App-Design für die Smartwatch: Die perfekte User-Experience am Handgelenk
Mit der Apple Watch haben es die Smartwatches im vergangenen Jahr zumindest schon mal ins Rampenlicht geschafft: Doch auch wenn die (mediale) Aufmerksamkeit da ist und Analysten schon seit Jahren einen riesigen Umsatzanstieg prophezeien (und damit den Untergang der reinen Fitness-Armbänder) – bisher lässt der Erfolg der Smartwatches noch auf sich warten, wenn man mal von den Early Adopters absieht [1]. Die Apple Watch ist mit Abstand die bisher erfolgreichste Smartwatch, selbst wenn die Verkaufszahlen auch hier bislang hinter den hohen Erwartungen zurückgeblieben sind.
Ein wichtiger Faktor für diesen Umstand ist – neben den Devices selbst – immer auch das Ecosystem der dazugehörigen Apps. Zwar haben sich schon einige sinnvolle Anwendungsgebiete für Smartwatches herauskristallisiert, etwa der Fitnessbereich und das Reisen. Aber überzeugende Killer-Apps gibt es noch nicht.
Wer einen sinnvollen Einsatzzweck für seine Smartwatch-App gefunden
hat, muss sich zudem einem hart umkämpften Markt stellen. Dabei ist eine herausragende User-Experience bei einem so persönlichen Device erfolgsentscheidend – und die erreichen Designer nur, wenn sie die folgenden Guidelines einhalten.

Hohe Fokussierung: Der zentrale Use Case
Schon für Smartphone-Apps gilt: Designer müssen den Funktionsumfang
genau unter die Lupe nehmen, da das kleine Display und die begrenzten
Eingabemöglichkeiten für komplexe Anwendungsszenarien ungeeignet sind.
Bei Smartwatch-Apps sollten sie dies bis ins Extrem treiben.
Die App sollte hier daher nur die wichtigsten Use Cases
unterstützten, weitere Funktionen sollten Gestalter bei Bedarf auf die
Smartphone- oder Desktop-App auslagern. Apples Handoff-Funktion überträgt zu
diesem Zweck etwa kompatible Inhalte von der Smartwatch auf das iPhone
oder iPad und sichert so einen reibungslosen Übergang.
Ein gutes Beispiel ist in diesem Zusammenhang die App Shazam, die es für das Smartphone und die Smartwatch gibt. Der zentrale Use Case: Die App erkennt einen Song anhand eines kurzen Ausschnittes – ein Nutzer der Smartwatch-App muss also nicht unbedingt sein Smartphone aus der Tasche ziehen, um zu sehen, welchen Song er gerade hört.
Alle weiterführenden Funktionen – wie beispielsweise die Shazam-Charts – bleiben jedoch der Smartphone-App vorbehalten. Die Smartwatch-App von Shazam hat dagegen nur eine einzige Funktion und kann daher sogar direkt im Erkennungsmodus starten, ohne dass eine weitere Interaktion des Anwenders notwendig wäre.
Den Nutzungskontext beachten
Smartwatch-Anwender nutzen ihre Apps noch stärker als Smartphone-User unterwegs, während sie parallel mit einer anderen Aktivität beschäftigt sind. Das bedeutet, dass Designer den Nutzungskontext noch stärker in ihre App-Gestaltung einbeziehen müssen.
Sie sollten also zum einen die Umgebungssituation der App-Nutzung ermitteln: Wie sieht es aus mit Umgebungslautstärke, Lichtverhältnissen, möglichem Gedränge und zeitgleichem Einsatz der Hände? Während eines Meetings ist beispielsweise die Sprachsteuerung weniger sinnvoll, beim Kochen – wenn der Nutzer etwa fettige Finger hat – schon.
Zum anderen sollten App-Gestalter mit den verschiedenen Sensoren der Smartwatches den Nutzungskontext ermitteln, sodass die App darauf reagieren kann. Dafür ist die Citymapper-App für die Apple Watch ein gutes Beispiel: Die Navigations-App für öffentliche Verkehrsmittel verlässt sich nicht einfach nur auf die aktuelle Zeit und die Fahrpläne, sondern ermittelt die momentane Position per GPS. Wenn der Nutzer aus- oder umsteigen muss, weist die App per Vibration darauf hin.
