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Digitale Doppelgänger: Avatare schaffen neue Möglichkeiten im Marketing

Avatare gibt es schon lange. Doch Social Distancing hat einen Boom ausgelöst. Digitale Doubles von Stars aus Musik oder ­Politik, aber auch von Influencern eröffnen dabei ganz neue Möglichkeiten im Marketing.

Von Frank Puscher
8 Min. Lesezeit
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Avatare schaffen neue Möglichkeiten im Marketing. (Abbildung: Shutterstock / Cookie Studio)

Ein leises Surren erfüllt den Raum. Alles ist grün. 30 Scheinwerfer lassen keinen Platz für Schatten. 106 Kameras sind auf die Mitte des Raumes gerichtet. Dort sitzt einer der erfolg­reich­sten Influencer von ­Tiktok und geht seinem Handwerk nach: töpfern. Dax Newman ist der Popstar der Keramikszene. Er ist nur mit Jeans und Lederschürze bekleidet, seine Hände formen eine Skulptur auf der Drehscheibe. Da schlägt nicht nur bei ­Teenagern der Puls höher. Normalerweise sehen sie dem Sunnyboy per ­Video beim Arbeiten zu. Doch dieses Mal ist das anders. Dax sitzt im Greenroom von 1RIC. Das Startup aus Los Angeles hat sich auf „volumetrische Videoaufnahmen“ spezialisiert. So richtig bekannt machte 1RIC aber eine App, die vor einem Jahr erschien: Jadu, die Plattform für digitale Doppelgänger. Nun lässt sich also auch Dax Newman digitalisieren. 1RIC errechnet aus den Aufnahmen im Greenroom seinen Avatar.

Die Sängerin Madison Beer ließ sich digitalisieren und sandte ihren ­Avatar Anfang Januar 2021 auf die virtuelle Bühne der rein digitalen Messe CES. (Abbildung: Sony)

Vielleicht würde Dax nicht auf diesem Stuhl sitzen, ­hätte das ­Coronavirus die Weiterentwicklung von Avataren nicht ­extrem beschleunigt. Oder zumindest die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit stärker auf virtuelle Realitäten gelenkt – von Zoom-­Meetings über digitale Messen bis hin zu Popkonzerten in Minecraft. Dadurch haben sich immense Marketingchancen eröffnet. Für Prominente, die ihr digitales Double töpfern, tanzen oder singen lassen genauso wie für all jene Markenhersteller, die jetzt auch noch den Avataren der Normal­sterblichen für reales Geld ihre virtuellen Produkte verkaufen können.

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Als die Rapper von 100Gecs als kleine Blockmännchen in Minecraft aufgetreten sind, konnten die Konzertbesucher während der Performance eine fantasievoll gestaltete virtuelle Welt durchstreifen und jede Menge Merchandise-Artikel kaufen. ­Andere Musiker hatten ähnliche Ideen: Travis Scott sang auf Fortnite, The Weeknd performte auf Tiktok und im ­Januar ­brachte Sony Madison Beer live auf die virtuelle Bühne der CES. Alle Konzerte waren Liveübertragungen, keine Videos. The ­Weeknd zog damit zwei Millionen Nutzer zu Tiktok. Mit einem einzigen Konzert.

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Die Events dieser Popstars weisen den Weg zur Zukunft: „Auch wenn Corona vorbei ist, wird es Ereignisse geben, die entweder die Zuschauer oder den Künstler daran hindern, zu einem Auftritt zu reisen“, sagt Alyssa Bereznak, Journalistin beim US-Onlinemagazin The Ringer. Dann gibt es eben die digitale Zusammenkunft.

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Mehr als nur eine Alternative

Für die Künstler ist das mehr als nur eine Alternativlösung. Mit den digitalen Doppelgängern können sie ihre Reichweite steigern und mehr Geld verdienen. Sie können zwei Auftritte gleichzeitig performen oder für kleinere Fotoshootings einfach den Doppelgänger schicken. Fußballtrainer Jogi Löw sandte beispielsweise schon 2019 einen Avatar zu einem VW-Event, damit die Gäste ein virtuelles Selfie mit ihm machen konnten. Promis und Künstler entdecken ganz neue Geschäftsfelder. Kim Kardashian publizierte bereits 2015 ein komplettes Emoji-Set, das unterschied­liche Mimiken, verschiedene Körperteile und Accessoires von ihr zeigt. 2018 gab es eine feministische Variante. Inzwischen gibt es bereits die dritte Version in den App-Stores. Die erste Variante kostete zwei, die zweite drei und die aktuelle vier US-Dollar. Zum Launch der ersten App berichtete Apple von einem Spitzenwert von 9.000 Downloads pro Sekunde.

