Wie Blogs und das Web zur Plattform für investigative Recherche werden: Enthüllung 2.0
„Ich glaube ehrlich gesagt nicht, dass wir einen Einfluss auf die Wahl am Sonntag haben. Die Wahrnehmung von Blogs ist in der breiten Öffentlichkeit viel zu gering“, sagte David Schraven, Macher des Blogs Ruhrbarone, gegenüber der Süddeutschen Zeitung. Damit markiert er genau das andere Extrem zur Aussage von Thomas Knüwer. Die Wahrheit liegt dabei wieder einmal nicht nur „irgendwo dort draußen“, sondern vor allem in der Mitte.
Im Vorfeld der Landtagswahl in NRW hatten sich anonyme Autoren des Internets bedient, um Insider-Informationen zu veröffentlichen – in dieser Form eine Premiere in Deutschland. Ein Gesicht dazu ist Alfons Pieper, ehemals stellvertrender Chefredakteur der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung. In den klassischen Medien war ihm und seinen Kollegen die Berichterstattung zu unkritisch. Also starteten sie ihr eigenes Medium namens „Wir in NRW“. Schon bald wurden ihnen Interna weitergeleitet, die vor allem die CDU in große Schwierigkeiten brachten.
Peinlichkeiten, Skandale, Fakten
Das Blog veröffentlichte beispielsweise Peinlichkeiten aus dem E-Mail-Verkehr zwischen der Düsseldorfer Staatskanzlei und der
CDU-Zentrale oder auch Dokumente zur „Rent-a-Rüttgers-Affäre“: Angebote für bezahlte Gespräche mit dem Ministerpräsidenten. Das zeigt, welches Potenzial dieser Weg noch hat – mit Blick auf die Politik, aber auch andere Bereiche der Gesellschaft.
In größerem Maßstab ist Wikileaks hier das Paradebeispiel. Die Plattform ermöglicht das anonymisierte Veröffentlichen von brisanten Dokumenten, die eigentlich unter Verschluss gehalten werden sollen. Zahlreiche Unternehmen, aber auch das amerikanische Militär gehören schon zu den Betroffenen. Kein Wunder, dass die Macher von Wikileaks akribisch darauf achten, dass die Plattform nicht angreifbar ist. Bislang haben sie damit Erfolg und werden auf Veranstaltungen wie dem Chaos Communication Congress oder der re:publica vom Publikum dafür mit Standing Ovations gefeiert.
Die katholische Kirche in Deutschland musste ebenfalls lernen, dass es
inzwischen sehr viel mehr Kanäle gibt und sich Informationen oder
Formulierungen nicht mehr so leicht aus der Welt schaffen lassen. So
geht die Diözese Regensburg beispielsweise mit Abmahnungen dagegen vor,
dass mit bestimmten Aussagen über den Fall eines pädophilen Pfarrers
berichtet wird. Der Journalist und Blogger Stefan Niggemeier ließ sich
das nicht gefallen und weigerte sich, eine entsprechende
Unterlassungserklärung zu unterzeichnen. Ausführlich setzte er sich mit dem Thema Abmahnungen generell auseinander [1]. Darin schreibt er:
„Natürlich schadet es einer Debatte, wenn sie Grenzen überschreitet, wenn Beleidigungen oder Verleumdungen überhandnehmen. Aber im Moment sehe ich unsere Diskussionskultur nicht von den Auswüchsen falsch verstandener Meinungsfreiheit bedroht, sondern von den Exzessen einer ausartenden Abmahnunkultur. Im Zweifel ist mir eine Welt lieber, in der zuviel herumkrakeelt wird, als eine, in der jeder damit rechnen muss, dass ihn jedes falsche Wort (und viele wahre) viel Geld kostet.“
Spaß mit Twitter und Rasierschaum
Aber damit hier kein falscher Eindruck entsteht: Die Blogosphäre und Twittersphäre sind nicht plötzlich durchgehend bedeutungsschwanger. Sie sind noch immer gut für ein Spässchen. So twitterte beispielsweise Rechtsanwalt und Lawblogger Udo Vetter kürzlich: „Vordermann auf dem Weg nach Nürnberg simst seiner Frau, sie soll beim Müller noch Rasierschaum holen.“ Woraufhin wenige Minuten später Twitternutzerin @Ingeborg schrieb: „Vordermann twittert, dass dessen Vordermann seiner Frau simst, dass sie Rasierschaum kaufen soll.“ Woraufhin Twitterati @mein_arsch drei Minuten später mitteilt: „Frau twittert, dass Vordermann twittert, dass dessen Vordermann simst, dass seine Frau Rasierschaum kaufen soll.“ Den Schlusspunkt in dieser Selbstreferentialitäts-Komödie setzte @larsreineke mit der Meldung: „Die Frau neben mir hat gerade ’ne SMS bekommen, dass sie Rasierschaum holen soll.“