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Digitale Gesellschaft
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Markus Beckedahl von netzpolitik.org im Interview: „Die Freiheit des Netzes ist so bedroht wie nie zuvor“

Markus Beckedahl ist der Macher hinter netzpolitik.org. Schon seit vielen Jahren beschäftigt ihn, wie die Politik mit der Digitalisierung der Gesellschaft umgeht. Im Interview mit t3n erklärt er, was ihn motiviert, welche Gefahren er für die Freiheit des Netzes heute und in Zukunft sieht und welche Parallelen es zwischen Netzpolitik und Umweltschutz gibt.

5 Min. Lesezeit
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t3n Magazin: Herr Beckedahl, Sie sind bereits seit vielen Jahren in Sachen Netzpolitik engagiert. Was treibt Sie an?

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Markus Beckedahl: Ich habe schon früh die Digitalisierung mitbekommen und wie sie die Gesellschaft verändert. Zugleich habe ich mitbekommen, wie hilflos die Politik oftmals darauf reagiert. Politiker gestalten heute die digitalen Rahmenbedingungen unserer Generation und der folgenden 20 bis 30 Jahre. Ich habe eine andere Meinung als sie dazu, wie man den öffentlichen, digitalen Raum gestalten sollte. Außerdem habe ich eine andere Meinung dazu, was die Digitalisierung mit uns macht und wie sie unsere Gesellschaft verändert. Deshalb engagiere ich mich.

t3n Magazin: Sind Sie Mitglied einer Partei?

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Markus Beckedahl: Ja, als eine typische Karteileiche.

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t3n Magazin: Warum nicht aktiver?

Markus Beckedahl: Weil ich gemerkt habe, dass ich viel effektiver bin, wenn ich auf zivilgesellschaftlicher Seite Netzpolitik mache, als wenn ich die nächsten zehn Jahre weiter in einer Partei in irgendwelchen Sitzungen verbringe.

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t3n Magazin: Mit netzpolitik.org betreiben Sie heute eines der einflussreichsten deutschsprachigen Blogs. Wie kam es dazu?

Markus Beckedahl: Angefangen hat es Ende der 90er mit einer Mailingliste. Ich habe interessante Artikel aus dem Netz darüber verschickt und dachte: Das wäre doch eine gute Sache, wenn alle sich daran beteiligten. Das könnte eine offene Wissensbasis ergeben. Das Frustrierende war: Ich war der Einzige, der das gemacht hat. 2002 war ich dann in den UN-Weltgipfel-Prozess eingebunden und wollte von den Vorbereitungskonferenzen in Genf berichten. Dabei bin ich zum ersten Mal auf eine Blogsoftware gestoßen – ohne überhaupt zu wissen, was ein Blog ist. Das waren die Vorläufer von netzpolitik.org.

t3n Magazin: Welche Erfahrungen haben Sie mit der Wirksamkeit von netzpolitik.org inzwischen gemacht?

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Markus Beckedahl: Das größte Problem ist, dass ich nicht genug Ressourcen habe, um alle thematischen Baustellen abzudecken. Da wünsche ich mir manchmal spezialisierte Blogs wie in den USA, die das leisten können. Aber Themen wie die Online-Durchsuchung und die Vorratsdatenspeicherung haben wir sehr früh und intensiv bearbeitet. Vor allem bei der Vorratsdatenspeicherung konnten wir viel dazu beitragen, dass es so ein Massenthema geworden ist. Ich bin mir ziemlich sicher, dass jeder Journalist aus dem Bereich uns liest. Wir sind ein Vorfilter und können auf die Weise Agenda-Setting betreiben.

t3n Magazin: Wie schätzen Sie die „Freiheit des Netzes“ aktuell ein?

Markus Beckedahl: Sie ist so bedroht wie nie zuvor und das von verschiedenen Seiten gleichzeitig.

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t3n Magazin: Von wem geht die größte Gefahr aus?

Markus Beckedahl: Ich würde sagen: noch immer von der Unterhaltungsindustrie. Das Urheberrecht ist die zentrale Gesetzgebung in der digitalen Gesellschaft, aber es ist nicht den neueren Entwicklungen angepasst. Es ist vor allem so, dass starke Kräfte von Seiten der Unterhaltungsindustrie versuchen, diegesellschaftlichen Realitäten dem Urheberrecht anzupassen. Eigentlich müsste man aber natürlich das Urheberrecht den gesellschaftlichen Realitäten anpassen.

t3n Magazin: Wie sehen diese Realitäten aus?

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Markus Beckedahl: Dazu gehört beispielsweise, dass wir alle „Kopierwerke“ in unseren Computern und Handys haben. Dass wir zum ersten Mal Kultur und Wissen richtig austauschen können. Aber sobald ein 13-Jähriger anfängt, Collagen zu basteln und ins Netz zu stellen, kann das eine Urheberrechtsverletzung sein. Momentan werden Gesetze immer mehr verschärft, dabei bringt das alles nichts. Die Menschen hören nicht auf, ihre Computer und das Internet zu nutzen. Also müssen die Gesetze noch weiter verschärft werden. Dieses Wettrüsten führt zu immer mehr Kollateralschäden. Die Politik wiederum ist da zu unsouverän und glaubt alles, was von den Lobbygruppen kommt.

t3n Magazin: Die Rufe nach mehr Filtern fürs Netz werden lauter. Was bedeutet das in Zukunft für die Freiheit des Netzes?