Die Nutzungsdauer: Kurz
Smartwatches sind schon aus ergonomischen Gesichtspunkten nicht für eine längerfristige Nutzung geeignet: der kleine Bildschirm, die beschränkten Eingabemöglichkeiten und eine auf Dauer anstrengende Armhaltung. Ein häufig genannter Richtwert ist eine Nutzungsdauer von maximal fünf Sekunden.
Dazu müssen Designer schon bei der Entwicklung die
sogenannte „Glanceability“ berücksichtigen: Die App-Nutzer sollten in
sehr kurzer Zeit die zentralen Informationen erfassen und entsprechend
handeln können. Eine Smartwatch-App muss also darauf optimiert werden,
zu jedem Zeitpunkt nur die aktuell relevanten Informationen in leicht
verständlicher Form zu präsentieren.
Daneben erfordert eine so geringe Nutzungsdauer die Minimierung
der Interaktionsanzahl. Google empfiehlt „keine oder geringe
Interaktion“. Ein Beispiel dafür ist die MyTaxi-App für Apple Watch:
Nach dem Start zeigt sie, wie weit der nächste Fahrer entfernt ist und
bietet einen Button, mit dem der Nutzer ein Taxi rufen kann. Dann ist
die Interaktion beendet.
Nun kann der Anwender noch die Zeit bis zur
Ankunft des Taxis sehen und erhält per Vibration die Nachricht, dass der
Fahrer da ist. Die Smartwatch muss dafür nicht einmal aktiviert sein.

Möglichst keine Eingaben
Texteingaben sollten Designer bei Smartwatch-Apps wenn möglich komplett vermeiden – immerhin ist die Texteingabe auf den winzigen Touchscreens kaum möglich. Nicht ohne Grund bieten weder Apple Watch noch Android Wear nativ eine On-Screen-Tastatur an.
Wenn an einer Eingabe nichts vorbeiführt, sollten App-Gestalter diese durch alternative Eingabeformen vereinfachen. Wie das geht, zeigt die Nachrichten-App auf der Apple Watch: Der Nutzer kann hier aus einer Reihe von Textvorschlägen auswählen und sie an seine Bedürfnisse anpassen. Zudem kann er die Spracherkennung nutzten – die einzige wirklich sinnvolle Lösung für die Texteingabe mit der Smartwatch.
Generell gilt hier für jegliche Art von Eingaben: große Buttons, große Gesten. Ein Daumen kann schon fast das gesamte Display einer Smartwatch verbergen, so dass der kleine Touchscreen auf keinen Fall zu viele Aktionen anbieten darf. Im Normalfall – und unter Berücksichtigung des Nutzungskontextes – sollte es nicht mehr als maximal zwei Schaltflächen geben. Gesten wie Swipen sollten auf dem gesamten Display funktionieren und nicht in unterschiedlichen Bereichen unterschiedliche Aktionen auslösen.
Mit Bedacht einsetzen: Benachrichtigungen

Notifications sind ein zentraler Aspekt von Apps – auch auf der
Smartwatch. Je größer die Anzahl der installierten Apps, desto schneller
fühlt sich der Nutzer durch die wachsende Menge von Benachrichtigungen
jedoch nur genervt. Vor allem weil eine Vibration am Handgelenk wesentlich
stärker ablenkt als in der Hosentasche. Außerdem bemerken
Gesprächspartnern sie eher.
Daher sollten Designer den Einsatz von Benachrichtigungen unbedingt
kritisch hinterfragen: Erfüllen sie wirklich
einen Nutzen? Ist dies nicht
der Fall, ist der Anwender genervt und
deinstalliert die App am Ende wieder.
