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Analyse

Service-Experience: So gelingt die Transformation des Nutzerverhaltens

In der alten Welt der Massenproduktion von physischen Gütern musste jeder Artikel genau einmal verkauft werden – egal für den Hersteller, wie oft das Produkt vom Kunden im Endeffekt genutzt wurde. Mit der Digitalisierung ändert sich das.

Von Matthias Schrader
6 Min.
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Ob der Konsument dann das Produkt nur ein einziges Mal nutzte oder ob es zum Teil seines Alltags wurde, spielte für den Hersteller erst einmal keine große Rolle. Deshalb war es rational, große Mengen von standardisierten Gütern zu produzieren, die sich mit den Methoden des klassischen Marketings in den Markt drücken ließen. In der logischen Sekunde des Verkaufs an den Konsumenten war der wirtschaftliche Erfolg gesichert.

Deshalb war Nachhaltigkeit kein zentraler Wert des Industriezeitalters. Digitale Produkte funktionieren anders. Ein transformationales Produkt ist nur dann erfolgreich, wenn der Nutzer es regelmäßig nutzt und es auf ihn persönlich zugeschnitten ist. Es kreiert mehr Wert, je intensiver es genutzt wird. Regelmäßige Nutzung setzt eine Veränderung des Nutzerverhaltens voraus.

Lock-ins

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Damit ein transformationales Produkt im Leben des Nutzers einrasten kann (Lock-in), braucht es zunächst etwas scheinbar Triviales: einen Login. Ein Nutzerkonto ist die Basis für personalisierte Services und das Wachsen einer nachhaltigen Beziehung zwischen Nutzer und Produkt. Das klingt banal, ist aber trotzdem nicht selbstverständlich. Gegenbeispiele gibt es viele.

Hängt die Beziehung zum Netzanbieter an der Rufnummer oder an der E-Mail-Adresse? Und wie ist es beim Stromlieferanten? Welches Versicherungsunternehmen bietet einen zentralen Login über alle Versicherungen hinweg als Basis für neue Dienste an? Sind die persönlichen Einstellungen im Auto (Sitzposition, Audioeinstellungen, Fahrmodus, Navigationsprofil) an einen personalisierten Login oder an den Fahrzeugschlüssel gebunden?

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Am Login hängen nicht nur das persönliche Profil und die Nutzungshistorie.


Am Login hängen nicht nur das persönliche Profil und die Nutzungshistorie. Das Nutzerkonto hat vor allen Dingen auch strategische Bedeutung. Es ist Ausgangspunkt für die Entwicklung von funktionalen und mentalen Einrastpunkten. Nur so ist es möglich, ausgehend von Core-Services wie Suche oder Bücherbesorgung, nach und nach einen immer größeren Teil der Aufmerksamkeit mit neuen Diensten zu besetzen. Der Login bereitet den Grund für funktionale Lock-ins, indem immer mehr digitale Dienste mit dem Nutzerkonto verbunden werden.

Bei Amazon zementiert sich dieser funktionale Lock-in etwa mit jedem neuen E-Book-Kauf. Die gesamte Kindle-Bibliothek hängt am Amazon-Nutzerkonto, und ohne Amazon-Account sind die elektronischen Bücher nicht mehr nutzbar – ein klassischer Lock-in. Ähnliches gilt für die meisten digitalen Medienbibliotheken, aber auch für E-Mail, Apps, Playlists oder Kontakte.

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Auch dort, wo es keinen harten technologischen Lock-in gibt, theoretisch also ein Anbieterwechsel ohne Datenverlust möglich wäre, sorgen häufig die Convenience und die Routine für einen robusten mentalen Lock-in: Dem Aufwand und der Unbequemlichkeit eines etwaigen Wechsels steht kein entsprechender Nutzengewinn gegenüber. Die Kindle-Bibliothek auf ein nicht zum Amazon-Universum gehörendes Lesegerät zu übertragen, mag zwar technisch möglich sein, soweit dem das Digital-Rights-Management (DRM) nicht entgegensteht. Der Prozess ist aber zu kompliziert und verspricht keine maßgebliche Verbesserung der User-Experience. Deshalb wird der Nutzer in der Regel auf den Wechsel verzichten.

Insbesondere durch Abomodelle können starke Lock-ins entstehen. Wer monatlich für den Zugang zu Streamingdiensten wie Netflix oder Spotify zahlt, verliert mit der Kündigung nicht nur den künftigen Zugang zu Filmen oder Musik, sondern muss auch die Zahlungen der Vergangenheit mental abschreiben. Die Sunk-Cost-Fallacy sorgt hier für ein mentales Festhalten am Produkt. Gleichzeitig ist mit dem Wechsel des Anbieters der Verlust des Nutzerprofils verbunden. Er hat, um im Beispiel zu bleiben, nicht nur explizite Playlists angelegt, sondern es dem Anbieter durch seine Nutzungshistorie auch implizit ermöglicht, mittels entsprechender Algorithmen sein künftiges Nutzungsverhalten immer besser zu antizipieren und über personalisierte Empfehlungen die Kundenbindung zu vertiefen. Bei einem neuen Service müsste der passionierte Nutzer wieder bei null beginnen und sich durch für ihn irrelevante Mainstream-Charts quälen.

