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Gemeinsam ist besser als einsam: Warum Coworking mehr ist als eine Marketing-Floskel

Formen von Coworking und Coliving gab es schon in der Steinzeit. Sind die Begriffe heute also nichts weiter als Marketing-Geschwätz? Mitnichten, meint Felix Schwenzel in seiner Kolumne für Irrelevanz. 

Von Felix Schwenzel
3 Min. Lesezeit
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Google Campus in London. (Bild: Google Campus)

Es ist leicht, sich über Konzepte wie Coworking oder Coliving lustig zu machen – so wollte ich das in dieser Kolumne eigentlich auch machen. Coworking oder Coliving wirken wie fluffige, unscharfe Marketingbegriffe für Ideen, die ungefähr so alt wie die Menschheit sind. Was ist so neu an Wohngemeinschaften oder Menschen, die Wohn- und Lebensraum aus wirtschaftlichen Gründen teilen, dass man sie umbenennen sollte? Schon in der Steinzeit zeigte sich, dass Cohunting und Coliving Vorteile bieten. Menschen haben sich immer schon in Gemeinschaften zum Leben, Arbeiten oder Schutz gemeinsamer Interessen zusammengeschlossen. Oft waren diese Gemeinschaften aus der Not oder wirtschaftlicher Notwendigkeit geboren, und manche dieser Zusammenschlüsse waren über Jahrhunderte hinweg sehr erfolgreich.

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So bekannt einem das Konzept auch vorkommen mag – ist es nicht sensationell, dass es plötzlich möglich ist, sich spontan und für überschaubare Kosten einfach ein voll ausgestattetes Büro in jeder größeren Stadt zu mieten? Oder einen Konferenzraum? Dass man sich einfach in ein Auto am Straßenrand setzen kann und losfahren?

Die Privilegien, die sich früher erst genießen ließen, wenn man sich einer Gruppe anschloss, lassen sich jetzt auch von Einzelnen nutzen, ohne dass sie sich fest binden müssen. Der Fortschritt erlaubt plötzlich Einzelgängern, beides zu haben: die Vorteile der Selbstständigkeit und gleichzeitig die von geschlossenen Gruppen.

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Die Fortschritte der letzten Jahrzehnte haben vieles noch vor kurzem unmöglich scheinende alltäglich gemacht. Als Kind wünschte ich mir sehnlichst, mein Kinderzimmerdeckenlicht vom Bett aus ein- und ausschalten zu können. Um das zu erreichen, musste ich mir damals noch elaborierte Schnur- und Fadenkonstruktionen durch mein Kinderzimmer spannen, die nicht besonders zuverlässig funktionierten und nicht mal ansatzweise alltagstauglich waren. Heute kann sich jeder eine Hue-Lampe kaufen oder im Bett liegend „Alexa mach das Licht aus“ sagen. Genau betrachtet sind heute ungefähr 90 Prozent meiner Kindheitsallmachtphantasien, die damals vor allem von Phantomias-Comicgeschichten und später von James-Bond-Filmen angeheizt wurden, für fast jeden erschwinglich und umsetzbar. Technologien, die früher nur Superhelden oder Superschurken zur Verfügung standen, stehen jetzt jedem offen.

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Dank der iOS Freunde-App weiß ich jederzeit, wo sich jedes Familienmitglied aufhält, in Makerspaces habe ich (nach einer kurzen Einführung) freien Zugang zu 3D-Druckern, CNC-Fräsen oder Lasercuttern, in fremden Städten kann ich mir zur Ankunft mit meinem Mobiltelefon direkten Überblick über freie Zimmer in Hotels oder bei Privatleuten verschaffen.

Waren es früher Beziehungen, Zugehörigkeit oder Vermögen, die einem Zugang zu Ressourcen verschafften, lässt sich das meiste heutzutage mittels Technologie vermitteln.

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Mir fällt es schwer, Nachteile dieser Entwicklungen zu erkennen, abgesehen vom ganz Offensichtlichen: Die meisten der Technologien oder Plattformen, die mich begeistern oder um die es in dieser Kolumne bisher ging, lösen „First World“-Probleme – die meist gar keine wirklichen Probleme sind, sondern Unbequemlichkeiten. Lichtfernschaltung, einfacher Zugang zu einem Schreibtisch, Drucker oder Kopierer, zu einer CNC-Fräse, mit der ich mir aus einer Holzplatte einen Smiley fräsen könnte – nichts davon hilft auch nur eines der großen Menschheitsprobleme zu lösen. Coworking hilft nicht bei der Armutsbekämpfung, Carsharing allein wird den Klimawandel nicht aufhalten, Makerspaces stabilisieren nicht die Demokratie.

Trotzdem, auch wenn viele derzeit aus dem Boden sprießenden Orte und Plattformen lediglich Gemeinschaft simulieren, verbinden sie eben doch auch Menschen.

Auch diese losen Gemeinschaften, die uns helfen sollen, effektiver zu kooperieren und zusammenzuarbeiten, Ressourcen besser zu vermitteln und zu teilen, sind echte Gemeinschaften. Auch wenn sie sich nicht selbstorganisiert sind, sondern meist von Dritten, semiautomatisch, digital, teilweise mit kommerziellen Motiven organisiert werden, führen sie Menschen zusammen. Und obwohl sie komische, angelsächsische Marketingnamen tragen und nicht alle Probleme der Welt lösen, schaffen sie es doch Stück für Stück, uns wieder an mehr Gemeinschaftssinn heranzuführen und einen guten, alten Gedanken wieder aufzuwärmen: Gemeinsam, kooperativ und teilend sind wir weit stärker als allein.

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Diese Kolumne ist in der Ausgabe 47 des t3n-Magazins erschienen. Mehr Infos zur Ausgabe zum Thema „Fuck Work! Love Work! Wie Startup-Kultur und Coworking die Arbeit neu erfinden“ gibt es hier.

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3 Kommentare
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Dein t3n-Team

Martin Wunderlich

Ich wollte nur sagen, dass ich diese Kolumne gut gelungen finde.

Antworten
Leopold Ploner

„Auch diese losen Gemeinschaften, … sind echte Gemeinschaften. “ Da bin ich mal ein bisschen skeptisch. Gemeinschaft hat ja auch etwas mit Verantwortung der Einzelnen für die Gemeinschaft zu tun. Dieser Aspekt fällt bei den verschiedenen Co-Wasauchimmer Konzepten weg. Ich kann ganz bequem und ohne Verpflichtung ein Büro, ein Auto oder einen 3D-Drucker mitnutzen, und wenn ich am nächsten Tag keine Lust mehr habe, bin ich einfach wieder weg. Wie gesagt, ich bin skeptisch, ob auf dieser Basis „echte Gemeinschaften“ entstehen.

Antworten
U. Kress

Hier werden interessante Einsichten dargestellt, doch ich teile die Skepsis von Leopold Ploner.
Der Zugang zu Ressourcen durch Technologie ist sicher ein ganz großer Vorteil. Besonders der Zugang zu Wissen und Informationen ist im Prinzip jedem möglich, und das ist eine großartige Sache.
Ich denke aber auch dass Gemeinschaft weiterhin von persönlichen Interaktionen abhängt.
In Organisationseinheiten müssen daher konkrete Teambildung und Teamentwicklung stattfinden, wie es in verschiedensten Formen kulturgeschichtlich auch schon immer der Fall war.
Sonst führt Coworking leicht zu einem egozentrischen Nebeneinander, bei dem man zwar noch im selben Raum sitzt, aber doch lieber per Chat kommuniziert.

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