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Die ganze Stadt ist ein Startup: Shenzhen ist das Silicon Valley für Hardware-Firmen

Shenzhen ist das Silicon Valley für Hardware-Unternehmen. Warum es auch deutsche Gründer in die Millionen-Metropole zieht.

Von Moritz Stückler
8 Min. Lesezeit
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Das Team von Voltstorage beim Fotoshooting auf dem Dach des HAX-Accelerators im Stadtteil Huaqiangbei. (Foto: Vitaly Vyazovsky)

Bis vor einem Jahr wussten wir nicht mal, wo Shenzhen liegt“, gesteht Felix Kiefl vom Münchner Startup Voltstorage. Jetzt sitzt er mit seinem Mitgründer in einem Büro in ebenjener Stadt in Südchina und kann sich nicht vorstellen, wie sie ihr Produkt ohne das Ökosystem in und um Shenzhen weiterentwickeln hätten können.

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Innerhalb von nur vier Monaten sind Kiefl und seine beiden Mitgründer Michael Peither und Jakob Bitner zu Shenzhen-Fans geworden. Das liegt daran, dass ihr Startup perfekt in die chinesische Metropole passt. Ihr Produkt, ein Energiespeicher für Privathaushalte mit Solaranlagen, ist in etwa so groß wie eine kleine Regentonne und besteht aus jeder Menge Kunststoff, Metall, Platinen und Chemikalien. Für die Macher von Produkten dieser Art – Hardware im weitesten Sinne, auch abseits von Elektronik – ist Shenzhen ein Schlaraffenland. „Die Geschwindigkeit, mit der wir hier unseren Prototypen bauen können, ist krass“, sagt Peither. „Du gibst morgens eine CAD-Datei ab, und am nächsten Tag hast du ein fertiges Teil in den Händen. Das geht in Deutschland einfach nicht. Es ist hier nicht nur billiger, sondern eben auch einfacher und schneller.“ In den vergangenen Monaten haben die drei Gründer von Voltstorage ihre Geschäftsidee, die sie während ihrer gemeinsamen Studienzeit an der TU München entwickelt haben, in einen funktionierenden Prototypen verwandelt, den sie Anfang Januar erstmals auf der CES in Las Vegas präsentiert haben. Ihr Energiespeicher soll günstiger, langlebiger und sicherer als die Produkte der Konkurrenz sein. Ab 2018 wollen sie damit unter anderem Tesla den Markt strittig machen.

Einer von Tausenden Verkaufsständen innerhalb der Elektronikmärkte von Huaqiangbei. (Foto: Vitaly Vyazovsky)

Im Frühjahr 2016 bewarben sie sich dafür bei einem amerikanischen Accelerator-Programm in Shenzhen, dem HAXAccelerator, und wurden prompt aufgenommen. Das Programm richtet sich ausschließlich an Hardware-Startups. Dabei ist keine Idee zu verrückt: Es gibt Roboter, die Hundekot entsorgen, Zuchtkästen für essbare Insekten und vernetzte Kleidungsstücke. Entsprechend abenteuerlich sehen die Schreibtische der einzelnen HAX-Startups in Shenzhen aus. Der riesige Raum, aus dem der Accelerator größtenteils besteht, wirkt eigentlich mehr wie eine Werkstatt als ein Büro. Wer einen gut sortierten Werkzeugkasten sein Eigen nennt, den Geruch von Lötzinn mag und weiß, was ein Arduino ist, der wird sich in den Räumen von HAX wohlfühlen.

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Neben den aktuell 16 Teams im neunten Jahrgang des Accelerators belegen mehr als die Hälfte des Platzes Ehemalige. Wer einmal bei HAX aufgenommen wurde, kann lebenslang zurückkommen und hat immer einen Arbeitsplatz in Shenzhen sicher. Neben den herkömmlichen Arbeitsplätzen gibt es natürlich auch eine richtige Werkstatt. Dort stehen simple Werkzeuge wie Lötkolben, Multimeter und 3D-Drucker, aber auch riesige und sehr spezielle Maschinen wie Wasserstrahlschneider, CNC-Fräsen und Automaten zur Bestückung von Leiterplatten.

