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Reportage

Body-Hacking: Ich, einfach unverbesserlich

Elektroden, Chips, Magneten – mit verschiedenen Mitteln wollen Forscher und Hacker den menschlichen Körper verbessern. Doch wie ist das so als besseres Ich?

9 Min.
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(Foto: Jan Helge Petri)

Klack. Klack. Klackklack. So hallt es durch das Krankenhauszimmer, in dem ich sitze. Seit einigen Sekunden schon drückt der Neuropsychologe Zsolt Turi konzentriert auf den Knöpfen seiner Plastikbox herum. Die Box hat die Größe eines sattbelegten Baguettes, nur leider versprüht sie keinerlei kulinarische Attraktivität. Eher schon Spannung und den leicht scharfen Geruch von Gefahr. „Are you ready?“, fragt mich Turi. Ich schaue mich nochmal um. Schon absurd.

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Ich sitze auf einem Stuhl mit lila-grauem Polster. Ich starre auf eine grau-weiße Wand. Links von mir hängt ein Poster eines Wasserfalls, das bemüht die klinische Tristesse brechen soll. Und dann wären da noch die Elektroden an meinen Kopf. Vier Kabel verbinden sie direkt mit dem Kasten. Über sie wird Turi gleich Strom durch mein Gehirn jagen. Wie soll man darauf vorbereitet sein? „Ok“, sage ich. Klack.

(Foto: Jan Helge Petri)

Kurz darauf bohrt sich ein heißer, spitzer Stich in meine Stirn. Es schmerzt ein wenig. „Was sehen Sie?“, fragt mich Turi und als ich mich umschaue, merke ich, wie das Licht im Raum zu flackern beginnt. Hell, dunkel, hell. Ein Metallgestänge, das rechts von mir steht, beginnt zu leuchten. Ich beschreibe meine Eindrücke, Turi nickt nur. Er wartet noch ein paar Sekunden, mit einem weiteren Knopfdruck stellt er den Spuk ab. Langsam dimmt sich das Licht. Meine Premiere in Sachen Body Hacking endet.

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Cyborg, Transhumanismus, Mensch-Maschine – viele Worte gibt es für die gleiche Idee, die Künstler, Hacker und Forscher wie Turi hegen. Dass da doch mehr gehen müsste. Dass Technik unsere Sinne und unsere Fähigkeiten auf ein neues Level bringen kann. Dass sich unser Körper permanent oder temporär erweitern oder verbessern ließe. Um zu verstehen, was das für den Mensch bedeutet, habe ich mich auf ein Experiment eingelassen, es nennt sich transkranielle Hirnstimulation. Doch weil mir mein Hirn lieb und teuer ist, lasse ich anstatt eines Brain Hackers im Selbststudium lieber Zsolt Turi an mich heran, einen anerkannten Forscher. Der Nervenkitzel ist auch so groß genug.

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Unter Strom beim Body-Hacking

Im Verlaufe des Vormittags wird mich Turi einige Male unter Strom setzen und die Nervenzellen in meinem Auge und meinem Gehirn manipulieren. Mal lässt er das Licht in verschiedenen Rhythmen flackern, mal beginnt der Raum zu schwanken wie bei einem Erdbeben. Und jedes Mal, wenn ich verwirrt beschreibe, was ich sehe, beginnen er und seine Kollegen zu feixen wie eine Runde Pubertierender auf dem Pausenhof. „Wir haben das schon seeehr oft mit uns selbst ausprobiert“, sagt Turis Kollege Ivan Alekseichuk und grinst.

tMS, tACS, tDCS – kryptische Kürzel bezeichnen die Methoden, die die Forscher an der Uniklinik Göttingen nutzen, um das menschliche Hirn zu hacken. Ob Magnetismus, Wechselstrom oder Gleichstrom – wenn einem der Forscher ein neuer Versuch einfällt, dauert es nicht lange, bis einer von ihnen sich selbst zum Versuchskaninchen macht.

