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Vom Flüchtlingsheim zurück ins Leben: Wie dieses Startup Integration vorantreibt

Himate will Flüchtlinge ins gesellschaftliche Leben zurückholen – per Kinogutschein zur Integration. Auf Startnext sammeln die Gründer dafür jetzt Geld. Wir haben das Social Startup porträtiert.

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Das Leben in Flüchtlingseinrichtungen ist oft trist. (Foto: dpa)

Ankommen in einem fremden Land, mit nichts außer einer Plastiktüte und einer Zahnbürste darin, einem Smartphone, um Kontakt in die Heimat zu halten und Hoffnungen auf ein besseres Leben. Das entspricht vielerorts dem, was Flüchtlinge aus Kriegsgebieten oder von Armut geplagten Ländern ausmacht, sobald sie eine Erstaufnahmeeinrichtung betreten. Endlich geschafft, endlich angekommen. Doch dass die größte Aufgabe womöglich noch bevorsteht, wird häufig unterschätzt. Sich zurechtzufinden in der neuen Umgebung, sie anzunehmen und angenommen zu werden. Nicht nur zu überleben, sondern zu leben. Das alles ist nicht weniger wichtig. Und es kostet unglaublich viel Kraft.

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Wie kann diese Integration gelingen? Darüber wird oft diskutiert – doch es reicht nicht mehr aus, nur darüber zu reden. Vielmehr müssen Lösungsansätze her, die Menschen aus der Isolation rein ins gesellschaftliche Leben bringen: Die Sprache zu lernen, sich Bildung zu verschaffen, eine Arbeit zu finden und Freunden zu begegnen. Darum kommt keiner der Neuankömmlinge herum. Eine Möglichkeit, die einiges dazu beitragen könnte, versucht Himate dieser Tage zu realisieren – ein Portal, das sich gleichsam an Hilfsbereite und Hilfsbedürftige richtet und versucht, überbordender Bürokratie in der Flüchtlingskrise ein Ende zu setzen. Das oberste Ziel: Brücken bauen.

Es fehlte an allem: Bücher für die Großen, Spielzeug für die Kleinen

Thomas Noppen ist Mitgründer von HiMate. (Foto: HiMate)

Thomas Noppen ist Mitgründer von Himate. (Foto: Himate)

Himate ist ein sogenanntes Social Startup und bietet Gutscheine und Tickets für Flüchtlinge an, die Firmen, Institutionen und Vereine zuvor gespendet haben. Egal ob für Deutschkurse oder Ausflüge, ob für Fahrräder oder eine Mitgliedschaft im Fußballverein. Die Idee dazu hat sich während des Willkommenssommers 2015 entwickelt, als tausende Deutsche ihre Hilfe anboten. Im Grunde fehlte es damals an allem: Kleidung, Hygieneartikel, Bücher für die Großen, Spielzeug für die Kleinen. Auch gab es zu wenig Betreuung durch Deutschlehrer sowie Fachkräfte, die bei Anträgen helfen und zusammen mit den Flüchtlingen versuchen, deren häufig aufgetretene Traumata zu bewältigen.

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„Wir müssen Helfer und Hilfesuchende nur direkt zusammenbringen, vorbei an der ganzen Bürokratie.“

Das darauffolgende Engagement in der Bevölkerung war gigantisch, jedoch erreichten vor allem gespendete Güter damals selten ihr Ziel, so Thomas Noppen, Co-Founder und CEO von Himate: „Wir machten unsere persönlichen Erfahrungen in Flüchtlingsunterkünften“, erzählt Noppen. „Überall gab es zwar überfüllte Kleiderkammern, jedoch keine direkten Ansprechpartner und vor allem keine Kontaktmöglichkeiten zu den Vertriebenen.“ So wie dem Berliner ging es auch vielen anderen Menschen, die nicht zuletzt im Namen ihrer Unternehmen und Arbeitgeber helfen wollten. Was wird wo benötigt? Wo sind die Güterlager voll und wo leer? Das herauszufinden bedurfte viel Aufwand, der am Ende für einige Bürger schlichtweg zu zeitintensiv war.

