Wie dezentrale Teams erfolgreich zusammenarbeiten: Führen aus der Ferne
Für große wie kleine Unternehmen, gerade in der IT-Branche, wird das Führen von dezentralen Teams immer wichtiger. Eine Studie der Unternehmensberatung RW3 CultureWizard [1] unter 30.000 Angestellten zeigt, dass digitales Arbeiten über Standorte und Ländergrenzen hinweg bereits zum Alltag gehört. 87 Prozent des Managements und 50 Prozent der Mitarbeiter multinationaler Konzerne verrichten ihre Arbeit zumindest teilweise virtuell.
Doch virtuelle Zusammenarbeit stellt Mitarbeiter wie Management gleichermaßen vor Herausforderungen, wie die RW3-Studie ebenfalls zeigt: 75 Prozent der Befragten gaben an, dass es schwierig sei, innerhalb virtueller Teams Vertrauen zu entwickeln. 79 Prozent beklagten zu wenig Zeit für den Beziehungsaufbau und 71 Prozent zu wenig Anteilnahme. Bei 33 Prozent lebte die Hälfte der Teammitglieder nicht im eigenen Land, so dass unterschiedliche Zeitzonen die Kommunikation erschwerten. Und 70 Prozent störten sich an kulturellen Unterschieden im Konfliktmanagement, zumal 41 Prozent ihre virtuellen Kollegen noch nie persönlich getroffen hatten.
Diese Schwierigkeiten bleiben auch Konzernen nicht verborgen. Während etwa Microsoft oder Coca-Cola ihren Mitarbeitern heute die Wahl lassen, wann und wo sie arbeiten wollen und dies PR-trächtig kommunizieren, tat Yahoo im März 2013 das genaue Gegenteil: Unter der Führung von Marissa Mayer schaffte der US-Konzern Homeoffice und Telearbeit vollständig ab. Die Folgen dieser Maßnahme bezeichnet Steffen Hopf, Managing Director von Yahoo Deutschland, als durchweg positiv: „Besonders die Teamarbeit profitiert davon: Entscheidungen können so schneller getroffen werden, die Qualität der Arbeit wird gesteigert.“
Und auch bei Coca-Cola sind die Mitarbeiter längst nicht so frei, wie es auf den ersten Blick den Anschein hat. So stellt die Personaldirektorin von Coca-Cola Deutschland, Nadine Ziese, fest: „Nicht für jeden ist die Arbeit von zu Hause das Richtige. Zur Arbeit in einem Unternehmen gehört zum Beispiel auch der persönliche Austausch untereinander. Man muss von Fall zu Fall entscheiden, ob eine Aufgabe zu Hause erledigt werden kann oder ob Absprachen die Anwesenheit im Büro erfordern.“ Eine von der Universität Bamberg zusammen mit der Stellenbörse Monster herausgegebene Studie bestätigt das: Von 7.040 Teilnehmenden haben 44 Prozent der Befragten im Home Office weniger soziale Kontakte zu Kollegen und laufen dadurch Gefahr, von der informellen Kommunikation abgeschnitten zu werden. Und 24 Prozent befürchten gar verringerte Karrierechancen. Funktioniert also digitale Zusammenarbeit am Ende gar nicht?
Onboarding: Technik ist nicht alles
Die Antwort ist Jein: Digitale Zusammenarbeit kann funktionieren, wenn das Management stimmt. Zum Beispiel müssen Führungskräfte im ersten Schritt genau solche Bedenken zerstreuen, wenn sie virtuelle Teams zu einer konstruktiven Zusammenarbeit anleiten wollen. Keine leichte Aufgabe, umso mehr, weil sie oft einem folgenschweren Irrtum aufsitzen, wie Unternehmensberaterin und Executive Coach Roswitha A. van der Markt, zu deren Kunden etwa HP oder SAP zählen, erklärt: „Manager meinen oft, mit der Einführung und dem Training neuer Technik sei alles getan. Aber damit ist lediglich die Grundlage digitaler Zusammenarbeit geschaffen.“

Denn virtuelle Zusammenarbeit bedeutet nicht einfach nur, bestehende Arbeitsabläufe ins Digitale zu übertragen; vielmehr ermöglicht die Technik völlig neue Formen der Kollaboration, wie die Beraterin Dr. Anja C. Wagner, Mitbegründerin der Social Learning Plattform UnuniTV, feststellt: „Bei Projekten arbeiten wir regelmäßig mit Videokonferenzen. Die Teilnehmer können den Dialog in einem Etherpad-Dokument mit protokollieren – auch alle gemeinsam und in Echtzeit.“ Daraus ergeben sich mehrere Vorteile: Jeder weiß, was der andere beigetragen hat. Und es spart Zeit, weil man nicht auf die Bearbeitung anderer warten muss oder nicht genau weiß, welche Version eines Dokuments jetzt die neueste ist. Damit die digitale Zusammenarbeit reibungslos funktioniert, sind allerdings klare Regeln und gemeinsame Ziele nötig: „Durch digitale Kollaboration kann Großartiges entstehen – Stichwort kollektive Intelligenz. Aber es braucht Vertrauen, dann sind virtuelle Teams kreativer“, ist Wagner überzeugt.

