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Xing-Gründer Lars Hinrichs im Porträt: „Ich befreie Entwickler“

„Deutschlands Unternehmertum braucht Viagra.“ Mit diesem Satz hat Lars Hinrichs Deutschland schon mehrfach aufgerüttelt. Er selbst ist eher das Gegenteil von Viagra: ruhig, überlegt, konzentriert. Doch hinter der ruhigen Fassade steckt ein umtriebiger Startup-Macher, der von Geeks fasziniert ist und ihnen ermöglicht, eigene Ideen zu verwirklichen.

8 Min. Lesezeit
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Lars Hinrichs gehört zu der Sorte Interview-Partner, bei der Journalisten meistens entspannen können. Trotz Stress nicht schlecht gelaunt und in den meisten Fällen bereit, auf Fragen so zu antworten, als würden sie ihm zum ersten Mal gestellt. Auf die Frage, was er heute bereits gemacht hat, antwortet er: „Jedenfalls noch nichts gegessen.“ Da ist es bereits 14 Uhr. Dafür hat er in einer Schule, in der er im Beirat tätig ist, über Online-Marketing referiert und im Meeting mit einem seiner Startups gesessen. Auch eine Bauaufsichts-Besprechung hat er schon hinter sich. Alles in allem ein ziemlich normaler Tag im Hause Hinrichs.

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Keine 24 Stunden später wird er im Flugzeug sitzen und die kommenden zwei Wochen nur noch per E-Mail ansprechbar sein: „Ich fliege in die USA und mache dort ausschließlich Urlaub“, behauptet er. Was auch immer „Urlaub“ für Lars Hinrichs bedeutet, der bekanntermaßen nicht gerne faul in der Sonne liegt. Möglicherweise wird er dort an neuen Konzepten feilen, denn was ihn zu neuen Ideen inspiriert, seien vor allem Lesen, Reisen und der Austausch mit Menschen.

Lars Hinrichs gehört zu Deutschlands bekanntesten Unternehmern und ist gern gesehener Redner auf sämtlichen Konferenzen. Regelmäßig spricht er mit Angela Merkel über die deutsche Startup-Landschaft und diskutiert Zukunftsfragen. In den Panels der deutschen Startup-Events sticht er oft heraus, weil er nicht wie viele andere sprudelnd seine Ideen und Meinungen vorträgt, sondern lächelnd schweigt, um irgendwann einen kernigen Satz einzuwerfen, über den dann alle nachdenken. Viele wundern sich, wenn sie hören, dass Lars Hinrichs erst Mitte 30 ist. Seine Art, die ruhige Stimme und sein Erfahrungsschatz lassen ihn älter wirken.

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„Berlin? Noch nicht in der Top-Liga”

Mit seiner seit 2010 existierenden Gründerschmiede HackFwd sitzt Lars Hinrichs in Hamburg – obwohl er neidlos anerkennt, dass Europas Startup-Hauptstadt Berlin ist. „Berlin ist die einzige Stadt, die ganz ohne politisches Zutun erfolgreich wurde – einfach deshalb, weil sie so wahnsinnig interessant ist und die Menschen etwas mit dieser besonderen Stadt verbinden.“ Allerdings zeige sich das noch nicht so stark in echten Vorzeige-Unternehmen. Während ihm sofort zehn weltbekannte Startups einfallen, die in London groß geworden sind, „hört es in Berlin schon beim Dritten auf.“

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Überhaupt ist Hinrichs’ Blick auf die deutsche und europäische Startup-Szene erfrischend nüchtern. Berlin das neue Silicon Valley? Sicher nicht. „Wir spielen längst nicht in der Top-Liga mit. Auch nicht in der Bundesliga.“ Wenn er über die deutsche Startup-Landschaft spricht, gibt er sich selbst verwundert darüber, dass Deutschland zwar im Industriebereich über 1.000 Weltmarktführer hervorgebracht hat, in der Softwareindustrie aber lediglich auf SAP verweisen kann – „absolut beschämend“ findet er das.