„Wir dachten uns dann: Das geht auch einfacher. Wir müssen Helfer und Hilfesuchende nur direkt zusammenbringen, vorbei an der ganzen Bürokratie“, erklärt Noppen den ersten Impuls zur bevorstehenden Gründung. In der Folge nahm man an einem Hackathon teil, also einer kollaborativen Veranstaltung zur Programmierung von Software, die sich – in dem Fall – speziell an den Bedürfnissen von Flüchtlingen orientierte. Hier entstand die Beta-Version der Smartphone-App. Unternehmen bieten darin unkompliziert ihre Hilfe als Gutschein oder Ticket an und Flüchtlinge reservieren sie bei Bedarf. Sie erhalten einen Code und lösen den vor Ort ein. Spenden und Helfen wird einfacher und Menschen treten endlich in Kontakt, so die Idee.

Himate konnte auf ein großes Unterstützernetzwerk zählen. Über 30 Ehrenamtliche boten ihre Hilfe an – darunter Profis aus den Bereichen IT, Vertrieb, PR und Kommunikation. Sie alle stärkten die neue Plattform mit ihrer Expertise. Auch haben sich zwei Partner gefunden – Delodi und Project A Ventures –, die seit der ersten Stunde pro bono unterstützend dabei sind, zum Beispiel mit der Bereitstellung eigener Mitarbeiter sowie einer Bürofläche, in der kräftig am Projekt entwickelt wird. „Die Unterstützung half uns, unsere App über das erste Jahr stetig zu verbessern und an die Bedürfnisse unserer Nutzer anzupassen. Das große Netzwerk half uns außerdem, schnell eine Reihe an Unternehmen zu gewinnen, um unsere Idee zu testen“, blickt Thomas Noppen zurück.

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Persönlicher Kontakt schafft Vertrauen

Gegen die Isolation von Flüchtlingen: Über die HiMate-App an Veranstaltungen teilnehmen. (Foto: HiMate)

Gegen die Isolation von Flüchtlingen: Über die Himate-App an Veranstaltungen teilnehmen. (Foto: Himate)

Insgesamt 30 Firmen wurden zu Beginn überzeugt. Im Rahmen dieses Kreises testete Himate das System, die Smartphone-App und verschiedene Angebote. Auf der anderen Seite haben Noppen und sein Team mit Flüchtlingen zusammengearbeitet, um das Angebot zu übersetzen und sich Rückmeldungen zur App einzuholen. „Wir konnten schnell experimentieren und unser Angebot verbessern, was in und über Berlin hinaus mit viel medialer Aufmerksamkeit belohnt wurde“, erklärt der Gründer heute stolz. Es folgten unter anderem Artikel im Tagesspiegel und im Handelsblatt sowie Nachrichtenbeiträge im ZDF und dem RBB. Einen derartigen Raketenstart legt ein Jungunternehmen selten hin.

„Das Leben in den Einrichtungen ist oft trist, es gibt nichts zu tun und das frustriert ungemein.“

Und doch war nicht immer alles so einfach, wie es zunächst scheint. Auch Himate hatte gewisse Hürden zu meistern. Schnell bemerkte das Team, dass nicht jedes Angebot in die Plattform integriert werden konnte, da der logistische Aufwand, um alles zu organisieren, zu hoch war. Die Verbreitung des Angebots hing zudem stark mit dem Vertrauen der Asylsuchenden zusammen. Hier war Basisarbeit gefragt. Ehrenamtliche suchten den persönlichen Kontakt zu ihnen und merkten dabei schnell, woran es den meisten tatsächlich fehlte: An Aufgaben und Aktivitäten, mit denen sie die Wartezeiten bis zu einer etwaigen Arbeitserlaubnis füllen konnten. „Das Leben in den Einrichtungen ist oft trist, es gibt nichts zu tun und das frustriert ungemein“, weiß Noppen zu berichten.

