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Millionen Klicks – mit 3 Mitarbeitern und 100 Artikeln: Wie Wait But Why den Online-Journalismus neu erfindet [Kolumne]

Das 2013 gegründete US-Medienangebot Wait But Why publiziert Artikel immer dann, wenn sie fertig sind. Manchmal vergehen Wochen ohne neuen Text. Und doch entwickelt sich die Site zu einem Besuchermagnet mit großer Anhängerschaft. Sie ist in gewisser Weise das genaue Gegenteil von Buzzfeed, wie Martin Weigert in seiner Kolumne Weigerts World analysiert.

Von Martin Weigert
4 Min. Lesezeit
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(Grafik: Wait But Why)

Wird dieser Tage irgendwo über den Status Quo und die Zukunft des Journalismus gesprochen, geschrieben oder debattiert, darf eine Erwähnung von Buzzfeed grundsätzlich nicht fehlen. Doch ich bin der Meinung, dass ein anderes, noch deutlich jüngeres Online-Medienangebot in den Diskursen zu den Herausforderungen und Chancen des Journalismus im digitalen Zeitalter unbedingt ebenfalls Erwähnung finden sollte: Wait But Why (WBW). Eine Site, die wohl mit mehr in fast zwei Dekaden Netzjournalismus entstandenen Regeln und Normen bricht als irgendein anderes Angebot.

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Erstmals bewusst erschien die 2013 gestartete Publikation auf meinem Radar im März, als ich auf dieses Porträt von Fast Company stieß. Zuvor hatte ich zwar schon ab und an einen WBW-Artikel zu Gesicht bekommen, aber mir nie Gedanken darüber gemacht, um was für eine Publikation es sich da handelt: Um eine echte Ausnahmeerscheinung im heutigen Medienmarkt.

3-Personen-Medienstartup mit Millionen Besuchern

Was Wait But Why von anderen abhebt, ist der totale Verzicht auf quantitative Kriterien. (Screenshot: Wait But Why)

Was Wait But Why von anderen abhebt, ist der totale Verzicht auf quantitative Kriterien. (Screenshot: Wait But Why)

Was WBW von Buzzfeed und der Vielzahl anderer moderner Medienhäuser des Netzzeitalters und natürlich auch von allen altehrwürdigen Zeitungs- und Medienmarken abhebt, ist der totale Verzicht auf quantitative Kriterien. Seit März wurden gerade mal fünf Texte veröffentlicht. Drei Longform-Stücke – darunter ein ausführlicher Report über und mit Tesla-Gründer Elon Musk – sowie zwei „Minis” genannte Kurztexte. Die radikale Limitierung auf wenige, dafür zumeist sehr ausführliche, brandaktuelle und Menschen bewegende Artikel ist bei WBW eine bewusste Entscheidung – nicht etwa Folge ungewollt knapper Ressourcen. Wobei die Ressourcen durchaus knapp sind. Denn WBW hat lediglich einen Autor: den Co-Founder Tim Urban. Sein Mitstreiter Andrew Finn kümmert sich um das Geschäftliche, seine Schwester Jordan Urban unterstützt das Duo beim Lektorat und der Kommentar-Moderation.

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„New posts every sometimes“ – dieser Slogan ist unter dem Website-Logo zu lesen. Großartig! WBW bricht hier mit einem nie wirklich hinterfragten Paradigma, das von allen Akteuren auch einfach vom Analogen ins digitale Zeitalter übernommen wurde: Die Annahme, dass Lesern regelmäßig eine große Zahl an Inhalten vorgesetzt werden muss, wenn man viele Leute erreichen und erfolgreich sein will. Printprodukte (die ihre Testausgabe überstehen) folgen stets einer im Vorfeld festgelegten, regelmäßigen Erscheinungsweise. Ungeachtet davon, ob genug berichtenswerte Inhalte vorliegen, um eine Ausgabe zu rechtfertigen.

