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Valleycon Silly: Wie ich mich an das Arbeiten in zwei Zeitzonen gewöhnt habe [Kolumne]

Unser Silicon-Valley-Korrespondent Moritz arbeitet, wenn in Deutschland alle schlafen. Das war am Anfang schwierig, hat aber inzwischen mit deutlichen Vorteilen überzeugt.

Von Moritz Stückler
5 Min.
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(Foto: Moritz Stückler)

Moritz Stückler berichtet für t3n als Korrespondent aus dem Silicon Valley. In seiner Kolumne „Valleycon Silly“ schreibt er über all das, was ihm abseits der tagesaktuellen Nachrichten begegnet. Anhand von Alltagserlebnissen nimmt er die kulturellen Unterschiede zwischen den USA und Deutschland – natürlich vorzugsweise in Bezug auf Technik und Startups – unter die Lupe.

„Ähhh, neun Stunden vor oder zurück?“

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In den ersten Wochen nach meiner Ankunft in San Francisco fiel es mir noch schwer mit neun Stunden Zeitverschiebung umzugehen. Ich musste mühsam nachrechnen wie spät es denn gerade in Deutschland ist. Wenn es schnell gehen musste, kam ich dabei oft durcheinander, und wusste nicht, ob ich nun nach vorne oder nach hinten rechnen muss. Aber nach ein paar Wochen hatte ich mich daran gewöhnt und es stellte sich eine Art natürliches Gefühl für die Zeitverschiebung ein, ganz unbewusst denke ich bei den meisten Uhrzeiten in meinem Alltag auch daran, wie spät es dabei in Deutschland wäre. Anstatt Stunden einzeln abzuzählen, drehe ich inzwischen im Kopf lieber den Stundenzeiger auf einer analogen Uhr um 270°, also eine Dreiviertel-Drehung zurück – diese grafische Eselsbrücke funktioniert für mich besser als nervige Rechnerei. Auf dem Laptop hilft mir eine App namens LoversClock, die mir in der Menüleiste stets eine zweite Zeitzone anzeigt. Auf dem iPhone erledigt das die interne Uhren-App, die mehrere Zeitzonen anzeigen kann. Im Büro zeigen zwei große Wanduhren stets die Uhrzeit in Deutschland und San Francisco an.

Mit „LoversClock“ habe ich immer die Uhrzeit in Deutschland im Auge. (Screenshot: Moritz Stückler)

Mit „LoversClock“ habe ich immer die Uhrzeit in Deutschland im Auge. (Screenshot: Moritz Stückler)

Wenn ich meinen Arbeitstag um 7:30 Uhr in San Francisco beginne, dann ist es bei den Kollegen in Deutschland gerade 16:30 Uhr am Nachmittag und die ersten verabschieden sich in den Feierabend. Das ermöglicht uns, noch eine kurze Übergabe von 30 bis 60 Minuten durchzuführen. In diesem Fenster kann man tagesaktuelle Anliegen persönlich klären oder organisatorische Skype-Gespräche führen. Einmal pro Woche, am Dienstag, findet außerdem unsere große Redaktionskonferenz statt. Dafür stelle ich mir den Wecker eine Stunde früher und klinke mich um 6:30 Uhr in das Videotelefonat ein.

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Morgens und Nachts zwei kleine Zeitfenster für eine Übergabe mit Deutschland

Wenn ich dann meistens zwischen 17 und 18 Uhr den Laptop in San Francisco zuklappe, ist es in Deutschland tiefste Nacht und ich kann meinen Feierabend ganz ungestört genießen. Oft möchte ich meinen Kollegen in Deutschland aber noch einige neue Informationen mit in den Tag geben, weswegen ich am späten Abend oft noch einmal kurz auf Empfang schalte. Gegen 21 Uhr US-Zeit meldet sich meistens der erste Redakteur der Frühschicht und wir klären gegebenenfalls, welche Themen in der Nacht aufgepoppt sind und noch bearbeitet werden müssen. Spätestens zwischen 23 und 24 Uhr sind dann die meisten Kollegen am Arbeitsplatz eingetroffen und ich kann noch einmal Anliegen klären, die dringend sind und nicht per E-Mail abgehandelt werden können.

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Im Büro zeigen zwei Uhren stets die aktuelle Uhrzeit in Deutschland und San Francisco an. (Foto: Moritz Stückler)

Im Büro zeigen zwei Uhren stets die aktuelle Uhrzeit in Deutschland und San Francisco an. (Foto: Moritz Stückler)

Schlafprobleme: Komisches Gefühl, wenn alle arbeiten und ich schlafe

Während der ersten sechs bis acht Wochen in San Francisco konnte ich nie ordentlich durchschlafen. Ich schlief meistens nur sehr leicht und war schon um 3 oder 4 Uhr morgens wach. Zuerst dachte ich, dass ich einfach den Jetlag noch nicht verdaut hätte, aber irgendwann wurde mir klar, dass nicht nur der Jetlag daran Schuld ist. Vielmehr war es die Gewissheit, dass ich schlafe, während alle Freunde und Kollegen in Deutschland wach sind, arbeiten und die sozialen Netzwerke und virtuellen Postfächer füllen.

Immer wenn ich in der Nacht aufgewacht bin, ging mein erster Griff sofort zum Smartphone oder zum Tablet. Ich checkte E-Mails, Facebook, Twitter oder Yammer. Das war ein äußerst unangenehmes und komisches Gefühl der Unruhe: Es könnte ja etwas extrem Wichtiges passieren. Natürlich warteten dabei immer etliche neue Nachrichten auf mich, die mich dann im Kopf beschäftigt haben, sodass ich nach meinem nächtlichen, digitalen Rundruf auch nicht mehr einschlafen konnte.

