Anzeige
Anzeige
Software & Entwicklung
Artikel merken

Teil 3: Strategische Allianzen – Turbolader fürs Unternehmen: Open-Source-Geschäftsmodelle im Wandel

Kaum ein Tag vergeht, ohne dass gerade in der IT-Branche Neuerungen das Marktgeschehen verändern. Die im Umfeld tätigen Unternehmen müssen dem stetigen Wandel Rechnung tragen und unter Einsatz verschiedener Strategien Schritt halten. Nachdem in den letzten T3N-Ausgaben das Offshore Development sowie Strategien für schwierige Zeiten als mögliche Wege vorgestellt wurden, geht es im letzten Teil der Serie nun um strategische Allianzen, ihre Varianten sowie die Gestaltungsmöglichkeiten.

15 Min. Lesezeit
Anzeige
Anzeige

Gerade für kleine und mittlere Unternehmen sind strategische Allianzen ein hervorragendes Mittel, um den laufenden marktseitigen und technischen Veränderungen im Umfeld schnell und umfassend zu begegnen. Doch was genau ist eine „strategische Allianz“? Gerade das Wort „Strategie“ wird häufig in sinnentleertem Zusammenhang und als Buzzword verwendet, doch steckt – zumindest im hier vorliegenden Kontext – wesentlich mehr dahinter: Eine Allianz geht über eine temporäre oder lediglich oberflächliche Zusammenarbeit hinaus und ist dann von strategischer Bedeutung, wenn sie den Strategiekern, also das Geschäftsmodell eines Unternehmens berührt oder sogar verändert. Die strategische Allianz ist ungleich mächtiger und umfassender in Charakter und Wirkung als eine projektbezogene Kooperation. Das gilt unabhängig davon, ob es sich um einen „merger“ (eine Fusion), eine „acquisition“ (Kauf eines Unternehmens), ein „Joint Venture“ (eine gemeinsame Tochtergesellschaft) oder eine „nur“ vertragsbasierte strategische Allianz handelt.

Geschäfte teilen – warum eigentlich?

Anzeige
Anzeige

Es scheint eine menschliche Eigenheit zu sein, dass Unternehmer in der Regel Abwehrreflexe zeigen, wenn das eigene Unternehmen mit einem zweiten besonders eng zusammenarbeiten soll. Allerlei Befürchtungen treten auf: Die Angst vor Kontrollverlust gehört ebenso dazu wie das Generalmisstrauen gegenüber den Intentionen des Kontraparts. Eifersüchtig wacht der Unternehmer über die eigenen (tendenziell überbewerteten) Errungenschaften, während das Potenzial des Anderen gern unterschätzt wird. Früher oder später bricht auch mehr oder weniger deutlich das trotzig-stolze „Kann-ich-auch-selber“-Syndrom durch. Dabei wird übersehen, dass gerade Firmen wie Google und Microsoft oder der Medientycoon Rupert Murdoch aus gutem Grund hohe „strategische“ Preise für diverse Internetunternehmen ausgeben, obwohl sie es ganz zweifelsfrei selbst könnten. Der Grund ist: Zeitgewinn. Doch während amerikanische Unternehmen sachlich Allianzen prüfen, weil sie schlicht Geld machen wollen, scheinen europäische Unternehmer ihre Selbstständigkeit zu betreiben, um sich selbst zu verwirklichen. Wie auch immer: Für eine strategische Allianz muss es gute Gründe geben.

Ein wichtiger Aspekt ist das Thema Geschwindigkeit: Kein Unternehmen kann sich durch generische Entwicklung so schnell in eine bestimmte Richtung entwickeln, wie es grundsätzlich möglich ist durch die Bildung einer strategischen Allianz. Die Allianz erlaubt es immerhin mittels Federstrich unter einem Vertrag, eine neue Organisation zu schaffen. Schlagartig sind Ressourcen verfügbar. Von heute auf morgen verfügt man über Know-how und Erfahrungen, die sonst langwierig zu erarbeiten wären. Schnell ist der Zugang zu Märkten und Technologien geschaffen, an die man zuvor nicht zu denken gewagt hatte. Und in Rekordzeit wurde eine Unternehmenskonfiguration mit wesentlich attraktiveren Kosten-strukturen hergestellt. Dieser Geschwindigkeitsvorteil ist selbst durch das schnellste Management und durch die rasanteste generische Unternehmensentwicklung nicht zu toppen. Er ist insbesondere dann sehr wichtig, wenn eine bestimmte Entwicklung in der Branche verschlafen wurde und aufzuholen ist, oder auch, wenn ein Vorsprung vor den Wettbewerbern aufgebaut werden soll. Die Märkte verändern sich mit hoher Geschwindigkeit und die Akteure haben nicht beliebige Zeitbudgets zur Verfügung, um sich immer wieder neu darauf einzustellen.