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Anfangs war die Hirnstimulation dazu gedacht, Kranken zu helfen. Nach einem Hirnschlag sollten Patienten wieder schneller Bewegungen lernen. Migränepatienten sollten seltener Attacken bekommen und wenn, dann schwächere. Bald zeigte sich aber, dass auch Gesunde profitieren. Aufmerksamkeit, Erinnerungsvermögen, mathematisches Denken oder gar das Lernen von einfachen Klavierstücken – all das ließ sich bei Probanden mit Hirnstimulation verbessern. Erste Startups bieten bereits Neurostimulatoren für den kommerziellen Markt an. Das amerikanische Basketballteam der Golden State Warriors experimentiert beispielweise im Training mit Geräten der Firma Haloneuro. „Die Effekte sind klein, aber sie sind da“, sagt der Psychologe Walter Paulus, der die Göttinger Forschungsgruppe leitet. Und so könnte auch meine Reaktionszeit gesenkt, meine Performance um bis zu zehn Prozent gesteigert werden. Der nächste Schritt also im ewigen Höher, Schneller, Weiter.

Der Mensch ist schon immer unzufrieden mit seinem Körper und wollte stets den Makel ausgleichen. Der Neurophilosoph Andy Clark spricht gar davon, dass der Mensch ein „natural born Cyborg“ ist. Denn Werkzeuge wie Faustkeil, Hammer oder Tennisschläger haben uns nicht nur geholfen, die Herausforderungen des Gestern und Heute zu meistern. Sobald die Geräte in unserer Hand liegen, beginnen sie unser Denken zu formen. Wir begreifen sie als Verlängerung unseres Arms. Sie werden ein Teil von uns. Andere sagen, dass wir spätestens mit dem Smartphone ein bisschen Mensch-Maschine geworden sind. „Das Smartphone ist ein Sinnesorgan, um das Internet zu spüren“,  sagt Enno Park. Er ist Mitbegründer des Cyborg e.V., ein Verein, der sich als „Gesellschaft zur Förderung und kritischen Begleitung der Verschmelzung von Mensch und Technik“ versteht.

Park sieht sich selbst als Cyborg, seit er ein Cochlea-Implantat, eine Hörprothese, bekam. Übernimmt man seine Argumentation, so sind die 30.000 Menschen, die ein solches Gerät in Deutschland tragen, genauso Mensch-Maschinen. Zählt man noch Menschen mit Prothesen, Herz- und Hirnschrittmachern und implantierten Insulinpumpen hinzu, sind wir längst eine Gesellschaft der Mischwesen aus Technik und Biologie. Mit Elektroden, Magneten, Chips und Sensoren nicht nur Behinderungen auszugleichen, sondern Menschen zu verbessern, das erscheint wie der nächste, logische Schritt.

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Der menschliche Anglerfisch

Es ist ein schwüler Montagnachmittag in Berlin, als ich einen Blick auf diese Vision werfen kann. Ein Mobilfunkkonzern hat zu einem Talk über das Internet der Dinge geladen und beiläufig soll es auch um Cyborgs gehen. Zehn Freiwillige können sich an einem Stand des Startup Digiwell kleine RFID-Chips in die Hand einsetzen. Auf den Chips lässt sich eine per Handy auslesbare Visitenkarte speichern oder gleich ein Code, um spezielle Türschlösser zu öffnen.

Aber so sehr sich die Zuschauer um den kleinen Stand auch scharen, so schnell ist die Menge weg, als eine andere Attraktion die Hauptbühne betritt: Neil Harbisson, ein menschlicher Anglerfisch. Harbisson trägt ein bunt schillerndes Sakko, hat einen wasserstoffblonden Topfschnitt und ihm ragt eine Antenne aus dem Hinterkopf. Eine Antenne, die seine Welt in Farben taucht.

