Anzeige
Anzeige
Artikel
Artikel merken

Coworking und Job-Sharing unter Startups: Auf erfolgreiche Nachbarschaft

Immer mehr Gründerfirmen schließen Bündnisse und teilen Räume, Wissen, Mitarbeiter und andere Ressourcen. Die Kooperationen sind so vielseitig wie die Unternehmen selbst – und bieten viel Potenzial für Innovationen.

7 Min. Lesezeit
Anzeige
Anzeige

Bei dem Berliner Inkubator Makers sitzen (fast) alle Startups unter einem Dach. (Foto: Hegemann) 

„Halbe Kraft voraus!“ lautet das Motto von Horst Wenzel. Dennoch ist er alles andere als ein Zauderer, schließlich treibt er als Geschäftsführer sein Startup mit vollem Einsatz voran. Das klingt nach einem Widerspruch, ist aber keiner. Bis zu acht Online-Redakteure stoßen dieses Jahr laut Wachstumsplan zur fünfköpfigen Stammbelegschaft hinzu – allerdings teilt sich Wenzels Flirtuniversity die Redaktion mit dem Startup Bauerntüte. Das passt gut: Beide Jungunternehmer kennen sich schon lange aus der Kölner Gründerszene. Jetzt regeln sie ihre Geschäfte in den gemeinschaftlich genutzten Räumen einer Lagerhalle in Ehrenfeld, dem nachtaktiven Stadtteil der Kreativen. „Wie in der Kneipe, wo einer die erste Runde Bier übernimmt, der andere die zweite, so teilen die Bauerntüte und wir uns die Entlohnung der neuen Arbeitskräfte“, erläutert Wenzel. Der Vorteil des Mitarbeiter-Sharings: Die Online-Redakteure sind besser ausgelastet. Ist bei der Bauerntüte ausnahmsweise einmal weniger zu tun, konzentrieren sie sich auf die Flirtuniversity und umgekehrt. Außerdem ist so ein zweigeteilter Job für die Redakteure deutlich abwechslungsreicher – und Arbeitgeber, die attraktive Jobs bieten, haben im Rennen um die besten Kräfte die Nase vorn.

Anzeige
Anzeige

Ob gemeinsame Büroflächen, geteiltes Personal, regelmäßiger Wissensaustausch oder gemeinschaftliches Marketing – „die Bedeutung von Kooperationen wächst“, sagt Kunal Sachdeva, Berater und Startup-Experte bei der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY. Vor allem junge Unternehmen übertragen zunehmend in die Geschäftswelt, was man aus dem Privatleben schon lange als „gute Nachbarschaft“ kennt: Wer Tür an Tür arbeitet, will von gegenseitiger Hilfe profitieren. Laut dem Verband European Startup Network befindet sich mittlerweile gut jedes zweite deutsche Startup in einer Kooperation mit anderen. Die Formen der Zusammenarbeit sind kreativ, vielseitig, effektiv und sie erfassen fast alle Geschäftsfelder.

Eine moderne Dreiecksbeziehung unter Unternehmen

Im Kölner Gründerzentrum Startplatz beispielsweise haben sich die Startups Currassist, Radbonus und Gridscale zu einer Dreierbande zusammengetan und betreiben untereinander eine Art Dienstleistungstauschbörse. „Jeder von uns kann etwas, was der andere nicht kann, auch neben der eigentlichen Kernkompetenz“, sagt Thomas Müller, Geschäftsführer von Curassist, der mit fünf Mitarbeitern via Internet private Pflegekräfte vermittelt.

Anzeige
Anzeige

Müller ist Strategie-Experte. Er unterstützt Radbonus, Entwickler einer App für Fahrradfahrer, zum Beispiel bei der Finanzplanung und bei der Kundenansprache. Dafür erhält Curassist von Radbonus Beratung in Personalfragen, denn Geschäftsführerin Nora Grazzini weiß aus eigener Erfahrung, wie man ein Startup binnen sechs Monaten auf eine Personalstärke von gut 20 Mitarbeitern hochjazzt. Als Müller vor der Entscheidung zwischen zwei Bewerbern stand, lautete ihr Rat: „Schau weniger auf die Qualifikation eines Bewerbers als darauf, dass er für dein Unternehmen brennt.“ Müller ist der Empfehlung gefolgt: „Wir haben das nicht bereut“, sagt er.

