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Reportage
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Köttbullar aus dem 3D-Drucker! Wie Ikea zum Tech-Konzern aufsteigen will

Lange hat Ikea die Digitalisierung systematisch bekämpft. Doch nun denken die Schweden um: Filialen sollen virtuell begehbar, Möbelstücke smart und Köttbullar druckfähig werden. Verbinden wir Ikea schon bald mit einer hippen Technologiefirma?

Von Daniel Hüfner
12 Min. Lesezeit
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(Foto: Space10/Lukas Renlund)

An solche Töne muss man sich erst mal gewöhnen. Da stellt sich Torbjörn Lööf, der internationale Ikea-Chef, vor die Presse und bricht mit einem ungeschriebenen Konzerngesetz: Der schwedische Möbelriese will seine Produkte künftig auch über große Onlinehändler verkaufen. „Das ist die größte Veränderung im Kundenerlebnis seit der Erfindung unseres Konzepts“, zitiert die Financial Times den Manager. Schon bald will Ikea demnach auf Plattformen wie Amazon oder Alibaba präsent sein. Was in Zeiten des boomenden Onlinehandels nach einer lächerlichen Selbstverständlichkeit klingt, grenzt angesichts der fast 75-jährigen Konzernhistorie an eine Revolution.

Digitalverweigerung mit System

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Bisher ist das Einkaufserlebnis bei Ikea nämlich vor allem eines: analog bis zum Gehtnichtmehr. Das war über Jahre die Strategie des kürzlich verstorbenen Firmengründers Ingvar Kamprad, dem ein eher gespanntes Verhältnis zum Internet nachgesagt wurde. In seiner Welt endete ein Besuch im Möbelhaus nicht nur mit einer Schrankwand oder einem Sofa, sondern mit einer ­großen blauen Plastiktüte voller Kerzen, Gläser, Besteck und anderer Ramschartikel, die Kunden auf dem Weg durch die Gänge wahllos einsammeln. Das Ladenkonzept hat Kamprad zu einem der reichsten Menschen des Planeten gemacht – und seinen Konzern zur digitalen Randerscheinung. Zwar betreibt Ikea seit Jahren auch einen eigenen Onlineshop. Doch das auf Impulskäufe ausgerichtete Einkaufserlebnis lässt sich dort nur schwer abbilden. Entsprechend gering ist der Online-Anteil am Gesamtumsatz.

Lediglich 1,4 Milliarden Euro – und damit nur vier Prozent seines weltweiten Gesamtumsatzes von 34,2 Milliarden Euro – erwirtschaftete Ikea 2016 über das Internet. Der weltweit größte Einzelhändler liegt damit sogar noch unter dem Branchendurchschnitt. Im deutschen Online-Möbelhandel sieht es kaum besser aus: Hierzulande laufen Konkurrenten wie Otto, Amazon oder Home24 den Schweden zunehmend davon, wie aus einer Marktanalyse von Statista und deren Tochter E-Commerce DB hervorgeht. So hat allein das Hamburger Versandhaus Otto im vergangenen Jahr Möbel und Haushaltswaren für rund 689 Millionen Euro verschickt – fast vier mal so viel wie Ikea.

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Wer den Onlineshop der Schweden besucht, erkennt schnell, warum das so ist. „Gefühlt bewegt sich der Shop auf dem technischen Niveau der 90er-Jahre“, sagt Alexander Graf. Für den Betreiber des bekannten Branchenblogs Kassenzone.de sind die Ikea-Produkte nicht nach modernen Webstandards bestellbar. Viele Artikel seien entweder gar nicht verfügbar oder nur über Umwege zu finden, überhaupt fehle eine mobile Ansicht für Smartphones. „Der Shop ist also dort nicht zugriffsfähig, wo ihn die meisten Menschen heute brauchen“, sagt Graf.

