Anzeige
Anzeige
Ratgeber

Wie schlechtes Design Unfälle provozieren kann und wie gute UX dagegen hilft

Menschliches Versagen ist oftmals die Folge von schlechtem Design. Intelligentes Software-Design ist die Verantwortung von User-Experience-Designern – und es beschäftigt sich mit ungeahnten Aspekten.

Von Monika Gillessen
4 Min.
Artikel merken
Anzeige
Anzeige
(Foto: Shutterstock)

Wie schlechtes Design Unfälle provozieren kann

Am 14. August 2005 verunglückte Helios-Flug 522 und riss 121 Menschen mit in den Tod. Als Ursache wurde menschliches Versagen festgestellt: Die Piloten hatten trotz Warnung durch das System nicht auf den Luftdruckabfall in der Maschine reagiert. Eine nähere Untersuchung zeigte, dass derselbe Warnton, der den Luftdruckabfall anzeigte, auch verwendet wurde, um eine fehlerhafte Fahrwerkstellung anzuzeigen, die zwar unschön, aber nicht kritisch ist. Und sie zeigte, dass die Piloten deswegen den Warnton falsch deuteten und nicht ernst nahmen – bis es zu spät war. Ist dies ein Fall von menschlichem Versagen? Oder eher ein massiver Designfehler?

Der Nutzen der Human-Factors-Forschung

Anzeige
Anzeige

Erkenntnisse aus Unfallanalysen wie der von Flug Helios 522 gibt es viele, und die Human-Factors-Forschung hat es sich zum Ziel gesetzt, alle denkbaren Arten von Fehlerquellen zu finden und zu minimieren. In sicherheitskritischen Bereichen wie der Luftfahrt oder der Kraftwerkssteuerung hat man damit in den letzten Jahren viel erreicht. In den meisten anderen Bereichen der Anwendungsentwicklung ist hier noch viel zu tun.
Das Forschungsinteresse der Human-Factors-Forschung ist überraschend breit angelegt: Welche Faktoren steuern das menschliche Verhalten und erzeugen oder verhindern Fehler im menschlichen Verhalten? Es hat sich gezeigt, dass man dafür in ganz verschiedene Aspekte menschlichen Lebens hinein blicken muss: Neben menschlichen Fehlern kommen Emotionen und die Art, Entscheidungen zu treffen, die Zusammenarbeit im Team (speziell wenn Hierarchien im Spiel sind) und Stress und Müdigkeit in den Fokus. Und wie beeinflusst diese Forschung nun den Bereich Anwendungsentwicklung?

Was gemeinhin unter „menschlichem Versagen“ firmiert, kann vom Design(er) maßgeblich beeinflusst werden.


Hier sind wir am Kern des User-Experience-Designs. Es zeigt sich, dass und warum User-Experience-Design weit über reines Grafikdesign hinaus geht. User-Experience-Design wird heute nach wie vor häufig als reine Schönheitsoperation und Luxusthema angesehen. In sicherheitskritischen Bereichen kann User-Experience-Design jedoch ein äußerst sicherheitsrelevantes Thema sein. Was gemeinhin unter „menschlichem Versagen“ firmiert, kann vom Design(er) maßgeblich beeinflusst werden. In der Medizintechnik oder in der Anlagensteuerung können Menschenleben gerettet oder Umweltkatastrophen geschaffen bzw. verhindert werden, in „Alltagssoftware“ kann es immerhin noch um Geld, Zeit und Nerven gehen. Menschen funktionieren anders als Computer, und sie sind beeinflussbar – auch durch Technik und ganz speziell auch durch visuelles und strukturelles Design. Ein Beispiel aus dem strukturellen Design soll zeigen, wo die Expertise des Designers zum Tragen kommt.

Wie Hierarchie zum Sicherheitsrisiko wird

Ein Cockpit, besetzt mit einem erfahrenen Piloten mit langjähriger Erfahrung und einem jungen Piloten, frisch aus der Ausbildung. In welcher Konstellation fliegt man wohl sicherer: Wenn der alte Hase fliegt und der Junior den Copiloten gibt oder umgekehrt, also wenn der Junior fliegt und der Ältere Copilot ist?

Anzeige
Anzeige

Die Erfahrung zeigt, dass man in der zweiten Besatzung besser fliegt. Aus einem ganz einfachen Grund: Es ist für den Senior einfacher, den Junior zu kontrollieren und gegebenenfalls zu korrigieren als für den Junior. Es sind tatsächlich schon Flugzeuge gegen die Felswand geprallt, weil der Copilot lediglich beim Piloten nachfragte, ob er sich sicher sei, auf der richtigen Flughöhe zu sein anstatt klar auszusprechen, dass das Flugzeug geradewegs auf eine Steilwand zuraste.

Anzeige
Anzeige

Ich hatte in meiner Berufspraxis einen ähnlichen Fall: Wir entwickelten eine Software zum Telemonitoring chronisch erkrankter Patienten. Als ich in das Projekt kam, sah alles ganz einfach aus: Der Arzt gibt die Therapie vor, die Pflegekraft führt aus und nimmt die Befunde auf und der Arzt kontrolliert anhand der Befunde den Heilungsverlauf und passt gegebenenfalls die Therapievorgaben an. Die formalen Verantwortlichkeiten waren klar: Der Arzt hat die Verantwortung für die Festlegung der Therapie und die Pflegekraft für die Durchführung.

