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Digitale Transformation: Warum wir den technologischen Wandel unterschätzen! [Kolumne]

Unsere Wahrnehmung der technologischen Entwicklung ist linear, während der tatsächliche technologische Fortschritt exponentiell ist. Offensichtlich sind sich dieser Tatsache viele Leute, die mit Technologie beruflich zu tun haben, nicht bewusst. Die technologischen Möglichkeiten der nächsten Jahre werden somit fundamental unterschätzt. Die Transformation-Kolumne von Alain Veuve.

Von Alain Veuve
5 Min. Lesezeit
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Weiterentwickeln oder aussterben? (Foto: Shutterstock)

…weil technologische Entwicklung exponentiell voranschreitet – wir es aber nicht realisieren, weil wir denken, dass die Vergangenheit als Maßgabe für die Zukunft dienen könne. Es ist das Wesen einer exponentiellen Entwicklung, dass man eine recht lange Zeit gar nicht realisiert, dass diese nicht linear verläuft. Auf dieser historischen linearen Wahrnehmung daher basieren wir unsere Kriterien für Investitionen. Wir täuschen uns also dabei fundamental und genau darum ist das so gefährlich.

Diese Aussage von mir hat kritische Stimmen laut werden lasssen. Ein erster Einwand dazu war, wie ich denn so etwas behaupten könne, es gäbe ja gar keine Grundlage dafür. Ich muss entgegnen – doch die gibt es. Ray Kurzweil hat in seinem grandiosen Essay aus dem Jahre 2001 „The Law of Accelerating Returns“ genau diesen Sachverhalt mehr oder minder wissenschaftlich behandelt (und Schlüsse für die Zukunft gezogen). Er hat dabei die historische biologische und technologische Entwicklung untersucht und kann statistisch nachweisen, dass diese Entwicklung exponentiell erfolgt.

Transformation: Warum exponentiell?

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Eigentümlich ist es ganz simpel: Die technologische Entwicklung, wie wir sie kennen, ist im Grunde genommen nichts anderes als die Fortsetzung der Evolution auf nicht-biologischer Basis. Ein Evolutionsprozess besteht, einfach formuliert, aus einer Verbesserung die schrittweise erfolgt. In jedem Schritt wird das evolutionierende Objekt verbessert und in seiner Umgebung getestet. In kleinen Schritten wird so das Objekt, nach dem Try-&-Error-Prinzip verbessert – in dem die funktionierende Variante weiterverfolgt wird.

Es ist dieser Prozess der uns zu dem gemacht hat, was wir heute sind; komplexe Organismen die im Stande sind komplexe Sachverhalte zu durchdringen und sich damit Vorteile zu verschaffen. Ray Kurzweil sagt nun, dass wir mithilfe von nicht-biologischen Hilfsmitteln diese evolutionären Prozess fortsetzen, da unser biologischer Körper nicht in der Lage ist im selben Tempo an Intelligenz zuzulegen. Jede technologische Verbesserung führt dazu, dass die nächste technologische Verbesserung schneller erreicht werden kann. Simples Beispiel; ohne die Erfindung eines Hammers wäre die Erfindung des Rades langsamer gegangen.

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Digitale Transformation: Sich weiterentwickeln oder aussterben? (Foto: Shutterstock)

In diesem Prozess verbessert sich die Technologie rasant und sie tut dies immer schneller. Sieht man sich Ray Kurzweils historische Daten an, erkennt man, dass dies mit einer unglaublichen Zuverlässigkeit passiert. Auch gewaltige Ereignisse wie der 2. Weltkrieg, scheinen diese Entwicklung nicht beeinträchtigen zu können.

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Die exponentielle Verbesserung der exponentiellen Verbesserung

Was Kurzweil weiter nachweist ist, dass auch die Rate der Verbesserung der Schritte exponentiell wächst. Dies ist auf den ersten Schritt verblüffend, bei genauerer Betrachtung aber logisch.

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„Kombinierte Technologien ermöglichen eine beschleunigte Evolution.“

Die Kombination von verschiedenen Technologiesträngen ermöglicht insgesamt eine Beschleunigung der gesamten technologischen Evolution. Ein (vereinfachtes) Beispiel: Die rasche Entschlüsselung des menschlichen Genoms wurde unter anderem durch Computertechnologie ermöglicht, die Erkenntnisse über die DNA helfen die Funktionsweise des Gehirns besser zu verstehen, was wiederum dazu dient bessere Computertechnologie zu entwickeln.

Die Resultate daraus?

Das Resultat daraus ist, dass wir in den nächsten Jahrzehnten eine technologische Entwicklung sehen werden, die alles bisherig erlebte in den Schatten stellen wird. Es werden Dinge möglich sein, die wir uns heute gar noch nicht vorstellen können. Und sie werden nicht erst in 200 Jahren möglich sein sondern in 20. Kurzweil führt verschiedene Punkte dazu aus. Eindrücklich finde ich seine Berechnung bezüglich der Rechenleistung. Kurzweil macht folgende Aussagen:

  1. Wir erreichen das Equivalent der Rechenleistung eines menschlichen Gehirns für $ 1000 in 2023.
  2. Wir erreichen das Equivalent der Rechenleistung eines menschlichen Gehirns für 1 cent in 2037.
  3. Wir erreichen das Equivalent der gesamten biologischen Rechenleistung der Menschheit für $ 1000 in 2049.
  4. Wir erreichen das Equivalent der gesamten biologischen Rechenleistung der Menschheit für 1 cent in 2059.

