Bild-KI: Von Ausbeutung und Verschwörungsmythen

Sie heißen Dall-E, Midjourney oder Stable Diffusion und werden als KI-Kunstmaschinen gehypt. Sie bedienen sich bei Werken menschlicher Künstler:innen und bedienen auch Verschwörungsmythen. Ein riskantes Spiel. Eine Astronautin im Weltraum. Sie blickt an uns vorbei, entgeistert und voller Trauer. Was sie sieht, fängt eine Spiegelung in ihrem Helmvisier ein: Flammen, Glut – ein brennender Planet. „Ich erinnere mich noch sehr gut: Das war das erste Mal, dass ich von einem künstlich generierten Bild nicht einfach nur beeindruckt, sondern emotional berührt war. Es hat viel mit mir gemacht.“ So beschreibt der Autor und Journalist Gregor Schmalzried den Moment, als er zum ersten Mal das ganze Potenzial der KI-Kunstwelt erkannte. Vielen geht es wie ihm, wenn sie zum ersten Mal die Bilder sehen, die keine menschliche Hand, sondern eine „intelligente“ Maschinendatenbank erstellt hat. Diese Werke sind oft originell, neu, mal verwegen, mal verstörend, in jedem Fall zumindest interessant anzusehen. Aber dieses neue Kapitel der Kunstgeschichte fasziniert nicht nur, es erschreckt auch mit seinen Risiken und Gefahren, auf die Kritiker:innen bereits jetzt hinzuweisen versuchen. Und diese Risiken gehen weit über die Grenzen der Kunstwelt hinaus. Anfang 2022 tauchten die ersten KI-Kunstwerke in den sozialen Netzwerken auf und wurden ungläubig mit Follower:innen geteilt. Hintergrund war die Öffnung des bis dahin geschlossenen Dall-E-2-Systems – erst nur für einen ausgewählten Kreis, bald darauf auch für alle Interessierten. Die Benutzung dieses Programms ist einfach und niedrigschwellig: Nutzer:innen füttern die Dall-E-Website mit einer beliebigen Bildbeschreibung, woraufhin die KI gleich mehrere Bildvorschläge generiert. [crosslinks ids="1521192,1510710,1522394"] „Inspiriert“ wird die KI von allen im Internet frei verfügbaren Bildern, die in Sekundenbruchteilen schlagwortbasiert nach möglichen Treffern durchsucht werden, um die Bildbeschreibung der Nutzer:innen passend zu illustrieren – ganz egal, ob nach einem viktorianischen Kaninchen im Detektiv-Outfit oder einer fotorealistischen Darstellung des Weltuntergangs gefragt wird. Auch Gregor Schmalzried entdeckte in dieser Zeit Dall-E 2 und wurde von der Begeisterung seiner Social-Media-Blase mitgerissen, wie er erzählt: „Zum ersten Mal seit Jahren hatte ich wieder das Gefühl, dass Technologie noch mal aufregend geworden ist, obwohl diese Zeiten ja eigentlich vorbei sind: Die iPhones sehen jedes Jahr gleich aus und die großen, interessanten Techthemen, die zumindest ein bisschen Revolution versprechen, sind oft sehr abstrakt und schwer vorstellbar.“ Die Welt der KI-Kunst hingegen verspricht laut Schmalzried eine „ordentliche kulturelle Schlagkraft“. Der Autor hat schon selbst viel mit KI-Kunst experimentiert. Ein Beispiel: Wahlplakate für deutsche Parteien, von der KI erstellt. Simple Bildbeschreibungen wie „FDP Wahlplakat“ generierten Poster mit fiktiven Männergesichtern, die dem Betrachter freundlich entgegenblicken und Nonsens wie „Wink wak“ ausrufen. Sinn ergibt das nicht, aber das ist ja auch nicht unbedingt Aufgabe der Kunst. „In der Kunstwelt ist Attribution ein wichtiges Thema, und da crasht jetzt die Tech-Bubble rein und trampelt erst mal alles kaputt.“ Schmalzried sah in diesem Experiment allerdings noch mehr als nur einen Gag: Nämlich ein anschauliches Beispiel für die dann doch recht simple Funktionsweise der Künstler:innen-KI. „Die versteht, dass die FDP gelb und die SPD rot ist. Und sie versteht auch, wie diese Wahlplakate ungefähr aufgebaut sind, gibt aber einen kompletten Nonsens raus. Und das ist eine ganz interessante Illustration davon, wie diese Software eigentlich funktioniert.