Anzeige
Anzeige

Auch der Größenvorteil ist wichtig: Gerade die Unternehmensgröße ist immer wieder ein fast politisches Thema. Da gibt es Egomanen, denen ihr Unternehmen nie groß genug sein kann, und es gibt jene, die immer klein und fein bleiben möchten. Sachlich begründet indessen sind beide Positionen nicht. Die Größe eines Unternehmens kann in vielerlei Hinsicht relevant sein. Gelegentlich ergeben sich geschäftliche Möglichkeiten, die eine gewisse Mindestunternehmensgröße voraussetzen. Kunden verlangen Stabilität, die oft durch Größe verbessert wird. Projekte verlangen Mindestkapazitäten, ohne die kaum Aussicht auf einen erfolgreichen Projektabschluss besteht. Das Missverhältnis zwischen Unternehmensgröße und einzelnen großen Aufträgen kann sogar schwerwiegende Folgen haben. Darf doch die Unternehmensexistenz auch durch ein großes Projekt keinesfalls gefährdet sein. Vielfach sind Mindestgrößen erforderlich, um aufgrund günstigerer Kostenstrukturen überhaupt zu
wettbewerbsfähigen und trotzdem kostendeckenden Preisen anbieten zu
können (Stichwort: „break-even-point“). Ein Unternehmen braucht häufig auch eine gewisse Mindestgröße, etwa um sich zusätzlich das Risiko und die Entwicklungskosten aus einem eigenen Portalprojekt oder aus einem eigenen Softwareprodukt leisten zu können. Zwei kooperierende Unternehmen können sich gemeinsam viel eher den eigenen teuren Linux-Kernel- oder den teuren Perl- oder Oracle-Entwickler nebst notwendigem Headhunter-Honorar und viele andere Investitionen leisten.

Anzeige
Anzeige

Skalierbare Geschäftsmodelle schreien geradezu nach Größenwachstum. Wachstum ist auf vielen Märkten deswegen von so hoher Wichtigkeit, weil aus Wachstum und Unternehmensgröße mehr Einfluss auf Märkte und Marktteilnehmer resultiert. Das gilt auch dann, wenn es nur darum geht, die Abhängigkeit von Teilmärkten, einzelnen Kunden oder einzelnen Lieferanten zu reduzieren und bei Verhandlungen von Preisen oder sonstigen Konditionen fester im Sattel zu sitzen. Verhandlungsmacht ist wohl oder übel ein wichtiger Faktor im Geschäftsleben. Wer nun sagt, wachsen könne man auch aus eigener Kraft, dem muss begegnet werden: Wer Allianzen bildet und zusätzlich generisch wächst, wird dem allein kämpfenden Unternehmen immer weit voraus sein.

Als weiteres Argument kann eine strategische Allianz dem beteiligten Unternehmen durchaus einen Zugang zu Märkten eröffnen, zu denen vorher kein Zugang bestand: Ob es sich um Zulassungen und Zertifizierungen, die Beherrschung bestimmter Technologien, das Verstehen der inneren Mechanismen eines Marktes, den „Branchensprech“ oder einfach die Bekanntheit, das Image und das Standing des Unternehmens handelt, Eintrittsbarrieren werden elegant überwunden. Auf konventionellem Weg kostet das meist viel Zeit, Energie und Geld. Im Zweifel aber ist von all dem zu wenig vorhanden.

