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Piraten-Chef: „Ich versuche gerade so eine Art Klamottenkodex zu diskutieren“

Was macht eigentlich die Piratenpartei? Piraten-Chef Patrick Schiffer hat t3n.de verraten, wie er die Partei aus dem Tief führen will: Vor allem mit mehr Professionalität.

Von Stephan Dörner
7 Min. Lesezeit
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Piratenpartei-Chef Patrick Schiffer. (Foto: dpa)

t3n.de: Wo genau stehen die Piraten aktuell politisch eigentlich? Sind die Piraten jetzt offiziell sozialliberal?

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Patrick Schiffer: Es gab Landesparteitage, die das beschlossen hatten – das kam damals als Gegenbewegung zu den Linken in der Partei auf. Aber egal mit welchem Politikwissenschaftler du sprichst: Er wird dir immer sagen, dass wir uns im linksliberalen Spektrum zwischen Grünen, FDP, Linken und vielleicht noch der SPD bewegen. Ich warne da selbst vor zu viel Nähe zu der FDP, weil das potentielle Wähler abschrecken könnte. Auf der anderen Seite geben wir natürlich den Leuten eine Heimat, die bei der FDP den Wirtschaftsliberalismus ablehnen.

t3n.de: Beim Aufstieg und Fall der Piratenpartei konnte man den Eindruck gewinnen, dass die ideologische Grundausrichtung der Partei fehlte. Gegen Zensur im Internet sein reicht als verbindendes Element für eine Partei einfach nicht, oder?

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Wir hatten radikale Kräfte im linken und im rechten Bereich – die sind jetzt beide raus.

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t3n.de: Auch viele Prominente haben die Partei verlassen …

Ja, Martin Delius, Marina Weisband, jetzt zuletzt Katharina Nocun, was sehr bitter ist.

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t3n.de: Und die war ja auch nicht besonders links, sondern voll auf Piratenpartei-Linie. Warum ist Katharina Nocun zum Beispiel gegangen?

„Da sitzt dann Marina im Fernsehen und es steht nicht mehr Piratenpartei dran. Das tut weh.“

Ich vermute, dass sie lieber im NGO-Bereich arbeiten will. Und von NGOs kennt man es ja, dass sie Leute haben wollen, die parteipolitisch neutral sind. Das war bei einigen anderen, glaube ich, auch der Austrittsgrund. Sie haben gesehen, dass das, was sie in der Piratenpartei machen, beispielsweise auch bei Campact oder Greenpeace machen können. Die funktionieren, was ihre Größe und Handlungsfähigkeit angeht, fast wie richtige Unternehmen. Da ist man nicht an den parlamentarischen Betrieb gebunden und man kann viel aktivistischer arbeiten. Für Leute, die bekannt sind, ist das natürlich attraktiv.

t3n.de: Andere Prominente wie Martin Delius und Christopher Lauer haben die Partei aber auch in Richtung anderer Parteien verlassen.

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Ja, das kann ich auch keinem verübeln, muss ich ganz ehrlich sagen. Aber auch wenn wir mal deutlich größer waren, kann man sagen, dass sich an unserem Grundaufbau nicht viel geändert hat. Viele Leute an der Basis sind noch da und wir haben eine unglaublich aktive kommunale Arbeit. Insofern tut es weh, wenn Leute fehlen, die das transportieren. Da sitzt dann Marina im Fernsehen und es steht nicht mehr Piratenpartei dran. Das tut weh.

t3n.de: Hast du persönlich versucht, sie vom Austritt abzuhalten?

Ich habe Gespräche geführt, auch schon bevor ich Bundesvorsitzender war. In der Partei gelte ich als jemand, der Brücken baut und ich hatte auch zu den linken Kräften immer ein sehr gutes Verhältnis. Ich habe versucht, alle an einen Tisch zu bekommen – das ist mir nicht gelungen.

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t3n.de: War das Internet und die öffentliche, transparente Diskussion ein Brandbeschleuniger dieser Konflikte?

