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Reportage

Kale and me: Der Saftladen von der Elbe

Das Startup Kale and me betreibt mehr als einen reinen Onlineshop: Es produziert seine Säfte selbst – bei einem Mittelständler. Besuch bei zwei ungewöhnlichen Unternehmen.

Von Lisa Hegemann
14 Min.
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Die Gründer von Kale and me: Konstantin Timm, Annemarie Heyl und David Vinnitski. (Foto: Kale and me)

Das mit den Handschuhen und den Haarnetzen, das sei ja nicht so gut angekommen, sagt Annemarie Heyl. Es war damals ihre erste Saftproduktion, im April 2015. Bis zu diesem Tag gab es das Geschäftsmodell ihres Startups Kale and me nur auf dem Papier. Jetzt wollten sie und ihre Mitgründer Konstantin Timm und David Vinnitski die Idee auch tatsächlich umsetzen. Nur stellten die Mitarbeiter von Rüter Fruchtsaft schon seit Jahrzehnten Säfte her. Handschuhe und Haarnetze, die habe man dafür noch nie gebraucht, sagten sie.

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Oder dass man das Obst schneiden muss, statt es mit Stumpf und Stiel in die Presse zu werfen, das leuchtete bei Rüter Fruchtsaft auch keinem so richtig ein. Schließlich wird sowieso noch mal alles gefiltert. So funktionierte es zumindest immer bei Rüter Fruchtsaft. Doch die Kale-and-me-Gründer wollten eine andere Methode ausprobieren, eine mit Karotten schneiden und Rote Beete schälen, eine mit Hygienebedingungen und Saft kaltpressen statt erhitzen. „Das hat schon Überzeugungsarbeit gekostet“, sagt Annemarie rückblickend.

Es sei schon ein Schuss ins Blaue gewesen, sagt Helmut Rüter. Von Säften hätten die ja kaum Ahnung gehabt. Er steht mitten in der großen Halle neben der kleinen Abfüllanlage, die Mandelmilch läuft durch die Maschine, direkt in die kleinen 320-Milliliter-Flaschen. Herr Rüter beobachtet das Abfüllen. Als eine der Flaschen stecken bleibt, macht er einen Schritt nach vorne und drückt sie händisch an die Anlage. „Die wollte nicht“, sagt er.

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Der Schuss ins Blaue hat sich sowohl für Annemarie als auch für Herrn Rüter als Treffer herausgestellt. Seit gut einem Jahr produziert das Startup Kale and me frische Säfte auf dem Gelände von Rüter Fruchtsaft, im Nirgendwo der Lüneburger Heide. Doch wie funktioniert die Zusammenarbeit zwischen einem Startup und einem Familienbetrieb, zwischen der digitalen und der analogen Welt, zwischen Innovation und Tradition?

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Die Gründung: Saftkuren in Südafrika

Rüter Fruchtsaft stammt aus der traditionellen Welt. Als Helmut Rüters Großmutter Elisabeth das Unternehmen 1948 gründete, da gab es noch keine Computer, keine Smartphones, kein Internet. Weil ihr Mann noch in Kriegsgefangenschaft festgehalten wurde, musste sie ihre beiden Kinder allein versorgen. In dieser Zeit legte sie den Grundstein für die Mosterei. Die ersten Rohstoffe erhielt sie durch Tauschgeschäfte: Sie tauschte Hühner gegen Tee, Tee gegen Kaffee und Kaffee gegen alles andere, um über die Runden zu kommen. Nach der Währungsreform baute sie die E. Rüter Süßmost- und Fruchtweinkelterei auf. Helmut Rüter selbst arbeitete schon früh im Betrieb mit. Nach einem kurzen Ausflug zur Bundeswehr schloss er 1999 sein Studium als Diplom-Braumeister ab. Seitdem leitet er den Betrieb gemeinsam mit seinem Vater.