Gerade beim Einstieg in die virtuelle Zusammenarbeit sollte das Management daher viel Zeit investieren: nicht einfach nur die Nutzung der Tools erklären, sondern allen Teammitgliedern langfristig Orientierung und Unterstützung bieten. Insbesondere muss jeder Bescheid wissen, wie Wissen, Unterlagen und Ergebnisse in Knowledge- und Projekt-Datenbanken hinterlegt werden und Kommunikation gepflegt wird. Das bedeutet, genaue Regeln für Wording, Reaktionszeiten und die Kommunikation bei Konflikten aufzustellen. Daneben hilft es, Mentoren aus Führung und Kollegen zu benennen, die für Fragen zur Verfügung stehen.
Vom Mitarbeiter zum Team
Damit die virtuelle Zusammenarbeit klappt, muss vor allem eines gegeben sein: Mitarbeiter müssen sich als Team begreifen. Die Zusammensetzung des Teams sowie die Charakterzüge und Fähigkeiten seiner einzelnen Mitglieder spielen allerdings nur eine untergeordnete Rolle, wie eine Untersuchung von Google [2] ergab. Zwei Jahre lang hat der Konzern mehr als 200 seiner Mitarbeiter befragt und über 180 Teams analysiert. Erfolg hängt demnach davon ab, wie die Mitarbeiter miteinander interagieren, ihre Arbeit strukturieren und wie jedes Teammitglied seinen persönlichen Beitrag zum Unternehmenserfolg wahrnimmt.
Ein entscheidender Faktor ist dabei die psychologische Sicherheit: Mitarbeiter müssen sich trauen, Fragen zu stellen, Fehler zuzugeben und auch Kritik zu äußern, ohne Angst zu haben, anzuecken oder sich lächerlich zu machen. Nur dann können Schwierigkeiten rechtzeitig erkannt und ausgemerzt werden, und mehr noch: Auch innovative Ideen entstehen eher, wenn nicht alle Teammitglieder meinungskonform sind. Mitarbeiter von Teams mit hoher psychologischer Sicherheit sind laut Google-Untersuchung sogar motivierter und wechseln seltener das Unternehmen.