Da waren wir gewissermaßen Avantgarde – Vorbote von dem, wie es sich jetzt entwickelt. Wenn wir heute Shitstorms bei anderen Parteien oder Firmen sehen, ist das wie ein Déjà-vu-Erlebnis. Und weil wir inzwischen wissen, wie man damit umgeht, sind einige von uns inzwischen auch in beratender Funktion in Unternehmen tätig. Das sehe ich auch bei mir: Ich bekomme Jobangebote, die hätte ich so vorher nicht bekommen. Da wird uns immer noch eine gewisse Kernkompetenz zugesprochen. Wir hatten aber zuletzt einige Punkte, bei denen wir bewiesen haben, dass wir erwachsener geworden sind. So habe ich kürzlich eine Pressekonferenz mit Martin Sonneborn gemacht, für die ich intern stark kritisiert wurde – aber es ist nicht in eine riesige Schlammschlacht ausgeartet.

t3n.de: Also gab es parteiinterne Kritik, die aber nicht so stark an die Öffentlichkeit gedrungen ist?

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Patrick Schiffer, Vorstandsvorsitzender der Piratenpartei Deutschland. (Fotograf: Christian Steinmetz. Lizenz: CC-BY-SA)

Intern in Sitzungen, geschlossenen Gruppen und so musste ich mir einiges anhören. Aber außerhalb davon war kein Shitstorm zu spüren.

t3n.de: Vielleicht liegt das aber auch an der geringen Aufmerksamkeit für die Piratenpartei insgesamt? Vielleicht ist die Erwartung des einzelnen, erfolgreich einen Shitstorm loszutreten, einfach viel geringer?

Ich weiß nicht, ob man das so pauschal sagen kann …

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t3n.de: Die Piratenpartei hat medial auf jeden Fall ein Problem: Ihr wart mal sehr prominent, hattet sehr gute Umfragen – über einen recht kurzen Zeitraum. Dann gab es die bekannten Querelen, ihr seid in den Umfragen abgestürzt. Jetzt ist die Marke sozusagen medial verbrannt. Es dürfte schwierig sein, jetzt noch einmal mit einer positiven Geschichte zurückzukommen. Hast du jetzt den Masterplan dafür?

Ja, den Masterplan gibt es – beziehungsweise gibt es von mir den Versuch, dass der Plan angenommen wird. Wir haben ja nicht solche Top-Down-Strukturen. Bei meiner Wahl zum Bundesvorstand habe ich aber klar gesagt, dass ich ein politischer Vorstand sein möchte und nicht so einer, der auf Twitter fragt, welche Meinung die Partei eigentlich dazu hat. Ein klassischer Vorsitzender, der auch proaktiv mal mit Forderungen und politischen Meinungen nach außen geht.

t3n.de: Also das, was in anderen Parteien die Regel ist.

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Genau. Nur, dass wir das dann eben noch intern diskutieren – und ob das dann wirklich umgesetzt wird, also im Parteiprogramm landet, das entscheidet dann am Ende trotzdem die Basis. Aber ich …

t3n.de: … du kannst vorpreschen …

… ich presche vor und sag auch: Passt auf Leute, wir brauchen solche Vorstände, sonst nimmt uns keiner ernst. Außerdem professionalisiere ich die Pressearbeit und es ist ein Relaunch der Website mit einem durchgehend professionellen Erscheinungsbild geplant. Außerdem überlege ich gerade, so eine Art Klamottenkodex zu diskutieren.

t3n.de: Der Talkshow-Auftritt von Johannes Ponader in Sandalen – ein Trauma für die Piraten bis heute?

„Egal mit welcher Partei – mit Netzpolitik holst du keine fünf Prozent mehr.“

Wenn wir jetzt auf die Bundestagswahl zugehen, dann brauchen wir gewisse Strategien, wie wir nach außen auftreten. Da lass ich mich natürlich von Medienleuten beraten, die sagen: Turnschuhe überhaupt kein Problem – aber Sandalen, nur Socken oder barfuß, das geht einfach nicht. Das sind so grundsätzliche Dinge, auf die Leute achten, wenn jemand Verantwortung übernehmen will. Wir machen auch noch Medientrainings mit unseren Kandidaten. Wir haben außerdem ein Spitzentrio gewählt, statt dieses Zerfaserte mit 16 Spitzenkandidaten – das funktioniert in der Medienwelt nicht.

t3n.de: Du bist nicht der Spitzenkandidat?

