Von Business-Know-how und Coding bis zum Hobbyprojekt: Die wichtigsten Lern-Plattformen im Netz
Die vollkommene Umwälzung der Bildung, wie von vielen erhofft und erwartet, ist durch den Einzug von „E-Learning“ bisher nicht eingetreten. Ob für den Privatgebrauch, an der Uni oder im Unternehmen: Online-Bildungsangebote werden Offline-Seminare und Präsenzkurse auch in Zukunft nicht vollkommen ersetzen, sondern maximal ergänzen. Trotzdem werden Lern-Plattformen dank zahlreicher Vorteile immer wichtiger.
Während es in den USA schon eine starke Verquickung von Wirtschaft und Online-Bildungsanbietern samt entsprechender Zertifikate gibt, hinkt Deutschland bei den Lern-Plattformen im Netz noch hinterher. Doch auch hier geht es mit den Angeboten rasant voran, nicht nur im Privatbereich. Auch Unternehmen setzen zunehmend auf Fortbildung im Netz. Vorreiter sind dabei ehemalige Startups, die mittlerweile groß geworden sind. Sie müssen den Sprung vom „chaotischen Startup“ zum mittelständischen Unternehmen bewältigen. Dieser Herausforderung begegnen sie mit Online-Weiterbildungsangeboten optimal.
So jedenfalls erlebt es das einstige Startup Babbel, das verschiedene Tools zum Lernen von Fremdsprachen anbietet. Mittlerweile beschäftigt das Unternehmen 400 Mitarbeiter in Berlin und hat eine Dependance in New York. Jeden Monat werden laut Babbel sechs neue Mitarbeiter eingestellt. „Wir wachsen so stark und schnell, dass es schwierig ist, das Thema ‚Fortbildung‘ gut zu koordinieren“, erklärt Sprecherin Nele Lenz. „Mit dem Angebot
von Online-Kursen können Mitarbeiter selbst entscheiden, wann, wo und worin sie sich fortbilden möchten.“
Die Unternehmenssprache bei Babbel ist Englisch. Deshalb war es bei der
Suche nach einem Anbieter entscheidend, einen englischsprachigen
Dienstleister zu finden. „Außerdem wollten wir eine Plattform mit
möglichst breitem Kursangebot und nicht nur für einen bestimmten
Bereich“, sagt Lenz.
Am Ende entschieden sich die Gründer für den US-Dienst Lynda. Seit über einem Jahr bekommen Mitarbeiter nun die Möglichkeit, sich über einen Lizenzvertrag in Online-Kursen fortzubilden. Ob in Selbstorganisation, Projektmanagement, IT oder anderen Themen bleibt dabei jedem selbst überlassen. Einen „Zwang“ zur Fortbildung gibt es laut Lenz nicht. Wer sich aber weiterbilden möchte, darf dies nach Absprache während der Arbeitszeit tun und muss nicht seine Freizeit opfern. Für Babbel ist ein wichtiges Kriterium die Vielseitigkeit des Kursangebots. Aber anhand welcher Kriterien findet man den passenden Anbieter?
Worin unterscheiden sich Lern-Plattformen im Netz?
Offen für alles vs. Nische
Eine der weltweit größten Online-Bildungsplattformen ist Udemy mit mehr als zehn Millionen Nutzern und rund 40.000 angebotenen Kursen. Die Gründer in San Francisco wollen sich bewusst nicht auf ein bestimmtes Thema festlegen, sie werben stattdessen mit dem Slogan: „Finden Sie einen Kurs zu nahezu jedem Thema“.
Das Angebot ist groß: Kurse zu Business, IT, Marketing, Musik, Gesundheit oder Fitness kann der Besucher über Kategorien oder eine Suchfunktion finden. Mit den mehr als 100 Millionen US-Dollar Kapital, das die Macher bislang von Investoren erhalten haben, haben sie eine schicke Plattform in mehreren Sprachen auf die Beine gestellt. Schade ist nur, dass die deutsche Version noch nicht ganz reibungslos funktioniert und man plötzlich bei englischen Sätzen oder Screenshots landet. Trotzdem gilt: Wer sich oder seinen Mitarbeitern Fortbildungen ermöglichen will, sollte sich Udemy anschauen – genauso wie den ähnlich ausgerichteten Anbieter skillshare.