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Gegründet wurde das Accelerator-Programm im Jahr 2011 von zwei amerikanischen Investoren und Gründern aus dem Silicon Valley. Innerhalb von vier Monaten hilft HAX jungen Startups aus der ganzen Welt dabei, Hardware-Ideen in echte Produkte zu verwandeln. Die jungen Firmen erhalten dafür einen Arbeitsplatz, Beratung und einen Betrag von 100.000 US-Dollar und geben im Gegenzug neun Prozent ihres Unternehmens ab. Der größte Vorteil ist aber nicht das Geld, wie Michael Peither betont, sondern die Unterstützung durch das HAX-Team. Der Accelerator öffnet für seine Mitglieder die Türen zum Ökosystem Shenzhen, wo die Startups ihre Produkte in einer Geschwindigkeit entwickeln können, von der Startups im Westen nur träumen.

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Metropole Shenzhen: Die Stadt wuchs innerhalb von 30 Jahren auf zehn Millionen Einwohner an. (Foto: Vitaly Vyazovsky)

„Wenn man über Startup-Inkubatoren redet, denkt jeder erstmal an das Silicon Valley“, sagt Ji Ke, Programmdirektor für internationale Teams. „Aber in Shenzhen versteht man die Startup-Kultur viel besser. Die gesamte Stadt ist eigentlich ein Startup.“, In der Tat finden sich einige Parallelen zwischen der Metropole und einem typischen Startup: Shenzhen ist extrem jung und innerhalb kürzester Zeit rasant gewachsen. 1980 war Shenzhen eine Kleinstadt mit rund 30.000 Einwohnern. Heute zählt Shenzhen mehr als zehn Millionen Einwohner und gilt als das Silicon Valley für Hardware.

Dieser Status ist das Ergebnis eines politischen Experiments: Shenzhen wurde 1980 zur ersten Sonderwirtschaftszone der Volksrepublik China erklärt. Durch geringere Steuern und weniger politische Auflagen, vor allem in Bezug auf Löhne, wurden ausländische Investoren massenweise angelockt. Das jährliche Wirtschaftswachstum in den 1990er Jahren überschritt mehrmals 40 Prozent. Vor allem die Elektro- und Textilproduktion westlicher Firmen wurde deswegen oft nach Shenzhen verlegt. Das hat sich mittlerweile geändert: Die Löhne sind inzwischen gestiegen und heute auf dem höchsten Niveau in ganz China. Das immense Wachstum ist abgeflacht. Trotzdem bleibt Shenzhen für ausländische Investoren weiterhin attraktiv: durch Expertise, Freihandelszonen und enorme Produktionskapazitäten.

Ein Spaziergang durch Shenzhen fühlt sich anfangs merkwürdig und verwirrend an. Die Gegensätze sind immens. Einerseits gibt es viele ärmliche und dreckige Wohngegenden, andererseits ebenso viele neue, glänzende Wolkenkratzer und Shopping-Malls mit kopierten, europäischen Ladenfassaden. Der Gestank einiger Flüsse in Shenzhen ist kaum auszuhalten, aber gleichzeitig ist die U-Bahn nagelneu, klinisch rein und die meisten Busse werden elektrisch betrieben. Auch die extrem hohe Dichte an Miet-Fahrrädern und die, bei Einheimischen extrem beliebten, Elektro-Mopeds wollen nicht so recht zum Bild vom dreckigen China passen. Außerhalb des Zentrums wird klar, dass die ganze Stadt zum Zweck der Produktion gebaut wurde. Neben den riesigen Fabrik-Campussen von Foxconn und anderen Auftragsherstellern wimmelt die Stadt von Tausenden kleiner Fabriken in Hinterhöfen und Wohngegenden.

