Anzeige
Anzeige
Porträt
Artikel merken

Vom Tellerwäscher zum Chef-Nerd: Wie der Technikchef den Bayerischen Rundfunk aufmischt

Als Kind half Mustafa Isik im Restaurant der Eltern und träumte davon, zur Superprogrammiermaschine zu werden. Der selbsternannte Nerd bringt heute den Bayerischen Rundfunk auf digitalen Kurs.

12 Min. Lesezeit
Anzeige
Anzeige

(Foto: Caroline Lindekamp)

Das Magische in der Informatik liegt für Mustafa Isik im Schöpferischen, aus Ideen schafft ein Programmierer Produkte. „Du denkst dir etwas aus und brauchst nicht mehr als einen Computer, um es zu bauen.“ Isik spricht in kurzen Sätzen, er ist an diesem Mittwochmorgen beim Sport. Er holt Luft und schiebt Gewichtsscheiben auf die Querstange, während er die Leidenschaft für seinen Beruf erklärt: „Nur deine Kiste und deine Idee. Kein Kapital, kein Maschinenpark, keine Muskelkraft.“

Anzeige
Anzeige

Noch einmal zwingt der 37-Jährige die Knie in Richtung seiner roten Turnschuhe, um die Gewichte wieder hochzustemmen. Aus dem Ghettoblaster schallen The Prodigy und Metallica, die Songs treiben den Sportler heute an. Als sie irgendwann in den 1990er Jahren einmal in den Charts liefen, begann gerade die Dotcom-Ära – und damit auch der Imagewandel der Programmierer. Statt als Computerfreaks mit mangelnder Sozialkompetenz galten sie plötzlich als schöpferische Genies, die Unternehmen wie Amazon und Google aufbauten. Der Begriff des Nerds war geboren, die Freaks entwickelten sich zu Vorbildern – und haben es heute durch Charaktere wie Sheldon Cooper in der Serie „The Big Bang Theory“ sogar in die Popkultur geschafft. Auch Isik bezeichnet sich gerne und oft als Nerd, seine Abteilung beim Bayerischen Rundfunk (BR) nennt er Nerd-Höhle. Er ist bei der öffentlich-rechtlichen Anstalt Abteilungsleiter für Softwareentwicklung und Plattformen (SEP) sowie Vorsitzender im Gremium Digitalboard, das die digitale Strategie des Hauses entwickelt.

The Prodigy und Metallica – Beim BR?

Zugegeben: Eine Landesrundfunkanstalt mit seit Jahrzehnten gewachsenen Strukturen und öffentlichem Auftrag klingt nicht nach einem Biotop für einen selbsterklärten Nerd. Und The Prodigy und Metallica waren in den 1990ern auch nicht die Dauerbrenner auf den BR-Kanälen. Doch Isik und sein mittlerweile rund 80-köpfiges Team haben ihre Räume in eine nerdfreundliche Spielwiese verwandelt: Zwischen Bildschirmen und Tastaturen brechen übergro.e, knatschbunte Spielzeuggewehre, die passende Plastikmunition und Videospielkonsolen mit der Büroatmosphäre. Digitale Montagen haben Mitarbeiterfotos in  Computerspielwelten versetzt und werden ausgedruckt zu einer bunten Wandcollage. Computerspiele und Comics sind auch ein Thema im Chefbüro. Das größere Eckbüro seines Vorgängers hat Isik als Besprechungsraum an sein Team abgetreten. „Das war so ein richtiges Boss-Büro.“

Anzeige
Anzeige

Das kleinere Büro von Boss Isik füllen ein großer Schreib- und ein Besprechungstisch fast aus. Sitzend verschwindet Isik hinter einer Reihe Computerbildschirme. Ein Mountainbike lehnt an einer Wand, gerahmte Bilder aus Cyberwelten zieren die anderen und Comicfiguren stehen auf der Fensterbank. Das Eckbüro hat Isik ganz Silicon-Valley-like mit bunten Sitzsäcken und gemütlichen Sofas ausgestattet. In anderen Konferenzräumen des BR sitzen die Mitarbeiter hinter schweren Tischen in der berühmten U-Formation, hier läuft die Kommunikation nach Isiks Gusto. Er hat Produktideen ebenso wie einen eigenen Führungsstil und Entwicklungsabläufe mit zum BR gebracht