Wie sich die Zeiten geändert haben, hat Karl-Heinz Rüter selbst erlebt. Helmut Rüters Vater ist 80 Jahre alt und immer noch der offizielle Inhaber des Familienbetriebs. Obwohl jetzt sein Sohn das operative Geschäft leitet, schaut er jeden Tag ein Mal in der Anlage in Eimke vorbei. Früher, sagt er, habe es im Umkreis von 20 Kilometern viele Mostereien gegeben: in Uelzen zwei, in Soltau eine, in Ebstorf eine, in Bad Bodenteich eine. Geblieben sind nur die Rüters. So eine Mosterei fresse einfach „unheimliche Investitionen“: Die Waschanlage, die Füller, die Inspektoren, sie kosteten alle 500.000 Euro pro Stück, sagt der alte Herr Rüter. „Die Betriebe sterben aus, weil der Kostenaufwand an Maschinen zu groß ist.“

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(Foto: Hegemann)

Obst schneiden bei Rüter Fruchtsaft – natürlich mit Handschuhen. (Foto: Hegemann)

Annemarie ist in der Welt nach dem digitalen Urknall aufgewachsen, in der ein Internetzugang und eine Idee reichen, um ein Unternehmen aufzubauen. Annemarie ist 29 Jahre alt, sie hat Betriebswirtschaftslehre studiert. Auf die Idee mit dem Saft kam sie in Südafrika. Während ihres Master-Studiums verbrachte sie ein Auslandssemester in Kapstadt. Dort lernte sie auch ihren Mitgründer Konstantin kennen. Zusammen trafen sie auf einen Unternehmer, der Saftkuren anbot. Bei diesen Kuren ernähren sich die Nutzer drei Tage lang nur von Saft. Doch das eigentlich Besondere steckt in den Getränken selbst: Gewöhnlich werden Säfte erhitzt, um Bakterien und Keime abzutöten und die Flüssigkeiten haltbar zu machen. Bei diesem Verfahren gehen allerdings auch die Vitamine verloren. Der südafrikanische Unternehmer unterzog das Obst deshalb dem HPP-Verfahren. Bei dieser Form des Haltbarkeitsverfahren bleiben die Nährstoffe erhalten, die Bakterien werden aber trotzdem zerstört.

Gemeinsam entwickelten Annemarie und Konstantin die Idee, solche Saftkuren auch in Deutschland anzubieten. Sie informierten sich über die verschiedenen Wege, Annemarie wälzte monatelang Bücher und versuchte herauszufinden, wie der perfekte Saft entsteht, welche Zutaten er enthält, wie er sich am besten zubereiten lässt. Der Ansatz, gesunde Säfte zu verkaufen, sollte die Grundlage des Startups Kale and me, zu deutsch: Grünkohl und ich, ausmachen. Heute kann Annemarie die Fachtermini der Saftproduktion genauso runterrattern wie die Fachtermini der BWL: hydraulisches Pressen, Cashflow, Rohstoffkosten, HPP-Verfahren.

Mit der Idee im Kopf begann Annemarie, Mostereien in der Gegend abzutelefonieren. Die Krise der kleinen Saftbetriebe bemerkte sie schnell: Die einen, sagt die Gründerin, teilten ihr mit, sie stünden kurz vor der Insolvenz. Die anderen sagten, sie hätten keinen Nachfolger für ihr Unternehmen und würden bald schließen. Für wieder andere sei die Produktionsmenge von Kale and me wahlweise zu klein oder zu groß gewesen. „Herr Rüter war der erste, der sich überhaupt zu einem Treffen bereit erklärt hat.“

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In der ganzen Bundesrepublik gibt es heute noch 69 Safthersteller, jeder zehnte musste seit 2008 schließen, schreibt das Statistische Bundesamt. Helmut Rüter kennt diese Zahlen, und er weiß auch, dass er neue Absatzkunden braucht. Deswegen zeigte er sich erst einmal interessiert, als ihn Annemarie 2015 anrief. Er habe die Idee spannend gefunden, sagt Rüter. „Wir probieren uns immer wieder in neuen Geschäftskooperationen aus.“ Bei dem ersten Kennenlernen habe man „grob eruiert, wer sich was vorstellen kann“. Beide Unternehmen fanden: Die Vorstellungen passten zusammen.

Die Produktion: Eine Frage der Menge

Seitdem produziert das Startup alle zwei Wochen seine Säfte bei Rüter Fruchtsaft. So auch an diesem Tag im Februar. Es ist sieben Uhr, über der Lüneburger Heide liegt noch der Morgendunst. In Eimke, einem 815-Seelen-Dorf, hat der Tag noch nicht begonnen, die Straßen liegen menschenleer im Morgengrauen. In der Produktionsanlage von Rüter Fruchtsaft herrscht hingegen bereits Betrieb. Sechs Mitarbeiter stehen um einen Tisch herum, mit Brettchen und Messern, und schneiden Möhren im Schein des Heizstrahlers. Mit Haarnetz und Handschuhen, selbstverständlich. Die Stille wird später von den Geräuschen aus der anliegenden Produktionshalle unterbrochen werden, wenn die elektrische Presse dort die Äpfel zermalmt.