Im Gegensatz zu diesen breit aufgestellten Platzhirschen bedienen andere Anbieter eindeutige Zielgruppen und fokussieren sich auf ein Thema. So hat es die Plattform Codecademy zu einem guten Ruf unter all jenen gebracht, die ihre Programmierkenntnisse vertiefen oder überhaupt mit dem Thema anfangen möchten.
Eine Besonderheit ist außerdem, dass es die Kurse zu unterschiedlichen Programmiersprachen kostenlos und in vier verschiedenen Sprachen gibt. Um die Motivation aufrecht zu erhalten, können Lernende Abzeichen für erledigte Einheiten oder Einträge in Highscore-Listen erringen und sich in Foren austauschen. Eine weitere spezielle Zielgruppe sind Sprachenlerner, die zum Beispiel von Yabla und in Deutschland von Babbel bedient werden.
Eigenes Expertenteam vs. Crowdwissen
Wer darf eigentlich unterrichten? Auch in dieser Frage gibt es große Unterschiede. Einige Anbieter greifen auf ein Expertenteam zurück, das alle Inhalte erstellt. Andere stellen ihre Plattform für jeden zur Verfügung, der Kurse anbieten möchte.
Zur ersten Gruppe gehört das US-amerikanische Startup Treehouse. Der
Fokus liegt inhaltlich auf „Tech education“, also den Themen Web- und Mobile-Entwicklung sowie Design. Ausgewählte Experten stellen
Lernvideos, interaktive Übungen und Quizspiele auf die Seite. Zwar kann
auch hier jeder technisch Versierte zum Lehrer werden. Aber er muss
sich über ein Formular bewerben, in dem nach Fähigkeiten und
bisherigen Erfahrungen gefragt wird.
Ganz anders geht die erwähnte New Yorker Learn-Community
skillshare vor und wirbt mit dem Slogan „Anyone can teach on
Skillshare.“ Die Idee: Jeder kann andere Menschen in den eigenen
Interessengebieten
anleiten und Kurse dazu anbieten, egal ob Fotografie, Schreiben, Kochen oder Design. Eine Qualitätskontrolle gibt es dann
lediglich über die Bewertungen der Nutzer. Auf der Plattform tummeln
sich deshalb bereits tausend Unterrichtende und mehr als eine Million
Teilnehmer. Auch Unternehmen wie Mailchimp und BlueBottle Coffee bieten hier
Kurse an.
Kostenlose Kurse vs. Gebühren
Die meisten Anbieter arbeiten mit dem „Freemium-Modell“: Nutzer erhalten kostenlos Zugang zu einem Teil des Angebots. Wer mehr möchte, bezahlt dafür. Einige Anbieter wie zum Beispiel EF English Live verzichten aber auch komplett auf einen kostenlosen Zugang. Die Online-Sprachschule für Erwachsene ist mit 15 Millionen Privatnutzern vermutlich eines der größten Sprachlern-Netzwerke weltweit. Zugang zu den Live-Unterrichtskursen gibt es im Abo-Modell für 49 Euro im Monat. Das deutsche Pendant Lingoda ist noch etwas teurer, wartet aber neben weiteren Sprachen und Muttersprachler-Kursen auch mit offiziell anerkannten Zertifikaten auf.
Ebenfalls kostenpflichtig ist die deutsche Nachhilfe-Plattform Sofatutor. Sie existiert seit 2009 und hat sich mit 124.000 Nutzern fest im deutschsprachigen Raum etabliert. Seit diesem Jahr unterstützen die Berliner auch US-amerikanische Schüler mit Nachhilfe. Genau wie auch die Mathelern-App Math42 verlangt Sofatutor monatliche Abonnement-Gebühren. Bei anderen Anbietern, etwa Udemy oder Udacity, bezahlen Nutzer dagegen pro Kurs, zumindest Udacity bietet aber auch einen Grundstock an kostenlosen Workshops an.

