in Wenzhou entgleiste und 40 Menschen starben, konnten Blogger die Vertuschung des Unfalls durch ihre Berichterstattung verhindern.

Leger angelehnt an der chinesischen Mauer: Jack Ma (ganz links) mit Alibaba-Mitgründern 1998. (Quelle: Alibaba)

Der Unfall gilt als einer der wichtigsten Wendepunkte in Chinas Netzgeschichte: Peking hatte das Internet bereits vorher überwacht, schottete es danach aber immer gnadenloser ab. Früher oder später wurden fast alle der großen westlichen Internetdienste gesperrt oder verließen freiwillig das Land, darunter Face­book, Google und Snapchat. Instagram wurde 2014 geblockt, als über die App Bilder der Proteste in Hongkong geteilt wurden.

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Die Great Firewall of China, wie die Blockade genannt wird, macht das chinesische Internet im Prinzip zu einem Intranet, das kaum legale Wege in das weltweite Netz offen lässt. Die internationalen Seiten, die noch erreichbar sind, bauen sich so langsam auf, dass das Surfen keine Freude macht. Laut des IT-Unternehmens CDNetworks laden chinesische Websites in der Volksrepublik innerhalb weniger Sekunden, ausländische Sites brauchen hingegen durchschnittlich mindestens 33 Sekunden. Aus dem Ausland sind viele chinesische Dienste nicht zu erreichen. Und grundsätzlich wird alles geprüft, was rein- und rausgeht. Wie die digitale Mauer genau funktioniert, ist nicht bekannt. Sicher ist aber, dass Nutzer gesperrte Seiten wie Facebook nur mit Hilfe eines VPNs öffnen können. Das verlangsamt das Laden allerdings weiter, viele Websites sind dadurch kaum zu nutzen.

Die Blockade führt dazu, dass in China heute viele Menschen fast ausschließlich zensierte Medien vom Festland konsumieren. Viele ausländische Medien wie die New York Times und Bloomberg sind nicht erreichbar. Die kurze Phase der digitalen Freiheit ist vorbei. Die chinesischen Techkonzerne aber profitieren von genau dieser Abschottungspolitik: Das Aussperren ermöglichte den lokalen Unternehmen, ohne Druck durch die großen internationalen Konzerne eigene Dienste aufzubauen. Besondere Profiteure waren Baidu, Alibaba und ­Tencent, die zunächst mit Kopien amerikanischer Unternehmen erfolgreich wurden: Tencent baute den Messenger QQ, ein chinesisches ICQ, auf, Alibaba mit Alibaba.com einen chinesischen Amazon-Klon und später mit Taobao eine Art Ebay, Baidu mit seiner gleichnamigen Suchmaschine das chinesische Google. Dienste, die sich seitdem zum großen Teil massiv von ihren Vorbildern abgehoben haben.

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Emanzipiert von Google und Facebook

Dass der abgeschottete Markt ein Startvorteil für chinesische Techunternehmen war, ist unbestritten. Davon haben sich die Unternehmen aber schon lange emanzipiert, sagt Jan Smejkal, Leiter des Gründerverbands Startup Grind China, der von Google mitfinanziert wird. Der 25-Jährige lebt seit knapp drei Jahren in der Volksrepublik und organisiert Events und Konferenzen rund um das Thema Innovation und Technik. Vorher hat er für Rocket Internet gearbeitet und unter anderem den Lieferservice Foodpanda in seiner Heimat Tschechien mit aufgebaut. „Die chinesische Internetindustrie ist extrem innovativ und in Gebieten wie Fintech weltweit führend“, sagt Smejkal. In vielen Bereichen setzen die chinesischen Unternehmen heute Impulse.

