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Digitale Gesellschaft

Die richtigen Konsequenzen aus dem Datenskandal ziehen: PRISM: Und Jetzt?

Kommunikation, Social Web, Mobile – und jetzt das Internet der Dinge: Die schöne neue Welt, die das Netz in den vergangenen 20 Jahren geschaffen hat, bekommt durch den Skandal um PRISM dicke Schrammen. Plötzlich wirkt das Web gar nicht mehr so frei, offen und innovativ. Doch was jetzt? Stecker ziehen? Sicher nicht. Wichtig ist es, die richtigen Konsequenzen aus dem Datenskandal zu ziehen.

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Die Daten-Skandale um PRISM und Tempora haben innerhalb kürzester Zeit die Schattenseite der vernetzten Welt zum Vorschein gebracht: Das Internet mit all seinen Möglichkeiten; die große Zahl an Daten, die täglich entstehen; der Grad der Vernetzung, der durch das Internet der Dinge in den nächsten Jahren noch zunehmen wird – negativ gewendet, erinnert das Netz und seine Infrastruktur an düstere Zukunftsszenarien, wie sie bereits in Büchern (1984) beschrieben und in etlichen Filmen (Matrix) dargestellt worden sind. Populärkulturelle Medien stellen Sachverhalte oftmals zugespitzt dar: nicht nur um zu unterhalten, sondern weil nur ihre Überspitzung zum Nachdenken anregt.

1984, Dystopia, Stasi?

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Ähnlich zugespitzt formulierte Wikileaks-Sprecher Juilen Assange seine Keynote auf dem von t3n mit initiierten ConventionCamp 2012 im vergangenen November. Von seinem Mini-Zimmer in der equadorianischen Botschaft in London aus per Skype zugeschaltet, zeichnete er ein düsteres Bild der Zukunft, in dem staatliche Organisationen das Netz dazu mißbrauchen, die totale Kontrolle ihrer Bewohner zu erreichen. Dystopia nannte er diese Form der Totalüberwachung und warnte eindringlich vor dieser Zukunft. Die Rezeption seiner Keynote auf der Veranstaltung und in der Presse war fast über all dieselbe: Der Typ habe „nicht alle Tasse im Schrank“, Assange sei „völlig paranoid“ und in seinem Zimmerchen in der equadorianischen Botschaft einfach „verrückt“ geworden.

Rund ein halbes Jahr später trat Edward Snowden auf den Plan. Snowden deckte mit PRISM den wohl größten Polit-Skandal der jüngeren Geschichte auf. Dass nicht nur die US-Amerikaner in Form der NSA kräftig mitlauschen, zeigte das kurze Zeit später aufgedeckte Spähprogramm der Briten namens Tempora. Die Briten seien laut Snowden sogar noch schlimmer als die USA. Offenbar bespitzeln die Government Communications Headquarters (GCHQ) in London systematisch Telefon- und Internetnutzer in aller Welt und teilen ihre Erkenntnisse mit den USA. Und auch Deutschland scheint nicht so unschuldig, wie die Kanzlerin und der Kanzleramtsminister – in Deutschland zuständig für die Geheimdienste – tun: das beweisen die Geheimdokumente von Edward Snowden. Wie weit die Bespitzelung geht, zeigt XKeyscore: Das Tool, zu dem auch deutsche Behörden Zugang haben, ermöglicht den sogenannten „Full Take“ – der zeitweise Speicherung aller Internet-Daten.

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Erschreckende Gelassenheit

Der vielleicht unglaublichste Aspekt an PRISM ist nicht unbedingt der Daten-Skandal an sich. Natürlich ist es erschreckend, was die NSA und Konsorten da an Datenüberwachung und Datensammelwut praktizieren. Aber fast noch schlimmer ist die brutale Gelassenheit, mit der Menschen und Politik auf diese Skandale reagieren. Die im Alltag oftmals vernommene Antwort auf PRISM: „Ich habe doch nichts zu verbergen – sollen die doch ruhig schnüffeln, so lange sie wollen.“ Oder wie Bild-Kolumnist Franz Josef Wagner verlauten ließ: „Ich bin lieber überwacht als tot“.

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Was die totale Überwachung aus einer Gesellschaft macht, hat der französische Sozialphilosoph Michel Foucault beschrieben. Die Bürger passten aufgrund von Dauerüberwachung ihr Handeln irgendwann so an, dass sie stets entsprechend der staatlich vorgeschriebenen Norm handeln – und das sogar ganz freiwillig und im letzten Schluss ohne staatliche Kontrolle. Foucault spricht von einer Mikrophsyik der Macht, die alle Lebensbereiche bis in die kleinsten „Ritzen“ durchdringt. Interessant an Foucaults Werk: Er starb – welch Ironie – 1984. Damals gab es das Internet, so wie wir es heute kennen, nicht mal in Ansätzen. Würde der französische Philosoph heute noch leben: er hätte wohl die reinste Freude an einer sozialphilsophischen Analyse des Internets.

Spione im #Neuland?