Anzeige
Anzeige

Fast jedes Unternehmen – ob wie der BR im Mediensektor oder in anderen Bereichen – steht heute vor der Herausforderung, wie es sich in Zeiten von Digitalisierung und Vernetzung am besten aufstellt. Die einen setzen auf externe Dienstleister und kaufen neue Software einfach ein. Andere gründen eine Tochterfirma, um Innovationskräfte zu bündeln und vor eingefahrenen Strukturen im Mutterkonzern zu schützen. „Aber wir haben unsere Ziele höher gesetzt und wollen alle Kollegen in den Medienwandel einbeziehen. Unsere Abteilung ist sozusagen der Plutoniumkern im BR“, sagt Isik und schiebt augenzwinkernd hinterher: „Vielleicht fällt uns noch ein besserer Vergleich als etwas Radioaktivstrahlendes ein.“ Von Isiks Abteilung soll die digitale Strahlkraft ausgehen: Die Kollegen aus dem Programm und anderen Abteilungen sollen durch ihn verstehen, warum der Sender in Softwareentwicklung und Plattformtechnologien investiert. Relevanz kommt nicht allein über gute Inhalte, Relevanz kommt auch über die plattformgerechte Präsenz in allen Nutzungskontexten. Diese Strategie geht auf BR-Intendant Ulrich Wilhelm zurück.

Die Süddeutsche Zeitung schreibt dazu, dass Wilhelm „den guten alten BR in den größten Umbruch seit Gründung führt“. Isik nennt ihn den mutigsten Intendanten der ARD. Denn bei allem Reformzwang steht der BR auch unter einem Spardiktat. Mit dem Engagement Isiks als ARD-fremdem Gewächs wurden die üblichen Karrierewege übersprungen – und das gilt es gegenüber Zweiflern zu rechtfertigen. Hinter vorgehaltener Hand mögen manche dem quereingestiegenen Aufsteiger ein Scheitern gewünscht haben. Doch Isik und sein Team können den Kritikern Auszeichnungen wie den Grimme-Online-Award und gestiegene Reichweite für die Arbeit der Programmkollegen entgegensetzen.  Neben neuen Homepages, Apps und bald einer aufgemotzten Mediathek sind die Nachrichten-App und Webpräsenz BR24 Vorzeigeprojekte.

Anzeige
Anzeige

Da es Nachrichten-Apps schon zu Genüge gibt, wollte Isik sie für den BR noch mal neu denken und schaffte in gerade mal neun Monaten das fertige Produkt. Im Vordergrund der Software stehen granulare Informationen. Die App macht den Nutzer selbst zum „Chefredakteur“: Er kann die Inhalte nach eigenen Themeninteressen gefiltert abonnieren oder sich in den gewohnten Rubriken einen Überblick verschaffen. Das Design als schicker Rahmen soll sein Übriges tun. Ein Erfolg, der sich in den Nutzerzahlen niederschlägt. So entscheidend wie die knapp 400.000 Downloads sind die Retention und die Zielgruppe: Mehr als 60 Prozent der Nutzer bleiben der BR24-App treu. Der Altersdurchschnitt des BR-Publikums liegt bei 66 Jahren, bei der App 20 Jahre darunter. Das ist ein Erfolg im Kampf um die Reichweite und Erschließung neuer Zielgruppen.

Kein Geld für die Elite-Uni

Florian Thoma ist die junge Ausnahme des BR-Stammpublikums. Der 22-Jährige spricht von dem Sender wie andere von ihrem Lieblingsfußballverein. Für ihn ist das Unternehmen der Traumarbeitgeber. Er bewarb sich 2013, mit einer Wettermelde-App, gleich nach dem Abitur – und wurde von dem öffentlich-rechtlichen Betrieb engagiert: als erster Mitarbeiter von Isik in der digitalen Garage. Unter Isiks Leitung entwickelt er bis heute für den Sender. Nur hat sich die Umgebung seitdem massiv verändert: Seine einst acht Kollegen haben sich verzehnfacht.