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Den größten Showstopper aber sieht er in der Versand­kostenpolitik. Eine Gratislieferung gibt es bei Ikea nicht. Stattdessen warenwertabhängige Gebühren, die sich selbst bei großen Bestellungen schnell zu den Kosten eines Kleiderschranks aufsummieren. Beispiel: Wer ein Dreisitzer-Sofa für 479 Euro bestellen will, zahlt für die Lieferung 69 Euro. Kunden, die sich lieber für das Stockholm-Sofa entscheiden und Ikea damit drei mal soviel Umsatz in die Kasse spülen, bekommen für den Versand 149 Euro aufgebrummt. Dabei ist das teurere Sofa genauso groß. Selbstabholung? Kostet ebenfalls extra. Laut Alexander Graf eine nicht unbeabsichtigte Praxis. „Ikea bestraft den Kunden, wenn er online einkauft“, sagt der E-Commerce-Experte. Den Kunden in die Geschäfte zu treiben, habe oberste Priorität.

Mit Blick auf den bisherigen Erfolg der Firmenphilosophie kann man dafür sogar Verständnis aufbringen. Die Margen in den Filialen sind attraktiver, der Vertriebsaufwand hält sich in Grenzen und nicht zuletzt lässt sich vor Ort durch Gastronomie und Kinderbetreuung eine höhere Bindung zur Marke herstellen. Auf diese Weise konnte Ikea das Internet lange und ohne schlechtes Gewissen meiden. Aber unbestreitbar ist auch: Immer mehr Menschen bestellen ihre Einrichtungsgegenstände online. Um 34 Prozent wuchs laut dem Bundesverband E-Commerce und Versandhandel das Internetgeschäft mit Möbeln, Lampen und Dekoartikeln im zweiten Quartal 2017. Da helfen auch die günstigen Hotdogs für den Nachhauseweg nicht mehr.

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Der Konzern will das nun erkannt haben. „Es stimmt, dass wir spät angefangen haben, unser enormes E-Commerce-­Potenzial auszuschöpfen“, sagt Christian Möhring, Web- und ­Digitalmanager bei Ikea Deutschland. Grund dafür sei „die ­Historie als klassischer Retailer mit einem sehr klaren Fokus auf die Einrichtungshäuser“. Inzwischen verstehe sich der Konzern aber als „Multichannel-Händler“ mit dem nötigen Blick für das ­digitale Geschäft. So testet der Möbelriese nicht nur in Groß­britannien seit längerem eine neugestaltete Version seines ­Onlineshops. „In unserer Strategie ist auch klar festgehalten, dass wir mit neuen digitalen Möglichkeiten experimentieren und diese für das Unternehmen nutzbar machen wollen“, sagt Möhring.

Das virtuelle Möbelhaus

In Zukunft könnten sich Ikea-Kunden ihr Zuhause etwa mit der VR-Brille einrichten. Erste Pilotprojekte hat der Konzern dort gestartet, wo er sich wohl fühlt: in seiner Filiale in Berlin-Lichtenberg. An drei Stationen können Besucher mithilfe der Technologie ein virtuelles Wohnzimmer betreten, das nach den eigenen Vorstellungen umgestaltet werden kann. Wandfarben, Sofabezüge und Lichtstimmung können geändert sowie Regale und andere Möbelstücke aus dem Sortiment konfiguriert werden. Ein spe­zieller 3D-Sound soll das immersive Erlebnis verstärken.

Zur Zukunft des Einrichtens gehören für Ikea nicht nur per App steuerbare Lampen, sondern auch der virtuelle Möbelkauf, den Kunden der Filiale Berlin-Lichtenberg heute schon testen können. (Foto: Ikea) 

Gerrit Heinemann hält das Experiment für einen logischen Schritt. „In ein Möbelgeschäft werden die Menschen immer weniger gehen“, sagt der Leiter des E-Web Research-Center von der Hochschule Niederrhein. Heinemann rechnet in den kommenden zehn Jahren mit einer Verdopplung des innerdeutschen Onlineanteils im Möbelhandel von 15 auf 30 Prozent. Für Ikea prognostiziert er ein Wachstum des Onlineanteils am Gesamtumsatz auf mindestens 25 Prozent. Das werde auch mit einem spürbaren Rückgang bei der Anzahl der Möbelhäuser einhergehen. „Wenn auch nicht im gleichen Ausmaß. Aber schon heute sind die Möbelhäuser ja weitgehend nur noch Showrooms“, sagt der E-Commerce-Experte. Die Filialen würden kleiner, das Sortiment überschaubarer. Statt Kauforgien stünden künftig die persönliche Beratung und das Markenerlebnis im Vordergrund.