Über die Gründe wird in Deutschland viel gegrübelt, auch Hinrichs hat seine Theorien dazu. Neben dem, was man üblicherweise hört („Neidkultur“, „Angst vor Scheitern“, „wenig herausragende Ideen“), glaubt er, dass in Deutschland nicht gut mit Programmierern umgegangen wird. Dabei sind sie für ihn der Schlüssel zur Tech-Startup-Szene: nicht nur das Sahnehäubchen, sondern der Kuchen samt Sahneklecks. „Im Silicon Valley findet man kaum Unternehmen, die nicht von Entwicklern getrieben sind. In Deutschland kommen die CEOs aus dem BWL-Bereich – das ist unser Problem.“

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Mit HackFwd will Lars Hinrichs Entwickler-getriebene Startups aufbauen. Er will Entwickler „von ihren Tagesjobs befreien“ und ihnen den nötigen Spielraum geben, an eigenen Projekten zu arbeiten.
Mit HackFwd will Lars Hinrichs Entwickler-getriebene Startups aufbauen. Er will Entwickler „von ihren Tagesjobs befreien“ und ihnen den nötigen Spielraum geben, an eigenen Projekten zu arbeiten.

„Programmierer sind die Künstler des 21. Jahrhunderts”

Was Hinrichs über den Umgang mit Entwicklern sagt, erinnert etwas an Gunter Duecks Einsatz für die „artgerechte Haltung von Techies“. Nur sie könnten verstehen, was sich mit Technologie alles anstellen lässt. Nur sie hätten die nötige Kreativität, nur sie „haben stets die Problemlösung im Auge“. Programmierer, so Hinrichs, seien die Künstler des 21. Jahrhunderts. Im Silicon Valley habe man verstanden, dass man ihnen lediglich interessante Projekte bieten muss, um sie anzuziehen, da sie meist wenig geldfixiert, dafür aber umso aufgabenfixierter sind. „Die besten Unternehmen bekommen die besten Programmierer. Aber in Deutschland sind die Aufgaben, die man Programmierern bietet, per se klein.“

Und so lebt Lars Hinrichs die Vision, Programmierern ein Umfeld zu bieten, in dem sie sich entfalten können. Mit HackFwd will er vieles anders machen als andere Gründerschmieden. Die Abgrenzung ist dem Xing-Gründer wichtig, denn mittlerweile komme „auf jedes Unternehmen mindestens ein Business Angel und auf jeden Business Angel ein Startup-Inkubator“. Bei solch einer Fülle an Startup-Brutkästen („Es gibt in Deutschland viel zu viel Frühphasenkapital“) sind die Feinheiten wichtig.

Bei HackFwd ist eine dieser Feinheiten die Fokussierung auf Programmierer: Lars Hinrichs unterstützt nur Entwickler-getriebene Startups. BWLer oder Designer mit im Team? Unnötig. All dies könne man sich später noch einkaufen. Eine gewisse Weite erlaubt er sich dann aber doch: „HTML-Frontend-Entwickler zählen auch noch dazu.“

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Copycats? „Langweilig”

Lars Hinrichs geht es mit HackFwd darum, dass Programmierer mit seiner Hilfe ihre eigenen Ideen verwirklichen können. Die besten Programmierer haben immer ihre Nebenbei-Projekte, ist er überzeugt, und an genau diesen Projekten ist er interessiert. „Ich befreie Entwickler von ihrem Tagesjob, damit sie ihr Nebenbei-Projekt verwirklichen können.“ Natürlich hat das seinen Preis, Lars Hinrichs ist schließlich kein Altruist: Mit 27 Prozent ist er an jedem der Startups beteiligt.

Bewerben können sich Gründer bei HackFwd nicht. Sie müssen von anderen Mitgliedern aus dem Netzwerk vorgeschlagen werden, damit Hinrichs sie unter die Lupe nimmt. Es ist eine Maßnahme zur Qualitätssicherung; die zweite Maßnahme besteht aus verschiedenen Coding-Tests, die Gründer überstehen müssen.