Auf dem Produktionsplan stehen 3.900 Flaschen Saft. Sechs Sorten verkauft das Startup in seinem Onlineshop, von Apfel-Karotten-Zitronen-Saft bis hin zur süßlichen Mandelmilch. Annemarie holt eine Liste mit den Mengen heraus, die sie heute produzieren will: 520 Flaschen Ananas-Saft, 760 Flaschen Rote-Beete-Saft, 730 Flaschen Grünkohl-Saft, 650 Flaschen Apfel-Karotten-Saft, 590 Flaschen Avocado-Saft und 650 Flaschen Mandelmilch.

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Ingwer, Avocado, rote Beete: Einen Teil des Obsts für seine Säfte kauft Kale and me aus der Region um Hamburg. Produziert wird in der Lüneburger Heide.(Foto: Hegemann)

Ingwer, Avocado, rote Beete: Einen Teil des Obsts für seine Säfte kauft Kale and me aus der Region um Hamburg. Produziert wird in der Lüneburger Heide.(Foto: Hegemann)

Herr Rüter steht in der großen Halle und wiegt den Kopf hin und her. „Also ich hätte ja die Hälfte mehr von der Mandelmilch gemacht“, sagt er.

„Herr Rüter, wir haben das ausgerechnet, das ist jetzt wieder ausgeglichen“, sagt Annemarie.

„Aber wir waren ja heute schon wieder leer.“

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Annemarie schüttelt den Kopf. „Aber die Mandelmilch verdirbt am schnellsten.“

Das mit dem Verderben ist bei den Säften von Herrn Rüter nicht so. Wie seine Säfte entstehen, kann er bis ins kleinste Detail erklären. Wie das Obst in ein Außensilo geschüttet wird. Wie es in einem Wassertransportsystem gewaschen wird. Wie es in die Produktionshalle hineingeschwemmt und erneut gereinigt wird. Wie es dann in der Presse zermalmt wird, wie der Saft über die Zentrifuge gefiltert wird, wie er dann erhitzt wird. Durch letzteren Teil des Prozesses bleiben die Säfte monatelang haltbar.

Die Säfte von Kale and me halten sich dagegen nur vier Wochen. Die Mandelmilch kippt manchmal noch früher, wenn sie nicht richtig gekühlt ist. Das liege am pH-Wert, sagt Annemarie. Der sei bei der Mandelmilch höher, weil sie wenig Säure besitze. Dafür sind die Säfte frisch und enthalten noch alle Vitamine. Wegen der kurzen Haltbarkeit produziert Kale and me im Zwei-Wochen-Rhythmus kleinere Mengen, statt in einer großen Produktion den ganzen Jahresvorrat herzustellen. Ein großer Aufwand: In Eimke wird das Obst gepresst und die Säfte in die 320-Milliliter-Flaschen abgefüllt, von dort geht es nach Franken in die HPP-Anlage, wo die Säfte durch ein spezielles Druckverfahren haltbar gemacht werden, dann zurück nach Hamburg ins Lager. Die Arbeit scheint sich zu lohnen: Produzierte Kale and me beim ersten Mal 2015 noch 800 Flaschen und im Februar knapp 4.000, so sind es heute 10.000 bis 15.000 pro Tag. Statt 18 Stunden wie am Anfang braucht eine Produktion inzwischen etwa zehn Stunden. Früher kümmerte sich Annemarie allein um die Herstellung, heute steht ihr Konstantin zur Seite. In Zukunft wollen die Gründer noch häufiger nach Eimke fahren und einmal pro Woche Saft pressen.

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Das Marketing: Wenn Lena Meyer-Landrut über Saft snappt

Dass Kale and me so stark gewachsen ist, hat das Startup mit seinem Online-Auftritt und seiner Marketingstrategie forciert. Das Thema haben die drei Gründer aufgeteilt: Konstantin kümmert sich um Instagram und Influencer-Marketing, Annemarie um Public Relations und David um Suchmaschinenoptimierung, Onlinekampagnen und Facebook. Der WHU-Absolvent kennt sich mit Suchmaschinen aus, er arbeitete selbst bei Google, bevor er mit Annemarie und Konstantin das Saft-Startup aufbaute. In der Firmenzentrale in Hamburg grübelt er darüber, wie sich die Marke am besten positionieren lässt.