Um die Theorie mit ein wenig Praxis zu veranschaulichen, folgendes Gedankenexperiment: Geheimdienste hören in der „physischen“ Welt ein Großteil der menschlichen Kommunikation ab. Auf den Straßen laufen lauter schwarz gekleidete Spione herum und belauschen Gespräche im Park, im Supermarkt, im Auto, in den eigenen vier Wänden, Briefverkehr, Faxe, Telefonate – alles wird nach bestimmten Schüsselwörtern durchsucht, relevante Daten langfristig gespeichert. Wer würde da nicht auf die Barrikaden gehen? Wo wäre da das Grundrecht auf Privatsphäre? Wo der Schutz der Bürger gegen den Staat? Beziehen wir dieses totalitäre Szenario auf das Internet – und die Aufregung verebbt. Warum? Weil für die Mehrheit der Bevölkerung das Internet tatsächlich noch #Neuland ist. Der Großteil der täglichen Kommunikation wandert zwar zunehmend ins Netz: WhatsApp, Skype oder Google Hangout, Facebook-Chat, Twitter, E-Mail – was für die Bevölkerungsmehrheit noch nicht im gleichen Maße gelten mag, wie für Early Adopter und Jugendliche bereits heute. Aber vielfach fehlt noch die entsprechende Kompetenz, mit dem Internet auch umsichtig und mediengerecht umzugehen. Um so wichtiger ist es deshalb, bereits jetzt die richtigen politischen Schlüsse aus dem Datenskandal zu ziehen.

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ConventionCamp 2012: Richard Gutjahr interviewte Assange nach dessen Keynote. Heute wirken die Aussagen von Assange gar nicht mehr paranoid.
ConventionCamp 2012: Richard Gutjahr interviewte Assange nach dessen Keynote. Heute wirken die Aussagen von Assange gar nicht mehr paranoid.

Die Verirrungen der deutschen Politik

Alles halb so schlimm, schließlich haben unsere Politiker die Lösung. So forderten kurz nach der Aufdeckung von PRISM deutsche Innenpolitiker wie Hans-Peter Uhl von der CSU oder Dieter Wiefelspütz von der SPD die Entwicklung „eigener Kommunikationstechnik“ und „angemessene Alternativen“ zu den großen US-amerikanischen Web-Größen. War das etwa ernst gemeint?

Ein deutsches Google, aufgezogen mit staatlichen Mitteln, wäre nicht nur ein Bürokratie-Ungetüm. Eine solche Maßnahme würde auch die Entwicklungsdynamik, die der Entstehung von Unternehmen wie Google oder Facebook vorausging und ihr innewohnte, völlig verkennen. Und zu glauben, dass zentralistische Großinstanzen wie Facebook oder Google die Zukunft des Webs sind und wir Europäer entsprechende Gegenentwürfe schaffen müssten, ist kurzfristig gedacht. Diese Unternehmen sind jetzt so erfolgreich, weil sie es besonders früh verstanden haben, einfach zu nutzende Plattformen für grundlegende Netzbedürfnisse zu schaffen. Ob es Facebook und Google in der heute bekannten Form in zehn Jahren noch gibt, wage ich zu bezweifeln.

Kryptographie, Bildung und Recht

Heute müssen wir uns allerdings mit dem aktuellen Stand des Netzes auseinandersetzen. Und dieser ist davon gekennzeichnet, dass sich riesige Datenberge in den Händen weniger Unternehmen befinden – eine ideale Spielwiese für Lauschaktivitäten verschiedenster Art, schließlich müssen NSA und Co. nur einige Unternehmen ins Visier nehmen. „Ja, wir leben in einem Überwachungsstaat“ – sagt auch der US-Sicherheitsexperte Bruce Schneier in einem ZEIT-Interview. „Natürlich glaube ich weiter an Kryptographie, sie ist ein lebenswichtiges Werkzeug. Aber sie ist halt kein Zauberspruch, mit dem Überwachung automatisch abgewehrt wird“, stellt Schneier fest. Technikaffine Nutzer setzen auf Open-Source-Technologien wie Tor, nutzen für die Netzsuche DuckDuckGo und verschlüsseln ihre Festplatten mit TrueCrypt – und schaffen sich so zumindest ein gewisses Maß an Anonymität.

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Aber selbst wenn Verschlüsselung ein funktionierendes Gegeninstrument wäre – die meisten Internet-Nutzer können nicht damit umgehen. Für die meisten Menschen ist das Netz tatsächlich noch #Neuland – auch wenn die „Netzgemeinde“ sich über den Ausspruch Merkels lustig macht: er trifft die Nutzungsrealität vieler Menschen in Sachen Internet ziemlich genau.