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Das Epizentrum für Hardware-Firmen und Elektronik-Fans ist der zentrale Stadtteil Huaqiangbei. Er besteht nahezu ausschließlich aus Elektronik-Märkten. Früher machten die Märkte ihr Geschäft hauptsächlich als Zulieferer für Fabriken in den Außenbezirken Shenzhens. Heute wird auch immer öfter an Endkunden verkauft. Trotzdem sind die Verkäufer manchmal patzig, wenn ein Kunde nur ein oder zwei Exemplare eines Artikels kaufen will und nicht gleich einige Tausend. Schon beim Verlassen der U-Bahn finden sich die ersten kleinen Händler, die den Passanten in den Fußgängertunneln aufgerollte Speicherchips für Bestückungsroboter verkaufen wollen oder alte Smartphones auseinandernehmen, um die einzelnen Komponenten als Recycling-Ware zu verkaufen. Touristen sind hier oft überfordert: Es gibt keine großen Ladenketten, nur Tausende kleiner Abteile und Stände, die sich meist auf ein einziges Produkt spezialisiert haben – ein Stand mit Magneten, einer für Speicherkarten und einer für Kippschalter. Die Produkte stapeln sich auf den Tresen der Händler und Verpackungen, Preisschilder oder Kataloge sucht man vergebens.

Das Angebot der Stände auf einem Stockwerk ist oft nahezu identisch. Größere Unterschiede finden sich meistens nur zwischen den Stockwerken oder einzelnen Gebäuden. Ein paar Meter neben dem HAX-Accelerator gibt es ein mehrstöckiges Kaufhaus, in dem ausschließlich LEDs verkauft werden. Andere Häuser haben sich auf gebrauchte Smartphones oder Laptops spezialisiert. Die Atmosphäre unter den Händlern ist kollegial. Wer beim LED-Verkäufer nach Flachbandkabeln fragt, wird garantiert zum passenden Kollegen geschickt.

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Dank der Stellung als Sonderwirtschaftszone verschicken die Händler ihre Ware inzwischen nach ganz China und in die restliche Welt. Wer das Ausmaß dieser Entwicklung verstehen will, muss am späten Nachmittag den wahnsinnigen Andrang in der sogenannten „Shipping Alley“ begutachten – einer Straße, in der ausschließlich Versand- und Verpackungsdienstleister ansässig sind. Gegen Feierabend stehen die Leute vor den meisten Läden in Schlangen. Überall hört man das Geräusch von Paketbandabrollgeräten. Anders als in Deutschland holt der Postbote die Pakete nicht ab. Weil es viele tausend Stände sind, die Produkte verschicken wollen, würde der Paketbote nicht rechtzeitig mit der Abholung fertig werden. Deswegen rennen hier die Verkäufer zu den Versendern wie die Fliegen zur Sonne. Der große Andrang verdeutlicht auch, wie viel Händler in Shenzhen heutzutage durch den Versandhandel umsetzen.

Michael Peither und Felix Kiefl an ihrem Arbeitsplatz im Büro von HAX. (Foto: Vitaly Vyazovsky)

Mitten auf einem der großen Elektro-Basare von Huaqiangbei sitzt der HAX-Accelerator im siebten Stock. Wer beim Erfinden und Entwickeln plötzlich ein Bauteil braucht, muss nur mit dem Aufzug einige Stockwerke nach unten fahren, maximal die Straße überqueren und findet dort das passende Stück – schon kann weitergelötet werden. In Deutschland oder den USA würden bei solchen Problemen hingegen ein paar Tage Lieferzeit ins Land gehen. In Shenzhen ist das anders: „Die ganze Stadt versteht den Gedanken von Just-in-Time-Produktion“, sagt Ke. „Wenn es eilig ist, bringt der Kurier auch mal morgens um vier ein gefertigtes Teil.“