Anzeige
Anzeige

Horst Wenzel von der Flirtuniversity teilt sich mit dem Startup Bauerntüte die Arbeitskraft. Das sei „wie in der Kneipe“, wenn einer die erste Runde Bier übernehme und der andere die zweite. (Foto: Horst Wenzel / Flirtuniversity)

Für den Cloudcomputing-Anbieter Gridscale verbessert die gelernte Designerin Grazzini dessen Online-Nutzerführung. Im Gegenzug übernimmt das Unternehmen für Radbonus das Managed Hosting, also die Verwaltung der Server. „Diese Dienstleistung entspricht zwar nicht unserer Kernkompetenz, aber wir können daraus eventuell ein weiteres Geschäftsmodell ableiten“, erläutert Gridscale Marketingleiterin Nicola Römer einen zusätzlichen Vorteil der unternehmerischen Symbiose. Bleibt noch die Beziehung zwischen Currassist und Gridscale: Die beiden tauschten bislang Pitch-Training gegen Kundenbedarfsanalyse.

Eine Dreiecksbeziehung wie die am Kölner Startplatz ist unter Startups nicht selten. Jedes vierte europäische Jungunternehmen hat nach eigenen Angaben zwei Partner. Das erklärte der European Startup Monitor (ESM) des Verbands European Startup Network, der Firmen in 28 EU-Ländern befragte. Nur ein Prozent mehr beschränkt sich auf einen Partner – und ganze 14 Prozent arbeiteten mit sechs oder mehr Partnern zusammen.

Anzeige
Anzeige

Curassist-Chef Thomas Müller teilt sich mit den Startups Radbonus und Gridscale nicht nur die Räumlichkeiten. Die drei greifen sich gegenseitig unter die Arme – zum Beispiel bei Strategie- oder Personalfragen. (Foto: Horst Wenzel)

Oft knüpfen die Gründer erste Bande in Coworking-Spaces, also in Bürogemeinschaften, die Arbeitsplätze, Räume und Infrastruktur auch für kurze Zeit vermieten. Diese Orte gelten eigentlich eher als Biotop für Einzelkämpfer. Doch mittlerweile bilden sich dort auch ganze Unternehmensverbünde, die von dem Schulterschluss unter Gleichgesinnten profitieren. „Die örtliche Nähe verringert die Dauer von Entscheidungszyklen – und Geschwindigkeit ist eine wichtige Währung im Startup-Bereich“, sagt Sachdeva.

Coworking-Space mit unterstützender Beratung

Diese Form der Zusammenarbeit stellt sich auch Erdbär vor. Der Berliner Anbieter von Kindernahrung der Marke Freche Freunde startete 2010 und hat seinen Umsatz mittlerweile auf 20 Millionen Euro pro Jahr hochgeschraubt. Erdbär hat daher ein typisches Startup-Schicksal ereilt: der Umzug. 45 Mitarbeiter sind Ende vergangenen Jahres in die Schönhäuser Allee am Prenzlauer Berg gezogen. Im neuen Gebäude ist noch Platz. 100 Quadratmeter, weiße Wände, große Fenster, eine tragende Säule mitten in einem großen Raum.

Erdbär hat ganz bewusst zu viel Fläche angemietet. Damit erschließt sich der Berliner Anbieter neben dem Vertrieb von Kindernahrung ein Zusatzgeschäft. Die Firma ist dabei, einen Coworking-Space mit 24 Arbeitsplätzen einzurichten. Einen, der sich von den üblichen Angeboten unterscheidet und die Idee des Coworkings einen Schritt weiterdenkt. Der Klischee-Coworker – Mann mit Internet-Idee und Notebook – ist hier unerwünscht. „Wir suchen ausschließlich Startups aus dem Foodsektor“, sagt Erdbär-Gründer Alexander Neumann. Die Beschränkung auf die eigene Branche soll Kollaborationen zwischen Erdbär und den neuen Mietern, aber auch zwischen Mietern untereinander erleichtern, so Neumanns Kalkül.

Anzeige
Anzeige

Tatsächlich entsprang die Idee, Startups zu unterstützen, bei Neumann einem altruistischen Grundgedanken. „Wir hatten mit Erdbär am Anfang kaum Hilfe. Deshalb wollen wir jetzt etwas von unserer Erfahrung an junge Firmen weitergeben“, sagt er. Neben dem informellen Austausch sind daher auch Workshops geplant. Zum Coworking-Space gehört zudem der „Freche Laden“, eine Art Showroom, in dem Erdbär und die anderen Food-Startups ihre Produkte präsentieren und verkaufen können. Das Konzept kommt gut an. Fast alle 24 Arbeitsplätze waren bereits zur Jahreswende vergeben. Doch züchtet sich Erdbär damit womöglich die eigene Konkurrenz heran? „Davor haben wir keine Angst“, sagt Neumann. „Wir vertrauen darauf, dass die aufstrebenden Jungunternehmer die Erdbär-Starthilfe einfach annehmen.“