Anzeige
Anzeige

Das Gleiche gilt – gerade in der IT-Branche mit ihrem leergefegten Arbeitsmarkt – für den Aufbau technologischer Fähigkeiten und Kapazitäten: Wer aus eigenen Kräften und mittels eigener Anstrengung umfassende Kompetenz in einem neuen Fachgebiet aufbauen will, den kostet das Lehrgeld und Lehrzeit, wobei das erfolgreiche Ende lange Zeit völlig ungewiss bleibt. Demgegenüber haben Allianzpartner den Vorteil, die eigene Technologie und das eigene Know-how zusätzlich verwerten zu können. Die Kompensation beim Partner geschieht in Form von verbesserter Auslastung zu guten Preisen, in Form von Lizenzgebühren oder – bei einem „merger“ – einfach in Form von höheren Gewinnen.

Eine besondere Qualität haben Allianzen beim Thema Internationalisierung: Eigene Standorte in fremden Ländern oder gar Kontinenten aufzubauen, erfordert zwingend ein sehr erhebliches Budget, das sich oft erst nach vielen Jahren auszahlt. Dabei spielt es meistens keine Rolle, ob man internationalisiert, um an den neuen Standorten zu verkaufen, einzukaufen oder zu produzieren. Heerscharen von Mittelständlern geringer Unternehmensgröße haben versucht, die Internationalisierung alleine zu stemmen und sehr viele sind mit verbrannten Fingern aus der Ferne zurückgekehrt. Internationale strategische Allianzen haben also gerade im Zeitalter der Globalisierung unschlagbare Vorteile: Man kann sich zu den Globalisierungsgewinnern zählen, ohne die hohen Risiken eigener Auslandsinvestitionen in Kauf nehmen zu müssen. Allianzverweigerer werden dagegen meist den Kürzeren ziehen. Gerade die Softwareentwicklung, die kaum logistische Probleme kennt, wird in Zukunft noch viel stärker von internationaler Kooperation geprägt sein als heute. Asiatische Entwicklungskosten betragen einen Bruchteil der Entwicklungskosten in Europa und den USA. Die bei niedrigen Lizenzpreisen für Softwareprodukte notwendigen hohen Verkaufszahlen können oft nur noch über den internationalen Softwarevertrieb erreicht werden. Und auch Medienunternehmen aller Kategorien erreichen tendenziell die notwendigen Nutzerzahlen, Einnahmen und Gewinne nur noch durch internationale Positionierung und Verbreitung.

Die Vielfalt der aufgezeigten Vorteile zeigt bereits, wie unterschiedlich strategische Allianzen „gestrickt“ sein können. Je nachdem, welche Vorteile für die beiden Geschäftspartner angestrebt werden (sie können für beide Partner auch unterschiedlicher Art sein), variiert das Modell einer strategischen Allianz. Zusätzliche Variationen resultieren aus der Kombination unterschiedlicher Unternehmenspositionen in einer Branche.

Anzeige
Anzeige

Vom Fremden zum Freund – Beziehungstypen

In jeder Branche lassen sich mit Hilfe des strategischen Denkrasters der „5 Forces“ [1] typisierte Grundkombinationen zweier Unternehmen zu einer strategischen Allianz betrachten und überprüfen. Das Raster hilft erstens dabei, alle Optionen vollständig zu erfassen. Zweitens unterstützt es den kreativen Prozess der Ideenfindung. Wenn mindestens einer der beiden Kooperationspartner aus dem Zentrum der Branche (hier: Webentwicklung) stammt und der andere Partner aus einem der 5-Forces-Bereiche, dann ergeben sich fünf Grundtypen strategischer Allianzen.

Arbeiten beide potenziellen Kooperationspartner im „Zentrum des Geschehens“, nämlich der Webentwicklung, dann determiniert das bereits die denkbaren Vorteile einer Allianz: Größenvorteile und schnelles Größenwachstum, Risikoverteilung bei unterschiedlicher Spezialisierung und unterschiedlichen Zielgruppen, Kapazitäts- und Ressourcenverstärkung bei gleicher Spezialisierung und gleichen Zielgruppen (sinnvoll auch für zwei direkte Wettbewerber), Arrondierung der technologischen Kompetenz oder – bei unterschiedlichen Standorten – Regionalisierungs- beziehungsweise Internationalisierungsvorteile.

