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Digitale Gesellschaft
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Wie ein weniger überwachungsanfälliges Netz aussehen könnte: Dezentral ist besser

Der NSA-Datenskandal sorgt außerhalb der Medienwelt nur für wenig Aufmerksamkeit. Politik und Öffentlichkeit schweigen sich bis auf wenige Ausnahmen darüber aus. Überwachung ist schon fast normal geworden. Woran liegt das und wie könnte ein weniger überwachungsanfälliges Netz aussehen?

5 Min. Lesezeit
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Seit der Aufdeckung des NSA-Skandals um PRISM und Co. vergeht kaum eine Woche, in der nicht neue Enthüllungen an die Öffentlichkeit gelangen. EU-Räumlichkeiten, die abgehört wurden, Cyber-Angriffe auf die belgische Belgacom, Wirtschaftsspionage in Italien – sogar das Handy der Kanzlerin sowie weiterer internationaler Spitzenpolitiker hat die NSA abgehört. Hätte jemand vor einem Jahr das Ausmaß dieses Überwachungsskandals vorhergesagt – man hätte ihn wohl ausgelacht.

„Pseudoprivatsphäre“

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Aufgrund von PRISM stehen wir aktuell vor der bisher größten Herausforderung seit Erfindung des Internets und der damit einhergehenden Digitalisierung. Die entscheidende Frage lautet: Wie wollen wir als Gesellschaft mit den schier unbegrenzten Möglichkeiten des Internets in Zukunft umgehen? Denn eines ist klar: Die Digitalisierung wird nicht halt machen, nur weil einige wenige sich besonders über den Kontrollwahn der US-amerikanischen Geheimdienste empört zeigen.

Wenn wir so weitermachen wie bisher und uns ein bisschen ärgern, ein wenig Unbehagen und Kritik äußern, dann ist das jedenfalls wenig konsequent angesichts der gigantischen Ausmaße des NSA-Skandals. Und was passiert, wenn wir die Gelassenheit der deutschen Politik in der PRISM-Sache annehmen, hat Sascha Lobo kürzlich perfekt auf den Punkt gebracht [1] : „Es beginnt das Zeitalter des Pseudoprivaten. Pseudoprivat ist faktisch das Gegenteil von privat, aber fühlt sich so ähnlich an. Immerhin. Pseudoprivatsphäre: wo egal ist, was der Staat weiß, solange es die Nachbarn nicht wissen.“

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Aber was bedeuten heute eigentlich Begriffe wie Überwachung und staatliche Kontrolle? Das klingt nach altem Vokabular aus den Zeiten des kalten Kriegs. Haben diese Begriffe heute denn die gleiche Tragweite wie noch zu Zeiten der Stasi? Wir leben ja schließlich in einer Demokratie und jeder kann tun und lassen was er will, könnte man meinen. „Selbst wenn NSA, BND und Co. uns bei allen unseren Aktivitäten über die Schulter schauen – die können uns ja nicht alle einsperren.“ Die Problematik ist aber nicht so oberflächlich greifbar und bedarf vielmehr eines genaueren Blicks darauf, was mit einer Gesellschaft eigentlich passiert, wenn ihre Mitglieder unter Dauerüberwachung stehen.

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Panoptikum und Selbstdisziplin

Der französische Sozialphilosoph Michel Foucault hat sich Zeit seines Lebens mit dem Begriff der Macht auseinandergesetzt. In seinem Werk „Überwachen und Strafen“ beschreibt er das Panoptikum von Jeremy Bentham als Sinnbild moderner Disziplinarmacht.

Das Ordnungsprinzip des Panoptikums ist von Bentham als Gebäudetypus für Schulen, Krankenhäuser, Gefängnisse und sonstige Anstalten entworfen worden. Beispiel Gefängnis: Das Panoptikum sieht hier vor, dass ein Wachmann von einem zentralen Turm aus sämtliche kreisförmig um ihn herum angeordneten Zellen überblicken kann. Der Wachmann selbst bleibt dabei ungesehen. Der Effekt: Die Insassen fühlen sich ständig beobachtet – selbst wenn sie es nicht immer sind. Das erzeugt eine unbewusste Angst, die sie dazu bringt, ihr Handeln vorsorglich den Wünschen der Autorität anzupassen.

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Was lässt sich mit diesem bildlichen Vergleich des Panoptikums anfangen? Ist es nicht völlig überzogen und zu einfach, um es auf komplexe digitale Informationsgesellschaften anzuwenden? Ja, sicher. Dennoch: Es veranschaulicht einen sehr wichtigen sozialen Mechanismus, den Foucault bereits in den 1970ern Jahren beschrieben hat – den der Selbstdisziplin. Und dieser Mechanismus wirkt auch im digitalen Raum.

Das Panoptikum von Bentham, umgesetzt in kubanischen Gefängnisbauten: In der Mitte der Kontrollturm, von dem aus der Aufseher in jede Zelle gucken kann.
Das Panoptikum von Bentham, umgesetzt in kubanischen Gefängnisbauten: In der Mitte der Kontrollturm, von dem aus der Aufseher in jede Zelle gucken kann.