Größter Risikofaktor ist der Ideenklau

Allzu blauäugig sollte Neumann seine Sache freilich nicht angehen. Auch wenn er die Konkurrenz nicht fürchtet: Der Ideenklau – das Schreckenszenario jedes Gründers – existiert. „Partner müssen sicher sein, dass sie einander vertrauen können“, sagt Experte Sachdeva daher. Kerstin Hinck konnte das nicht. Mit ihrem Unternehmen Apothekengeflüster vertreibt sie kleine Sticker, die – auf Produktverpackungen geklebt – leicht verständlich die Einnahme des Medikaments erklären. In der Pharmabranche ist sie gut verdrahtet. Vor zwei Jahren wollte sie ihr Geschäft um einen digitalen Kanal erweitern und tat sich mit einem jungen IT-Unternehmen zusammen, das Gestensteuerung entwickelt.

Hinck entwickelte ein Konzept für die Weiterbildung von Pharma-Angestellten, die die Schulungsfragen beispielsweise mit einem Fingerzeig beantworten konnten. Sie nutzte ihr Branchennetzwerk, um das neue Produkt zu präsentieren. Schon bald bissen große Marketing-Agenturen der Pharmaindustrie an. „Nachdem mein damaliger Geschäftspartner einen Fuß in die Tür dieser Branche bekommen hatte, erklärte er unsere Kooperation für beendet“, sagt Hinck. Der Konzeptklau blieb nicht der einzige Schaden. Nur mit Mühe konnte sie ihre so beschädigte Reputation wieder herstellen. Entmutigen ließ sie sich aber nicht, Hinck glaubt weiterhin an die Solidarität unter Gründern: „Grundsätzlich bin ich davon überzeugt, dass Kooperationen unter Startups mehr Vor- als Nachteile haben.“

Anzeige
Anzeige

Keine Angst vor Konkurrenz: Der Gründer des Food-Marke Erdbär Alexander Neumann hat in Berlin ein Coworking-Space für Startups aus dem Lebensmittelsektor gegründet – inklusive Showroom für neue Produkte. (Foto: Erdbär)

Zurecht? Das lässt sich nicht abschließend klären. Zahlen, die erfolgreiche und gescheiterte Kooperationen ins Verhältnis zueinander setzen, existieren nicht. Die Faustregel von Sachdeva lautet jedoch: „Je enger die Zusammenarbeit, desto erfolgreicher.“ Erfahrung kann dabei nicht schaden.

Friedrich A. Neuman besitzt sie. Er ist ein alter Hase der Startup-Szene, gründete seit 2006 mehrere Unternehmen, unter anderem unter dem Dach von Rocket Internet. 2012 baute er schließlich die Preisvergleichsseite „Run A Shop“. Aus deren Anfängen entstand der Berliner Inkubator Makers. Sieben von neun Firmen hat Neuman in einem Gebäude vereint, um kooperative Nähe zu schaffen. „Wir haben schon durch die Gestaltung unseres Portfolios dafür gesorgt, dass keine Konkurrenzsituation entstehen kann“, sagt der Investor.

Friedrich A. Neuman hat den Berliner Inkubator Makers gegründet. Die Startups sitzen bei ihm alle zusammen: Der Wissensaustausch sei das, was Makers in der Frühphase so reizvoll mache. (Foto: Makers)

Der große Unterschied zum Coworking-Space: Die Zusammenarbeit einzelner Startups im Company-Builder wird von oben gelenkt. So hat Neuman beispielsweise unternehmensübergreifende Workshops für die Belegschaften seiner Startups ins Leben gerufen. Regelmäßig kommen auch vier Mitarbeiter aus vier verschiedenen Unternehmen der Makers-Gruppe zu „Blind Lunches“ zusammen. Das Los entscheidet, wen es trifft – und es nimmt keine Rücksicht darauf, ob es nun Praktikanten und Geschäftsführer zusammenwürfelt oder Mitarbeiter aus der gleichen Hierarchieebene. Beim Mittagessen sollen sich die Makers-Beschäftigten einfach besser kennenlernen.

Anzeige
Anzeige

Das führt mitunter zu überraschenden Erkenntnissen. „Einer unserer Programmierer hat auf diese Weise ein detailliertes Nutzer-Feedback zu unserer Software erhalten“, erzählt Jonathan Morrice, Geschäftsführer des Startup Perdoo, das unter dem Dach von Makers sitzt. Das Programm der Firma ermöglicht es Unternehmen, die Zielvorgaben ihrer Beschäftigten zu managen. Auch die Startups von Makers verwenden das Tool. „Im Nachgang des Lunchs haben Mitarbeiter beider Firmen sogleich gemeinsam an einigen Stellschrauben der Software gedreht.“ Profitiert haben davon beide Startups.