Stammt der Kooperationspartner aus dem unmittelbaren Kundenumfeld, entspricht die resultierende Allianz einer so genannten „Vorwärtsintegration“. Ein Teil der Wertschöpfung der Kunden wird selbst übernommen. Man verfügt plötzlich über erweitertes Know-how und zusätzliche Kapazitäten mit sinnvoll ergänzenden, komplementären Erfahrungen. Das wiederum gestattet, zusätzliche Leistungen (etwa weitergehendes Outsourcing) anzubieten, die Wettbewerber eher nicht anbieten können. Die eigene Wertschöpfung wächst und damit tendenziell auch die an der Wertschöpfung hängende Rendite. Man erlangt einen unter Umständen wichtigen Differenzierungsvorteil, der es erlauben könnte, höhere Preise durchzusetzen. Beispiele hierfür sind der Webentwickler, der sich mit einem Tourismusberater verbindet, um für die Tourismusbranche tätig zu werden oder der Webentwickler, der mit einem Tourismus-IT-Dienstleister kooperiert, um den übernommenen Kunden eine umfassende Betreuung zu bieten.

Anzeige
Anzeige

Kommt der Kooperationspartner aus dem unmittelbaren Lieferantenumfeld, wird die daraus entstehende Strategie „Rückwärtsintegration“ genannt. Man übernimmt einen Teil der Wertschöpfung der Lieferanten. Die Allianz gestattet einen verbesserten Zugriff auf notwendige Basisleistungen und Basistechnologien für das eigene Geschäft. Auch das kann zu Differenzierungsvorteilen mit Renditerelevanz führen. Beispiel: Ein Webentwickler und ein Spezialhoster kooperieren für komplexe Applikationen. Besonderen Anforderungen kann gemeinsam mit dem erweiterten Leistungsspektrum begegnet werden und die Kundenbindung wird verbessert.

Ist der zur Debatte stehende Kooperationspartner ein lediglich potenzieller Wettbewerber, der noch gar nicht tatsächlich in die Branche eingetreten ist, dies aber beabsichtigt, ergeben sich wieder neue Aspekte. Eine printorientierte Marketingagentur kann durch die Kooperation mit einer Webagentur beispielsweise ihr Leistungsspektrum erweitern. Den Kunden beider Unternehmen kann das jeweils andere Leistungsspektrum angeboten werden und man ist in der Lage, integrierte online/offline-Kampagnen zu offerieren. Umsatz- und Gewinnwachstum wird auch hier die Folge sein, denn das Volumen beider Partner addiert sich. Hinzu kommen Kunden, die beide Partner jeweils einzeln nicht erreichen konnten. Druckereien und viele andere Unternehmensmodelle könnten ebenfalls interessante Partner sein.

Schließlich macht grundsätzlich auch die Kooperation mit Anbietern neuer Ersatzprodukte Sinn. Eine Allianz etwa mit einem Anbieter von „Online-Webbaukästen“ kann dazu führen, dass sich spezifische „Webbaukästen“ (etwa mit Einsatz von Branchen-Know-how oder besonderen Funktionen) entwickeln lassen, was das eigene Leistungsspektrum abrundet. Man kann neue Kunden gewinnen oder alte halten, die sonst eventuell zu einem fremden Anbieter abwandern würden. Auf diese Weise wird das eigene Revier verteidigt. Außerdem hat man die Kunden des Partners, deren Ansprüche ebenfalls wachsen, im unmittelbaren „Zugriff“. Die Anzahl denkbarer und sinnhafter Kombinationen ist auch hier vielfältig.