Der 25-Jährige hat den Onlineshop auf SEO getrimmt. Das Startup hat angefangen, selbst über Säfte zu schreiben, auch über Backlinks hat Kale and me an Präsenz gewonnen. Geld investiert David vor allem in Google- und Facebook-Ads, um Kunden wiederzugewinnen, die einmal auf der Seite waren. Eigentlich halten die drei Gründer nichts davon, auf Wettbewerber zu bieten. Deshalb schlug David den Konkurrenten vor, kein Geld auf ihren Namen zu setzen, wenn sie dies ihrerseits auch einstellten. Doch darauf sei niemand eingegangen, sagt Annemarie. Deshalb bietet Kale and me heute auch auf die Wettbewerber.

Über Facebook und Instagram hat sich Kale and me eine kleine Gefolgschaft aufgebaut. Am Dienstag ist das Startup in der Fernsehsendung „Die Höhle der Löwen“ zu sehen. (Screenshot: Instagram/Kale and me)

Über Facebook und Instagram hat sich Kale and me eine kleine Gefolgschaft aufgebaut. Am Dienstag ist das Startup in der Fernsehsendung „Die Höhle der Löwen“ zu sehen. (Screenshot: Instagram/Kale and me)

Ihr schnelles Wachstum haben die Hamburger Gründer aber vor allem ihrer Social-Media-Strategie zu verdanken. Anfangs setzten Annemarie, Konstantin und David auf Facebook und Instagram. Bis heute zählen sie zu den Hauptmarketingkanälen des Startups. Kale and me habe sich anfangs kein anderes Marketing leisten können, sagt Annemarie. „Diese zwei Plattformen haben uns eigentlich dahin gebracht, wo wir sind.“ Auf Facebook haben die Gründer kürzlich eine personalisierte Kampagne mit ihren Säften gestartet. Statt sie als Karottensaft oder Mandelmilch anzupreisen, haben Annemarie, Konstantin und David den Säften Namen gegeben. Sie heißen dort Catie Carrot, Amy Almond oder Kalvin Kale. Erste Effekte zeigten sich bereits, sagt Annemarie.

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Mittlerweile hat das Startup auch Snapchat für sich entdeckt. Die drei Neuunternehmer posten hier nicht nur selbst Videos, sie geben ihren Kanal auch an andere ab. So haben sie beispielsweise eine Kampagne mit Hamburger Künstlern gestartet. Außerdem setzen sie auf bekannte Namen aus den sozialen Netzwerken: Das Startup initiierte unter anderem eine Kampagne mit Stefanie Giesinger, einer „Germany’s Next Topmodel“-Gewinnerin. Der Deal: Kale and me schickte ihr die Getränke umsonst zu, dafür snappte sie über ihre Erfahrungen – ohne Vorgaben. „Das war für uns der Durchbruch auf Snapchat“, sagt Annemarie. Die Aktion habe einen riesigen Umsatzsprung gebracht.

Geholfen hat dabei vor allem die Authentizität. Natürlich sei es nicht toll, wenn Giesinger in die Kamera sage, dass ihr die Avocado-Stückchen im Saft nicht geschmeckt haben, so Annemarie. „Aber man muss einfach über den Dingen stehen.“ Mittlerweile hat auch Lena Meyer-Landrut schon für Kale and me gesnappt. Konstantin baut zudem persönliche Kontakte zu Bloggern auf. Durch das WordPress-Plugin Later.com werden die aktuellsten Bilder von Kunden, Bloggern und Influencern auch auf der Kale-and-me-Website angezeigt.

Wenn man Herrn Rüter auf die sozialen Medien anspricht, dann sagt er, es gebe da ja schon viele Möglichkeiten mit Facebook und Twitter. Aber man müsse auch nicht jeden Konsumenten ansprechen. „Ich finde das als Familienbetrieb übertrieben“, sagt Herr Rüter. „Da muss man auch einfach mal die Kirche im Dorf lassen.“ Rüter Fruchtsaft habe sich ein eigenes Vertriebssystem und einen Kundenstamm aufgebaut. Und der sei treuer als die Menschen in den sozialen Netzwerken, der würde nicht von A nach B springen. Wenn überhaupt, dann macht Rüter Fruchtsaft direktes Marketing: Manchmal steigt der alte Herr Rüter in seinen Mercedes und fährt damit durch die Lüneburger Heide. Dann klingelt er bei dem einen oder anderen Anwohner und fragt, ob er nicht Saft kaufen will.