“ So erkenne man anhand dieses Beispiels gut, dass die KI die Realität zwar nachbaut, allerdings ohne zu verstehen, warum die eigentlich so aussieht, wie sie aussieht. „Sie kann einfach nur lernen und dann irgendwie replizieren“, führt Schmalzried aus: „Aber das bedeutet nicht, dass die künstliche Intelligenz tatsächlich in irgendeiner Form das hat, was wir als menschliche Intelligenz bezeichnen können.“ Nichtsdestotrotz betont Schmalzried den Nutzen, den diese KI trotz ihrer eingeschränkten Denkmuster haben kann, insbesondere für kreativschaffende Menschen. Zu ihnen gehört auch die Künstlerin „Bleeptrack“, wie sie sich selbst nennt. Sie stützt ihre gesamte Karriere auf KI-Bilder. Bleeptrack ist eine generative Künstlerin, aktiv in einem Seitenstrang der Kunstwelt, der Jahr um Jahr auch in Deutschland immer größer wird. Für sie ist die oft unberechenbare Zusammenarbeit mit der KI der große Reiz, der sie zu ihrer Arbeit antreibt: „Ich finde es faszinierend, sich selbst ein Regelwerk auszudenken oder der KI ein solches mitzugeben – und dann einfach zuzuschauen, wie sie damit von allein etwas erschafft. Da macht das Zuschauen schon einfach Spaß.“ Ob die Arbeit mit den KI-Codes tatsächlich Kunst ist, ist eine mittlerweile vielgestellte Frage, für die Bleeptrack trotz ihres Berufshintergrunds keine einfache Antwort parat hat. „Es kommt darauf an. Grundsätzlich würde ich KI-Bildgeneratoren mit einem Pinsel vergleichen: Ist ein Pinsel, mit dem ich ein Bild male, Kunst? Nein, er ist ein Werkzeug. Und so verhält es sich auch mit Dall-E und den anderen Programmen.“ Allerdings versteht sie, woher die Skepsis vieler Beobachter:innen kommt und erkennt Parallelen in der Kunstgeschichte: „Es ist ähnlich wie damals, als die Fotografie aufkam. Diese Technik hatte ein neues Kunstfeld eröffnet, die von Zeitgenossen befremdlich, von anderen etablierten Künstler:innen sogar als bedrohlich empfunden wurde. Das hat Zeit gebraucht, bis diese neue Form akzeptiert wurde.“ Diesen Prozess begleitete eine lebendige Debatte, die etwa vom Philosophen Walter Benjamin in seinem Werk „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“ aufgegriffen und weitergeführt wurde. Darin verhandelt er, wie sich Kunst und Gesellschaft in Zeiten massenhafter Reproduktion verändern – und damit auch die kollektive Wahrnehmung beeinflussen. Themen also, die auch heute wieder relevant sind. Bleeptrack appelliert für eine solche produktive Auseinandersetzung; sie hätte im Übrigen auch nichts dagegen, wenn ein KI-generiertes Bild in der Kunstgalerie neben dem Ölgemäldeklassiker hinge. Nur der Entstehungskontext müsse klar genannt werden, um Betrachter:innen nicht zu täuschen. [caption id="attachment_1522121" align="alignnone" width="1200"] Die Künstlerin Bleeptrack arbeitet mit künstlicher Intelligenz, die sie zuvor selbst programmiert und mit eigenem Material füttert. Was am Ende herauskommt, bestimmt der Algorithmus. (Abbildung: Silvan Reiser)[/caption] Beutet die KI-Kunst menschliche Künstler:innen aus? Bleeptracks berufliche Ursprünge liegen in der Informatik, heute erschafft sie gemeinsam mit künstlicher Intelligenz Gemälde, die schon in internationalen Ausstellungen zu sehen waren. Das Besondere: Sie arbeitet nicht mit Dall-E und Co., sondern schreibt ihre Programme selbst. „Ich fahre im Grunde zweigleisig. Zum einen nutze ich eine KI, die nichts ‚lernt‘, weil kein neuronales Netz dahintersteckt. Da überlege ich mir dann vorher, wie die Bilder aussehen sollen, die schließlich rauskommen und überlasse anschließend dem Algorithmus eine gewisse Freiheit, selbst Dinge zu entscheiden.