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Arbeitswelt
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Die Arbeitswelt der Zukunft: Das Büro ist tot. Es lebe der „Space“!

Eine Welle rollt durch Deutschland. Freelancer und Laptoparbeiter arbeiten nicht länger allein im Homeoffice, im Café oder beim Kunden. Stattdessen schließen sie sich immer öfter zusammen und gründen Coworking Spaces. Dort werden nicht nur Schreibtische geteilt, sondern man arbeitet zusammen, akquiriert und gründet. Wie genau funktionieren Coworking Spaces? Wo haben sie ihren Ursprung und wohin führt die Entwicklung? Antworten auf diese Fragen liefert der folgende Artikel.

7 Min. Lesezeit
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Im Grunde konnte es nicht lange dauern, bis die fortschreitende Digitalisierung der Arbeit sich ebenfalls auf die physische Arbeitswelt auswirkt. Die Infrastrukturfrage ist für die meisten digitalen Berufe mit der Anschaffung eines Laptops geklärt. Die Logistik erledigt sich über das Netz von selbst. Rechnet man Skype und VoIP hinzu, Projektmanagement-Software, Twitter, Facebook, Xing oder einfach die gute alte E-Mail, dann kommt schnell die Frage auf, wozu Büroflächen überhaupt noch dienen.

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In der Tat hat sich in den letzten 10 Jahren die Notwendigkeit eines festen Arbeitsplatzes fast restlos losgelöst von der Notwendigkeit, Zugang zu Maschinen, Großrechnern oder anderen Multimediageräten zu erhalten. Gerade in den digitalen Weiten reicht meist ein Laptop, vielleicht noch ein externer Flatscreen.

Die Entwicklung hat Auswirkungen auf die Art, wie die Menschen arbeiten, wann, wo und mit wem sie arbeiten. Dieser Wandel ist keine geringfügige Änderung, vielmehr gerät das Grundgefüge, innerhalb dessen in den letzten Jahrzehnten Wertschöpfung stattgefunden hat, in einen Transformationssog, bei dem das Individuum im Mittelpunkt steht. Dabei gilt: Wann immer Massen die Werkzeuge zur Emanzipation in die Hand gelegt bekommen, entstehen Dynamiken, die zu Beginn meistens unterschätzt werden und im Rückblick so folgerichtig erscheinen, als habe es nie etwas anderes gegeben.

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Bei der konkreten Frage nach der Auswirkung auf den Arbeitsort geht kein Weg daran vorbei, sich einmal das Phänomen „Coworking Space“ anzuschauen: offene, kollaborative, dezentrale Arbeitsorte, vernetzt nach dem Motto „small pieces loosely joined“, alles kann, nichts muss. Aber man bleibt in Verbindung.

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Foto: Daniel Seiffert

Ein amerikanisches Phänomen?

Die ersten als Coworking Spaces betitelten Büroflächen wurden im Jahr 2006 im Raum San Francisco gegründet. Als Folge von temporären Coffeeshop Meetings schloss sich eine Reihe Freelancer, Web Consultants und Blogger zusammen und gründete „The Hat Factory“ und „Citizen Space“ [1], um einen permanenten, aber flexiblen Versammlungs- und Arbeitsort zu besitzen.

Das sehr amerikanisch anmutende Phänomen hat weitreichende europäische Wurzeln: In den Wiener Kaffeehäusern der 20er Jahre versammelten sich routinemäßig Künstler und Intellektuelle, um sich auszutauschen, zu arbeiten und daheim Heizkosten zu sparen. So manches berühmte Buch wurde wohl zum Großteil an einem Kaffeehaustisch geschrieben und auch heute noch ist für jeden Webworker das WLAN-Café an der nächsten Ecke der erste Anlaufpunkt, wenn das Homeoffice gerade nicht greifbar ist.

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Einen anderen Vorfahren – besonders der deutschen Coworking Spaces – findet man in den 80er Jahren in Form der „Hacking Spaces“, Zusammenschlüsse von Hackern und Bastlern, die sich gemeinsame autonome Plattformen zum Austausch und zur Kollaboration schufen.

Coworking ist also ein Stück Wiener Kaffeehaus, ein bisschen „digital lifestyle“, etwas postmaterialistische Individualkultur, Outsourcing von Arbeitskraft, gemischt mit dem Preismodell eines Fitnessstudios – das Ganze als vernetztes, globales grass-roots-Phänomen [2].

Was macht einen Coworking Space aus?