Insofern sind vor allem die Tickets für Veranstaltungen von besonderem Interesse. Darüber ließen sich zum einen schnell neue Nutzer gewinnen und zum anderen das erklärte Ziel, nämlich die Geflüchteten am gesellschaftlichen Leben teilhaben zu lassen, noch besser erreichen. „Ein Besuch im Kino oder Theater holt Menschen, die teilweise monatelang isoliert in Massenunterkünften gelebt haben, aus ihrem grauen Alltag und bietet ihnen etwas Normalität. Gerade Theater- und Museumsangebote sorgen außerdem für kulturelle Integration“, erklärt der Himate-Chef. Vor allem in und rundum Berlin, wo sich derzeit rund 60.000 Flüchtlinge aufhalten, wird das Angebot besonders stark genutzt. Die Hauptstadt als Zentrum einer kleinen Erfolgsgeschichte.

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Inzwischen ist das Kern-Team auf rund 15 ehrenamtliche Mitarbeiter angestiegen, die fast täglich operativ im Tagesgeschehen involviert sind. Himate wächst und wächst und benötigt insofern immer mehr Aufmerksamkeit. Durch ein Seed-Funding der Unternehmensorganisation Entrepreneur’s Pledge zu Beginn des Jahres, konnte Thomas Noppen als CEO in Vollzeit für Himate arbeiten. Aktuell läuft zudem ein Crowdfunding, das nötiges Geld einsammeln soll, um weitere Mitarbeiter in Vollzeit zu beschäftigen – darunter auch einen ständigen Entwickler, der an der Verbesserung der Applikation arbeiten solle. Die Funding-Schwelle von 15.000 Euro ist so gut wie erreicht, das Ziel von 25.000 Euro könnte in kommenden Tagen auch noch geknackt werden.

Himate will für alle Hilfsbedürftigen da sein

Mit dem Kinogutschein zur Integration – HiMate holt Flüchtlinge ins Leben zurück. (Foto: HiMate)

Mit dem Kinogutschein zur Integration – Himate holt Flüchtlinge ins Leben zurück. (Foto: Himate)

Für Himate muss das langfristige Ziel jedoch sein, auf eigenen Beinen zu stehen. Dafür kommen mehrere Finanzierungsmodelle in Frage, die alle auf Reichweite basieren. „In Deutschland leben derzeit etwas über eine Million Flüchtlinge. Ziel ist zunächst, alle diese Menschen zu erreichen. Gelingt uns das, wollen wir uns beispielsweise über Werbung oder Vermittlungsgebühren finanzieren“, erzählt Tomas Noppen. Das Modell ist zudem nicht nur auf Flüchtlinge begrenzt. Auch andere Gruppen von Hilfsbedürftigen könnten einbezogen werden, erklärt Noppen. Einer langfristig wachsenden Zielgruppe steht somit wenig im Weg. Der Paritätische Gesamtverband veröffentlichte 2015 eine Studie, die besagt, dass zwischen 16 und 20 Prozent der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze leben. Acht Prozent seien sogar komplett abgehängt.

Der Resonanz in der Bevölkerung sei damit sicher auch geholfen. Zwar stehe der überwiegende Teil der Menschen dem Projekt positiv gegenüber, so der Gründer, jedoch begegnet dem Himate-Team mit wachsender Bekanntheit in den sozialen Medien auch Ablehnung. Es ist der alte Vorwurf, der vor allem von Rechts-Konservativen eingebracht wird, die kritisieren, dass Bundesbürger den Flüchtlingen untergeordnet werden. Dass für die Armen dieses Landes nicht genug getan würde. Ein Vorwurf, den Thomas Noppen mit der Vision, die Plattform zu öffnen, entkräftet. Himate steht übrigens für „Hi, Mate!“ was übersetzt so viel wie „Hi, Kumpel!“ bedeutet. „Wir wollen die Durchlässigkeit aller sozialer Schichten verbessern. Unabhängig von der Herkunft der Menschen“, erklärt der Gründer. Ein edles Ziel.

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