Die Infrastruktur: Server dank Säften

Eine eigene Website betreibt Herr Rüter mittlerweile schon. Auf dem Portal findet sich die Geschichte von Rüter Fruchtsaft, der Unternehmer beantwortet ein paar Fragen zur Saftproduktion, es gibt Bilder von den alten Maschinen. Er habe seine Onlinepräsenz mit Hilfe eines Systems für Websites aufgebaut, sagt Helmut Rüter. Ob sie ihm mehr Umsatz bringt, vermag der Unternehmer nicht zu sagen. Es gebe jedoch viele Interessenten, die ihn im Büro anriefen und Bezug auf das FAQ nähmen. So langsam müsse er die Website mal wieder überarbeiten.

Einen Onlineshop will er aber auch auf der neuen Plattform nicht integrieren. Da sei der Versand teurer als der Inhalt, sagt er. Weil er seine Säfte in Glas- statt Plastikflaschen abfüllt, wiegen sie mehr. Wenn er für eine Flasche, die er für 60 bis 80 Cent verkaufe, ein bis 1,20 Euro an Versandgebühren zahlen würde, lohne sich das nicht, so Herr Rüter. Das sei kein Verhältnis mehr. Ohnehin lehnten es viele Transportunternehmen ab, Glas zu transportieren, weil es zerbrechlich sei. Ein Umstieg auf PET-Flaschen kommt für ihn nicht infrage: Er zitiert Studien, wonach die Plastikpartikel am Ende auch im Saft zu finden seien.

Bei Kale and me würde es ohne den Onlineshop hingegen gar nicht gehen. Darüber wickelt das Startup die Bestellungen und die Bezahlung ab. Die Website hat das Startup ganz klassisch mit WordPress erstellt und mit dem WordPress-Plugin Woocommerce den Onlineshop realisiert. Momentan arbeiten die Gründer daran, ein Abo-System in den Shop zu integrieren. Das sei aber „sauschwer“, sagt Annemarie. Ansonsten sei man zwar durchaus zufrieden mit dem System. Aber die Gründerin schließt nicht aus, irgendwann auf ein „echtes“ Shopsystem wie Shopware oder Magento umzusteigen.

Auf der Seite von Kale and me finden sich die Zutaten der unterschiedlichen Säfte. (Screenshot: Kale and me)

Auf der Seite von Kale and me finden sich die Zutaten der unterschiedlichen Säfte. (Screenshot: Kale and me)

Abgerechnet wird bei Kale and me mit dem Online-Bezahlungssystem Paypal. In der Plus-Version können die Kunden mit Kreditkarte, Kauf auf Rechnung oder auch Sofortüberweisung zahlen. Die Website selbst wird auf einem Server bei der Denk IT GmbH in Fulda gehostet – kostenlos. „Der Besitzer Axel Denk hat unsere Säfte probiert und stellt uns die Rechenleistung seitdem umsonst zur Verfügung“, sagt Annemarie. Bis heute ordere er regelmäßig Säfte für das ganze Büro.

Mittlerweile wagt sich Kale and me auch in den stationären Handel. Auf Wunsch der Kunden stehen die ersten Säfte nun in neun Edeka-Märkten. Auch die Paledo-Restaurants in Hamburg und ein Restaurant in Düsseldorf konnten die Gründer als Partner gewinnen. Manchmal vertreiben sie ihre Säfte auf Foodmarkets und Musikfestivals. Dann erinnern sie mit ihrem Direktmarketing fast ein wenig an den alten Herrn Rüter.

Die Finanzierung: Ein wenig belächelt

Gewinn macht Kale and me mit seinen Säften noch nicht. Wie viel Geld das Startup genau umsetzt, wollen die Gründer nicht verraten. Aber die Marge habe sich seit den Anfängen verbessert, sagt Annemarie. Sie sei von „schlecht“ auf „okay“ gestiegen. Auf 50 Prozent Marge wie die großen Getränkehersteller werde das Unternehmen jedoch nie kommen – dafür sei das HPP-Verfahren zu aufwendig. Um das Geschäft zu finanzieren, hat sich das Startup deshalb einen Investor hinzugeholt. 2015 erhielt Kale and me einen nicht näher kommunizierten Betrag von Global Founders Capital, einem Investmentarm von Gründer-Ikone Oliver Samwer.