Anzeige
Anzeige

Mustafa Isik und sein erster Mitarbeiter Florian Thoma (rechts): Für den BR-Technikchef zählt bei seinen Teammitglieder vor allem die Sozialkompetenz. (Foto: Caroline Lindekamp)

Isik „castet“ jeden Mitarbeiter selbst. Nerds wird ein Mangel an Sozialkompetenz nachgesagt, für den BR-Chef-Nerd kommtgerade das aber nicht infrage. „Ich messe meine Mitarbeiter an drei Metriken: Wie gut sind unsere Produkte? Wie gut seid ihr zueinander? Wie viel besser macht ihr euch gegenseitig?“ Ansonsten müssen Neulinge Affinität zu Medien oder zu Technik mitbringen – wie Isik selbst sie auch vorweist. Bei Gesprächen in seiner Abteilungen loben die Kollegen Isik immer wieder für dessen Kenntnisse: ein Chef, der auch selbst programmieren kann. Einige sagen, Isiks Laufbahn sei für sie Inspiration.

Schon lange vor dem Dotcom-Boom und „The Big Bang Theory“ hatte Isik seine Berufung gefunden. Als Kind träumte er davon, an einer renommierten US-amerikanischen Universität zur „Superprogrammiermaschine“ zu werden. Über die Jugend sammelte er bis zu 5.000 Fachmagazine, die sein Fenster in die ferne Welt waren, lernte Programmieren, büffelte für gute Noten, paukte Englisch, gründete einen Debattierclub – und scheiterte letztlich an den horrenden Studiengebühren der Eliteschmieden.

Denn die waren zu viel für das Budget der ostwestfälischen Familie. Isik und sein Bruder kommen aus Herford, seine Großeltern ließen sich 1965 aus der Türkei in der westfälischen Provinz nieder. Der Werdegang der Eltern klingt nach einem Vorzeigebeispiel für gelungene Integration: Als ehemalige Facharbeiter haben sie sich ab den 1980er Jahren über Lebensmittelhandel und ein mittelgroßes Restaurant zu den Besitzern der „Alten Post“ hochgearbeitet, einer lokalen Institution in einem historischen Gebäude. Der Vater engagierte sich in der Lokalpolitik, die Ausbildung der Kinder – ob es gute Noten in der Schule waren oder eine saubere Ausdrucksweise im Türkischen – hatte für die Eltern oberste Priorität. Sie strebten nach dem deutschen Mittelstandstraum: Die Kinder sollen es irgendwann mal besser haben.  Und vielleicht trieb Isiks Eltern der gleiche starke Wille an, der bis heute den Sohn voranbringt.

Anzeige
Anzeige

In dem kleinen Kellerraum in München kneift Isik Zähne und Augen zusammen, streckt noch einmal die Knie aus der Beuge heraus, während die 85 Kilo seinen Körper in die andere Richtung zwängen wollen. Bei der klassischen Kniebeuge bewegt Isik bis zu 160 Kilo, mehr als das Doppelte seines Körpergewichts. Dabei habe er die Kniebeuge anfangs kaum ohne zusätzliches Gewicht geschafft, sagt er beim Luftholen. Heute schafft der Kraftdreikämpfer sie nahezu problemlos.

Bankdrücken, Kreuzheben, Kniebeugen: In seiner Freizeit betätigt sich Mustafa Isik als Kraftdreikämpfer. Zum Sport kam der Programmierer erst mit 32 Jahren. (Foto: Caroline Lindekamp)

Zum Sport kam Isik erst spät, mit 32 Jahren, als die ständige Kopfarbeit ihn nachts nicht mehr ruhig schlafen ließ und einen körperlichen Ausgleich forderte. Vielleicht hängt sein Ehrgeiz in diesem Bereich mit seiner Kindheit zusammen. Mit seinem Vater war er damals in einem Tennisclub. Der Trainer fragte beiläufig, wie alt Mustafa denn sei. Zwölf, antwortet dieser. In dem Alter sei es schon zu spät, um es im Sport noch zu etwas zu bringen, sagte der Trainer nur. „Das ist so eine Erinnerung, die sich eingebrannt hat“, sagt Isik. Als Kind habe ihn der Kommentar eingeschüchtert. Heute treibe ihn so eine Aussage an, sein eigenes Ding durchzuziehen – ob im Sport oder im Beruf.

Anzeige
Anzeige

Denn auf dem Papier hat Isik zwar eine Bilderbuchkarriere hingelegt, geradlinig war sein Weg aber nicht. Im Restaurant der Eltern musste Isik schon als Kind mit anpacken: Erst spülte er in der Küche die Teller, später kellnerte er und managte irgendwann das Restaurant „Zur Alten Post“, ähnlich wie sein Vater. „Als ich nach München kam, hatte ich meinen ersten Ausbildungsweg sozusagen schon abgeschlossen“, sagt Isik.