Wer komplett auf Gratis-Inhalte zugreifen will, landet bei Anbietern, die lediglich ihre Plattform zur Verfügung stellen und inhaltlich keinerlei Einfluss nehmen. Dazu zählen Youtube, aber auch die „Howto-Plattform“ eHow sowie das deutsche Schlaukopf.de. Wer sich über diese Anbieter weiterbildet, muss mit Werbung und eingeblendeten Anzeigen leben. Ganz umsonst sind die Inhalte dann eben doch nicht.
Der große Rest fährt ein Mischmodell und bietet ein kostenloses Basismodell und einen Premium-Zugang gegen Bezahlung an. Dazu gehört etwa, dass die Lernenden ihre Videos auch offline anschauen und Kontakt mit ihren Lehrern aufnehmen können. Manchmal gehört zum Premium-Zugang auch ein Abschluss-Zertifikat.
Ausbildungsfokus vs. Hobbythemen
Auf der Suche nach dem passenden Anbieter spielt die Frage nach dem Nutzen eine wichtige Rolle: Geht es um notwendige Fähigkeiten für den Arbeitsmarkt oder um persönliche Herzensthemen? Viele Anbieter decken beides ab. Doch gerade, wenn es um spezielle Job-Fertigkeiten geht, haben sich einige Anbieter spezialisiert.
Dazu zählt etwa das US-Unternehmen Udacity. Gründer Sebastian Thrun
entwickelte für Google selbstfahrende Autos und Google Glass, bevor er die Weiterbildungs-Plattform ins Leben rief. Die Kurse, die in Zusammenarbeit mit Firmen wie Google oder AT&T
entwickelt werden, zielen auf den aktuellen Bedarf in der Arbeitswelt
ab, es gibt zum Beispiel Kurse zur Webprogrammierung und Big-Data-Analyse. Die
Wirtschafts-Experten der Online-Universität vermitteln ihr Wissen in
Kursen, die mit Quizzen, interaktiven Übungen, Diskussionsforen und
Coaching zu den eigenen Projekten angereichert werden. Mittlerweile
bietet Udacity sogar eigene Abschlüsse, so genannte „Nanodegrees“, an. Da
die Kurse von großen Unternehmen gefördert werden, werden die
Abschlüsse von immer mehr Firmen akzeptiert und als Ausbildung
anerkannt. Wer einen Abschluss will, bezahlt 200 Dollar pro Monat.
Auch die Online-Bildungsplattform Iversity orientiert sich an den Erfordernissen der Arbeitswelt. Die „Massive Open Online Courses“ (MOOCs) werden in Zusammenarbeit mit Hochschul-Professoren und Lehrenden erstellt. Für die Anerkennung der Qualifizierungsnachweise kooperiert die Plattform mit über 40 europäischen Universitäten und arbeitet mit der Zertifizierung des European Credit Transfer and Accumulation Systems (ECTS), das Hochschulinhalte vergleichbar macht. Inhaltlich besteht das Angebot aus einer Mischung von Videos, Übungen, Feedback-Möglichkeiten und Hausaufgaben. Neben Einzelpersonen können auch Unternehmen Kurse belegen.

Demgegenüber gibt es zahlreiche Plattformen, die sich Nischen- oder Hobbythemen verschrieben haben, etwa das Berliner Startup Makerist. Bei der „Handarbeitsschule im Web“ gibt es Video-Kurse zu Nähen, Stricken und Häkeln. Spielerisch geht es auf der Plattform lumosity zu: Von Wissenschaftlern und Game-Designern entwickelte kognitive Spiele sollen das Gehirn trainieren.
Webinare und Lerngemeinschaften vs. Lehrvideos
Wer nach Bildungsmöglichkeiten im Internet sucht, sollte wissen, ob er lieber allein lernt oder nicht. Der Vorteil von Video-Kursen: Man kann sie jederzeit und selbstbestimmt durcharbeiten, auch um drei Uhr nachts. Dazu zählen das Video-Portal Youtube oder die „Howto“-Plattformen eHow.com und iFixit. Bei eHow.com stellen die User Anleitungs-Videos zu allen erdenklichen Themen ein, von Essen über Urlaub bis zur Technologie. Bei iFixit ist die Ausrichtung spezialisierter: Hier gibt es von Nutzern für Nutzer erstellte Anleitungen zur Reparatur verschiedenster Geräte.