 „Ich hätte mir ja nicht so früh einen Investor hereingeholt.“

Herr Rüter wiegt wieder mit dem Kopf, als das Thema auf die Finanzierungsrunde kommt. Er steht neben Annemarie am Eingang der Produktionshalle. „Ich hätte mir ja nicht so früh einen Investor hereingeholt“, sagt er. Davor habe er schon Respekt. Er denkt kurz nach, dann fügt er hinzu: „Ich muss zugeben, ich habe Frau Heyl ein wenig belächelt wegen der Bewertung. Aber es hat ja jemand bezahlt.“ Annemarie steht neben ihm und grinst. Später wird sie sagen, Herr Rüter sei schon froh gewesen, dass Kale and me das Kapital erhalten habe. So habe auch er sicher sein können, dass seine Rechnungen beglichen würden.

Die Werte: Einmal Mittelstand sein

Auch wenn Kale and me per klassischer Definition als Startup gilt, auch wenn sich die Gründer Investoren hereingeholt haben, so machen die drei Hamburger doch einiges anders als ihre Kollegen. Zum Beispiel das mit dem Logo. Das wird auf einem Gelände knapp 20 Kilometer entfernt von Eimke geklebt: in der Behindertenwerkstatt der Stiftung Leben Leben in Uelzen.

Benjamin winkt von seinem Gabelstapler, als er Annemarie mit ihrem Lastwagen sieht. Er fährt mit dem gelben Wagen in die Lagerhalle, zielstrebig zu einer Palette mit leeren Plastikflaschen, hebt sie mit den Gabeln hoch und lädt sie in Annemaries Transporter. Hier, in der Behindertenwerkstatt, kommt das Kale-and-me-Logo auf auf die Flaschen. Die Mitarbeiter haben eigens dafür eine Klebehilfe gebaut, durch die die Folie keine Falten wirft. „Das sieht besser aus, als wir das je hinbekommen haben, als wir die Flaschen noch selbst beklebt haben“, sagt Annemarie. Die Mitarbeiter in der Werkstatt kennen sie, sie fragen, wann es denn endlich wieder Flaschen zum Bekleben gebe.

Dass sie die Flaschen ausgerechnet hier bekleben lässt, liegt auch an Annemaries eigenem Hintergrund. Ihr Vater betrieb selbst ein Familienunternehmen, eine Müllerei. Auch er lagerte einfache Arbeiten in die Behindertenwerkstätten der Gegend aus. Er verstand das als eine Art gesellschaftlichen Engagements, als Mehrwert-Schaffen. Eine Tradition, die seine Tochter nun in ihrem eigenen Unternehmen fortführt.

Wie wichtig traditionelle Werte sein können, durfte Annemarie auch schon selbst erleben. Weil Kale and me zu Beginn kein Geld verdiente, streckte Rüter Fruchtsaft dem Startup die ersten Produktionen vor. Die Rüters seien auf eigenes Risiko in Vorleistung gegangen, berichtet Annemarie. Auch die Ausstattung sei anfangs von ihnen gekommen. „Ohne die Rüters wäre es nicht gegangen“, sagt die Gründerin rückblickend. Der alte Herr Rüter wehrt solche Sätze ab: „Das sind wir eigentlich gewohnt, Risiko zu gehen“, sagt er. Das, was Kale and me mache, sei „schon vertrauenswürdig“.

„Wenn wir reich werden wollten, hätten wir uns ein anderes Geschäft ausgesucht.“

Vielleicht kommt das Vertrauen auch daher, dass die drei Gründer nicht nur skalieren, nicht nur das nächste große Ding machen wollen. „Wenn wir damit reich hätten werden wollen, hätten wir uns ein Geschäftsmodell mit besserer Marge ausgesucht“, sagt Annemarie und lacht. Für sie zählt mehr als der große Exit. Wenn Annemarie darüber spricht, was sie mit Kale and me einmal erreichen will, dann sagt sie: „Ich fände es schön, wenn wir irgendwann einmal ein Mittelständler werden.“ Ein neuer Herr Rüter, sozusagen.

Dieser Artikel stammt aus der t3n 45. Das komplette Heft könnt ihr hier kaufen.

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