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Digitale Gesellschaft

Interview mit Journalistin, Buchautorin und Netz-Philosophin Mercedes Bunz: „Geld wird in Zukunft immer unwichtiger“

Mercedes Bunz war Online-Chefredakteurin des Tagesspiegel und Technologie-Reporterin beim Guardian. Sie hat ein Buch mit dem Titel „Die stille Revolution“ geschrieben, das der Frage nachgeht, welche kulturellen und gesellschaftlichen Auswirkungen die Digitalisierung hat. Im Gespräch mit t3n erklärt sie, warum die digitale Revolution quasi lautlos abläuft, welche ungenutzten Potenziale das Netz noch bietet und warum Geld in Zukunft immer unwichtiger wird.

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t3n Magazin: Wie schwierig ist es, über eine so schnelllebige Technologie wie das Internet ein Buch zu schreiben? Warum kein Blog, dass sich täglich aktualisieren lässt?

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Mercedes Bunz: Mir ging es darum, einmal einen Schritt zurück zu treten und die Digitalisierung aus einer anderen Perspektive zu betrachten – und da hilft das Format Buch ungemein. Ich habe als Chefredakteurin von Tagesspiegel Online die Entwicklung der Nachrichten betreut und als Technologie-Reporterin für die britische Zeitung The Guardian vorher täglich Techniknachrichten verfasst. Die Geschwindigkeit des Online-Mediums erfasst aber nur, was täglich geschieht. Wie grundlegend Digitalisierung unsere Kultur und auch unsere Gesellschaft verändert, gerät dabei gar nicht wirklich in den Blick. Es stimmt eben durchaus, was schon Friedrich Nietzsche feststellte, als er eine Frühform der Schreibmaschine ausprobierte: Das Schreibzeug arbeitet mit an unseren Gedanken. Man argumentiert in einem Buch also einfach anders.

t3n Magazin: Ihr Buch trägt den Titel „Die stille Revolution – Wie Algorithmen Wissen, Arbeit, Öffentlichkeit und Politik verändern, ohne dabei viel Lärm zu machen“. Inwiefern ist diese Revolution „still“?

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Mercedes Bunz: Während die Industrialisierung ja die Straßen mit Lärm und Leben erfüllte und in den Köpfen die Revolutionsgedanken des Proletariats reifte, bleibt es um die Veränderungen der digitalen Revolution merkwürdig still – dabei verändert „Digitalisierung“ unsere Gesellschaft ebenso grundlegend. Deshalb der Titel: „Die stille Revolution“. Gut, ab und an jammern wir ein wenig, aber im Vergleich zur industriellen Revolution bleibt das Maschinenstürmen bislang aus, obwohl die Digitalisierung viel rasanter vor sich geht. Ich wollte das, was mit uns passiert, mal aus einer anderen, nachhaltigeren Perspektive betrachten und beschreiben.

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Edward Snowden deckte den PRISM-Skandal auf. Wer übernimmt Verantwortung, wenn Technologie beginnt, ein Eigenleben zu führen? – Mercedes Bunz meint: „Wir haben die freie Wahl, aber auch die Verantwortung für den Einsatz bestimmter Technologien. Das ist bei PRISM nicht anders als bei einem Schießgewehr.“
Edward Snowden deckte den PRISM-Skandal auf. Wer übernimmt Verantwortung, wenn Technologie beginnt, ein Eigenleben zu führen? – Mercedes Bunz meint: „Wir haben die freie Wahl, aber auch die Verantwortung für den Einsatz bestimmter Technologien. Das ist bei PRISM nicht anders als bei einem Schießgewehr.“

t3n Magazin: Was passiert denn im Rahmen der Digitalisierung mit uns?

Mercedes Bunz: Ein wichtiger Aspekt betrifft die Rolle des Experten: Im Zuge der Industrialisierung hat sich unsere Gesellschaft seit den Siebziger Jahren klar zu einer Expertengesellschaft entwickelt. Egal ob wir nun Universitätsprofessor oder Geschäftsführer, Küchenchef oder Automechaniker, Journalist oder Politiker, Krankenschwester oder sogar Krimineller sind – wir alle begreifen uns als Experten, als Kenner, die über ein bestimmtes Wissen verfügen, das uns von anderen unterscheidet. Es zeichnet uns aus, dass wir die Fakten besser kennen und einordnen können als andere. Deshalb machen wir unseren Job. Durch die Digitalisierung ist ein Teil unseres Expertenwissens jetzt mit einem Male im Internet verfügbar – und das verunsichert. Journalisten bekommen das als Erste zu spüren. Aber auch die Tätigkeiten von Bänkern und sogar Rechtsanwälten werden von der Digitalisierung erfasst. Ganz zu schweigen davon, dass Google zum Erklärbär der Welt geworden ist.