Das Tor zum chinesischen Internet ist Baidu. Die Suchmaschine hat mit einem Marktanteil von mehr als 80 Prozent ein Monopol in China. Gründer des gigantischen Unternehmens ist Robin Li, der von den Medien gerne als der bestaussehende Gründer des Landes bezeichnet wird. Der hochgewachsene Li startete das Unternehmen 1999 mit dem Ziel, den damals größten Suchmaschinenbetreibern Yahoo und Google den Rang abzulaufen. Baidu hatte nicht nur schnell die besseren Algorithmen für die chinesischen Suchanfragen – als Google 2010 seinen chinesischen Dienst einstellte, hatte das Unternehmen auch kaum mehr Konkurrenz. 2005 ging es in New York an die Börse und war Ende 2016 mit mehr als 60 Milliarden US-Dollar bewertet. Zum Vergleich: Alphabets Marktkapitalisierung liegt bei rund 500 Milliarden US-Dollar. Gegen den US-Riesen hätte es für Baidu allein schon kräftemäßig also schwierig werden können.

Blick in die Arbeitsräume von Alibaba: Auch das chinesische Unternehmen pflegt die Kultur des Großraumbüros. (Quelle: Alibaba)

Die chinesischen Unternehmen kopieren aber längst nicht mehr nur, sie entwickeln weiter. „Die App Wechat macht das besonders deutlich“, sagt Smejkal. Hinter dem Messenger, der auf Chinesisch Weixin heißt, steht der zweite wichtige Player in Chinas Internetökonomie: Tencent. Der Gründer des mittlerweile wertvollsten Unternehmens des Landes, Ma Huateng, war gerade sieben Jahre alt, als Deng Xiaoping seine Wirtschaftsreformen anstieß und damit das Land für den Westen öffnete. Er studierte Informatik in Shenzhen und stieß 1998 auf ICQ, den Messenger, der damals noch zum US-Konzern AOL gehörte und den Chatmarkt dominierte. Als Ma erfuhr, dass es keine chinesische Version für den Dienst gab, beschloss er, selbst eine zu programmieren – die Geburt seiner Firma Tencent. Mittlerweile hat der damals ent­wickelte Messengerdienst QQ mehr als 868 Millionen Nutzer.

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Das Erstaunliche: Obwohl das Unternehmen mit seinem Messen­ger den Chatmarkt in China konkurrenzlos dominierte, entschied sich Ma 2011, eine zweite App zum Verschicken von Nachrichten zu entwickeln. Ein frisches Team programmierte die App Wechat, die heute Herzstück der chinesischen Techwelt ist und vollkommen unabhängig von QQ funktioniert.

Wechat ist nicht nur ein Nachrichtendienst wie sein Vorgänger QQ, sondern ein eigenes kleines Ökosystem. 889 Millionen aktive Nutzer zählt das soziale Netzwerk. Per App können Nutzer chatten und Inhalte in einer Timeline mit ihren Freunden teilen. Das Programm dient aber auch als Bezahldienst, hilft beim Kauf von Kinokarten, dem Begleichen der Stromrechnung oder dem Rufen eines Klempners. Die Idee: Egal, was jemand mit dem Handy machen will, Wechat muss er dafür nicht mehr verlassen (mehr dazu ab Seite 38). Dieses Konzept hat Tencent zu einem der größten Unternehmen in China gemacht. Seit 2004 ist der Konzern an der Börse in Hongkong gelistet und gilt seit vergangenem Herbst mit 256,6 Milliarden US-Dollar als das chinesische Unternehmen mit der höchsten Bewertung.

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Zum Vergleich: Facebook kommt auf eine Marktkapitalisierung von rund 400 Milliarden US-Dollar. Und doch ist der Zuckerberg-Konzern heute nicht mehr der Trendsetter. Die amerikanischen Anbieter sind in den Modus der Aufholjagd gewechselt. Den 2014 von Facebook abgekoppelten Messenger können Nutzer nun in manchen Städten in den USA als Taxivermittler oder zur Hotelbuchung verwenden. Auch Bezahldienste sollen stärker integriert werden. Snapchat bietet QR-Codes an, um neue Kontakte hinzuzufügen – ursprünglich eine Idee von Wechat. Und die neuen Livestreaming-Angebote von Facebook Live und Twitter gehören in China schon lange zum Standardrepertoire.