Harbisson wurde ohne Farbsinn geboren und konnte die Welt nur in Grautönen sehen. 2004 ließ er sich eine spezielle Antenne implantieren. Diese registriert Farben und wandelt sie in hörbare Vibrationen um, die sie direkt an den Schädel von Harbisson weitergibt. Blau und Rot klingen bassig, Gelb und Grün quietschen. So kamen vor zwölf Jahren über einen Umweg die Farben in Harbissons Leben. Und damit auch der Hype. Hunderte Male hat Harbisson von seinem Leben als Cyborg erzählt – TED und Co. listen dutzende Vorträge von ihm als Video. In Berlin spult er in gelangweilter Routine seine Geschichte vom Leben als Cyborg herunter. Und dennoch sind die Leute gebannt. Zu fremd sind die zwei Welten, von denen er erzählt.

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(Foto: Jan Helge Petri)

Da ist einerseits die Zeit vor der Antenne, in der er Fahnen wie die von Irland, Frankreich und Italien nicht unterscheiden konnte, weil die Farben in Grautönen identisch aussehen. Selbst sein Sprachverständnis, so sagt er, war ein anderes, weil Wortschöpfungen wie „Gelbe Seiten“, „Greenpeace“ und „Pink Panther“ in seinem grauen Alltag keinen Sinn ergaben. Und andererseits ist da die Welt, die an Harbissons klingender Antenne hängt und die sein Heute bestimmt. Bunte Supermärkte und Obstsalate wummern in seinem Kopf wie ein Rave. Gemälde, Mode, Gesichter haben alle einen eigenen Klang. Ja, Harbisson kann sogar Dinge hören, die für den normalen Menschen unsichtbar sind, weil er das Farbspektrum seiner Antenne auf ultraviolette Farben erweitert hat.

„Ich möchte meine Sinne neu definieren“, sagt Harbisson und wird kurzzeitig euphorisch. Er erzählt von seiner Schwester im Geiste, Moon Ribas, die einen Vibrator an ihrem Ellenbogen hat, der sie spüren lässt, wenn irgendwo auf der Welt ein Erdbeben geschieht. Harbisson selbst sprengt räumliche Grenzen, indem er fünf Auserwählten erlaubt, über das Internet ihm Fotos zu schicken, die seinen Kopf zum Klingen bringen. So sei er stets an mehreren Orten zugleich. Je mehr Harbisson aber über solche Formen der Augmentation spricht, desto schwerer fällt es mir, seine Erfahrungen als die Zukunft für mich, den Durchschnitt, zu sehen.

Harbisson ist ein Außerirdischer und das nicht nur, weil er sich inzwischen Bilder der Weltraumstation ISS auf seine Antenne schicken lässt. Er wirkt wie ein Geschöpf aus dem Kuriositätenkabinett, das stets für Selfies bereit steht. Weil man ja „jetzt auch nochmal eins mit dem iPhone“ will. Sobald das letzte Bild aber geschossen ist, lässt Harbisson für einen Moment die Kunst Kunst sein und erzählt von den Wehen seiner Transformation. Dass es fünf Monate gedauert habe, sich an den neuen Sinn zu gewöhnen. Dass er permanent fürchtete, dass das Gehirn oder der Körper das Implantat abstoßen würden. Und dass einmal sich jemand sogar in sein System hackte und ihn mit Sinneseindrücken überflutete. „Aber auch das war eine Erfahrung“, sagt Harbisson, lächelt wie eine Sphinx und verabschiedet sich zurück in seine Künstlerrolle. Ob das souverän oder gequält wirken sollte? Ich vermag es nicht zu durchschauen.

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„Hackers, Break My Heart“

Auch Enno Park erzählt, wie angreifbar die Technik in seinem Gehör ist. „Ein halbwegs talentierter 14-jähriger kann sich mit einem Arduino-Chip in mein Cochlea-Implantat hacken“, sagt er. Und erst im März dieses Jahres rief die IT-Sicherheitsforscherin Marie Moe, selbst Trägerin einer Herzschrittmachers, dazu auf, Schrittmacher und andere Implantate zu hacken, um zu zeigen, wie unsicher medizinische Implantate sind. Die Überschrift des Artikels: „Go Ahead, Hackers. Break My Heart“. Eine klare Ansage.