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Und auch sämtliche ernsthaft geführten Online-Publikationen verfahren nach der Prämisse, dass viel Content grundsätzlich besser ist als wenig Content. Da macht Buzzfeed keine Ausnahme. Zwar zeigt sich der allseits gelobte Gründer Jonah Peretti ungemein experimentierfreudig und stellt viele Konventionen der Branche in Frage. Zugrunde liegt dennoch das alte Credo aller ehrgeizigen, in großen Dimensionen denkenden Online-Publizisten: Masse vor Klasse (selbst wenn Qualität auch manchmal angestrebt wird). Entsprechend sieht die Buzzfeed-Homepage auch aus.

Medien wie Buzzfeed setzen hauptsächlich auf Schlagzahl. (Screenshot: Buzzfeed)

Medien wie Buzzfeed setzen hauptsächlich auf Schlagzahl. (Screenshot: Buzzfeed)

Wait But Why: Virale Artikel aus 6.500 Wörtern

Bei WBW gilt ein gänzlich anderer Grundsatz: Tim Urban publiziert immer dann einen Artikel, wenn er einen fertig hat. Und da viele der Stücke viele tausend Worte umfassen (der Text über Elon Musk liegt bei rund 6.500), können mitunter mehrere Wochen vergehen, bis Leser einen neuen Beitrag bei WBW finden. Dem Leserwachstum hat dieser ungewöhnliche Veröffentlichungsrhythmus nicht geschadet: 1,6 Millionen eindeutige Besucher generieren 4,6 Millionen Seitenaufrufe pro Monat (laut Fast Company mit Stand März 2015). Seit dem Debüt sind 31 Millionen Unique Visitors gekommen, 87 Millionen Seitenaufrufe wurden gezählt. Und das mit weniger als 100 publizierten Artikeln. Mehr als 200.000 Personen haben WBW bei Facebook favorisiert, über 130.000 lassen sich über einen neuen Text per E-Mail benachrichtigen. Artikel werden immer von Tausenden im Web verbreitet.

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„Die stilprägenden Prinzipien sind Langsamkeit, Genauigkeit, Fokus, Qualität und die konsequente Ablehnung von journalistischem Fast Food.“

Trotz dieser mehr als erstaunlichen Zahlen ist mein Vergleich von Buzzfeed und WBW hinsichtlich der Reichweite nicht gerade fair. Der aufstrebende New Yorker Digital-Media-Gigant gibt seine Gesamtreichweite über alle Kanäle mit 200 Millionen an. Was mich dennoch dazu bewegt, Buzzfeed und WBW in einem Atemzug zu nennen, ist die Tatsache, dass beide Angebote auf radikale Weise das Publizieren neu erfinden – selbst oder gerade, weil ihre Ansätze einander diametral entgegenstehen.

Bei Buzzfeed geht alles um Schnelligkeit, Größe, Masse, kostspielige Experimente, aufwändige Interaktivität, riesige Redaktionen, millionenschwere Werbekunden sowie die ständige Anpassung an neue Trends. WBW verzichtet auf all das. Die stilprägenden Prinzipien, nach denen die WBW-Macher agieren, sind Langsamkeit, Genauigkeit, Fokus, Qualität und die konsequente Ablehnung von journalistischem Fast Food.

WBW ist der vielleicht erste reichweitenstarke Drei-Personen-Verlag des Internets. Das Gründer-Duo Urban und Finn liefert den Beweis, dass man im Netz für eine breite Masse publizieren kann, ohne nach den Regeln der Großverlage und millionenschweren Medien-Startups spielen zu müssen. Was man braucht, ist Talent zum Schreiben, ein intuitives Verständnis dafür, was Menschen abseits von Clickbait und den zumeist unpersönlich präsentierten Reportagen der Leitmedien lesen wollen, eine Bereitschaft zum ständigen Lernen (was für Urban stets der Beginn eines neuen Artikels ist) sowie Durchhaltevermögen. Die Monetarisierung wiederum fällt bei einem Mini-Unternehmen wie WBW nicht schwer. Wer Millionen Besucher, aber keine Mitarbeiter hat, dem genügen Einnahmen aus Merchandising und E-Book-Verkäufen, um lukrativ zu sein. Eine größere externe Finanzierungsrunde haben die zwei Gründer nicht durchgeführt.