Etwas ganz anderes als diese „Leave-me-alone-education“ bedeutet es, sich in einem Webinar auf ein bestimmtes Thema und andere Menschen einzulassen. So wie beim deutschen Anbieter edudip: Mit der browser-basierten Konferenzsoftware treffen sich Teilnehmer und Moderatoren in virtuellen Klassenräumen und halten Seminare gemeinsam ab. Zum Konzept gehört der interaktive Austausch mit Webcam, Mikrofon, Chat und Whiteboard. Präsenzseminare werden so möglichst authentisch nachempfunden.
Auch bei der offenen Lern-Gemeinschaft „Peer 2 Peer University“ (P2PU) steht neben dem Wissen die Gemeinschaft im Mittelpunkt. Die Wissbegierigen nehmen gemeinsam an Kursen und Lerngruppen teil. Dabei sind alle Inhalte und Tools aus den Online-Kursen frei zugänglich und können – entsprechend dem Creative-Commons-Gedanken – weiterentwickelt werden.
Online-Lernen im Unternehmen?
Ohne Frage: Unternehmen sollten die neuen Fortbildungsmöglichkeiten über Lern-Plattformen im Netz unbedingt nutzen. Dabei geht es nicht darum, bisherige Präsenzseminare komplett zu ersetzen. Manche Vorteile von Offline-Weiterbildungen wie gruppendynamische Prozesse haben auch weiterhin ihren Wert. Trotzdem bietet das Lernen via Internet großartige Vorteile.
Das weiß auch der deutsche Webseiten-Bauer Jimdo, ebenfalls ein ehemaliges Startup. Wie bei Babbel kam bei den Jimdo-Gründern der Wunsch nach Online-Weiterbildung auf, als das Unternehmen rasant wuchs und sich die Firmenstruktur veränderte. Vor allem die Mitarbeiter, die nun selbst einen Führungsauftrag übermittelt bekamen – Teamleiter und sämtliche „Head of X“ – sollten gute, aber unkomplizierte Weiterbildungen erhalten. „Um ein eigenes Curriculum für unsere Mitarbeiter zu entwerfen, fehlten uns die Kapazitäten“, sagt Arne Roock. Er ist für das Programm zuständig, für das sich das Team am Ende entschieden hat: den Online-Management-Kurs „Harvard Management Mentor“.
Die Kursinhalte liefern die Grundlage, werden aber um die jeweiligen Bedürfnisse einer Gruppe ergänzt. Die eine Hälfte der 40 Lektionen behandeln die Mitarbeiter gruppenweise, die andere Hälfte ist freiwillig. Die Arbeitsgruppen tauschen sich wöchentlich aus. „Der Wert dieses Kurses liegt nicht darin, dass wir unsere Mitarbeiter die Lektionen alleine durcharbeiten lassen, sondern in der gemeinsamen Reflexion und im Austausch“, sagt Roock. Für Gruppen- und Einzelarbeit zusammen steht pro Mitarbeiter ein ganzer Arbeitstag für die Online-Weiterbildung zur Verfügung. „Bei uns sorgen interne Coaching-Teams für die Soft-Skills. Für alles andere ist der Online-Kurs perfekt: Die Inhalte sind auf Englisch, die Teams können zeitlich flexibel agieren und in Hamburg wären wir vermutlich nicht an solch ein umfassendes und solides Material gekommen.“
Auch wenn es in vielen Unternehmen noch nicht so weit ist: Der zunehmende Einfluss von Online-Lern-Plattformen auf die Aus- und Weiterbildung ist nicht mehr aufzuhalten und wird langfristig auch das teaminterne Lernen prägen. Die größte Schwierigkeit für Unternehmen und Startups liegt darin, das passende Produkt für die eigenen Bedürfnisse zu finden. Die folgende Tabelle soll einen ersten Überblick geben – wer hier noch nicht das Passende findet, muss aber nicht verzagen: Auch über unsere Auswahl hinaus tummeln sich viele spannende Anbieter im Netz.