“ Wenn sie aber doch auf ein neuronales Netzwerk zurückgreift, dann legt sie Wert darauf, mit möglichst kleinen Datenmengen zu arbeiten, um Künstler:innen zu unterstützen. Und genau das ist ein Knackpunkt, auf den sich ein großer Teil der Kritik an den populären KI wie Dall-E konzentriert, wie Bleeptrack erklärt: „Im Grunde durchkämmen diese KI-Softwares das gesamte Internet und die jeweiligen Künstler:innen werden nicht danach gefragt, ob es okay ist, dass mit ihren Bildern ‚trainiert‘ wird. Und das halte ich für moralisch falsch und ist rechtlich wohl mindestens in einer Grauzone.“ Das sei der Grund, warum Bleeptrack bei ihrer eigenen Arbeit auf ebendiese großen Datenmengen verzichtet – sonst müsse sie, wie sie weiter erklärt, „für mein moralisches Empfinden jedes Mal erst nachfragen, und das kann ich nicht leisten. Also mache ich es auch nicht. Den großen Firmen aber ist das egal, weil die damit viel Geld verdienen.“ Während Dall-E und Co. derzeit nicht den Anschein erwecken, als würden sie zeitnah ihren Umgang mit menschlichen Künstler:innen und ihrer Arbeit ändern, haben andere Bildplattformen inzwischen Stellung bezogen: Nachdem bereits die einflussreiche und vielgenutzte Bildagentur Getty Images den Upload und Verkauf von KI-Illustrationen wegen Bedenken zur Urheberschaft verboten hat, zieht nun auch der Stockfoto-Anbieter Shutterstock nach. „Wir erkennen an, dass es unsere große Verantwortung ist, dass wir die aktuelle Entwicklung begrüßen, aber auch sicherstellen, dass die innovativen Generierungstechniken auf ethischen Grundsätzen beruhen“, lässt sich Shutterstock-Geschäftsführer Paul Hennessy in einer kürzlich veröffentlichten Pressemeldung zitieren. Während der Stockfoto-Anbieter die Zusammenarbeit mit KI-Kunstmaschinen wie Stable Diffusion und Midjourney nicht aufnehmen will, soll für Dall-E-Werke ein anderer Weg gefunden werden: Die Künstler:innen, deren Werke für die Generierung eines Dall-E-Bildes genutzt wurden, sollen Tantiemen erhalten und damit für ihr geistiges Eigentum finanziell beteiligt werden. Wie hoch dieses Honorar ausfällt, verrät Shutterstock bisher nicht. Bleeptrack hat derweil ihre eigene Lösung gefunden: Sie füttert ihre KI mit Skizzen und Bildern, die sie ganz klassisch selbst gezeichnet hat – so wird bereits der Vorbereitungsprozess zum Teil des Kunstwerks. Für sie funktioniert das gut, und trotzdem würde sich die Künstlerin wünschen, dass die großen Unternehmen, die jetzt mit ihren künstlichen Intelligenzen den Markt unter sich aufzuteilen versuchen, mehr Verantwortung übernehmen würden. „Was wäre denn so schlimm daran, wenn ich mit einem generierten Bild auch eine kleine Textbox erhalte, in der steht, welches Bild und welcher Künstler den größten Einfluss auf das Endergebnis hatten. Das ist natürlich schwer zu ermitteln, aber auch nicht unmöglich.“ Und das sei in jedem Fall eleganter, als alle Quellen komplett zu verschweigen. „In der Kunstwelt ist Attribution ein wichtiges Thema, und da crasht jetzt die Tech-Bubble rein und trampelt erst mal alles kaputt, weil denen alles egal ist. Ich finde das problematisch.