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Dank Smart Watch sind mehrere Zeitzonen auch mit der Armbanduhr gut zu managen. (Foto: Moritz Stückler)

Dank Smart Watch sind mehrere Zeitzonen auch mit der Armbanduhr gut zu managen. (Foto: Moritz Stückler)

Ich komme viel besser in den Arbeits-Tunnel

Erst nach etwa drei Monaten hatte sich auch dieses Gefühl gelegt. Ich schlafe inzwischen gut und bemerke immer öfter die großen Vorteile der Zeitverschiebung. Ich bin normalerweise sehr leicht abzulenken. Kommt eine neue und spannende E-Mail rein, bearbeite ich oft zuerst die E-Mail, bevor ich mich wieder meiner eigentlichen Arbeit widme. Wenn ich hier in San Francisco arbeite, bin ich ungestört. Kaum jemand, der mich anschreibt, kaum E-Mails, die spontan aufpoppen und mir meine Tagesplanung durcheinander werfen und keine Spontan-Aufgaben von Kollegen. Somit kann ich mich hier viel besser konzentrieren und komme viel besser in den Arbeitstunnel. Diese Ruhe und Konzentration möchte ich inzwischen nicht mehr missen!

Außerdem gibt mir die Zeitverschiebung natürlich auch jede Menge Selbstverantwortung: Weil in Deutschland kein Kollege mehr online ist, bin ich mein eigener Chef vom Dienst. Ich kann selbst entscheiden, welches Thema ich für relevant befinde und welches nicht. Ich entscheide darüber, ob ich ein Thema noch am späten deutschen Abend publiziere oder bis zum Morgen warte, und dafür die Geschichte während meines Arbeitstages aufwendiger aufbereite, sodass ich zum Morgen in Deutschland ein ausführlicheres Stück als die Konkurrenz parat habe.

Viele Tätigkeiten und Telefonate verlagern sich auf den Vormittag

Alles in allem konzentrieren sich hier viele Tätigkeiten auf die Morgenstunden. Während ich mich in Deutschland eher nach Feierabend um private Anliegen gekümmert habe (Freunde und Familie anrufen oder sich mal wieder mit nervigen Hotlines rumschlagen), muss ich solche Sachen hier in San Francisco in meinen Vormittag einplanen, wenn ich die Leute noch zu zumutbaren Uhrzeiten an ihrem Arbeitsplatz oder vor dem Schlafengehen erwischen möchte.

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Mitarbeiter in einer anderen Zeitzone: Wieso sieht man das nicht öfter?

Es wird mir schwerfallen, mich wieder daran zu gewöhnen, dass meine Tagesplanung in Deutschland von deutlich mehr Faktoren abhängt als hier im Silicon Valley. Einen sicheren Zeitpuffer von einigen Stunden zu haben, bevor in Deutschland der Besucheransturm losgeht, ist ein großer Luxus, der im journalistischen Bereich sehr vorteilhaft ist. Anstelle einer Nacht-, Früh- oder Spätschicht, sollten meiner Meinung nach viel mehr Medien in Deutschland darüber nachdenken, Mitarbeiter in anderen Zeitzonen zu beschäftigen. Zusätzlich zum Vorteil durch die Zeitverschiebung können Mitarbeiter in anderen Ländern natürlich noch interessante Geschichten vor Ort recherchieren und profitieren persönlich immens von einem Auslandsaufenthalt. Auch die Motivation eines Mitarbeiters, der in einem anderen Land arbeiten darf, dürfte zumeist höher sein, als beim nervigen Schichtdienst, der in der Redaktion reihum geht.

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florian.adamczak

Korrekt, so sieht’s aus, wenn einer eine Reise tut. Meinereiner ist in Singapur und keiner hat gesagt, dass es einfach wird. Oma hat immer gesagt: was Dich nicht umbringt, macht Dich stärker. Recht hat sie gehabt.

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TWassermann

Beim letzten und beim aktuellen Projekt arbeite ich aktiv mit Teams zusammen, die in einer anderen Zeitzone unterwegs sind.

Beim letzten Projekt befand sich das jeweilige Team in San Diego, das kam mir sehr entgegen, da ich sowieso eher jemand bin, der erst spät am Tag/Abend/Nacht wirkliche Kreativität entwickeln kann. Mein Arbeitstag beginnt also durchaus sowieso etwas später – wenn ich fachliche Fragen zu einer Idee meinerseits oder einem Feature-Request des Kunden hatte, konnte ich mit dem Projektleiter auf Kundenseite abends recht unkompliziert via Skype kommunizieren.

Seit Februar bin ich in einem Projekt, in dem ich mit einem indischen Team zusammenarbeite. Dieser Wechsel von einer „negativen“ Zeitverschiebung zu einem US-amerikanischen Team zu einer „positiven“ Verschiebung von +4:30 h (zwischenzeitlich durch Sommerzeit: +3:30) hatte mir durchaus zu denken gegeben, ich war mir nicht sicher, ob das so funktioniert. Die Befürchtungen waren jedoch umsonst: Wir haben nun ein Zeitfenster, das bis etwa 13:30 Uhr unserer Zeit geht – dann ist bei den indischen Kollegen Feierabend. Absprachen müssen bis dahin stattfinden. Doch auch das hat sich eingependelt, der Nachmittag ist dann recht ruhig – was wieder einem ungestörten Arbeiten meinerseits sehr entgegen kommt.

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