Anzeige
Anzeige

Verdrahtungstechnik

Wenn sich zwei kooperationswillige Unternehmen einander als interessant identifiziert und ihre jeweiligen individuellen Vorteile erkannt haben und sich auch unter sonstigen Aspekten (gleiche Ziele, passende Unternehmenskultur etc.) für passend halten, sind sie bereit für den nächsten Schritt: Den „letter of intent“ (LOI) [2]. Ein LOI ist eine Verpflichtungserklärung zur Geheimhaltung und Verschwiegenheit vor dem Hintergrund einer noch im Detail zu prüfenden (und zu entscheidenden) strategischen Allianz. Er ist in aller Regel empfehlenswert. Soll einfach ein Unternehmen vom anderen übernommen werden, so verpflichtet sich wenigstens der potenzielle Käufer/Übernehmer. Der Verkäufer ist es ja insbesondere, der sämtliche Details von sich offenlegt. Dennoch sind durchaus auch in diesem Fall wechselseitige LOIs, auch „memorandum of understanding“ (MOU) genannt, nicht abwegig. Bei angestrebten Deals „auf Augenhöhe“, also bei gleichberechtigten Partnern, gilt das selbstverständlich erst recht. Der manchmal verwendete Begriff des „non-disclosure agreement“ (NDA) ist nichts anderes.

Im zweiten Schritt folgt die „due diligence“ [3] : Die Vertragspartner in spe, insbesondere potenzielle Käufer von Unternehmensanteilen, haben selbstverständlich ein nahe liegendes und vitales Interesse daran, das Objekt der Begierden genau zu überprüfen, bevor es zu Bewertungen, weiteren Verhandlungen und Vertragsabschlüssen kommt. Das ist nachvollziehbar, denn wer kauft schon gern die Katze im Sack. Die Due-Diligence-Prüfung wird in der Praxis oft einem erfahrenen Praktiker übertragen. Primär werden zunächst die juristischen Verhältnisse (von Handelsregistereintragung und der Satzung bis hin zu allen wichtigen Verträgen) und die betriebswirtschaftlichen Zahlen für mehrere Jahre genau überprüft. Organisation, Personal, Marktstellung und Businessplan sind weitere Themen. Auch finanziell relevante Altlasten jedweder Art werden ermittelt. Meistens werden vorab alle relevanten Unterlagen in einem separaten „Datenraum“ (Businessdeutsch: „data room“) bereitgestellt, in dem der Beauftragte einige Tage arbeiten kann. Ausführliche Gespräche und Interviews mit Schlüsselpersonen im Unternehmen sind ebenso üblich wie das Überprüfen von einzelnen Belegen, Aussagen oder Fakten. Auch hier gilt wieder: Wird eine Pari-Partnerschaft angestrebt, erfolgt die wechselseitige Due-Diligence-Prüfung.

Der dritte und letzte Schritt vor der Entscheidung ist die Unternehmensbewertung: Sie ist sehr komplex aber unentbehrlich, wenn entweder Geschäftsanteile verkauft (acquisition) oder ein merger oder ein Joint Venture gebildet werden sollen. Strategische Allianzen über die bloße Vertragsbindung zwischen zwei Gesellschaften bedürfen der Bewertung oft nicht, wenngleich eine Bewertung trotzdem interessant ist. Das klassische Bewertungsmodell der Steuerberater, das so genannte „Stuttgarter Modell“, das auch in diversen Gesellschaftsverträgen erwähnt ist, taugt aber keinesfalls für eine wirtschaftlich richtige Unternehmensbewertung. Es legt zuviel Wert auf den bilanzbasierten „Substanzanteil“ und zu wenig Wert auf den „Ertragsanteil“.

Anzeige
Anzeige

Unterschiede gibt es auch bei der Frage, inwieweit (und wie mutig!) Planzahlen in die Bewertung eingehen. Risikoabschläge sind bei der Bewertung durchaus üblich. Krisenunternehmen können daher auch sehr viel weniger wert sein und sogar negative Werte haben. Mittelständische Unternehmen in guter Verfassung und mit Entwicklungsperspektiven werden von professionellen Beteiligungsgesellschaften hingegen meist etwa zum drei- bis achtfachen Wert des operativen Gewinnes bewertet. Grundlage hierfür ist die Überlegung, dass der Käufer seine Investition in den Kaufpreis aus der Amortisation durch die Gewinnanteile künftiger Jahre bewertet. Google und Co. rechnen übrigens nochmals anders: Relevant ist hier, welchen strategischen Wert eine potenzielle Beteiligung für den Käufer hat. Am Ende aller kunstvoll-komplexen Berechnungen von Spezialisten ist dennoch aber ein Unternehmen immer genau so viel wert, wie ein anderer bereit ist, dafür zu bezahlen.