LinkedIn-Mitgründer und Startup-Mentor Konstantin Guericke hat schon seit Jahren seine ganz spezielle Methode, um Vertrauen aufzubauen: gemeinsames Wandern. „Ich glaube, wenn man spezielle Erfahrungen wie gemeinsames Wandern oder Essen teilt, dann schweißt das schon zusammen“, erklärt Guericke und zeigt damit, wie wichtig persönliche Nähe und Vertrauen für die Ausbildung eines Gemeinschaftsgefühls sind: Jeder im Team muss das Gefühl haben, sich auf alle anderen verlassen zu können.
Virtuelle Teams führen
Die Schwierigkeiten bei der Zusammenarbeit in einem „normalen“ Team multiplizieren sich allerdings in virtuellen Teams. Denn virtuelles Führen heißt, bei hoher Dynamik den Überblick zu wahren und mit einer großen Vielfalt an Denk- und Arbeitsstilen sowie Entscheidungsfindungen umzugehen. Gerade weil die einzelnen Teammitglieder sich selten persönlich treffen, ist es schwieriger, Vertrauen aufzubauen. Gleichzeitig erhöht sich die Gefahr kommunikativer Missverständnisse – jeder, der schon einmal via E-Mail einen Konflikt ausgetragen hat, kennt das Problem. Ausgerechnet der Estland-Chef des Video-Kommunikationsdienstes Skype bestätigt das: Zwar hält auch er regelmäßig Konferenzen und Bewerbungsgespräche mit Skype ab, in der täglichen Arbeit verzichtet Andrus Järg aber sogar auf ein eigenes Büro. Der Grund: Er bevorzugt den ständigen kommunikativen Austausch mit seinem Team im Großraumbüro, um kreativ arbeiten zu können.
Bei virtuellen Teams sind Führungskräfte daher in der Pflicht, Leistungsansprüche, Wachstumsmöglichkeiten und Erwartungen genau zu kommunizieren. Das gilt auch für die Strategie: Es ist wichtig, dass jeder Mitarbeiter weiß, worauf er hinarbeitet. Es braucht genaue Kenntnis der gemeinsamen Ziele, Abläufe und auch der eigenen Rolle, alle sollten sich mit den gemeinsamen Werten identifizieren. Jeder Einzelne muss überzeugt sein, dass seine Arbeit etwas bewirkt und regelmäßige Erfolge sehen. Dabei hilft beispielsweise die Zielerfassung über Tools wie Confluence oder Trello, flankiert von regelmäßigen Status-Abgleichen. Es ist Aufgabe des Managements, klare Abläufe vorzugeben und so Sicherheit zu schaffen. Gleichzeitig muss ein virtueller Chef aber auch unterschiedliche Arbeitsstile akzeptieren oder Ziele auch mal flexibel veränderten Gegegebenheiten anpassen.
Kommunikation organisieren
Doch nicht nur in der Organisation, sondern auch der Kommunikation müssen die Rahmenbedingungen stimmen: Bei Meetings etwa sollten Führungskräfte Kommunikationskanäle wählen, die für alle problemlos zu handhaben sind, genaue Ziele und einen fest definierten Zeitraum für das Meeting festlegen und vorab sicherstellen, dass die Technik funktioniert. Eine besondere Herausforderung sind Meetings mit Teilnehmern, deren Standorte sich über mehrere Zeitzonen verteilen – eine Aufgabe, die die Sales-Direktorin von Google Irland, Fionnuala Meehan, quasi täglich bewältigt:
„Wenn ich um acht Uhr ins Büro komme, habe ich meist Meetings mit den Kollegen von Google in Indien, denn dann ist dort Mittagszeit und ein guter Zeitpunkt. Meetings mit den Kollegen aus den USA finden hingegen nachmittags statt.“ Das ideale Tool dafür ist nach Meehans Auffassung – wen wundert’s – Google-Docs: „Da ich mit Leuten aus Asien, London, Hamburg und den USA zusammenarbeite, können wir die vielen unterschiedlichen Ansichten und Meinungen hier perfekt sammeln und diskutieren.“

Wie wichtig die richtigen Kommunikations-Mittel sind, zeigt auch die virtuelle Feedback-Kultur: Schriftlich oder telefonisch geäußerte Kritik wird schnell falsch verstanden und kann verletzen. Wichtig ist daher eine positive Fehlerkultur. „Gerade für Feedback-Gespräche sollte das Management visuelle Kollaborations-Tools wie Skype wählen, in denen nicht nur Inhalte, sondern auch Mimik und Gestik die jeweilige Stimmungslage vermitteln“, erklärt Beraterin Roswitha A. van der Markt. Zudem sollten alle Fortschritte und Ergebnisse des laufenden Projekts für jeden zugänglich in Datenbanken oder Wikis hinterlegt werden.
Das Team zusammenhalten
Um Teams zusammenzuhalten, muss man auch die informelle Kommunikation, den Flurfunk, berücksichtigen. Klingt schwierig, weil digitale Kommunikation in der Regel zweckgebunden ist und wenig Raum für zufällige Begegnungen lässt. Doch hier kann Abhilfe geschaffen werden, etwa durch eine virtuelle Kaffeebar, regelmäßige virtuelle Treffen oder persönliche Meetings, bei denen das ganze Team zusammenkommt. So wie bei Automattic, der Firma hinter dem CMS WordPress: Einmal pro Jahr kommt das gesamte Unternehmen, dessen Mitarbeiter überall auf der Welt leben und arbeiten, für sieben Tage zusammen, um die Unternehmensstrategie zu besprechen und sich besser kennenzulernen. Den Rest des Jahres helfen vor allem Chat-Foren und digitale Boards, informell zu kommunizieren.

Auch bei der amerikanischen Foto-Agentur Shutterstock arbeiten kleine Teams über große Entfernungen und in verschiedenen Zeitzonen gemeinsam an Projekten. Dabei wird auch die normale Büro-Situation samt Flurfunk simuliert. CEO Jon Oringer erklärt: „Viele unserer Produktentwickler an unterschiedlichen Standorten reden während der Arbeit ständig über iPads miteinander.“ Für Nähe und gemeinsame Erfolgserlebnisse sorgt auch der jährliche 24-Stunden-Hackathon, an dem das gesamte Team teilnimmt.
Die Vielzahl positiver Beispiele zeigt: Virtuelles Management kann gelingen, die Technik ist aber nur der erste Schritt. Die Herausforderung besteht vielmehr darin, das Team trotz räumlicher Trennung zusammenzuschweißen und eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zu ermöglichen.