Davon profitiert auch Voltstorage. „Wir hatten neulich ein schwieriges Spritzguss-Teil, einen Kunststoff-Sockel, der sehr leicht verbiegt“, berichtet Kiefl. „Wir haben den HAX-Mitarbeitern einfach unser 3D-Modell gezeigt und erklärt, was wir brauchen, und am nächsten Tag hatten sie jemanden an der Hand, der das Teil produzieren konnte.“ Das Angebot erhalten Unternehmen auf Chinesisch mit Preis und Stückzahl, die Zahlung läuft über Wechat, Chinas größte Messaging-App, die auch eine eigene Bezahlfunktion anbietet. Ähnlich laufe es auch mit den Platinen, sagt Kiefl:„Wir brauchen nur einen Schaltplan und kriegen einen Tag später eine fertige Platine. Die Jungs hier kümmern sich um das Layout, die Bestückung und löten alles zusammen.“ Dafür beschäftigt der Accelerator ein eigenes Team von erfahrenen Ingenieuren und Fachleuten für Maschinenbau, Elektrotechnik und Fertigungsverfahren. Sie kennen die besten lokalen Unternehmen für jede erdenkliche Aufgabe: Spritzguss, Eloxieren, Sandstrahlen oder SMD-Löten. Sie helfen den oft unerfahrenen Startups auch, ihre Prototypen produktionsreif zu machen. Wo ein Spritzguss-Teil zu dünn, ein Material falsch gewählt oder eine Leiterbahn zu nah an der anderen ist, greifen sie rechtzeitig ein und ersparen den Teams zeitaufwendige Rückschläge.

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Felix Kiefl im Gespräch mit Mitarbeitern des HAX-Accelerators. (Foto: Vitaly Vyazovsky)

Gleichzeitig kümmert sich ein eigenes Kreativteam um den äußeren Eindruck der Startups: Gestalter entwerfen Logos und Websites, Fotografen und Kameramänner erstellen professionelle Produktfotos und -Videos. Ein Großteil der HAX-Teams vertreibt seine Produkte über Kickstarter, weswegen die optische Aufmachung und Videos eine besonders große Rolle spielen.

Während Shenzhen bisher dem Großteil der Welt nur als Produktions-Standort bekannt ist, tut die Stadt inzwischen viel dafür, dieser Rolle zu entwachsen. Accelerator-Programme wie HAX und Coworking-Spaces nehmen stark zu. Die Regierung hat im Herbst 2016 auch zum zweiten Mal eine offizielle Maker Week ausgerufen. In der ganzen Stadt fanden Veranstaltungen rund um die florierende Maker- und Hacker-Szene statt. Die Gästeliste unterstrich die Wichtigkeit von Shenzhen für die weltweite Hardware-Industrie: Mark Zuckerberg, Bill Gates und Tim Cook kamen persönlich vorbei. Apple gab dabei sogar bekannt, 2017 ein Entwicklungszentrum in Shenzhen zu eröffnen. Vielleicht könnte also eines der nächsten iPhones dann nicht nur den Schriftzug „Made in China“, sondern auch „Engineered in China“ tragen. Chinesische Marken wie Xiaomi und Huawei zeigten in den vergangenen Jahren bereits eindrucksvoll, dass China eben nicht nur produzieren, sondern auch entwickeln und gestalten kann. Das beste Beispiel vom Standort Shenzhen ist die Firma DJI, deren Gründer Frank Wang nur wenige Kilometer entfernt auf der Hong Kong University of Science and Technology studierte und 2006 seine Firma für unbemannte Luftfahrzeuge, vor allem Quadrocopter, gründete. Heute sitzt das Hauptquartier des Herstellers in Shenzhen. DJI ist der weltweite Marktführer in seinem Segment und gehört längst zum Club der chinesischen Unicorns–Firmen mit einer Evaluierung von mehr als einer Milliarde US-Dollar.

„Was Xiaomi oder DJI produzieren, hat mich echt umgehauen“, bekennt Michael Peither. „Die sind anderen Marken technologisch so weit voraus.“ Er kritisiert das Image der chinesischen Anbieter in Deutschland: „An deutschen Stammtischen ist ‚Made in China’ immer noch ein negativer Stempel.“ Aber auch wenn Voltstorage das chinesische Epizentrum geholfen hat: 2017 wird das Team zurück nach Deutschland zurückkehren. Dort soll künftig der finale Zusammenbau stattfinden – unter anderem aus Angst vor Produktpiraterie. Die Einzelteile sollen aber weiter in Shenzhen gefertigt werden. Das passende Etikett wäre dann wohl: „Proudly made in China and Germany“.

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