Markus Beckedahl: Das kann man heute schon sehen: Sobald die Filter bei der Kinderpornographie da sind, werden ganz viele andere auch vor der Tür stehen. Da gibt es heute schon viele, die etwas wünschen: Die einen wollen die Nazis aus dem Netz raushaben, andere wollen alle Urheberrechtsprobleme aus dem Netz raus haben. Das hat der Verband der Musikindustrie übrigens schon vor neun Jahren gefordert: Die wollten damals bereits am liebsten eine digitale Mauer um Deutschland errichten.

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t3n Magazin: Welche anderen Gruppierungen werden aus Ihrer Sicht in den nächsten Jahren vor allem die Freiheiten im Netz beschränken wollen?

Markus Beckedahl: Ich denke da an die verschiedenen Sicherheitsbehörden. Man mag es diesen Menschen nicht einmal übelnehmen. Wenn ich BKA-Mitarbeiter wäre oder Verfassungsschützer, dann würde ich auch alle Werkzeuge zur Hand haben wollen, die es mir ermöglichen, Verbrecher zu jagen. Das Problem ist nur: Wo ist die Grenze für die Rechtsstaatlichkeit? Immer neue Werkzeuge bedeuten immer neue Begehrlichkeiten. Die rechtlichen Möglichkeiten werden immer mehr ausgeweitet. Und wenn die alten Werkzeuge nichts bringen, brauchen wir neue. Das macht unsere Freiheit immer mehr zugunsten der Sicherheit kaputt. Einige Politiker sind aus meiner Sicht nicht in der Lage, eine demokratische Grenze zu ziehen, was unsere Sicherheitsbehörden dürfen.

t3n Magazin: Welche wesentlichen Einschränkungen unserer Freiheit gibt es heute schon?

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Markus Beckedahl: Die Vorratsdatenspeicherung ist inzwischen in Kraft. Die Online-Durchsuchung wird demnächst kommen. Aber ehrlich gesagt: Ich habe mittlerweile den Überblick verloren, in wie vielen staatlichen Datenbanken Informationen über mich gesammelt werden und wie sie miteinander vernetzt sind. Man kann weitergehen in Richtung Meinungsfreiheit und Rezipientenfreiheit: Mehr als 2.000 Webseiten werden bei Google gefiltert – und das wird noch viel mehr werden. Die notwendige Transparenz, was gefiltert wird und was nicht, gibt es nicht.

t3n Magazin: Welche Erfahrungen machen Sie im Gespräch mit anderen? Kann man erklären, warum das Thema wichtig ist?

Markus Beckedahl: Ja, das geht schon. Es ist nur die Frage, ob sie es auch am nächsten Tag noch auf der Agenda haben. Man muss auf jeden Fall selbst betroffen sein, das Internet ins eigene Leben integriert haben. Ansonsten bleibt es etwas Abstraktes.

t3n Magazin: Was kann ich tun, um mich zu engagieren?

Markus Beckedahl: Was sehr hilfreich ist: mit Abgeordneten und anderen Politikern Kontakt aufnehmen. Das gilt vor allem, wenn man aus demselben Wahlkreis kommt. Darüber hinaus sollte man versuchen, sich mit anderen zu vernetzen und sich mit seinen eigenen Fähigkeiten einzubringen. Unsere Generation hat großes Glück, dass es das Internet gibt. Das macht uns unabhängiger von Zeit und Ort.

t3n Magazin: Hat man denn überhaupt eine Chance gegen gut organisierte Lobbyisten?

Markus Beckedahl: Jeder, der an die Tür seines Abgeordneten klopft, ist mindestens so effektiv wie zehn Lobbyisten der Gegenseite. Das ist meine Erfahrung. Wir haben allerdings noch nicht die Strukturen wie beispielsweise die Umweltschutzbewegung. Wir stehen in etwa da, wo die Umweltschützer Ende der 70er Jahre waren. Damals war Greenpeace gerade gegründet und die Macher galten vielen als Spinner. Heute sind es große Organisationen. Meine Hoffnung ist groß, dass sich immer mehr Menschen bewusst werden, dass bestimmte Freiheiten in Gefahr sind. Und ich glaube auch, dass wir Freiheiten, die uns jetzt genommen werden, irgendwann wiederbekommen.

Foto: Rerun van Pelt

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Dein t3n-Team

Frank Garrelts

Mit diesem Interview legt Herr Beckedahl seine Finger in alle vorhandenen offenen und noch verdeckten Wunden. Ich hoffe, dass viele verantwortliche Politiker Zugang zu diesem Text erhalten und richtige Schlußfolgerungen ziehen. – Die Hoffnung stirbt zuletzt.

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