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Auch wenn das Projekt mit den VR-Brillen in Berlin-­Lichtenberg noch in einer Testphase steckt, stellt Digitalmanager Möhring weitere Stationen in anderen Niederlassungen in ­Aussicht. Auf lange Sicht will Ikea die Technologie in die hei­mischen vier Wände der Kunden bringen. Der Konzern gehört bereits zu den ersten Partnern von ARKit, der Augmented-­Reality-Technik von Apple. „Die Technologie erleichtert es, zu Hause eine Kaufentscheidung zu treffen, sich inspirieren zu lassen und viele unterschiedliche Produkte, Stile und Farben unter fast realen ­Bedingungen auszutesten“, sagt Möhring. Denkbar ist, dass Kunden ihr ­individuelles Raumkonzept künftig einfach per Smartphone an Ikea übermitteln, online bezahlen und die passenden Möbel anschließend gratis nach Hause geliefert bekommen. Zumal dies auch den ungeliebten Onlineshop der Schweden überflüssig machen würde.

Langsam, aber sicher zur Tech-Firma

Bei aller berechtigten Kritik an der digitalisierungsfeindlichen Firmenphilosophie: Im Hintergrund zeichnet sich in den Chef­etagen von Ikea tatsächlich ein Umdenken ab, das weit über die angekündigte E-Commerce-Offensive hinausgeht. Und das schon länger. Geplant ist demnach nicht weniger als der größte Umbau seit 30 Jahren. So wurden auf Geheiß der Gründersöhne etliche Zuständigkeiten vom Ikea-Konzern – von der Logistik bis zum Einkauf – in eine eigenständige und wendigere Tochtergesellschaft, die Inter Ikea Group, umgeschichtet. Der Onlinehandel soll gestärkt, das Sortiment breiter aufgestellt werden.

Wohin die Reise geht, zeigt das Beispiel Smart Home: Vor zwei Jahren brachte Ikea ein intelligent steuerbares Beleuchtungsset auf den Markt. Die LED-Birnen lassen sich per App dimmen, ein- und ausschalten und in mehreren Stufen von warmem auf kaltes Licht umschalten. Ansprechbar sind die Leuchten seit Kurzem auch über gängige Sprachassistenten wie Siri oder ­Alexa. Außerdem besteht das Mobiliar der Schweden nicht mehr nur aus Schrauben und Holzdübeln. So wurde ein Teil des Sortiments – darunter Nachttische, Lampen und Schreibtische – mit induktiven Ladeflächen des offenen Qi-Standards ausgestattet, die Smartphones oder Tablets kabellos mit Strom versorgen.

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Der Schritt ins Internet der Dinge scheint naheliegend. ­Bisher fristen Smart-Home-Anwendungen entgegen der Voraussagen vieler Trendscouts ein Nischendasein. Die Technik ist teuer, umständlich und oft nicht mit Geräten anderer Hersteller kompatibel. Vor diesem Hintergrund darf sich der Ikea-Konzern – auch, wenn seine Geräte funktionstechnisch limitiert sind – gute Chancen auf eine erfolgreiche Markterschließung ausrechnen: Durch einfache Bedienung, günstige Preise und offene Schnittstellen können die Schweden ihre Heerscharen an Kunden behutsam an die Technik gewöhnen. Das soll sich langfristig auszahlen: „Ikeas Schachzug, alle intelligenten Assistenten zu unterstützen, wird eine viel größere Käuferschicht ansprechen, als es je mit nur einem Assistenten möglich wäre“, sagt etwa Adam Wright vom Marktforschungsunternehmen IDC. Dem Analysten für Verbraucherelektronik zufolge könnte Ikea sich zu einem ernstzunehmenden Player im Internet der Dinge entwickeln.