Das Web sichert Chinas Überleben

Der Boom des chinesischen Internets ist trotz Internetzensur auch von Peking gewollt. Unter der Prämisse, dass Peking die Kontrolle über die Inhalte behält, fördert es die Netzkultur aktiv. Der Grund ist einfach: Die Lohnkosten sind in China in den vergangenen Jahren rasant gestiegen. Die Werkbank der Welt ist zu teuer geworden. In Vietnam und Kambodscha arbeiten die Menschen für einen Bruchteil des Geldes. Das schlägt in China auf die Exporte und lässt die Wettbewerbsfähigkeit des Landes sinken. Es droht, in die Falle des Mittleren Einkommens zu geraten. Das bedeutet, dass es zu lange von seinen niedrigen Löhnen profitiert und nicht genug in die Modernisierung der Industrie investiert hat. Nun ist die Produktivität zu niedrig und das Personal zu teuer. Im vergangenen Jahr ist das Land so langsam gewachsen wie seit einem Vierteljahrhundert nicht mehr.

Um langfristig zu überleben, muss Peking deshalb umdenken. Hoffnungsträger ist die Technologiebranche, die bisher neben den Staatsunternehmen der Kohle- und Stahlindustrie fast eine stiefmütterliche Rolle gespielt hat. Peking will Innovation „Made in China“ und fördert dafür die Gründerszene mit Milliarden. Mit seinem Smartphone, Computer und einer guten Idee soll nun jeder ein eigenes Unternehmen gründen können. Dafür wirbt der Staat mit steuerlichen Vergünstigungen und großzügigen Fonds, mit denen sich Gründer ohne viel Aufwand bis zu 100.000 Yuan, etwa 13.000 Euro, leihen können. Wer sein Studium für eine Gründung unterbrechen will, kann dies ohne Nachteile tun. Viele Universitäten haben dafür Gründerzentren und Förderprogramme gestartet, besonders für Entwicklungen im Techbereich sprudelt das Geld. „Die chinesische Regierung investiert Milliarden“, bestätigt auch Smejkal. „Mit Sonderwirtschaftszonen in den großen Städten und steuerlichen Vorteilen buhlt China international um die besten Kräfte.“

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Das Café 3W ist ein beliebter Gründer-Treff in Shenzhen, etliche Unternehmen haben hier das Licht der Welt erblickt. (Quelle: Lea Deuber)

Wie das in der Praxis aussieht, macht ein Besuch im 3W Coffee im südchinesischen Shenzhen deutlich. Das Café liegt im Hinterhof eines Gebäudekomplexes im Westen der Stadt. An den runden Tischen sitzen verteilt einzelne Grüppchen, die hinter ihren Laptops zwischen Chinesisch und Englisch hin und her wechseln, in einer Ecke auch zu Hindi. Das 3W Coffee ist vor allem durch den Besuch des chinesischen Ministerpräsidenten Xi Jinping bekannt, der vor zwei Jahren einen der Standorte der Kette besuchte, um sich dort mit Gründern zu treffen. Für umgerechnet vier Euro gibt es im Erdgeschoss Kokosnuss-Suppe, gebratenen Reis und Hühnchen-Curry. In bunten Bilderrahmen stecken die ­Logos von Unternehmen, die an den Tischen des Cafés gegründet wurden. An der Wand sind die Börsengänge der wichtigsten Tech-­Unternehmen aufgezeichnet. Die Liste fängt mit den US-­Giganten Apple, Amazon und Ebay an. 1999 findet sich mit der Software-Firma Zhonghuawang das erste chinesische Unternehmen. Seit 2003 sind es hauptsächlich chinesische Unternehmen an der Wand. Darunter die Giganten Tencent, Baidu und Alibaba.