Momentan unterstützt HackFwd 16 Tech-Startups, „davon sind 13,5 noch am Leben“. Laut Hinrichs handelt es sich bei allen Projekten um neue, innovative Ideen – eine klare Absage an Copycats, gegen die Hinrichs zwar nichts grundsätzlich einzuwenden hat, die ihn selbst aber langweilen. Ob es ihm um die zweieinhalb leid tut, in die er umsonst investiert hat? „Es ist völlig normal, dass es nicht bei allen klappt. Venture Capital bedeutet: viel ausgeben und hoffen, dass etwas zurückkommt.“

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„Gute Produkte werden auch Geschäftsmodelle generieren”

Eine andere Besonderheit von HackFwd ist, dass potenzielle Gründer laut Hinrichs im Vorfeld nicht auf Geschäftsmodell, Umsätze und Businesspläne abgeklopft werden. „Ich gehe davon aus, dass gute Produkte auch Geschäftsmodelle generieren werden.“ Eine Herangehensweise, die für Deutschland extrem untypisch ist, im Silicon Valley hingegen auf der Tagesordnung. Lars Hinrichs glaubt nicht unbedingt an ein zweites Silicon Valley in Berlin. Aber er holt etwas von der dortigen Einstellung hierher.

Auch seine Biografie weist ein typisches Merkmal US-amerikanischer Vorzeigegründer auf: Wie Mark Zuckerberg und Bill Gates hat er sein Studium abgebrochen. Und ist seinen Mit-Abbrechern dabei um Längen voraus, denn er hat es nur einen einzigen Tag lang an der Uni ausgehalten. Die Frage des Dekans, warum er denn studieren wolle, öffnete ihm die Augen: All das nötige Know-how, das er sich aneignen wollte, kann er sich auch einkaufen, entscheidet er. Eine Haltung, die er bis heute pflegt.

Statt an die Uni zu gehen, absolviert Hinrichs den Wehrdienst und baut die Plattform politik-digital.de, für die er später eine Ehrenmedaille erhält. Während dieser Zeit lernt er Peer-Arne Böttcher kennen, mit dem er später die Böttcher Hinrichs AG gründet. Das Duo fährt die Firma spektakulär gegen die Wand, verbrennt zur Zeit der Dotcom-Blase drei Millionen Mark Risikokapital und trennt sich im Streit. Hinrichs sagt, er habe aus dieser Zeit wichtige Lektionen gelernt, spricht vom „teuersten MBA-Kurs der Welt”.

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Millionär mit 29

Entscheidend ist für Lars Hinrichs heute, sich an einem einzigen, klar formulierten Ziel auszurichten, statt mehrere Ziele vor Augen zu haben. Auch in puncto Unternehmensführung hat er aufgrund seiner Erfahrung einen festen Standpunkt gewonnen: Es dürfe nur einen CEO geben, der letztendlich die Entscheidungen trifft, nicht zwei. Auch das ist Lars Hinrichs: ein Allein-Macher, der klare Vorstellungen von Hierarchie und Unternehmensführung hat. Man hätte auch zu dem Schluss kommen können, dass es nicht gepasst hat mit Herrn Böttcher als Geschäftspartner. Für Hinrichs heißt die Lehre daraus, in Zukunft besser alleine an der Spitze zu stehen.

Interessant ist auch seine Lektion, nur noch Profis einzustellen und sich „nicht für B-Kandidaten zu entscheiden, nur weil es drängt”. Nach der Pleite versucht er, diesen Grundsatz bei seinem nächsten Projekt OpenBC umzusetzen, das er bald darauf beginnt. Über das Netzwerk, das später den Namen „Xing” bekommt, sollen sich Menschen mit ihren Geschäftskontakten vernetzen. Im Jahr 2006, mit 29, bringt er das Unternehmen an die Börse und verkauft seine Anteile drei Jahre später für 48 Millionen Euro an Burda.