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Hoffentlich findet Wait But Why Nachahmer

Ausgehend von dem, was sie aufgebaut haben, muss man Urban und seinen Co-Founder zwar schon für Ausnahmepersönlichkeiten halten. Die einzigen, die ein Projekt wie WBW aufziehen können, sind sie aber garantiert nicht. Insofern ist zu hoffen und auch zu erwarten, dass WBW Nachahmer finden wird.

Vielleicht stehen wir ja sogar am Beginn des großen Durchbruchs einer Philosophie, deren Vorkämpfer seit einigen Jahren unter dem Label „Slow Media“ für einen nachhaltigen, entschleunigten Journalismus eintreten. Bisher gab es (nach meiner Kenntnis) kein nicht-monothematisches, viel besuchtes Onlineangebot, das mit den Slow-Media-Grundsätzen vereinbar war. Wait But Why aber ändert das gerade.

Weitere Kolumnen aus „Weigerts World“ findet ihr hier.

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8 Kommentare
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MarkusK

Ja, Nachahmer nicht, eher einen Vorgänger, der aber in Sachen journalistische Qualität, Tiefgang und loyale Fans in Maßen ebenbürtig ist: brand eins
Ich mag diese Zeitschrift aus genau den gleichen Gründen: seltene Erscheinung, gut ausgewählte Themen und z.T. lange und tiefgründige Texte. Ich werde mich dank eurem Artikel jetzt mal bei wbw in den Textalert eintragen.. :-)

Gruß Markus

Antworten
Zeitungs-Leser

Bei Tageszeitungen geht es aber um News. Und Dienstags ist wohl meist am dünnsten und am Samstag gibts extra-beilagen zu gängigen Themen. Am Montag sind dann die ganzen Berichte über Sport-Events am Wochenende drin.
Und Zeitschriften sind auch mal dicker oder dünner. Ich vermute das zur Cebit bestimmte Fachzeitschriften dicker sind…
In der Kantine wird auch das Tablett voll gemacht. Mit selbstgewählten Beilagen oder unterschiedlichen wechselnden Tages-Hauptgerichten. Der Preis bleibt meist gleich.

Die Zeitungen berichten die wichtigsten Ereignisse auf jeweils 1-2 Seiten. Oft sind es ja auch Agenturmeldungen was ja auch dran steht. Wenn was wichtiges passiert gibts Extra-Platz oder unwichtigeres entfällt oder wird einen Tag später berichtet.

Wie ich schon lange beschreibe, ist Print platzbegrenzt mit vorgegebenen Wort-bzw. Fläche-Mengen. So wie Fastfood das in die Einheits-Packung passen muss oder Essen das auf die Kantinen-Tabletts passen muss.
Online-Journalismus hat bis heute oft wohl nicht begriffen das Online das Vollwert-Menü mit beliebig Platz sein kann und sollte. Dazu gehören alle Quellen, volle Informationen (Heise macht das Ansatzweise indem Alle Quartalszahlen zeit x Jahren aufgelistet werden was im Print natürlich nicht geht), (wiederkehrende) optionale Erklärungen die man aufklappen kann wenn man z.b. den Unterschied von USB-C oder USB3.1/3.0 zu 2.0 erklärt haben will.

Online-Journalismus ist gedanklich immer noch viel zu nah an Print (platzbegrenztes Fast-Food-Äquivalent bzw. einheitliche Supermarkt-Waren-Verpackungs-Abmessungen) dran.
Das ist aber ein gedankliches Problem der Teilnehmer die die neuen Möglichkeiten wohl nicht nutzen und mit einem Ferrari vielleicht nicht schneller fahren möchten als mit einem Pferd oder mit einem Smartphone nur Telefonieren oder die iWatch nur für Uhrzeit nutzen.
Auch das man von Kommentaren lernt sieht man bei wiederkehrenden Meldungen (Quartals-Zahlen von z.b. Deutschlands zweitgrößtem Software-Hersteller wo fast immer gefragt wird was die eigentlich machen) eher nicht. Leserbriefe werden eher selten beantwortet und wenn dann (evtl gekürzt) im Print veröffentlicht. Da lese ich eher die kultigen Leserbrief-Antworten der Gamefront.