Eheverträge – die Transaktion

Der Kauf eines Unternehmens beziehungsweise die Fusion sind lediglich Varianten und nicht jede strategische Allianz muss durch eine gesellschaftsrechtliche Verflechtung untermauert werden. Die Alternative besteht in einer sehr engen Bindung der beiden Unternehmen aneinander, die durch einen Vertrag oder Rahmenvertrag zwischen den beiden Gesellschaften hergestellt wird. Diese Form der juristischen Bindung aneinander kann allerdings, sofern gewünscht, genauso weit gehen, wie die Bindung durch eine 100-prozentige Übernahme einer Partei. Sie kann im Einzelfall Beteiligte sogar noch weitergehender binden als die Übernahme. Die Optionen hierfür zu erläutern, würde allerdings bei weitem den hier zur Verfügung stehenden Platz sprengen. Erläutert werden deswegen nur die prinzipiellen Zusammenhänge bei Merger&Acquisition (M&A)-Deals. Erwähnenswert ist allerdings, dass die vertragliche Bindung sich auch als Vorstufe für eine spätere gesellschaftsrechtliche Vereinbarung eignet, denn in der Vorstufe bietet sie beiden Parteien noch bessere Rückzugsmöglichkeiten.

Soll eine Allianz gesellschaftsrechtlich organisiert werden, gibt es im Falle einer hundertprozentigen Übernahme zwei Spielarten: Beim so genannten „asset deal“ werden alle Vermögensgegenstände (assets) aus der Aktivseite der Bilanz des zu kaufenden Unternehmens vom kaufenden Unternehmen erworben. Gekauft wird also die ganze Palette der Einzelpositionen von Marken- und sonstigen Rechten über die Geschäftsausstattung bis hin zu Forderungsbeständen. Der Vertrag ist also ein ganz normaler Kaufvertrag. Alle laufenden Verträge mit Mitarbeitern, Lieferanten und Kunden werden (nur mit Zustimmung des jeweiligen Vertragspartners) umgeschrieben. Notarielle Beurkundungen sind im Regelfall nicht nötig. Das Verfahren insgesamt ist aber tendenziell aufwändig, weil sehr viele Verträge geschlossen werden müssen.

Anzeige
Anzeige

Die Alternative ist der Kauf (juristisch korrekt: die Übertragung) von Geschäftsanteilen, was allerdings nur bei einer Kapitalgesellschaft wie einer GmbH, einer AG (als Aktien) oder KG (Kommanditanteile) möglich ist (share deal). Hier kauft man nicht einen Gegenstand, sondern quasi den Eigentümer des Gegenstandes (also die Gesellschaft). In Verträge, die dieser früher einmal geschlossen hat, steigt man somit automatisch ein.

Die genannten deutschen Rechtsformen gibt es in prinzipiell ähnlicher Form auch in der Schweiz, in Österreich sowie in den meisten anderen Jurisdiktionen von der Volksrepublik China bis hin zu den USA. Die „Limited“ (Ltd.) ist die britische Kapitalgesellschaft, die auch in das Recht der meisten Commonwealth-Staaten nach dem britischen Common Law übernommen wurde. In den USA entspricht ihr die LLC (limited liability company). Internationale Allianzen sind also nicht wirklich fundamental schwieriger als rein nationale Allianzen.

Fusionen können auch als Gründung einer neuen Gesellschaft organisiert werden, in die entweder die Vermögensgegenstände und Verträge oder die Geschäftsanteile der beiden Partner als Sacheinlage eingebracht werden. Ein Joint Venture wird prinzipiell genauso gebildet, nur mit dem Unterschied, dass beide Partner eben nur einen Teil ihres Geschäfts einbringen. Sollen für mehr als einen Markt Allianzen gebildet werden und mehr als eine Allianz eingegangen werden, sind Joint Ventures oder Vertragspartnerschaften das passende Mittel. Gerade als kleines Unternehmen sollte man sich aber auch nicht verzetteln und sich in zu viele solcher Deals verstricken.