Bei näherem Hinsehen stellte sich heraus, dass die Expertise für die Behandlung dieser Art von Erkrankung ein Pflegethema war. Es gab Spezialausbildungen dafür, die zu 99 Prozent von Pflegekräften besucht wurden und nur zu einem Prozent von Ärzten. Die Pflegekräfte erzählten von der Zwickmühle, in die sie geraten konnten, wenn der Arzt Therapievorgaben machte, die aus Sicht der Pflege falsch waren: Sie waren dem Arzt gegenüber verantwortlich für die korrekte Ausführung der Therapievorgaben, und sie waren dem Patienten gegenüber verantwortlich für eine gute und korrekte Behandlung.

Anzeige
Anzeige

Hier standen also die rechtlichen und formalen Vorgaben im Widerspruch zu den tatsächlich gelebten Verhältnissen – was keine Seltenheit ist im gelebten Alltag, für den wir User-Experience-Designer Software konzipieren.

Die Lösung des Problems lag in der geschickten Umstrukturierung des Prozesses. Es wäre ungünstig gewesen, den Pfleger als Kontrollinstanz des Arztes einzusetzen, denn dies hätte dem Statusgefühl der Beteiligten widersprochen und wäre potentiell demütigend aus Sicht des Arztes gewesen. Das neue Systemdesign sieht vor, dass die Pflegefachkraft die Therapie definiert und der Arzt als Kontrollinstanz fungiert. Auf diese Art hat der fachlich besser Qualifizierte die Initiative – und ihn zu korrigieren kostet Aufwand, den sich niemand gerne grundlos macht.

t3n ist Medienpartner der Developer Week 2017. Developer Week 2017:
26. bis 29. Juni 2017, NCC Ost, Messe Nürnberg. Informationen und Anmeldung hier. Weitere Beispiele, die zeigen, wie Erkenntnisse aus der Human-Factors-Forschung ganz pragmatisch in Designlösungen umgesetzt werden können, lernt ihr dort kennen. Wer mehr über das Thema erfahren will, kann Monika Gillessen am Mittwoch, den 28.06.2016 von 10:30 bis 11:30 Uhr in Nürnberg live erleben.

Ebenfalls spannend:

Mehr zu diesem Thema
Fast fertig!

Bitte klicke auf den Link in der Bestätigungsmail, um deine Anmeldung abzuschließen.

Du willst noch weitere Infos zum Newsletter? Jetzt mehr erfahren

Anzeige
Anzeige
2 Kommentare
Bitte beachte unsere Community-Richtlinien

Wir freuen uns über kontroverse Diskussionen, die gerne auch mal hitzig geführt werden dürfen. Beleidigende, grob anstößige, rassistische und strafrechtlich relevante Äußerungen und Beiträge tolerieren wir nicht. Bitte achte darauf, dass du keine Texte veröffentlichst, für die du keine ausdrückliche Erlaubnis des Urhebers hast. Ebenfalls nicht erlaubt ist der Missbrauch der Webangebote unter t3n.de als Werbeplattform. Die Nennung von Produktnamen, Herstellern, Dienstleistern und Websites ist nur dann zulässig, wenn damit nicht vorrangig der Zweck der Werbung verfolgt wird. Wir behalten uns vor, Beiträge, die diese Regeln verletzen, zu löschen und Accounts zeitweilig oder auf Dauer zu sperren.

Trotz all dieser notwendigen Regeln: Diskutiere kontrovers, sage anderen deine Meinung, trage mit weiterführenden Informationen zum Wissensaustausch bei, aber bleibe dabei fair und respektiere die Meinung anderer. Wir wünschen Dir viel Spaß mit den Webangeboten von t3n und freuen uns auf spannende Beiträge.

Dein t3n-Team

J.D.

Schlechtes Design? So wie euer neues Twitter Logo?
Dieses Gelb ist schrecklich..

Antworten

Melde dich mit deinem t3n Account an oder fülle die unteren Felder aus.

Bitte schalte deinen Adblocker für t3n.de aus!
Hallo und herzlich willkommen bei t3n!

Bitte schalte deinen Adblocker für t3n.de aus, um diesen Artikel zu lesen.

Wir sind ein unabhängiger Publisher mit einem Team von mehr als 75 fantastischen Menschen, aber ohne riesigen Konzern im Rücken. Banner und ähnliche Werbemittel sind für unsere Finanzierung sehr wichtig.

Schon jetzt und im Namen der gesamten t3n-Crew: vielen Dank für deine Unterstützung! 🙌

Deine t3n-Crew

Anleitung zur Deaktivierung
Artikel merken

Bitte melde dich an, um diesen Artikel in deiner persönlichen Merkliste auf t3n zu speichern.

Jetzt registrieren und merken

Du hast schon einen t3n-Account? Hier anmelden

oder
Auf Mastodon teilen

Gib die URL deiner Mastodon-Instanz ein, um den Artikel zu teilen.

Anzeige
Anzeige