Denn zum Studium ging es statt in die Staaten in den Freistaat. An der TU München hatten sich in der Hochphase des Dotcom- Booms etwa 1.200 andere für Isiks Traumfach eingeschrieben. Großstadt München und Massenbetrieb Hochschule hatten mit ihrer Anonymität etwas Befreiendes, gleichzeitig musste Isik sich umgewöhnen. „Keiner kennt dich mehr. Die Leute, mit denen du gerne ‚action‘ gemacht hast, sind nicht da. Die neuen Freunde sind ein homogenes Umfeld. Das macht wohl jeder Student mal durch, aber mir hat es schon extrem zugesetzt. So dämlich sich das anhören mag: Auf einmal bist du niemand mehr.“ Inhaltlich demotivierte ihn der hohe Theorieanteil im Studium zusätzlich. An den Noten zeigte sich das nicht, denn Isik schaffte es selbst in den so genannten Siebefächern zu Studienbeginn unter die Besten. Eine Professorin schätzte seine Leistung, und in ihrer Arbeit zu Augmented Reality fand Isik wieder den ersehnten Praxisbezug. Später stellte sie für ihn den Kontakt zu BMW her. Der Autobauer kaufte sogar die Rechte an Isiks Bachelorarbeit, stellte ihm eine Promotionsstelle in seinem Innovationszentrum in Aussicht.

Mittlerweile lenkt Isik seinen eigenen BMW. Er ist gerade auf dem Weg zum nächsten Termin. Während er aus der Studienzeit erzählt, piept im Hintergrund die Parkhilfe. Wie das Statussymbol eines großen Autofans wirkt der Wagen nicht. Mit dem Chaos auf der Rückbank hat er mehr etwas von einer Familienkutsche. Die IT-Fachmagazine in Sitztaschen und Fußraum deuten auf die eigentliche Leidenschaft des Fahrers hin. So war BMW auch nicht der Wunscharbeitgeber für Student Isik: „Ich wollte in einem Softwareladen, nicht einem Maschinenbaubetrieb arbeiten.“ Dass die Autohersteller auch einmal zu Digitalunternehmen werden müssten, war damals noch nicht abzusehen.

Anzeige
Anzeige

Die berufliche Nahtoderfahrung

Isik ließ die Chance BMW sausen und schmiss auch sein Studium hin, gerade einmal drei Scheine vor dem Abschluss. „Das war eine richtige Quarterlife-Crisis, eine richtig ausgewachsene“, sagt er rückblickend. „Ganz, ganz fundamentale Zweifel bei jemandem, der seit seinen frühesten Kindheitstagen Programmierer werden wollte.“ Bei geänderten Karriereaussichten und unerwarteten Studieninhalten sah Isik seinen Lebenstraum plötzlich als Lebenslüge. Er bezeichnet die Phase heute als eine berufliche Nahtoderfahrung. Exmatrikuliert pendelte er ein Jahr zwischen Computerspielen und Partys.

Der Karriereweg von Isik war alles andere als geradlinig: Kurz vor dem Abschluss begann der heutige Chef- Nerd, an seinem Berufswunsch zu zweifeln, und schmiss sein Studium. (Foto: Caroline Lindekamp)

Ausgerechnet letztere sollten ihn wieder auf den Programmierpfad führen. In der Innenstadt fiel ihm an einem Bürogeb.ude immer wieder die Plakette von NXN Software auf, ein Name, den er aus einem amerikanischen Game-Developer-Magazin kannte. Er raffte sich auf und heuerte bei dem Startup für Digital-Asset-Management an, um den Lebenstraum einem letzten Praxistest zu unterziehen. „Du kannst das jetzt nicht alles wegwerfen!“, habe er sich gedacht. Es war die richtige Entscheidung: Isik programmierte endlich und konnte schon bald mit seinen Mentoren bei NXN mithalten. Der Praktikant bekam einen Vertrag – und war zurück auf dem Karriereweg.