Die Übernahme von anderen Unternehmen via assets oder shares, ganz oder in Teilen, kann prinzipiell auch finanziert werden. Der Erwerb von assets erfolgt zu den sonst üblichen Finanzierungsregeln bei Sachinvestitionen. Schließlich ist hier ja unerheblich, wer der Verkäufer ist. Die Finanzierung von Beteiligungen (share deals) ist ebenfalls als Fremdfinanzierung machbar, erfordert jedoch nachhaltig guten Cash Flow des Beteiligungsunternehmens. Sind Wachstum und Steigerung der Gesamtwerte zu erwarten, kommt auch Venture Capital in Frage – bei kleinen Unternehmen allerdings primär von Business Angels und nicht von VC-Gesellschaften.

Fazit: 1+1=3

Der aus den oftmals rasend schnellen Markt- und Branchenveränderungen
resultierende Zeitdruck verlangt nach schnellem und entschlossenem
Handeln bei der Anpassung der Geschäftsmodelle, wenn
Zukunftsperspektiven gewahrt bleiben sollen. Es ist kein Zufall, dass die Medien immer häufiger über den Abschluss strategischer Allianzen berichten. Gemeinsam mit einem passenden Partner ist man einfach stärker. Durch die bloße Kombination in einer Allianz lassen sich oft aus dem „Nichts“ Zusatzwerte schaffen, die sonst nur mit hohen Kosten zu erreichen wären. Menschen allerdings lieben Veränderungen nicht. Und weil auch Unternehmer Menschen sind, sind die emotionalen Vorbehalte oft ausgeprägt. Es ist aber empfehlenswert, nüchtern und emotionsfrei zu prüfen, was für die geschäftlichen Perspektiven am besten ist.

Das Ego der Entscheider sollte jedenfalls nicht das entscheidende Kriterium sein. Und vor der Entscheidung sollte nicht ausschließlich auf Steuerberater und Rechtsanwälte vertraut werden. Sie sind meist wenig erfahren in „neumodischen Branchen“, typischerweise nicht vertraut mit M&A-Geschäften und von einem Verkauf oder einem merger raten sie schon allein deswegen ab, weil sie keinen Mandanten verlieren wollen. Die besten Ratgeber sind häufig befreundete Unternehmer. Steuern und Recht sind zwar wichtig, sollten aber Nebenschauplätze bleiben, wenn die Zukunft von Unternehmen gestaltet wird.

Glossar
Merger Verschmelzung zweier Gesellschaften
Acquisition Kauf eines Unternehmens ganz oder in Teilen
M&A Abkürzung für mergers & acquisitions
BEP break-even-point, die Gewinnschwelle in der Teilkosten- oder Deckungsbeitragsrechnung
Skalierbarkeit Ist gegeben, wenn ein Geschäftsmodell nahezu beliebig vergrößert werden kann, mit entsprechender Steigerung der Umsätze
Strategischer Investor Ein Investor aus der gleichen oder artverwandten oder komplementären Branche
Finanzinvestor Ein Investor ohne strategische Zielsetzung, dessen primäres Ziel die Partizipation an Gewinnen und Wertsteigerung ist
Joint Venture Ein neues, gemeinsames Unternehmen (gemeinsame Tochtergesellschaft) zweier schon bestehender Unternehmen
share deal Ein M&A-Geschäft, bei dem Geschäftsanteile („shares“), also Aktien, GmbH-Anteile etc. übertragen werden
asset deal Ein M&A-Geschäft, bei dem statt Geschäftsanteilen Vermögensgegenstände („assets“) gekauft bzw. verkauft werden
Transaktion Der eigentliche, juristisch wirksame Vorgang des Kaufs oder Verkaufs von Unternehmen nebst Geldfluss
Vorwärtsintegration Strategietyp, bei dem ein Unternehmen teilweise die Wertschöpfung von Kunden übernimmt
Rückwärtsintegration Strategietyp, bei dem ein Unternehmen teilweise die Wertschöpfung von Lieferanten übernimmt
due diligence Vorabprüfung eines Unternehmens durch einen Vertreter der kaufinteressierten Partei
data room „Datenraum“, in dem die due diligence durchgeführt wird und in dem die notwendigen Akten bereitgestellt werden
Unternehmensbewertung Vorgang, bei dem der Wert eines Unternehmens ermittelt wird
Kapitalerhöhung Erhöhung des nominellen, haftenden Kapitals einer Kapitalgesellschaft. Die Einzahlung kann zeitlich verzögert erfolgen.
Ertragswert Der Ertragswert eines Unternehmens resultiert aus den Erträgen, die ein Unternehmen erwirtschaftet.
Substanzwert Der Substanzwert eines Unternehmens ergibt sich aus dem Wert der Vermögensgegenstände abzüglich Schulden.
Stuttgarter Modell Veraltetes Verfahren für die Unternehmensbewertung, das von Wirtschaftsprüfern entwickelt wurde
Operativer Gewinn Gewinn, bei dem sowohl außerordentliche Erträge als auch außerordentliche Aufwendungen außer Acht bleiben
Cash Flow Der Überschuss der Bareinnahmen über die Barausgaben eines Unternehmens („Cash Loss“, sofern negativ)
NDA „non-disclosure agreement“ – Eine Geheimhaltungsvereinbarung, die meist vor Beginn ernsthafter M&A-Gespräche abgeschlossen wird
LOI „Letter of Intent“ – Eine Absichtserklärung eines potenziellen Kaufinteressenten, meist mit NDA, noch nicht bindend
MOU „memorandum of understanding“ – Eine Vereinbarung zweier Parteien vor ernsthaften Verhandlungen, meist allgemeiner gehalten als NDA und LOI
Mehr zu diesem Thema
Fast fertig!