Gleichzeitig nehmen Nutzer Notifications sehr unterschiedlich wahr: Während der eine sie als echten Störfaktor registriert, ist der andere dankbar dafür. Dann ist es sinnvoll, dass Anwender konfigurieren können, wie oft und wann sie Benachrichtigungen von ihrer Smartwatch-App bekommen. Ein gutes Beispiel dafür ist die Aktivitäts-App für die Apple Watch: Sowohl das Intervall für die Statusmeldungen als auch spezielle Arten von Benachrichtigungen lassen sich einzeln einstellen.
Plattformspezifische Konzepte entwickeln
Die bisher genannten Richtlinien beziehen sich auf alle Smartphone-Plattformen, da sie auf Gemeinsamkeiten wie dem kleinen Bildschirm oder den typischen Nutzungskontexten basieren. Es gibt jedoch auch Unterschiede zwischen den verschiedenen Smartwatch-Systemen, die App-Designer berücksichtigen sollten – sowohl bei der Hardware als auch bei der Software. Schon bei den Funktionen zeigen sich einige Unterschiede zwischen Apple Watch und Android Wear:
- Apple bietet mit der Digital Crown (einem drehbaren Rädchen) eine weitere Hardware-Steuerungsmöglichkeit, die dem Scrollen und Zoomen in Apps dient.
- Der Touchscreen der Apple Watch unterscheidet zwischen normalen Berührungen und dem „Force Touch“, also dem stärkeren Drücken, das ein Kontextmenü aufruft.
- Android Wear unterstützt keine weiteren Hardware-Controls, bietet jedoch die „Wrist Gestures“: Nutzer können durch Drehen des Handgelenks auf der Uhr navigieren.
Auch die Interaktionskonzepte der Smartwatches unterscheiden sich. Apple setzt auf Vertrautes: Apps lassen sich ähnlich wie auf Smartphones von einem App-Screen aus starten. Daneben bietet die Funktion „Glances“ per Swipe von unten einen schnellen Blick auf wichtige Infos. Die Citymapper-App zeigt so zum Beispiel die U-Bahn-Linien mit Einschränkungen an.
Android Wear hat zwar inzwischen auch einen App-Launcher, doch spielt er eine geringere Rolle. Google setzt stattdessen auf zwei sehr neue Konzepte: Zum einen lassen sich per „Cue Card“ Aktionen über Sprachsteuerung oder Touch aktivieren. Apps können sich registrieren lassen, um so gestartet zu werden. Das Tracking der Runkeeper-App können Nutzer dadurch beispielsweise über die Aktion „Start a run“ starten.
Zum anderen liefert der „Context Stream“ eine vertikal navigierbare Abfolge von Benachrichtigungen mit Informationen und weiterführenden Aktionen. Apps können auf diese Weise auf den Nutzungskontext reagieren: Die Runkeeper-App verlässt zum Beispiel nach Laufende sofort den Fullscreen-Modus und zeigt die Statistik im Context Stream an.
Weitere Informationen zu den jeweils plattformspezifischen Designrichtlinien liefern die Guidelines von Google [2] und Apple [3].

Fazit: Anders denken, Erfahrungen sammeln
Smartwatches sind für Designer ein neues Gebiet voller Herausforderungen. Dass es so schwierig ist, die erfolgreichen Killer-Apps zu entwickeln, liegt sicherlich auch daran, dass die Smartwatch-Apps den vielen genannten
Beschränkungen unterliegen.
Nicht jedes Anwendungsszenario ist dadurch
auf
einer Smartwatch überhaupt sinnvoll. Eine TV-App mag auf den ersten
Blick ein erfolgversprechendes Gimmick sein, wird durch die geringe
Bildschirmgröße und die unbequeme Armhaltung langfristig wohl aber nicht
genutzt.
Eine wirklich gute User-Experience – und damit die Einhaltung allgemeiner Guidelines – ist damit nur der erste Schritt. Welchen Nutzen die Smartwatch-Apps tatsächlich für ihre Anwender haben, sollten App-Designer durch Usability-Tests
evaluieren. Viele Probleme in der Bedienung lassen sich erst im wirklichen
Einsatz, möglichst in realistischer Umgebung, aufdecken.