Nur was bedeutet das für die Idee des Ich 2.0, wenn selbst medizinisch getestete Geräte so leicht zu manipulieren sind? Was macht es mit mir, wenn ich nicht nur die Kontrolle über meine Geräte, meine Daten verliere, sondern auch die über meinen Körper?

(Foto: Jan Helge Petri)

Einer, der darüber inzwischen viel nachdenkt, ist Stefan Greiner. Er war selbst ein Cyborg. In der rechten Hand trug er einen RFID-Chip, im linken Ringfinger einen kleinen Magneten, doch inzwischen lagert beides aber im Deutschen Hygienemuseum als Ausstellungsstück. Als ich ihn einige Tage nach dem Vortrag von Harbisson treffe, sitzt er – wenn man die Brille außer Acht lässt – ganz ohne technische Verbesserung vor mir. Nicht Sicherheitsbedenken, sondern Untersuchungen mit einem MRT waren der Grund für das Entfernen der beiden Geräte. „Ich hatte schlichtweg Schiss, dass die starken Magnete des MRT mir die Implantate um die Ohren fliegen lassen würden“, erklärt Greiner. Hinter sein Dasein als Cyborg muss er also ein „a.D.“ kleben. Zumindest vorerst.

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Greiner ist skeptischer geworden, was die Idee der Mensch-Maschine angeht. Die Möglichkeiten des RFID-Chips fand er enttäuschend. Auch viele Geräte, die er aktuell in der Szene sieht, seien vor allem Fetisch. Zudem sieht er eine Menge ungelöster Fragen für die Zukunft der Mensch-Maschine: „Was passiert, wenn zum Beispiel der Hersteller deines Devices pleite geht? Wer übernimmt dann die Verantwortung?“, fragt er.

Dennoch will er nicht ausschließen, irgendwann wieder einen Magneten unter der Haut zu tragen. Spannend sei es gewesen, die Welt auf neue Weise zu erfahren, kurios die Momente, wenn die Hand den Diebstahlschutz im Kaufhaus erspürt. Dass sich ein gesunder Mensch aber den Arm absägen lässt, um sich Technik in seinen Körper implantieren zu lassen, daran glaubt er nicht. Ähnliches hatte auch zuvor schon Enno Park gesagt: „Gegen die Natur können wir nicht anstinken.“

Und so glauben Greiner und auch Park, dass für die breite Masse die Technisierung des Körpers eher durch die Hintertür kommt. Cochlea-Implantate, die nicht nur das Hören wieder herstellen, sondern auch ein wenig besser arbeiten als das natürliche Vorbild. Künstliche Herzklappen, die mit Sensoren ausgestattet sind und so auch den Hormonspiegel und den Sauerstoffgehalt messen können. Auf diese Weise werde die Augmentation Einzug halten – das bisschen Mehr, das bisschen Besser. Und vielleicht wirft genau der schleichende Wandel auch die spannenderen Fragen auf. „Wir werden uns stetig neu die Frage stellen müssen, was es genau heißt, Mensch zu sein“, sagt Greiner.

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In meinem Fall weiß ich inzwischen, wie viel „Mehr“ aus mir herauszuholen ist. Zsolt Turi hat mich einige Tests mal mit und mal ohne Extrastrom in den Synapsen machen lassen. 2,5 Prozentpunkte bin ich unter Strom besser, einige Millisekunden schneller in den Reaktionen. Ein auf den ersten Blick ernüchterndes Ergebnis. Aber vielleicht ist es auch ganz gut so. „Es wäre ja ziemlich dumm von der Natur, wenn sie so viel Potenzial im Hirn ungenutzt lassen würde“, sagt Turis Kollege Alekseichuk. Ein Hauch von Mehr also nur. Ein Hauch, auf den ich vorerst auch verzichten kann, wenn ich meine Texte schreibe.

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