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t3n Magazin: Google und sein Suchalgorithmus beschreiben Sie in Ihrem Buch als „Vorzeige-Technik“ der Digitalisierung. Wie schätzen Sie die Rolle von Google im Netz in den kommenden Jahren ein?

Mercedes Bunz: Ich gebe Google gute Chancen, in zehn Jahren immer noch eine zentrale Position in unserer digitalen Welt einzunehmen. Das Internet ist ja ein unwegbares Pflaster: Ende der Neunziger hätte man nie gedacht, dass ein Riese wie AOL sich zu einer verlassenen Ruine wandelt. Google – und auch Apple – kann das auch passieren. Microsoft ist derzeit bereits kräftig am Husten. Sehr beeindruckend ist allerdings, was Marissa Meyer bei Yahoo vollbracht hat. An ihr sieht man: wo Google oder andere Web- und Tech-Riesen in Zukunft stehen werden, hängt zum großen Teil von der Brillanz der Mitarbeiter ab. Google weiß das sehr gut.

t3n Magazin: In Ihrem Buch heißt es: „Die Logik der Technologie (…) entzieht sich unserem Zugriff. Wir müssen akzeptieren, dass die Technologie, auch wenn sie unsere Erfindung ist, ein Eigenleben führt.“ Ist PRISM das Ergebnis eines solchen „Eigenlebens“?

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Mercedes Bunz: Technologie an sich ist nicht gut oder schlecht – es kommt immer darauf an, wie wir Menschen sie einsetzen. Abhör-Technologien wie PRISM liegen in der Logik der digitalen Technologie, weil sie – anders als die Industriealisierung – stark von Konnektivität und Fragmentarisierung getrieben wird. Es verpflichtet uns allerdings niemand, dieser Logik auch immer zu folgen und stets alles zu tun, was technologisch auch machbar ist. Wir Menschen haben die freie Wahl, aber auch die Verantwortung für den Einsatz bestimmter Technologien. Das ist bei PRISM nicht anders als bei einem Schießgewehr. Schaue ich mir PRISM an, denke ich: im Augenblick machen wir was falsch. Gut, dass es tapfere Menschen wie Edward Snowden gibt.

t3n Magazin: Gibt es in Zukunft noch Lebensbereiche, die nicht von Algorithmen beeinflusst werden?

Mercedes Bunz: Das kann ich nicht garantieren. Technologie ist in der Tat dabei, unsere zweite Natur zu werden. Davor kann man natürlich warnen. Treibend ist bei dieser Veränderung aber der Mensch. Wir Menschen erfinden immer neue Einsatzmöglichkeiten für Algorithmen. Ihnen selbst ist es dabei egal, ob sie laufen oder nicht. Das kann man als Problem oder als Besonderheit begreifen. Für uns Menschen ist das eine spannende Phase, die wir nicht ablehnen, sondern aufmerksam begleiten sollten. So eine Verwandlung der Welt erlebt nicht jede Generation. Was die Digitalisierung für ein Potenzial frei setzt, schätzen und gestalten wir gesellschaftlich noch viel zu wenig.

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Yahoo ist wieder „In“ – maßgeblichen Erfolg daran hat Marissa Meyer. Bunz meint, dass die Brillanz der Mitarbeiter darüber entscheidet, wie erfolgreich vor allem Web- und Tech-Unternehmen agieren.“
Yahoo ist wieder „In“ – maßgeblichen Erfolg daran hat Marissa Meyer. Bunz meint, dass die Brillanz der Mitarbeiter darüber entscheidet, wie erfolgreich vor allem Web- und Tech-Unternehmen agieren.“

t3n Magazin: Wie lässt sich die Digitalisierung denn aufmerksam begleiten und gestalten?

Mercedes Bunz: Da könnten wir noch viel kreativer sein – und übrigens nicht nur in der Wirtschaft. Ist schon mal aufgefallen, dass wir eine neue Technologie immer nur noch als Business betrachten? Das ist beim Internet der Dinge auch nicht anders. Ich halte das für einen Fehler. Meistens wird das Internet der Dinge nur als Energiesparprogramm oder als Wunschtraum des Einzelhandels diskutiert. Aber diese Technologie hat nicht nur ein wirtschaftliches Potenzial, sondern auch ein gesellschaftliches – sie durchzieht unseren Alltag und verändert ihn grundlegend. Das wird allerdings viel zu selten gesehen.

t3n Magazin: Apropos gesellschaftliches Potenzial des Internets: Sie schreiben auch darüber, dass sich die Rolle des Geldes durch Internet-Technologien verändern wird. Das soziale Web werde „wirklich“ sozial – was genau meinen Sie damit?

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Mercedes Bunz: Beim Recherchieren für mein Buch bin ich im Bereich des Sozialen auf etwas Interessantes gestoßen. Soziale Organisationen – Greenpeace, das Rote Kreuz, Amnesty International – eint vor allem eines derzeit im Netz: der Online-Spende-Button. Man kann auch sagen, Geld steht im Moment so dermaßen im Zentrum unserer Gesellschaften, dass selbst das Soziale nicht ohne Geld funktioniert. Genau das kann sich durch die Digitalisierung ändern.

t3n Magazin: Wie soll das gehen? Gibt es Beispiele?