Überraschend bunt sieht es in Lars Hinrichs' Büro bei HackFwd aus. Von hier aus fördert er technikgetriebene Startups.
Überraschend bunt sieht es in Lars Hinrichs‘ Büro bei HackFwd aus. Von hier aus fördert er technikgetriebene Startups.

Hinrichs und die Kanzlerin

Welche Faktoren waren dafür entscheidend, dass Xing in relativ kurzer Zeit so erfolgreich wurde? „Ich beantworte keine Fragen mehr zu Xing.” Lars Hinrichs spricht lieber über Gegenwärtiges und Zukünftiges, vielleicht wurde ihm die Frage auch zu oft gestellt. Trotz des Xing-Erfolgs blieb er jedenfalls selbstkritisch. So verriet er dem Handelsblatt in einem Gespräch 2010, dass bei dem Business-Netzwerk eine gewisse Fokussierung gefehlt habe: „Xing wäre vielleicht noch viel größer geworden, wenn wir uns die Zeit genommen hätten, uns genau zu überlegen, mit welchem Angebot wir rausgehen.” [1] Das wollte er bei HackFwd anders machen und hat lange am Konzept gefeilt. Dennoch: Xing gehörte während der Lars-Hinrichs-Ära zu Deutschlands Vorzeige-Startups.

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Möglicherweise ist es genau das, was Lars Hinrichs als Unternehmer auszeichnet und ihn zu einem begehrten Gesprächspartner für Gründer, Journalisten und Politiker macht: Er hat eine grandiose Niederlage hingelegt und auch einen grandiosen Erfolg. Für sein Scheitern schämt er sich nicht im Geringsten. Angela Merkel jedenfalls ist von seinem Blick auf das deutsche Unternehmertum so angetan, dass sie sich regelmäßig von ihm beraten lässt und sich mit ihm austauscht. Die Sympathie ist beidseitig: „Mit Angela Merkel haben wir eine smarte Frau an der Spitze, die die Zusammenhänge versteht und sich offen und ehrlich für das Thema interessiert. Sie hat verstanden, was für einen gesellschaftlichen Stellenwert diese IT-Themen haben.“

Ein Problem allerdings könne auch die Politik nur bedingt lösen: das der fehlenden Vorbilder in Deutschland. Hinrichs ist überzeugt, dass dies ein wesentlicher Punkt ist, warum Deutschland keine Weltmarktführer im Softwarebereich hervorbringt. Unternehmertum habe hierzulande einfach nicht denselben Stellenwert wie in den USA, es mangle an der gesellschaftlichen Anerkennung. Die Kultur sitzt eben tief. Von seinen eigenen Vorbildern kommt nur eines aus Deutschland: sein Großvater. Die anderen beiden sind Richard Branson und der US-Industrielle Andrew Carnegie.

Milliarden-Exit? „Nur Zalando“

Und was wünscht er sich für die deutsche Startup-Szene? Lars Hinrichs teilt die Ansicht des Wall-Street-Journal-Korrespondenten Ben Rooney, der Anfang März beim „WSJ TechCafe“-Event erklärte, dass Berlin sowohl den Milliarden-Exit eines Startups als auch das spektakulären Scheitern eines anderen Startups brauche [2]. Beides sei gut fürs Ökosystem, beides setze wieder viele neue Talente frei. Eine Prognose wagt Hinrichs auch: „Den Milliarden-Exit kann eigentlich nur Zalando bringen, das wird aber nicht in Deutschland passieren – Zalando ist zu groß, um in Deutschland gekauft zu werden.“ Und das große Scheitern? „Dafür gibt es gleich mehrere Kandidaten.“

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Und während in Deutschland also „mehrere Kandidaten“ auf ihr Scheitern hinleben, genießt Hinrichs mit seiner Familie das kalifornische Klima. „Auch die Sonne ist übrigens ein Erfolgsfaktor des Silicon Valley“, erklärt er und verweist auf eine Studie von McKinsey, die genau dies belege. Daran wird leider auch Angela Merkel nichts ändern können.

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