Bitte klicke auf den Link in der Bestätigungsmail, um deine Anmeldung abzuschließen.

Du willst noch weitere Infos zum Newsletter? Jetzt mehr erfahren

Anzeige
Anzeige
Schreib den ersten Kommentar!
Bitte beachte unsere Community-Richtlinien

Wir freuen uns über kontroverse Diskussionen, die gerne auch mal hitzig geführt werden dürfen. Beleidigende, grob anstößige, rassistische und strafrechtlich relevante Äußerungen und Beiträge tolerieren wir nicht. Bitte achte darauf, dass du keine Texte veröffentlichst, für die du keine ausdrückliche Erlaubnis des Urhebers hast. Ebenfalls nicht erlaubt ist der Missbrauch der Webangebote unter t3n.de als Werbeplattform. Die Nennung von Produktnamen, Herstellern, Dienstleistern und Websites ist nur dann zulässig, wenn damit nicht vorrangig der Zweck der Werbung verfolgt wird. Wir behalten uns vor, Beiträge, die diese Regeln verletzen, zu löschen und Accounts zeitweilig oder auf Dauer zu sperren.

Trotz all dieser notwendigen Regeln: Diskutiere kontrovers, sage anderen deine Meinung, trage mit weiterführenden Informationen zum Wissensaustausch bei, aber bleibe dabei fair und respektiere die Meinung anderer. Wir wünschen Dir viel Spaß mit den Webangeboten von t3n und freuen uns auf spannende Beiträge.

Dein t3n-Team

Melde dich mit deinem t3n Account an oder fülle die unteren Felder aus.

Bitte schalte deinen Adblocker für t3n.de aus!
Hallo und herzlich willkommen bei t3n!

Bitte schalte deinen Adblocker für t3n.de aus, um diesen Artikel zu lesen.

Wir sind ein unabhängiger Publisher mit einem Team von mehr als 75 fantastischen Menschen, aber ohne riesigen Konzern im Rücken. Banner und ähnliche Werbemittel sind für unsere Finanzierung sehr wichtig.

Schon jetzt und im Namen der gesamten t3n-Crew: vielen Dank für deine Unterstützung! 🙌

Deine t3n-Crew

Anleitung zur Deaktivierung
Artikel merken

Bitte melde dich an, um diesen Artikel in deiner persönlichen Merkliste auf t3n zu speichern.

Jetzt registrieren und merken

Du hast schon einen t3n-Account? Hier anmelden

oder
Auf Mastodon teilen

Gib die URL deiner Mastodon-Instanz ein, um den Artikel zu teilen.

Anzeige
Anzeige