Die Einführung weiterer Smart-Home-Produkte hat der ­Konzern jedenfalls schon in Aussicht gestellt. Denkbar wären beispielsweise smarte Lautsprecher, Thermostate oder die ­Steuerung von Rollläden und Heizungsanlagen aus der Ferne. Wächst Ikea langsam, aber sicher zu einer Technologie-Firma ­heran? Auch wenn ein vor Jahren präsentierter, smarter Fernseher floppte: Die Schweden scheinen fest zum Kurswechsel entschlossen. In Amerika verkauft der Konzern seit neuestem Solaranlagen samt Hausbatterie, und erste ­Prototypen für intelligente Küchenarbeitsplatten mit virtuellem Kochassistent gibt es auch schon.

Gründer zu Gast in Älmhult

Trotzdem liegen die Innovationen bei Ikea nicht schlüsselfertig im Regal. Angesichts von mehr als 186.000 Mitarbeitern, weitverzweigter Konzernstrukturen mit dem Ziel der größtmöglichen Steuervermeidung und der Fokussierung auf das Stammgeschäft fehlen dem Möbelriesen naturgemäß die Ressourcen, um neue und disruptive Geschäftsmodelle im Alleingang zu erfinden. Nach dem Vorbild großer Techfirmen wie Google oder Microsoft setzt Ikea deshalb auf das Know-how junger Gründer. Erst im September wurde am Stammsitz in der schwedischen Provinz Älmhult ein eigener Startup-Inkubator eröffnet. Zwischen turmhohen Bücherregalen, frischen Köttbullar und bunten Sitzsäcken sollen Gründer im „Ikea Bootcamp“ an Geschäftsideen arbeiten, die das Einkaufserlebnis des Möbelkonzerns irgendwann einmal prägen könnten. Konkret denkt Ikea an Technologien wie 3D-Druck, Chatbots, Lieferdrohnen und das Internet der Dinge.

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Einer dieser Gründer ist Christoph Hantschk. Der ­Österreicher hat sich mit zehn weiteren Jungunternehmen gegen 1.200 Bewerber durchgesetzt, vor Ort darf er an seiner Idee für eine neuartige Einkaufstasche feilen. Die „Goodbag“ des Unternehmers ist ein elektronischer Jutebeutel mit integriertem NFC-Chip, der kontaktlos an der Kasse gescannt werden kann. „Bei jedem Einkauf bekommen Kunden exklusive Rabatte, vermeiden unnötigen Müll und Händler unterstützen Baumpflanzungen mit einer Spende“, sagt Hantschk über das Konzept. Noch ist die Zahl teilnehmender Ladengeschäfte zwar gering. Doch im Filialnetz des Möbelriesen sieht der 32-Jährige einen vielversprechenden Hebel. „Ikea hat mit dem blauen Plastikbeutel die bekannteste wiederverwendbare Tragetasche der Welt“, sagt Hantschk. Gleichzeitig verfüge der Konzern mit Ikea Family über ein riesiges Kundenbindungsprogramm. „Mit der Goodbag bieten wir eine smarte Einkaufstasche, die in jedes bestehende Kundenbindungs­programm integriert werden kann und Menschen motiviert, die eigene Tragetasche öfter zu verwenden“, sagt der Gründer. Daran glauben allem Anschein nach auch die Manager bei Ikea. Bis zum Jahresende soll Hantschk einen funktionstüchtigen Prototypen für den möglichen Einsatz in den Möbelhäusern entwickeln.