Während der findige Digitalarbeiter bei der Entdeckung von Skype und Elance Anfang dieses Jahrtausends schon kurzzeitig frohlockte und sich mit Headset und UMTS Stick in Südseeparadiesen sah, wird bei näherer Betrachtung schnell klar: Arbeiten in der Bambushütte wird auf Dauer nervig. Die Idee des entgrenzten Lebens ist schön und regt zum Träumen an, aber es hapert einfach an der humanen Praktikabilität. Otto-Normal-„digital Bohème“ geht eben lieber ins nächstgelegene WLAN-Café oder in die DB Lounge zum FTP-Upload, als es mit Fidji, Madeira oder Südspanien zu versuchen. Es braucht immer noch einen realen Ort zur virtuellen Wertschöpfung.

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Der Ort spielt eine wichtige Rolle: Morgens zu einem festen Ort zur Arbeit zu gehen, ist und bleibt ein wichtiges Ritual zur Abgrenzung der Lebenswelten [3]. Die Hauptgründe für das regelmäßige Besuchen eines Coworking Spaces sind schnell genannt:

  1. Gemeinschaft: Es arbeitet sich leichter in der Gemeinschaft. Das muss nicht unbedingt bedeuten, dass wirklich auch zusammen an einem Projekt gearbeitet wird. Vielmehr geht es darum, inspiriert durch die Arbeitsatmosphäre, ebenfalls produktiv zu werden. Die Gefahr, die heimische Küche aufzuräumen oder Wäsche aufzuhängen, ist durch den Ortswechsel ohnehin gebannt.
  2. Netzwerk: Treffen sich viele Menschen regelmäßig an einem Ort, passiert das Unweigerliche: Ein soziales und professionelles Netzwerk entsteht, durch das Jobs vermittelt, Heiraten arrangiert und andere Arten von Werten geschaffen werden. Nun darf man sich das nicht so vorstellen, dass man sich in einen Coworking Space einmietet und am nächsten Tag gleich Jobs geliefert bekommt und die Traumfrau dazu an den Nachbartisch. Die Netzwerke sind nachhaltig und bauen sich nur langsam auf. Was neu ist, ist die konkrete physische Verortung dieser Netzwerke, nutzbar für jedermann.
  3. Professionalisierung: Wo gehobelt wird, da fallen Späne und wo gearbeitet wird, da fällt Know-how an. „Wie bekommst du diesen Button mit CSS hin?“ oder „Wie würdest du dieses Angebot schreiben?“, das sind Fragen, die täglich und ganz nebenbei beantwortet werden.
  4. Flexibilität: Handfest und praktisch sind die flexiblen Anmietungsmöglichkeiten eines Schreibtisches. Die Tarife variieren zwischen den verschiedenen Coworking Spaces. Meistens sind die Kündigungsfristen aber im Vergleich zu normalen Büros recht kurz (3-6 Wochen) und es existiert die Möglichkeit, einen Schreibtisch tageweise zu mieten, ohne gleich ein Vermögen auszugeben. Zusätzlich gibt es praktische Features wie ein mietbares Postfach, Meetingräume oder kostenfreie Rechtsberatung.
Unterschied Coworking Space/ Gemeinschaftsbüro
Das Feld der Coworking Spaces ist in Deutschland bunt gemischt. Zielpublikum, Größe und Location variieren genauso wie der Grad der Zusammenarbeit und der Mix der verschiedenen Professionen. Der Unterschied zum Gemeinschaftsbüro ist deswegen fließend: Es gibt Coworking Spaces, die nicht mehr als 10 Schreibtische haben, und Gemeinschaftsbüros, die sich über mehrere Etagen ziehen und in denen kräftig kollaboriert wird. Bei den meisten Gemeinschaftsbüros fehlt allerdings der flexibel anmietbare Schreibtisch für nur wenige Tage und der relativ freie Zugang für jedermann. Dazu kommt das besondere Augenmerk auf Community Events, die regelmäßig in Coworking Spaces stattfinden. Gemeinsames Frühstück, das gegenseitige Vorstellen von Projekten oder Entwicklerstammtische.

Coworking für Unternehmen

Ein Traum eines jeden Unternehmers ist wohl, dass seine Mitarbeiter nicht nur herausragende Arbeit verrichten, sondern neben ihrer Sozial- und Rentenversicherung auch noch ihre Schreibtische komplett selbst bezahlen und sich mit externen Jobs über Wasser halten, wenn sie gerade nicht gebraucht werden.

Aus diesem Grund gibt es mittlerweile in Deutschland auch einige Agenturen, die spontan ihre leerstehenden Schreibtische in „Coworking Spaces“ umbenannt haben. Coworking ist fast schon auf dem Weg zum „Buzzword“ 2010. Was wie eine verlockende Möglichkeit aussieht, unkompliziert Manpower zu versammeln und leerstehende Büroflächen auszulasten, ist allerdings in der Praxis nicht so einfach umzusetzen, weil die Erfolgsfaktoren nicht unbedingt klassischen unternehmerischen Prinzipien folgen.