Und genau deshalb ist es höchste Zeit, Informatik als Pflichtfach an der Schule einzuführen – damit Cookies, Browser-Einstellungen und JavaScript für die nachwachsenden Generationen keine Fremdwörter mehr sind. Damit Open Hardware und eigene Hosting-Lösungen von deutlich mehr Nutzern einsetzbar sind –weil der Umgang mit neuen Technologien dann so selbstverständlich wäre wie rechnen, schreiben und lesen. Und damit das Internet irgendwann mal für die Mehrheit der Menschen eben kein #Neuland mehr ist. Aber das ist nur die langfristige Sicht, die vor allem
die Bildungspolitik angeht und vor neue Herausforderungen stellt.

Viel grundlegender fordert PRISM uns dazu auf, über staatsrechtliche Konsequenzen der radikal veränderten Kommunikationswelt nachzudenken. Wie kann Privatsphäre nur ein Staatsrecht sein in einer Welt, in der ich per Knopfdruck das Gesicht meines Gegenübers auf dem Bildschirm zu sehen bekomme, obwohl dieser am anderen Ende der Welt sitzt? Die Welt des Internets ist international und kennt keine Staatsgrenzen. Es wird höchste Zeit, dass die Regierungen entsprechende rechtliche Anpassungen vornehmen: Ein internationales Grundrecht auf Privatsphäre. Denn was spielt es für eine Rolle, wenn der Staat, in dem ich lebe, zwar die rechtlichen Voraussetzungen für den Schutz der Privatsphäre seiner Bürger schafft, dafür aber „befreundete“ Staaten sie bespitzeln dürfen? Und sich die inländischen und ausländischen Geheimdienste später über ebendiese Daten austauschen?

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Die Chance für Startups

Es gibt viel zu tun: für die Politik – aber auch für Software- und Hardware-Entwickler sowie Startups. Es sind einfache Lösungen gefragt, die die Sicherheit und den Schutz des Datenverkehrs ermöglichen. Ein gutes Beispiel ist das Startup ZenMate.io. Die Berliner haben ein Chrome-Plugin entwickelt, das auf Knopfdruck eine Datenverbindung per VPN ermöglicht – völlig unkompliziert und narrensicher. Aber nicht nur in Sachen Software gibt es viel zu entwickeln, auch im Bereich Hardware sind innovative Lösungen denkbar. Warum nicht ein Armband mit eingebautem Flash-Speicher, der die wichtigsten persönlichen Daten wie Passwörter oder E-Mails speichert und in Echtzeit synchronisiert? So hätte man die wichtigsten Daten immer dabei und müsste sie nicht in der Cloud speichern. Ein lokales Backup könnte zu Hause stehen.

Auch große Player im Social Web sollten über erweiterte Privacy-Settings nachdenken und versuchen, den Echtzeit-Charakter der Kommunikation noch besser im Netz abzubilden. Warum führt Facebook nicht etwa eine Funktion ein, die dem Nutzer vor jedem Absetzen eines Posts die Möglichkeit gewährt, einen Privacy-Modus einzuschalten? Dieser könnte zum Beispiel bedeuten, dass der Post nach einem Tag unwiederbringlich gelöscht wird. Für eine Vielzahl von Posts würde dieser Zeitrahmen absolut ausreichen, ist doch die Mehrzahl von Facebook-Posts ohnehin nur tagesrelevant. Klar, dass Facebook solche Einstellungsmöglichkeiten für Nutzer nicht begrüßt – gilt es doch, attraktiv für die Werbewirtschaft zu bleiben und möglichst deshalb alles zu speichern, was ein Nutzer je geschrieben oder gespeichert hat: denn Nutzerprofile werden mit jedem Bit an Information genauer und so interessanter für werbende Unternehmen – aber eben auch für die NSA. Soziale Netzwerke werden sich deshalb in Zukunft – was die Sicherheit und den Datenschutz angeht – noch stärker vor ihren Nutzern verantworten müssen. Netzwerke, die zu spät oder falsch reagieren, nehmen dauerhaft Schaden.

Die Konkurrenz ist bereits in den Startlöchern: Snapchat etwa. Bei dem Dienst erfolgt die Kommunikation nur über Bilder – und diese werden nach kurzer Zeit für immer gelöscht. Dass Snapchat vermutlich gerade deshalb oft auch für sexuell angehauchte Chats genutzt wird, ändert nichts an der flüchtigen und deshalb spannenden Kommunikationsmechanik des Dienstes. Das Startup hat erst kürzlich eine Finanzspritze in Höhe
von 60 Millionen US-Dollar erhalten.

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Auf den Kopf gestellt

Snowden hat das Web für immer auf den Kopf gestellt. Seine Enthüllungen zeigen mit einem Schlag die Schattenseiten der totalen Vernetzung auf: die Möglichkeit der totalen Kontrolle. Aber anstatt uns in die Ecke zu verkriechen und traurig zu sein, dass das Web seine Unschuld verloren hat, sollten wir nach vorne blicken – politisch und auch ökonomisch. Wir müssen die Rechtslage den neuen digitalen Realitäten anpassen. Wir müssen den Staat in seine Schranken weisen – auch im digitalen Raum. Und wir müssen damit anfangen, sichere Lösungen für diese schöne neue Welt zu entwickeln. Denn nur dann macht sie wieder richtig Spaß.

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