Mehr zu diesem Thema
Fast fertig!

Bitte klicke auf den Link in der Bestätigungsmail, um deine Anmeldung abzuschließen.

Du willst noch weitere Infos zum Newsletter? Jetzt mehr erfahren

Anzeige
Anzeige
3 Kommentare
Bitte beachte unsere Community-Richtlinien

Wir freuen uns über kontroverse Diskussionen, die gerne auch mal hitzig geführt werden dürfen. Beleidigende, grob anstößige, rassistische und strafrechtlich relevante Äußerungen und Beiträge tolerieren wir nicht. Bitte achte darauf, dass du keine Texte veröffentlichst, für die du keine ausdrückliche Erlaubnis des Urhebers hast. Ebenfalls nicht erlaubt ist der Missbrauch der Webangebote unter t3n.de als Werbeplattform. Die Nennung von Produktnamen, Herstellern, Dienstleistern und Websites ist nur dann zulässig, wenn damit nicht vorrangig der Zweck der Werbung verfolgt wird. Wir behalten uns vor, Beiträge, die diese Regeln verletzen, zu löschen und Accounts zeitweilig oder auf Dauer zu sperren.

Trotz all dieser notwendigen Regeln: Diskutiere kontrovers, sage anderen deine Meinung, trage mit weiterführenden Informationen zum Wissensaustausch bei, aber bleibe dabei fair und respektiere die Meinung anderer. Wir wünschen Dir viel Spaß mit den Webangeboten von t3n und freuen uns auf spannende Beiträge.

Dein t3n-Team

marcusmeier

Super das das Thema jetzt auch mal in Deutschland ankommt. Ich denke vor allem Startups können hier eine menge voneinander lernen und natürlich auch an Miete sparen.

Wir selber teilen uns mit einem anderen StartUp eine Räumlichkeit und konnten bisher nur positives davon mitnehmen.

Von daher kann ich allen StartUps nur dazu raten sich Räumlichkeiten zu teilen. Profitieren werdet ihr davon auf jeden Fall :)

Antworten
Keyyz

Ich finde die Überschrift etwas irreführend. Coworking ok , aber Job-Sharing ist meines Erachtens etwas anderes, nämlich eher so wie hier beschrieben: https://www.ubc-collection.com/blog/vor-und-nachteile-des-jobsharings/ . Also das Aufteilen einer Stelle auf mehrere, meist 2 Arbeitnehmer.

Zum Thema Coworking muss ich sagen, dass ich das eine großartige Möglichkeit finde, schnell zu Networken und aber auch Fixkosten gering zu halten. Das Konzept hat eine blühende Zukunft!

Antworten
Perospero

Diese Form des Jobsharing, welche hier beschrieben wird ist dann doch eher eine Sonderform des Zusammenarbeitens. Wie wird das denn überhaupt vertraglich geregelt, wenn zum Beispiel Entwickler*in X für beide Firmen anteilig arbeiten soll? Ich stelle mir das Umsetzen dieser Sonderformen für nicht Startups sehr schwierig vor. Stichwort: War of talents. Das Prinzip des Coworkings hingegen bietet meiner Meinung nach auf allen Ebenen (Kosten, Umwelt, Gesundheit) klare Vorteile in der Arbeitswelt. Wie in diesem Blogbeitrag beschrieben, kann das Zusammenarbeiten klare Mentale Vorteile für Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen mit sich bringen: https://www.allofficecenters.com/de/flexoffice-expertenblog/flexoffice-loesungen/7-gruende-warum-sich-coworking-spaces-positiv-auf-die-mentale-gesundheit-auswirken/

Antworten

Melde dich mit deinem t3n Account an oder fülle die unteren Felder aus.

Bitte schalte deinen Adblocker für t3n.de aus!
Hallo und herzlich willkommen bei t3n!

Bitte schalte deinen Adblocker für t3n.de aus, um diesen Artikel zu lesen.

Wir sind ein unabhängiger Publisher mit einem Team von mehr als 75 fantastischen Menschen, aber ohne riesigen Konzern im Rücken. Banner und ähnliche Werbemittel sind für unsere Finanzierung sehr wichtig.

Schon jetzt und im Namen der gesamten t3n-Crew: vielen Dank für deine Unterstützung! 🙌

Deine t3n-Crew

Anleitung zur Deaktivierung
Artikel merken

Bitte melde dich an, um diesen Artikel in deiner persönlichen Merkliste auf t3n zu speichern.

Jetzt registrieren und merken

Du hast schon einen t3n-Account? Hier anmelden

oder
Auf Mastodon teilen

Gib die URL deiner Mastodon-Instanz ein, um den Artikel zu teilen.

Anzeige
Anzeige