Zhao Guoliang sitzt an einem großen Tisch in der Mitte des giftgrün gestrichenen Raums. Der 35-Jährige kommt mehrfach in der Woche mit seinem Team hierher. Er arbeitet für das chinesische Unternehmen Shidong Shijie aus Beijing, das früher vor allem Apps entwickelt hat und sich jetzt zunehmend auf VR-Brillen und -Spiele konzentriert. Heute steht er in einem grauen Hemd an einem Whiteboard und skizziert die nächsten Schritte des Unternehmens. „Bald wird jeder eine VR-Brille benutzen“, sagt Zhao. „Nicht mehr zum Spielen, sondern um zu Hause neue Klamotten anzuprobieren, seine Wohnung einzurichten oder virtuell in fremden Ländern unterwegs zu sein.“ Er holt seinen Laptop heraus und zeigt einen Film, in dem ein Kunde mit seiner VR-Brille eine Mikrowelle anschaut, sie probehalber in sein Regal in der Küche stellt und dann mit ein paar Klicks kauft. „Bald alles ganz selbstverständlich.“

Zhao weiß, dass noch viele an der Technik zweifeln. „Aber Jack Ma glaubt daran“, sagt er und nickt dabei mit Nachdruck. Für Zhao ist das Beleg genug. Jack Ma ist der Gründer des Handelsriesen Alibaba und wird von jungen Menschen in China ­verehrt wie in den USA Bill Gates und Steve Jobs. „Niemand hat anfangs an Mas Idee geglaubt. Jetzt hat er es allen bewiesen“, sagt Zhao. Dann beginnt er laut vorzurechnen, wie reich jemand heute sei, der bereits 1999 in das junge Unternehmen von Ma investiert habe. Irgendwann kommt er zu dem Schluss: ziemlich reich.

Ma steht für einen Wandel in China. Die Gründer der Generation Post-80er und Post-90er, wie man Leute wie den 35-jährigen Zhao nennt, sind jung, kreativ, gut ausgebildet und entsprechen so gar nicht dem Klischee des Billiglands China, das sich so hartnäckig hält. Sie blicken auf Jack Ma und andere Gründer und fragen sich: Warum soll ich das nicht nachmachen können? Keine Angst vorm Scheitern und Chancen sehen, wo andere Leute Grenzen vermuten: So ticken immer mehr Chinesen. Auf Mandarin nennt man das: ins Meer springen.

Wichtiger als Papst Franziskus

Der 52-jährige Ma mit seinem breiten Lächeln und kantigen Gesicht ist zum Aushängeschild dieser Kultur und auch der chinesischen Internetökonomie geworden. Das Fortune Magazine hat ihn zu einer der wichtigsten Führungspersönlichkeiten 2017 erklärt, noch vor Papst Franziskus in Rom. Ma sei ein globaler Botschafter für die chinesische Geschäftswelt, so das Magazin als Begründung. Er verkörpert Chuzpe und den neuen chinesischen Traum, dass jeder alles erreichen kann. Der ausgebildete Englischlehrer, der zwei Mal durch die Universitätszugangsprüfung fiel, brauchte zwei Anläufe, um das heute größte Internetunternehmen des Landes zu gründen. Jetzt ist er der reichste Mann Asiens.

Innerhalb weniger Jahre schuf er mit der Seite Alibaba.com, einer Kopie von Amazon, und der 2003 in seinem Wohnzimmer gegründeten Handelsplattform Taobao ein gigantisches Handels­imperium. Das verdrängte zunächst in den 2000er Jahren den ausländischen Konkurrenten Ebay und stieg danach schnell zu einer der meistbesuchten Internetseiten der Welt auf. 2014 wagte sich das Unternehmen auf das New Yorker Parkett, der damals größte Börsengang der Welt. Aktuell ist Alibaba mit rund 237 Milliarden US-Dollar bewertet und verdient sein Geld nicht mehr nur mit den E-Commerce-Seiten, sondern auch mit dem Bezahldienst Alipay sowie Cloud-Computing und dem Logistikunternehmen Cainiao Network. 31 Millionen Jobs hat das Unternehmen nach Berechnungen der Renmin Universität in Beijing seit seiner Gründung in der Industrie geschaffen. Laut der Beratungsfirma Boston Consulting Group sollen es bis 2035 schätzungsweise sogar 122 Millionen sein. Das wäre ein Drittel der Beschäftigten in der gesamten chinesischen Internet-Industrie.