In Älmhult erhält er für drei Monate eine kostenlose Unterkunft, Arbeitsplätze sowie Schulungen durch erfahrene Mentoren. Außerdem gewährt Ikea ihm Zugang zu den konzerneigenen Testlaboren und einen Zuschuss über 20.000 Euro für die Entwicklung des Produkts. Anteile müssen er und die anderen Gründer nicht abgeben. Ikea lockt mit der Aussicht auf den ­ersten Großkunden, eine Übernahme der Technologie in Lizenz oder ­einem späteren Investment in eines der Startups.

Die Schweden sind bemüht, nicht als bloßer ­Ideenstaubsauger missverstanden zu werden. „Zuallererst geht es uns darum, dass die Gründer an den großen Herausforderungen der Zukunft arbeiten und mit uns die Vision teilen, einen besseren Alltag für die vielen Menschen zu schaffen“, lässt sich Alex Farcet, Mitbegründer des Bootcamps, zitieren. Ein Schwerpunkt liege deshalb auch auf Technologien, die auf den ersten Blick nur entfernt ­etwas mit dem Kerngeschäft von Ikea zu tun haben. ­Essensinnovationen zum Beispiel oder die Entwicklung neuer Mobilitätslösungen. Zum weiteren Teilnehmerfeld im Inkubator gehört deshalb das Hamburger Startup Nüwiel, das einen elektrischen Fahrrad­anhänger entworfen hat. Er nutzt die gewonnene Bremsenergie zum Aufladen der Batterie. Warum sich Ikea für Nüwiel interessiert? Der Anhänger könnte den Transport von ­Möbeln in Großstädten künftig einfacher und umweltfreund­licher machen.

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Forschen am Fleischbällchen

Wie die konzerneigenen Visionen dagegen aussehen, versucht Ikea in Kopenhagen zu ergründen. In einem ehemaligen Fischerei­gebäude im Szeneviertel Vesterbro unterhalten die Schweden seit 2015 das Space10 Research Lab. An die Vergangenheit erinnern nur noch die mit Rostflecken übersäten Fliesenwände. ­Ansonsten bestimmen ausladende Couchgarnituren und moderne Apple-Rechner das Bild. In dem Bau beschäftigen sich freischaffende Designer, Ingenieure und Entwickler mit der Frage, wie die Wohnformen der Zukunft aussehen und welche Auswirkungen etwa der Klimawandel, die Urbanisierung oder der schnelle technologische Fortschritt darauf haben. Die ­Arbeitsphasen der Teams sind kurzlebig: Alle drei Monate steht ein neues Projekt auf der Agenda. Scheitern ist ausdrücklich erlaubt.

Innovationslabor Space10: In einem ehemaligen Fischereigebäude in Kopenhagen lässt Ikea die Auswirkungen von Klimawandel und technologischem Fortschritt auf das Raumdesign erforschen. (Foto: Space10)

Von einem lediglich auf cool getrimmten Innovationslabor will Ikea auf Nachfrage nicht sprechen. „Klassische Forschungsabteilungen arbeiten im Geheimen, wir geben uns offen“, sagt ­Simon Caspersen, der bei Space10 die Pressearbeit verantwortet. Er ist überzeugt, dass sich die globalen Herausforderungen nur kollaborativ bewältigen lassen. Apple habe die meisten Apps ja schließlich auch nicht im Alleingang entwickelt. Hinter dem ­Space10 steht laut Caspersen auch kein wirtschaftliches Interesse: „Wir teilen alle unsere Erkenntnisse mit der Öffentlichkeit und stellen viele Projekte unter Open-Source-Lizenz.“

Dazu gehören Projekte wie etwa eine weltweite Umfrage zur Ermittlung der Kundenerwartungen an eine künstliche Intelligenz in Möbelstücken. Soll sie männlich oder weiblich sein? Darf sie eine Religion haben? Den Kunden vor Fehlern beim Aufbau warnen? Das Innovationslabor bringt auch Handfestes hervor – wie den Growroom: Dahinter verbirgt sich ein aus 17 Sperrholzplatten und 500 Schrauben bestehender Selbstversorger-Garten in Kugelform, den man sich auf die Terrasse stellen kann. Die Bauanleitung gibt es unter einer freien Lizenz im Netz zum Download. „Die Vereinten Nationen gehen davon aus, dass der Bedarf an Lebensmitteln in den nächsten 35 Jahren um 70 Prozent steigt. Das erfordert smartere und ­effi­zientere Lösungen“, sagt Caspersen. Angesichts der zu­nehmenden ­Nahrungsmittelknappheit forschen die ­Space10-Mitarbeiter daher auch an Alternativen zu den beliebten schwedischen Frikadellen, den Köttbullar.