Ich habe meine Kandidatur zurückgezogen, weil wir eine sehr talentierte junge Frau haben: Anja Hirschel aus Baden-Württemberg. Ich fand es besser, wenn sie Spitzenkandidatin wird. Zusätzlich haben wir zwei weitere Spitzenkandidaten: Sebastian Alscher und René Pickhardt.

t3n.de: Ist das nicht schon wieder Zerfaserung? Ihr müsst ja beim Wähler erst mal wieder über die Wahrnehmungsschwelle kommen – und dann verwirrt ihr mit einem Parteivorsitzenden, der aber nicht Spitzenkandidat ist?

Naja, ich bin ja auch Spitzenkandidat – in NRW. Also ich bin ja sowieso gesetzt als Vorsitzender und Spitzenkandidat des größten Bundeslands. Wir sind ja auch alles Ehrenamtliche und müssen über Deutschland verteilt Wahlkampf machen. Also können wir nicht alles auf eine Person konzentrieren. Aber der Wahlkampf wird sehr stark auf das Spitzentrio ausgelegt sein.

t3n.de: Auf den Plakaten werdet ihr dann beide zu sehen sein?

Das ist eine Überlegung – die andere ist, dass nur Anja zu sehen sein wird. Aber es wird nicht dieses Wuselige mit 16 verschiedenen Leuten geben. Und nur Netzpolitik reicht auch nicht. Ich habe mich mit Markus Beckedahl unterhalten und der bestätigte meine Einschätzung: Egal mit welcher Partei – mit Netzpolitik allein holst du keine fünf Prozent mehr.

t3n.de: Habt ihr denn inzwischen ein umfassendes Parteiprogramm? Wie sieht beispielsweise die Wirtschaftspolitik der Piraten aus?

Wir haben ein vollumfängliches Programm, das sozialliberal und in Teilen grün ist. Wirtschaft ist für mein Empfinden noch zu wenig drin. Aber wir haben mittlerweile recht erfolgreiche und erfahrene Wirtschaftsleute in der Partei.

t3n.de: Und die sind auch mit der Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen einverstanden?

Ja, das ist unser Alleinstellungsmerkmal. Wir haben die Automatisierung verstanden, wir schauen stark auf die Studien in diesem Bereich. Und wir fordern auch eine Maschinensteuer, also die Besteuerung von nichtmenschlicher Arbeit, wie beispielsweise Bill Gates.

t3n.de: Die Maschinensteuer hat ihre Schwierigkeiten: Wo fängt die eine Maschine an, wo hört die andere auf?

Ja, es gibt Schwierigkeiten – aber es gibt dazu auch Lösungsansätze zum Beispiel über einen Automatisierungsindex.

t3n.de: Trotzdem haben die Piraten nach ihrem Hype 2013 ja kein Thema mehr setzen können. Ist es da nicht frustrierend zu sehen, dass sich eine andere Newcomer-Partei so viel erfolgreicher etablieren konnte?

Ja, das ist frustrierend. Noch frustrierender ist aber, dass die Themen darunter so leiden. Von Open Data, Kontrolle von Lobbyismus oder Transparenz in der Politik wird kaum noch gesprochen. Das sind alles genau unsere Themen und sie finden aufgrund des Hypes für die AfD kaum statt. Aber ich glaube, die sind bald wieder weg – ich gebe denen noch etwa zwei Jahre.

t3n.de: Wie lange bist du denn bereit den Weg der Piraten noch mitzugehen, wenn sich der Erfolg nicht einstellt? Hast du dir da eine persönliche Deadline gesetzt?

Ich bin bereit, das als Vorsitzender jetzt zwei oder drei Jahre zu machen. Mindestens bis zur kommenden Europawahl würde ich das gerne beobachten, ob meine Arbeit Früchte trägt. Wenn ich natürlich das Gefühl habe, dass die Wahlergebnisse noch schlechter werden und die Partei immer kleiner wird, dann werde ich irgendwann auch die Konsequenzen daraus ziehen und eine andere Position in der Partei einnehmen. Denn wenn ich etwas tue, das nicht greift, dann ist das vielleicht nicht mein Talent – obwohl natürlich nicht alles an meiner Person hängt.

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