Tencent-Zentrale in Shenzhen: Mit einer Marktkapitalisierung von 256,6 Miliarden US Dollar weist das Unternehmen die höchste Bewertung des Landes auf. (Quelle: dpa picture alliance)

Die Dienste von Ma sind mittlerweile auch Vorbild in anderen Ländern. Ein Beispiel dafür ist Snapdeal, das als das „Alibaba von Indien“ bezeichnet wird. Anstatt amerikanischen Vorbildern wie Amazon nachzueifern, kupferten die Gründer Rohit Bansal und Kunal Bahl vom chinesischen Riesen ab. Indien hat ähnlich wie der Nachbar viele kleine namenlose Händler, die in China über Alibabas Plattform Taobao ihre Ware im ganzen Land verkaufen können. Snapdeal fand in der Plattform das perfekte Vorbild und kopierte die App. Heute ist das Unternehmen mit Sitz in Neu-­Delhi eines der größten Onlinehandelsunternehmen des Landes. Auch der größte Bezahldienst Paytm ist kein zweites Paypal, sondern ein Nachbau von Alipay.

Die BATs haben sich zu Giganten wie Apple und Alphabet entwickelt. Und sie arbeiten daran, diese Position noch weiter auszubauen. Längst verdienen sie nicht mehr nur in ihrem Kerngeschäft. Fast in allen Bereichen, in denen neue Ideen alte Branchen aufbrechen, sind die Unternehmen aktiv. Das beginnt bei Lieferdiensten für Lebensmittel und Fastfood, in die die großen Drei investieren, und geht über digitale Bezahldienste bis hin zu künstlicher Intelligenz oder selbstfahrenden Autos. In fast jeder Branche haben die Riesen mittlerweile ihre Finger mit im Spiel, häufig geht es darum, möglichst schnell möglichst viele Marktanteile zu erobern: Baidu investiert etwa in die Zukunft von autonomen Fahrzeugen. Bis 2018 will das Unternehmen erste Fahrzeuge auf die Straße bringen. Dafür ist das Unternehmen auch in den USA mit Testfahrzeugen vor Ort. Tencent und Alibaba ziehen gerade nach. Sie fördern zudem massiv Forschung in den Bereichen von Virtual Reality und künstlicher Intelligenz.

Das Tempo ist auch deshalb so hoch, weil den Unternehmen viel Geld zur Verfügung steht. Nicht selten stürzen sie sich in ­Investitionsschlachten in einer Dimension, wie sie in Deutschland nie vorstellbar wären. Ein Beispiel: der Kampf zwischen Uber China und der chinesischen Konkurrenz Didi Chuxing. Im vergangenen Jahr stritten sich die beiden Firmen um Anteile auf dem Markt der Taxivermittlung. Hinter Didi Chuxing standen Alibaba und Tencent, die das Unternehmen 2015 aus zwei konkurrierenden Firmen geformt hatten. Uber China erhielt dagegen finanzielle Unterstützung vom Suchmaschinengiganten Baidu. Damals erklärte Uber-Chef Travis Kalanick unbekümmert, er verbrenne eine Milliarde Dollar pro Jahr in China. „Für uns ist die Frage, ob wir in China sein wollen oder nicht und ob wir die Irrationalität lang genug beibehalten können, bis die Welt wieder vernünftig wird“, sagte Kalanick – ein paar Monate, bevor Uber China von Didi Chuxing geschluckt wurde. Der chinesische Konkurrent übernahm das Geschäft und die Marke, Uber erhielt dafür knapp 17,7 Prozent der Anteile des neuen Unternehmens. Den Sprung ins chinesische Meer überlebt eben nicht jeder.

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