Mercedes Bunz: Ich bin auf erste Organisationen gestoßen – beispielsweise die Public School, die auch in Berlin agiert – die nicht um Geldspenden bitten, sondern den Schritt des Geldes „überspringen“ und direkt Fähigkeiten, Wissen, passende Räumlichkeiten und die Zeit der Leute nachfragen und miteinander verbinden. Hier werden also keine neuen Investitionen getätigt, sondern mit den Mitteln der Digitalisierung existierende Ressourcen genutzt, um ein Projekt auf die Beine zu stellen – ich habe sie im Buch in Anlehnung an die NGOs, die Nicht-Regierungs-Organisationen, NMCOS (Non-money-centred-organisations) genannt, also „nicht-um-Geld-herum-zentrierte“ Organisationen. So agieren kann man natürlich nur, weil wir durch die Digitalisierung unsere Gesellschaft ganz anders organisieren können. Das ist ein ganz neues Potential, das müssen wir aber noch mehr entdecken und ausschöpfen.

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Das Public-School-Projekt versucht über das Netz Ressourcen zu organisieren, um einen Lehrbetrieb aufzubauen. Geld spielt hier eine untergeordnete Rolle.
Das Public-School-Projekt versucht über das Netz Ressourcen zu organisieren, um einen Lehrbetrieb aufzubauen. Geld spielt hier eine untergeordnete Rolle.

t3n Magazin: In einer Welt voller Daten und Algorithmen – wo bleibt da die Überraschung, das Irrationale, das Ausbrechen aus der Vorhersehbarkeit? Was in vielen Fällen aus Unternehmersicht ja auch den Erfolg ausgemacht hat?

Mercedes Bunz: Das Irrationale haben wir Menschen nach wie vor fest im Griff und lassen es uns auch von den Algorithmen nicht wegnehmen. Die meiste Tätigkeit, die von Algorithmen übernommen wird, ist aber auch nicht unbedingt sehr spannend – kreativ, überraschend oder irrational ist das nicht. Algorithmen sind zwar unschlagbar im Sortieren. Aber das Denken von Neuem gehört bislang nicht zu ihren Stärken, auch wenn Informatiker an dieser ungehörigen Aufgabe natürlich fleißig tüfteln. Uns Menschen reizt eben das Unerreichbare – da wären wir dann wieder beim Irrationalen.

t3n Magazin: Sie sind viel unterwegs, pendeln zwischen London, Lüneburg und Übersee. Wie enspannen Sie?

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Mercedes Bunz: Kochen. Mein Vater war Werbetexter und er hat immer viel gekocht, er ist mir darin Vorbild. Ehrlich gesagt verstehe ich aber jetzt erst warum: Kochen hat sehr viel mit Timing zu tun und erzeugt Stress. Am Arbeitsplatz muss man den runterschlucken, man sollte vor seinen Mitarbeitern ja nicht rumschreien und darf nur heimlich unter dem Tisch den Papierkorb treten oder wütend ein Smartphone erwürgen. Töpfen dagegen ist der Wutanfall egal, die reagieren da ganz gelassen. Man kann sich also endlich richtig aufregen und alles rauslassen. Ich kann das nur empfehlen. Da mein Ehemann anschließend in den meisten Fällen was Gutes zu essen kriegt, akzeptiert er mein Verhalten auch meistens.

t3n Magazin: Was sind Ihre nächsten Projekte?

Mercedes Bunz: Im Moment leite ich das Hybrid Publishing Lab der Leuphana Universität der Lüneburg. Dort untersuchen wir, wie sich das Buch durch die Digitalisierung verändert. Besonders im Blick haben wir dabei die Wissenschaft, mit Open Access richtet sich eine ganze Branche neu aus. Wenn man vorher jahrelang mit den digitalen Bedenken in der Zeitungsbranche arbeiten musste, reibt man sich im Buchverlagsbereich staunend erfreut die Augen. Die Verantwortlichen sind zu allen Schandtaten bereit und probieren munter digitale Optionen aus. Wir entwickeln am Inkubator der Leuphana Univeristät beispielsweise gerade eine Textkonvertierungs-Software auf Open-Source-Basis für kleinere Verlage.

t3n Magazin: Können Sie die Digitalisierung auch mal Digitalisierung sein lassen und komplett offline sein?

Mercedes Bunz: Ohne Probleme. Den Ausknopf an Smartphones und Co. habe ich eines Tages auf Hydra in Griechenland entdeckt. Empfehle ich seitdem gerne weiter: Gerät einfach umdrehen, Knopf halten bis es den Geist auf gibt – und schon ist man alleine.

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