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Amazon als Schwarzgurtträger

Die Abomodell-Logik von digitalen Produkten unterscheidet sich dennoch scharf von klassischen Subskriptionsmodellen, etwa der Mitgliedschaft in einem Fitnessstudio. Hier zahlen die besten Kunden jeden Monat pünktlich ihren Beitrag, ohne jemals zum Training zu erscheinen. Oder Versicherungen: Die besten Kunden zahlen regelmäßig, ohne jemals Leistungen in Anspruch zu nehmen.
Der mentale Lock-in solcher Geschäftsmodelle entspricht dem Ablasshandel, wie ihn der Dominikanermönch Johannes Tetzel einst perfektionierte und der Martin Luther zur Reformation veranlasste. Gezahlt wird heute, die Gegenleistung gibt es erst im Jenseits – oder nie, je nachdem. Bei digitalen Gütern liegen, wie wir bereits gesehen haben, die Grenzkosten nahezu bei null. Der Anbieter schöpft daher bei Nutzung seines Produkts Wert, da die Produktnutzungskosten marginal sind und der Erlösstrom durch die Nutzung verstetigt wird.

Es gibt aber noch weitere mentale Lock-ins. Zum Beispiel „fire and forget“. Der Schwarzgurtträger in dieser Kategorie ist ohne Zweifel Amazon. Jeff Bezos erzieht seine Kunden sehr erfolgreich, Bestellungen als unbewusste Routine abzufeuern – und das am liebsten auf einem Amazon-Gerät. Der Hook ist hier das Kundenbindungsprogramm Prime, das eine kostenfreie Zustellung mit extrem hoher Zuverlässigkeit in kürzester Zeit garantiert. Prime ist so beliebt, dass mittlerweile über 17 Millionen Nutzer in Deutschland rund fünf Euro monatlich für die Teilnahme zahlen. Mit Amazon Go geht Bezos sogar noch einen Schritt weiter: Selbst der letzte Klick entfällt, der Kunde nimmt seine Ware einfach aus dem Regal. Wie bei Uber erkennen Sensoren nebenläufig, was passiert, und rechnen den Einkauf im Hintergrund ab.
Die Nutzererfahrung mit Prime erzeugt einen starken mentalen Trigger, der die wesentlichen Nachteile des Versandhandels praktisch eliminiert: Lieferzeit, Zustellverbindlichkeit und Lieferkosten. Durch die taggleiche Zustellung treibt Bezos den Marktstandard immer weiter. Der auslösende Reiz ist der 1-Click-Bestellknopf, den sich Amazon bereits 1999 patentieren und als Marke eintragen ließ.

Dieser ist eine jener genial einfachen Ideen, bei denen man sich fragt, warum niemand vorher darauf gekommen ist. 1-Click verankert Themen wie Vertrauen, Sicherheit, Verlässlichkeit, Erledigung und Schnelligkeit direkt im User-Interface und damit tief in der Interaktion mit dem Nutzer. Besser lässt sich das Nutzenversprechen von Amazon kaum kommunizieren als mit diesem simplen Button auf jeder Produktdetailseite.

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Amazon Dash ist nur die konsequente Übersetzung des mentalen in einen funktionalen Lock-in und in den physischen Raum. Wenn die schnelle und ver- lässliche Besorgung via Amazon erst einmal im Kopf eingerastet ist, dann kann diese Mechanik flächendeckend über mehr und mehr Sortimente ausgerollt und mit solchen Use-Cases verbunden werden, die heute noch eher fern der digitalen Welt liegen. So ist es nur eine Frage der Zeit, bis Wasch- oder Kaffeemaschinen gleich ab Werk mit fest eingebauten Dash-Knöpfen geliefert werden.

User-Interfaces

Unter User-Interface verstehen wir die Mensch-Maschine-Schnittstelle. Das Interface kann neben den heute vertrauten Ausprägungen wie Webanwendung oder mobile App noch viele andere Formen der Interaktion zwischen Nutzer und System annehmen. So stand in der Prä-PC-Ära noch die Kommandozeile zwischen Mensch und Maschine. Heute verstehen wir als User-Interface meistens eine grafische Benutzerschnittstelle. Dieses Konzept wurde Anfang der 1980er-Jahre erstmals von einer Gruppe von Informatikern präsentiert, die in den Labs von Xerox Parc an innovativen Konzepten für den Fotokopierkonzern arbeiteten. Ihre Entwicklung – der Xerox Star – führte erstmals eine grafische Benutzeroberfläche mit Fenstern und Mausbedienung ein.

Xerox verfolgte diese Ansätze selbst nicht weiter, da das Unternehmen eine Kannibalisierung seines Kerngeschäfts fürchtete. Bill Gates und Steve Jobs zogen aus diesem Jahrhundertgeschenk ihre Produktikonen Windows und Macintosh.

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Der Fortschrittsvektor in der Entwicklung von User-Interfaces ist seit diesem „Xerox-Moment“ auf die stete Vereinfachung der Computernutzung gerichtet. Die Komplexität der Maschine wird durch immer neue Schichten verborgen, die Technologie nahbarer machen: vom Lochstreifen über das Terminal, Fenster und Maus bis Touchscreen, Gesten- und Spracherkennung. Schließlich wird das Interface zu einer unsichtbaren Hülle, in der sich der Nutzer bewegt. Alles wird casual.

Ebenfalls spannend: Digitalisierung: Ohne gutes Design geht gar nichts

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