Neulich gabs bei Golem zu Industrie 4.0 einen Artikel bei ich glaube golem. Dort hiess es das geistig agile Manager in allen Branchen und Alters-Stufen vorhanden wären. Es gibt halt Leute die den Fußballverein weiterbringen wollen und andere die nur Großmanns-Süchtig den Verein in die Pleite oder den Abstieg reiten. Gleiches gilt für produzierendes Gewerbe, Handelndes Gewerbe und Journalisten. Geistige Agilität und Fähigkeit für Neues ist wohl nicht jedem gegeben. Wenn diese Fortschrittsverhinderer keine Manager werden würden, wäre es auch egal. Gehts der Firma schlecht, gehts dem Kunden schlecht, und dem Steuerzahler und dem Kredit-Geber(eigene Sparkasse) und dem Volk(Steuer-Ausfälle) also allen.

Es gibt immer wieder nette Projekte auch von der Lokalpresse. Leider ist Software teuer und oft wenig interoperabel so das es sich vorhandene sinnvolle Dinge kaum verbreiten obwohl z.b. Lokalzeitungen oder alle Titel im gleichen Verlag oft nicht bzw. kaum in Konkurrenz stehen.

Antworten
Jürgen Schulze

Eine wirklich willkommene Abwechslung.
Denn eines zeigt die Entwicklung der letzten Jahre: Je aktueller eine Nachricht ist, desto unwichtiger ist sie letztlich.
Früher wickelte man den Fisch in die Zeitung von gestern. Aber was macht man mit dem Tweet, der auf der Timeline nach unten rutscht?

Antworten
Tom

Klar leben Tageszeitungen und die angehängten Onlinemagazine von den brandaktuellen News, da könnte man sich nicht erlauben, so zu agieren. Das Pendant wbw wären dann eher die Magazine und da täte es gut, wenn die ab und zu so handeln würden. Letztendlich ists es aber doch genau die Art, wie viele mal gebloggt haben, oder? Dann was rausbringen, wenn man was Sinnvolles hat. Ich für meinen Teil stelle fest, dass ich beispielsweise Seiten auf FB wieder „entlike“ wenn zu viel kommt, bzw. wenn ich merke, dass Artikel nur gebracht werden, damit Inhalt da ist. Wenn sich Inhalte wiederholen, dann erst recht.

Antworten
kdm

In Zeiten VOR dem Internet (hier: websites) hätte sich niemand gewundert, dass es fundierte (& lange) Texte gibt. Die gab es nämlich, zu Hauf. Die stehen alle bei mir im Bücherschrank. Na ja, nicht „alle“ (so lange lebe ich gar nicht, um all das zu lesen) — aber so viele, dass ich immer wieder gerne danach greife und wieder darin lese.
.
Erstaunlich, was & wie schnell eine neue Generation vergessen kann.
Aber das schnelle, bunte, aufregende (heute heißt das Modewort dafür „spannend“) gab’s schon immer. Es zählte nicht. Es war nicht wichtig. Im der Zeitung von gestern wurden Fische eingewickelt (nicht mal dies Sprichwort gibt es noch?!).
Tempi passati!

Antworten
kdm

Ha! das Fischeinwickel-Zitat scheint doch noch nicht vergessen (ich hatte den Kommentar noch nicht gelesen).
Danke!

Antworten
Gerald

Auch wenn die Rechtschreibprüfung etwas anderes behauptet: Der Mann heißt Elon Musk, nicht Elon Musik. Und Bildblog schreibt den falschen Namen einfach ab ;)

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Martin Weigert

Oh peinlich :) Danke, ist geändert.

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