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Mit der Schreibtischmiete in einem Coworking Space bezahlen Laptoparbeiter Unabhängigkeit und die Möglichkeit, Art der Aufträge und Auftraggeber auszuwählen. Tarife und Arbeitszeit sind sehr flexibel, und so schnell wie einige Coworker gekommen sind, so schnell sind sie manchmal auch wieder weg.

Es benötigt einen erheblichen Aufwand zur Pflege der Community und es erfordert eine gewisse Authentizität, um Ansprüchen in Sachen Lebensstil, geteilte Werte, Transparenz und Atmosphäre der digitalen Bohème gerecht zu werden.

Die Herausforderung für ein Unternehmen, einen Coworking Space zu eröffnen, liegt deswegen nicht in der Gestaltung des Spaces und in günstigen Schreibtischmieten, sondern vielmehr in der Umarmung der Coworking-Grundwerte „Collaboration“, „Openness“, „Community“, „Accessibility“ und „Sustainability“. Im Angesicht einer hierarchisch organisierten Unternehmensstruktur bedarf es schon einiges an Mut, gewisse Auflösungserscheinungen in Kauf zu nehmen, die bei der Öffnung und dem Empowering der Mitarbeiter zweifellos auftreten. Die Frage ist also nicht: „Wie kann ich als Firma einen Coworking Space eröffnen?“, sondern sie lautet eher: „Wie wird meine Firma zu einem Coworking Space?“

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Getting Started

Frei nach Victor Hugos Leitspruch „Nichts ist so stark, wie eine Idee, deren Zeit gekommen ist“, ist das Gründen eines Coworking Space ein Selbstläufer, wenn man einige wichtige Grundprinzipien beachtet. Der Bedarf ist längst da. Mit den folgenden Schritten kommt man schneller zu einem eigenen Space und der dazugehörigen Organisationsarbeit, als man es für möglich hält.

  1. Tue Gutes und rede darüber: Wer sich anschickt, einen Coworking Space zu eröffnen, sollte zuerst die Welt darüber informieren und den offenen Austausch von Ideen, Konzepten, möglichen Orten und Organisationsformen vorantreiben (siehe Grundwerte Coworking). Dadurch bekommt man ein Gefühl für die Community und findet heraus, was eigentlich genau gebraucht wird und wie viel davon.
  2. Verstetige die Idee und gib ihr eine Form: Sind der Blog oder die Facebookgruppe gestartet und erstrahlen sie in Form von Mitgliedern und Kommentaren, ist es an der Zeit, in den physischen Raum zu starten und erste Usertreffen zu organisieren. Das kann im eigenen Büro in Form eines Coworking Days stattfinden oder etwa im Café.
  3. Konkretisiere das Konzept: Im Laufe der zahlreichen Feedbackschleifen in der realen Welt (Treffen) und auch online (Blog, Facebook, Twitter) ergibt sich fast von alleine das individuelle Konzept. Schnell wird klar, wo der beste Ort für so eine Unternehmung ist und ob das eigene Büro und die eigene Firmenphilosophie dehnbar genug sind, sich mit den Coworking-Prinzipien zu arrangieren. Darüber hinaus ist es in dieser Phase extrem ratsam, ein gutes Betreiberteam zu entwickeln, das später auch verlässlich die augenscheinlich anfallende Organisationsarbeit im Coworking Space erledigt.
  4. Go Live!: Sind alle Zutaten vorhanden und ein gutes Gründerteam gefunden, kann es losgehen. Space anmieten, Einweihungsevent veranstalten und los-coworken. Wenn von vornherein nicht alles sofort perfekt ist, tut das der Sache keinen Abbruch. Ganz im Gegenteil: Wo noch Raum zur Gestaltung ist, wächst die Motivation zur Teilhabe. Nichts ist heutzutage so unsexy, wie etwas, das schon „fertig“ ist. Never leave beta!
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Dein t3n-Team

RalfLippold

Self-HUB war schon 2008 soweit, http://il.youtube.com/watch?v=UQBEUI7x358&feature=related (@FraukeGo bei Twitter).

Ich habe das Konzept von Collaboration während meiner Zeit bei BMW in Leipzig, http://bmw-werk-leipzig.de, kennengelernt. Bereits 2001 wurde das Konzept des offenen Büros Architekturentwurf von Zaha Hadid umgesetzt.

Manchmal reicht es ein wenig weiter in den Norden Europas zu schauen, dort macht seit 20 Jahren eine Hochschule das CoWorking zum Programm ihrer Ausbildung: Team Academy.

>> http://leanthinkers.blogspot.com/2010/07/teamacademy-entrepreneurial-incubator.html

Was macht einen CoX-Space wirklich aus? Was habt Ihr praktisch erlebt und umgesetzt in diesem Kontext?

Antworten

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