Ray Kurzweil, der schon lange an dem Thema dran ist, machte auch eine Reihe von Micro-Vorhersagen welche sich alle bewahrheitet haben. Das ist auch weiter nicht verwunderlich, hat er doch einfach die historische exponentielle Kurve für diese Vorhersagen weitergezogen.

Warum die meisten Menschen die Entwicklung unterschätzen

Wenn wir uns das heute vorstellen, tönt es surreal und wir sind geneigt zu sagen, dass das alles viel länger gehen wird. Warum? Ganz einfach weil unsere Wahrnehmung der letzten Jahrhunderte eben die eines sich langsam entwickelnden Fortschritts ist. Kurzweil dazu:

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From the mathematician’s perspective, a primary reason for this is that an exponential curve approximates a straight line when viewed for a brief duration.

Und zum Beispiel hundert Jahre sind in dem Fall halt eine recht kurze Zeit. Wir nehmen daher die technologische Entwicklung als linear wahr und beziehen diese Wahrnehmung auf die Zukunft, während die tatsächliche technologische Entwicklung viel größere Fortschritte macht.

Weil wir den Grad des Fortschritts jede Dekade verdoppeln, werden wir die Entwicklung eines Jahrhunderts – gemessen am Grad des heutigen Fortschritts – in nur gerade 25 Jahren sehen.

Digitale Transformation: Kann dieses Wachstum so weitergehen?

Kurzweil sagt klar ja und beschreibt mögliche Wege. Vieles von dem ist jedoch für die meisten Menschen schlicht unfassbar. Und, es zeichnet eine Welt in der die Leute von heute größtenteils nicht leben möchten. Ist das schlimm? Nein sage ich. Ein einfaches Gedankenexperiment dazu: Hätte der Mensch aus dem 17. Jahrhundert so leben wollen wie wir es heute tun? Wohl nicht. Hätte unsere Lebensumgebung und unsere gesellschaftlichen Interaktionen Befremden ausgelöst? Wohl sehr. Unsere Wahrnehmung und Einstellung dazu wird entsprechend mitwachsen.

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„Ray Kurzweil ist sicher auch ein Freak“

Ray Kurzweil ist sicher auch ein Freak, der blind davon ausgeht, dass der Mensch sämtliche neue Technologie geradezu sofort für sich einsetzt. Dafür steht er auch in der Kritik. Zwar glaube ich auch, dass sämtliche verfügbare Technologie früher oder später genutzt wird. Bis aber eine gesellschaftliche Adaption der jeweiligen Technologie erfolgt, hängt primär von gesellschaftlichen Parametern ab. Diese klammert Kurzweil in bisweilen religiös anmutender Euphorie konsequent aus.

Man darf jedoch nicht der Versuchung unterliegen sein „Law of accelerating returns“ aus diesem Grund komplett als Unsinn abzutun. Zu genau kann Kurzweil aus den historischen Daten eine entsprechende Entwicklung nachweisen, zu oft waren seine Vorhersagen bislang korrekt.

Klar ist jedoch, dass die nächsten Jahrzehnte einen technologischen Fortschritt bringen werden, welcher unsere Gesellschaft und damit unsere Wirtschaft wieder grundlegend umbauen werden. Fast alle bestehenden Strukturen werden neu definiert. Das was wir als Digitale Transformation bezeichnen, ist dabei nur der laue Anfang einer tiefgreifenden, irreversiblen technologischen Umwälzung.

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Lesetipp: Ray Kurzweil, “The Law of Accelerating Returns”

Ursprünglich publiziert von Alain Veuve .

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Blockierer und Verhinderer sind oft an der Macht. Viele hilfreiche Dinge müssen aus USA kommen und die kriegen die Europäischen Verhältnisse nicht in den Griff (Walmart, Craigslist, …). Und dank TTIP ist man besser Amerikanischer Großkonzern. Dank fehlender WiFis ist die Hälfte der Startups hier nicht nutzbar wenn man nicht mobil günstig ins Netz kommt.

China kann sogar iPhones und iWatches produzieren aber Kreatiivität ist evtl Mangelware. Sonst würden vielleicht dort die guten Apps her kommen.

Antworten
Christian

„Adapt or perish, now as ever, is nature’s inexorable imperative.“ – H. G. Wells

Etwas ähnliches haben auch schon andere gesagt ^^

Antworten
Nico Saborowski

Passt super zur Beschleunigungs- und Entfremdungstheorie, bspw. von Hartmut Rosa. Technische Beschleunigung bedingt einen sozialen Wandel, der ein erhöhtes Lebenstempo mit sich bringt, was gut an Symptomen wie erhöhten Selbstmordraten in Leistungsgesellschaften wie Südkorea oder Japan oder an steigenden Burn-Out-Fällen zu sehen ist. Könnte man mit Krebs vergleichen, der seinen Wirt bis zum Tod ausnutzt, dann aber selber nicht mehr existieren kann.

Technisch sehr interessant, die Digitale Transformation, gesellschaftlich aber eher fragwürdig. Nicht umsonst gibt es Kollege, die sich intensivst mit Modellen von Postwachstumgsgesellschaften auseinandersetzen. Dort verläuft das Wachstum nicht mehr exponentiell.

Antworten

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