Superhyperturbo

Nur eins fehlte: der Abschluss. „Für den Job brauchte ich dennicht, aber mit 26, einem türkischen Namen, in einem zertifikatsgläubigen Land sollte ich den haben“, so Isik. An der Hochschule München holte er parallel zur Arbeit seinen Bachelor nach, berufsbegleitend noch den Master an der Technischen Universität München. „Im Nachhinein könnte man sagen, dass das Leben einfacher gewesen wäre, hätte ich das Studium wie jeder andere durchgezogen. Aber das wäre nicht Mustafa Isik gewesen. In der ganzen Zeit habe ich nebenher alle möglichen Abenteuer unternommen. Das Studium war das Nebenprojekt, alles andere waren die Mustafa-Isik-Projekte, die den Menschen ausgemacht haben.“

Anzeige
Anzeige

Bei einem Programmierwettbewerb wurde Google auf Isik aufmerksam – endlich winkte das Ticket in die USA. Dieser, mitten in Job und Studium und frisch verliebt in seine heutige Ehefrau, winkte erst einmal ab: „Ich kriege gerade mein Leben wieder auf die Reihe.“ Ein vollbezahltes, halbjähriges Praktikum war der Kompromiss. Isik entwickelte Softwarewerkzeuge, um andere Entwickler produktiver zu machen, wie er sagt. Zurück in Deutschland folgten Stationen bei Avid, die Soft- und Hardware für die Medienproduktion herstellen, und dem Berliner Startup- Inkubator M Cube.

Nebenher machte Isik mal Lektorat für ein Fachbuch, arbeitete bei Open-Source-Projekten, schrieb Artikel für Fachzeitschriften, gab Uniseminare oder nahm Podcasts auf. Im Audio-Podcast von Geekweek berichtete er etwa von Kongressen in den USA; Bämbox und Superhyperturbo sind Beispiele für seine Videopodcasts. Für beide spielte Isik Computer- und Videospiele und hatte für letzteren Unterstützung von Alexander Olma, der mittlerweile von Finnland aus den iPhone-Blog führt. Als verpixelte Superhelden wirbelten die Beiden im Vorspann ins Bild, zockten sich durch Spielewelten, filmten und montierten, als unabhängige Videoformate noch ein Nischendasein fristeten. Superhyperturbo klingt ganz nach Isik-Vokabular und Olma erinnert sich im Gespräch vor allem an den Perfektionismus des Weggefährten. Jedes Videospiel musste bis zum letzten Level in Nachtschichten durchgestanden und jede Moderation noch mal verbessert werden. „Wenn ich sehe, was er heute alles macht, frage ich mich, wie er seinen Perfektionismus, die ganzen Hobbys und Familie unter einen Hut bekommt“, sagt Olma.

„Work-Life-Balance“ wäre wohl die kurze Antwort, und es ist überraschend, dass Isik einen so naheliegenden Anglizismus auslässt. Sein Ausgleich zur „action“ im Beruf hat einen Namen: Ela, seine Tochter. Bei Isiks zu Hause in einer Münchener Neubausiedlung wird schnell klar, wer das Sagen hat. Das Wohnzimmer ist ein Kinderparadies. Die einst so heilige Fachliteratur verschwindet hinter Elas Tante-Emma-Laden und Maltisch. Die Kunstwerke des Nachwuchses setzen sich auf der weißen Neubauwand fort. Auf den Sofaecken thronen Kuscheltiere, so groß wie die Kleine selbst. Auf die Frage nach dem Lieblingsspielzeug steuert Ela zielsicher an dem türkisfarbenen Einhorn vorbei und landet bei Papas Laptop. Das macht den Programmier-Daddy stolz, und Isiks Frau meint: „Bei Ela wird er zum Idefix.“ Isiks Weg zur Wohnungstür mit der Kleinen auf dem Arm reicht kaum für all die Umarmungen, Liebesbekundungen und Versprechen, dass der Tag schnell umgeht. Mit Ela werden Wochenenden ohne Arbeit möglich und Dienstreisen zur Qual. Schon bald wird es noch einen weiteren Grund für Isik geben, mehr Zeit zu Hause zu verbringen: Seine Frau und er erwarten gerade die zweite Tochter.

Daheim ist für Isik seit 17 Jahren München. Das hört man auch im Erzählen. Zu Anglizismen wie „action“, „mission“, „seriously“, „nice“ und Co. hat sich „Servus“ gesellt. Nur den letzten Vokal im bayerischen Begriff für Zuhause – „Dahoam“ – schaffe er noch nicht, sagen die Kollegen auf dem Weg in die Mittagspause.