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In einer Studie kamen die Forscher zu dem Schluss, dass das Fleischbällchen von morgen aus Insekten oder Algen bestehen könnte. Kein Scherz: Caspersen zufolge enthalten Mikroalgen mehr Eiweiß als Fleisch, sind reich an Vitaminen und lassen sich umweltverträglich in der Natur gewinnen. Der Bezug zur ­Digitalisierung erschließt sich erst auf den zweiten Blick: Mit Hilfe von Biofabrikation könnten diese und andere Mahlzeiten irgendwann aus dem 3D-Drucker kommen. Ganz uneigennützig ist die Weltverbesserung im Space10 vor diesem Hintergrund aber nicht: Immerhin hat Ikea allein mit seinen Restaurants im vergangenen Jahr einen Umsatz von 1,7 Milliarden Euro erwirtschaftet.

Für jeweils drei Monate arbeiten ­Designer, Entwickler und Ingenieure im Space10 an einem Projekt – Scheitern ist ausdrücklich erlaubt. (Foto: Space10)

Der Wunsch nach einer offenen ­Möbelplattform

Auch diese Zahl zeigt eindrucksvoll, wie wichtig das ­Filialgeschäft für den Möbelriesen noch immer ist – und zunächst wohl auch bleiben wird. Zwar hat sich Ikea für der Digitalisierung viel vorgenommen. Wie groß die Fortschritte des Konzerns in den kommenden Jahren sein werden, wird angesichts einer so stark auf den stationären Handel ausgerichteten Firmenphilosophie jedoch auch von der Bereitschaft abhängen, das bisherige Geschäfts­modell möglicherweise komplett zu hinterfragen.

Die zahlreichen Visionen der Schweden teilen jedenfalls nicht alle. E-Commerce-Experte Alexander Graf hält ­Initiativen wie den Startup-Inkubator für eine vorübergehende Modeerscheinung, die virtuelle Filiale gar für einen PR-Gag. Die Maßnahmen seien für den Verbraucher schlichtweg nicht relevant. „Am Ende werden immer die Filialen und der Verkauf von Snacks und Ramsch­artikeln im Mittelpunkt der Geschäftsstrategie stehen.“

Von Ikea erwartet der Kassenzone-Blogger bei der ­Digi­­t­alisierung deshalb auch künftig keine ernstgemeinten Anstrengungen. „Die Innovationen im Online-Möbelbereich werden eher von US-Händlern wie Wayfair kommen, vielleicht auch von Home24“, sagt Graf. Dabei habe Ikea durchaus das Zeug, eine Führungsrolle bei der Digitalisierung des Möbelhandels einzunehmen. Wünschenswert, so der Experte, sei etwa eine offene Einrichtungsplattform, auf der auch andere Möbelhändler ihre Produkte verkaufen könnten. Dass Ikea bei einem derartigen Projekt eine federführende Rolle übernimmt, erscheint zum jetzigen Zeitpunkt zwar weit hergeholt. Aber wer weiß: Vielleicht bringt diese Anregung die Schweden bald auf eine neue, revolutionäre Idee.

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3ddruckfan

Intersessant und nachvollziehbra, dass Ikea die Kundem eher vor Ort haben will. Allerdings ist ein Umdenken der Strategie online meiner Meinung nach nötig, auch wenn dies dem eigentlichen Business Plan vielleicht wiederspricht.
Mit freundlichen Grüßen
Joel von 3D Drucker kaufen.info

Antworten
Frank

Der Plan spricht wieder? Wuenderbra!

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