“ Ein Spielplatz für Esoteriker:innen und Verschwörungsideologie Dall-E und Co. stellen die Kunstwelt also vor eine Herausforderung und einen Interessenskonflikt. Doch auch gesamtgesellschaftlich sind mit der wachsenden Popularität der KI-Kunst Probleme verbunden, die vom Mainstream außerhalb der Tech-Bubble bisher noch weitgehend unbeachtet bleiben: Computergenerierte Kunst könnte zu einem Katalysator für die Welt der Esoterik und Verschwörungsmythen werden. Der Autor Gregor Schmalzried illustriert diese Gefahr anhand eines Beispiels, über das er selbst gestolpert ist: „Ich sah ein Tiktok-Video, in dem jemand die künstliche Intelligenz gefragt hat, wie die Hölle aussieht. Und dann hat Midjourney ein Bild gezeigt, auf dem schemenhafte Figuren wie Sklaven durch ein unterirdisches Gewölbe getrieben wurden – und um sie herum ein Flammenmeer tobt.“ Und einige Zuschauer:innen wollten darin mehr als nur Kunst sehen, wie der Autor weiter berichtet: „Sie sagten: Aha, hier ist irgendwas im Äther, zwischen unserer Welt und der nächsten, die sich mithilfe der künstlichen Intelligenz manifestiert hat.“ Schmalzried vermutet, dass dies eine Lesart ist, die noch viele Menschen entwickeln werden – jetzt, wo diese Technologie immer breiter und freier verfügbar sein werde. „Und das spielt natürlich in den großen gesellschaftlichen Megatrend rein, den wir gerade erleben: Dass wir alle wahnsinnig verzweifelt auf der Suche nach irgendwas mit Bedeutung in unserem Leben sind. Dafür sind wir aktuell anfällig.“ Damit das nicht passiere, sei noch viel Bildungsarbeit notwendig, um Immunität gegen diese Versuchung aufzubauen, meint der Autor: „Dabei ist aber wichtig, zu sehen, dass nicht die KI selbst das Problem ist, sondern die Menschen, die sich in dem Raum, den das KI-Bild frei für Interpretationen lässt, selbst verlieren.“ Und genau in diesem Interpretationsfreiraum, diesem Bedeutungsvakuum, würden Menschen radikalisiert und sich beispielsweise für die Welt der Verschwörungstheorien öffnen. Diese Gefahr besteht laut Schmalzried und vielen anderen Expert:innen schon jetzt – gleichzeitig sei die Diskussion in Deutschland aber noch nicht so weit, um Menschen wirklich über die Risiken der KI-Kunstwelt aufzuklären: „Dafür, dass es ein Thema ist, das so viele Menschen betrifft, wissen noch sehr wenige davon. Auf zwei Vorträgen, die ich über das Thema schon gehalten habe, wussten mehr als die Hälfte aller Zuhörenden nichts von dieser Technologie – und das waren alles auch noch Medienleute.“ Laut der Beobachtung des Autors diskutiert gerade vor allem die Kunstwelt über die Gefahren der KI-Konkurrenz, während die Tech-Bubble diese Technologie als „cool“ darstellt, mit der „lustige Sachen angestellt werden können, ohne dabei auf ethische Implikationen zu achten“. Richtig interessant wird es laut Schmalzried, wenn die Diskussion auch die breitere Öffentlichkeit erreicht und hier eine Diskussion entstehe: „Dann erst sehen wir, wie der Diskurs eigentlich verläuft und was das für die Zukunft der Technologie in Deutschland bedeuten könnte.“ In der Welt der Künstlerin Bleeptrack ist dieser Diskurs schon angekommen. Nach unserem Interview im Oktober fuhr sie nach Heilbronn, um in einem KI-Salon Bilder zu betrachten, die von verschiedenen künstlichen Intelligenzen erstellt worden waren. Hier, in den Galerien und Ausstellungsgängen, erzählen die ersten Künstler:innen bereits von Experimenten mit KI-generierten Videos: der Papst beim Stuhlgang oder Darth Vader mit Antrittsrede im Bundestag, alles kein Problem mehr, und das schon in naher Zukunft, heißt es da. Eine Technologie, die jetzt erst am Anfang steht und trotzdem schon beeindruckt, so lautet Bleeptracks Prognose für die nächsten fünf Jahre. Und ob bis dahin auch die großen Firmen endlich die Künstler:innen nennen und wertschätzen, deren Bilder sie für ihre eigene KI-Kunst nutzen? „Ich glaube, das ist denen auch weiterhin vollkommen egal.“