Isik schätzt das Mittelstädtische an der Landeshauptstadt und genießt heute Kalbsschnitzel im Brauhaus nahe des Senders. Jagdtrophäen zieren die Wand, Dirndl die Kellnerinnen, Brezenkörbe die Tische. „Vielleicht ist das der biedere Traum des ehemaligen Arbeiterkindes, dass ich ein Einfamilienhaus mit Garten haben will. Ich will, dass meine Kinder im Garten spielen können. Das ist in München gerade unvorstellbar.“ Wo dieses Familienhäuschen mal stehen könnte, weiß Isik noch nicht.

Erst einmal will er in München bleiben. Beim BR hat er eine Aufgabe oder eine „mission“, wie er sagt: „Wir glauben an das, was wir machen. Es ist gesellschaftlich nötig und wichtig, dass die Öffentlich-Rechtlichen und die klassischen Medien Modi entwickeln, um den Medienwandel mitdenken und gestalten zu können. Wir führen den Beweis dafür an, dass es geht.“ Isik will beim BR ein Fundament legen, auf das andere aufbauen können. „Wir joggen schon, aber vor uns liegt noch ein Marathon“, sagt Isik mit Blick auf die Herausforderungen im Digitalen. Wieder ist der Vergleich zum Sport da und auf die Frage, was nach dem BR kommen könnte, wieder Isiks Antriebskraft. Jobangebote von großen Firmen gebe es immer mal, sagt er und verweist auf seine Kontakte zu Google. „Aber ich will lieber mein eigenes Ding durchziehen, das liegt mir dann doch am meisten am Herzen“, sagt Isik, selbsterklärter Nerd mit Lebensziel Superprogrammiermaschine.

Mehr zu diesem Thema
Fast fertig!

Bitte klicke auf den Link in der Bestätigungsmail, um deine Anmeldung abzuschließen.

Du willst noch weitere Infos zum Newsletter? Jetzt mehr erfahren

Anzeige
Anzeige
Schreib den ersten Kommentar!
Bitte beachte unsere Community-Richtlinien

Wir freuen uns über kontroverse Diskussionen, die gerne auch mal hitzig geführt werden dürfen. Beleidigende, grob anstößige, rassistische und strafrechtlich relevante Äußerungen und Beiträge tolerieren wir nicht. Bitte achte darauf, dass du keine Texte veröffentlichst, für die du keine ausdrückliche Erlaubnis des Urhebers hast. Ebenfalls nicht erlaubt ist der Missbrauch der Webangebote unter t3n.de als Werbeplattform. Die Nennung von Produktnamen, Herstellern, Dienstleistern und Websites ist nur dann zulässig, wenn damit nicht vorrangig der Zweck der Werbung verfolgt wird. Wir behalten uns vor, Beiträge, die diese Regeln verletzen, zu löschen und Accounts zeitweilig oder auf Dauer zu sperren.

Trotz all dieser notwendigen Regeln: Diskutiere kontrovers, sage anderen deine Meinung, trage mit weiterführenden Informationen zum Wissensaustausch bei, aber bleibe dabei fair und respektiere die Meinung anderer. Wir wünschen Dir viel Spaß mit den Webangeboten von t3n und freuen uns auf spannende Beiträge.

Dein t3n-Team

Melde dich mit deinem t3n Account an oder fülle die unteren Felder aus.

Bitte schalte deinen Adblocker für t3n.de aus!
Hallo und herzlich willkommen bei t3n!

Bitte schalte deinen Adblocker für t3n.de aus, um diesen Artikel zu lesen.

Wir sind ein unabhängiger Publisher mit einem Team von mehr als 75 fantastischen Menschen, aber ohne riesigen Konzern im Rücken. Banner und ähnliche Werbemittel sind für unsere Finanzierung sehr wichtig.

Schon jetzt und im Namen der gesamten t3n-Crew: vielen Dank für deine Unterstützung! 🙌

Deine t3n-Crew

Anleitung zur Deaktivierung
Artikel merken

Bitte melde dich an, um diesen Artikel in deiner persönlichen Merkliste auf t3n zu speichern.

Jetzt registrieren und merken

Du hast schon einen t3n-Account? Hier anmelden

oder
Auf Mastodon teilen

Gib die URL deiner Mastodon-Instanz ein, um den Artikel zu teilen.

Anzeige
Anzeige