Das Panoptikum des kleinen Mannes

Der Soziologe Zygmunt Bauman hat den Begriff des Panotptikums aufgegriffen und an die digitale Realität der heutigen Zeit angepasst. Er spricht von einem „postpanoptischen Zustand“: Während das Panoptikum als grausamer Ort erlebt wurde, wird die Überwachung heute völlig freiwillig begangen und quasi zelebriert – indem wir Unmengen an persönlichen Daten preisgeben: in sozialen Netzwerken, bei Suchmaschinen, bei Payment- und E-Commerce-Dienstleistern.

Das Smartphone sei in der digitalen Welt das Mini-Panoptikum der Kontrollgesellschaft, schreibt Zygmunt Bauman [2]. Ohne Smartphone geht nichts mehr, wir brauchen das Gerät, um zu funktionieren und füttern es täglich mit Daten – und das ganz freiwillig. Diese fröhliche Freiwilligkeit ist auch der Grund, weshalb die Empörung über den NSA-Datenskandal in der breiten Bevölkerung quasi nicht vorhanden ist – weil der Prozess der Überwachung so stark verinnerlicht ist, dass er mittlerweile Normalität ist, quasi Spaß macht. Staatliche Geheimdienste brauchen bei den großen Datenbeständen, die wir täglich produzieren, nur zuzugreifen.

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Dezentral ist besser

Was also tun in einer digitalen Welt, in der eine allumfassende Überwachung so normal geworden ist, dass wir sie quasi nicht mehr bemerken? Machen wir uns nichts vor: Zu glauben, dass die Cloud tot ist und ab sofort alle ihre Daten nur noch selbst hosten, ist wenig wahrscheinlich. Hier müssen Gesetze und technische Lösungen her, die einen gewissen Sicherheitsstandard garantieren.

Viel wichtiger für die Zukunft des Internets ist es, seinen dezentralen Charakter wieder zu stärken. Denn ein Netz, in dem wenige große Unternehmen wie Google, Facebook und Amazon quasi im Alleingang die wichtigsten Netzaktivitäten (Suche, Social, Shoppen) abdecken, ist wie geschaffen für Überwachung und Kontrolle. Hinzu kommt die panoptische Freiwilligkeit, Daten von sich im Social Web preiszugeben – und schon steht die perfekte Überwachungsmaschinerie.

Was das Netz also vor allem braucht, ist eine Rückkehr zu seinen dezentralen Wurzeln. Doch was wären für Lösungen denkbar? Zwei interessante Ansätze aus dem Social Web.

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Reclaim Social Media

Folgende Idee: Alle Äußerungen, die man im Social Web hinterlässt, gehen zunächst auf einem eigenen Blog live – anschließend wird selektiert, was in welchem der großen Netzwerke geteilt werden soll. Etwas ganz ähnliches hatte Sascha Lobo unter dem Titel „Reclaim Social Media“ [3] auf der diesjährigen re:publica vorgestellt und damals sogar ein WordPress-Plugin vorgestellt, das Inhalte aus dem Social Web per Skript ins eigene Blog kopiert. Ich würde sogar weiter gehen: Die Reihenfolge muss eine andere werden. Inhalte veröffentlichen – und seien es noch so kleine Textschnipsel – erst im eigenen Blog, dann – wenn gewünscht – auf Facebook und in anderen großen Netzwerken.

App.net

Ein anderes Beispiel: App.net [4], eine Social-Media-Plattform, die Dalton Caldwell im vergangenen Jahr aus Frust über die damaligen Entwicklungen bei Twitter gründete. App.net ist eine technische Infrastruktur für Social-Media-Dienste, die offene APIs für App-Entwickler bietet. Diese können Applikationen entwickeln, die bestimmte Dienste wie Foto- und Video-Sharing, Kurznachrichten, Chat-Räume oder auch Twitter-ähnliche Services zur Verfügung stellen. Nutzer zahlen für ihre Mitgliedschaft, Werbung gibt es keine. Persönliche Daten wie Fotos, Videos oder Texte, die der Nutzer innerhalb von App.net verbreitet, finden sich in dem 10 Gigabyte großen Online-Speicher – und können wie bei Dropbox jederzeit gelöscht oder auf heimische Festplatten übertragen werden.

Klein denken, groß wirken

Es gibt sie, die Ideen für ein anderes, weniger für Überwachung und Kontrolle anfälliges Internet. Ein Internet, in dem die Nutzer volle Kontrolle über ihre Daten und ihre Inhalte haben. Man muss einfach nur die Augen aufmachen. Sie sind klein und wirken neben Giganten wie Google oder Facebook winzig und wenig aussichtsreich. Vielleicht müssen wir in diesem unbegrenzt groß scheinenden Internet aber einfach wieder anfangen, klein zu denken. Denn nur aus einer kleinen Perspektive heraus können wir es schaffen, Großes zu bewegen. Meist sind es nämlich die kleinen Steine, die große Gebirgslawinen ins Rollen bringen.

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