Die Avatare von Kim Kardashian, 100Gecs oder The Weeknd zeigen: Es geht keineswegs darum, ein originalgetreues Abziehbild zu erstellen. Im Gegenteil. Abel Makkonen Tesfaye, so der bürgerliche Name von The Weeknd, wählte sehr bewusst einen Comicstil und variiert ihn je nach Konzert. Schon gibt es Fans, die auf Instagram Kollektionen seiner Avatar-Bilder sammeln und stolz präsentieren. Das geht so weit, dass sich Jon Caramanica, Musikkritiker der New York Times, in seinem Podcast fragt, ob es überhaupt noch ein reales Vorbild braucht. Oder können virtuelle Popstars womöglich auch ohne echte Vorlage erfolgreich sein? Immerhin gibt es mit Hatsune Miku aus Japan schon seit 2008 den ersten synthetischen Popstar, der mit seinem Hologramm ganze Stadien füllt.

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Der Tiktok-Influencer Dax ­Newman virtualisiert seine ­Töpferarbeit im Greenroom. Seine ­digitale Umsetzung lässt sich schließlich auch im eigenen Garten positionieren und personalisieren. (Abbildung: Jade / Dax Newman)

Hatsune Miku ist ein virtueller Charakter, so wie Shudu oder Lil Miqela virtuelle Models sind. Der Unterschied liegt in Posing versus Performance. Digitale Standbilder und vorgefertigte Videosequenzen lassen sich perfekt am Rechner inszenieren. Ein Konzertauftritt samt Tanzeinlagen wird dagegen per Motion-Capture von einer rea­len Tänzerin oder Sängerin auf das Hologramm übertragen. Und wenn Forbes ein Interview mit der Influencerin Aliza Rexx führt, dann spricht nicht sie selbst, sondern eine für sie ausgesuchte Stimme oder – wie bei Shudu – eine Autorin namens Ama Badu, die dem Pixelcharakter seine eigene Story gibt.

Im Vergleich zu vorproduzierten Stills oder Videos ist die Live Performance ein ganz anderes Kaliber. Hier muss der Avatar für sich selbst stehen oder tanzen können. Unternehmen wie Jadu digitalisieren dazu mit großem Aufwand Prominente – im Moment vorzugsweise Tiktok-Influencer – und errechnen eine digitale Version, die verschiedene Looks von realitätsnah bis völlig verfremdet annehmen kann. Nutzer können diese Avatare dann in Augmented-Reality-Szenarien personalisieren. Da sitzt zum Beispiel Sunnyboy Dax Newman töpfernd im Wohnzimmer einer Jadu-­Anwenderin.

Auch interessant: „Unechte Models: Virtuelle Influencer erobern das Netz“

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Avatare lassen sich dann gut einbinden, wenn die AR-Anwendung Lichtreflexe und Schatten realistisch verwendet – etwa, um den Avatar nahtlos in ein Wohnzimmer zu integrieren. Wie das aussieht, zeigt das bahnbrechende erste Experiment von ­Snapchat mit Apples Lidar-Scanner. Das Glitzerkonfetti bleibt genau da liegen, wo die App Objekte im Raum erkannt hat.

Das ist keineswegs Zukunftsmusik. Ähnlich wie Jogi Löw ließ sich im vergangenen Jahr auch die Führungsriege der FDP zumindest als Standbild virtualisieren. Jadu-Nutzer konnten dann mit Christian Lindner den Ellenbogen checken oder Nicola Beer per Fußkick begrüßen – allerdings wirkten die digitalisierten 2D-­Bilder wenig dreidimensional, sondern eher wie Pappaufsteller.

Wenn Nutzer mit Avataren Spielen

Die Kehrseite des Avatar-Hypes: Die Nutzer machen mit dem ­digitalen Abbild alles Mögliche – nur nicht das, was sich Schauspieler, Sportler oder Politiker wünschen. Dann sucht FDP-Chef Lindner auch schon mal den Nahkontakt mit einer Schildkröte. Einmal mehr muss die Marke in den sozialen Medien die Kontrolle am Content abgeben. „Stars wie Beyoncé haben ein zu starkes Kontrollbedürfnis, um einen ­Avatar frei in die Wildbahn zu entlassen“, meint auch Szene­kenner Jon Caramonica. Seiner Meinung nach ist einfach zu viel Quellmaterial im Umlauf. „Andererseits gibt der Avatar dem Gesang überhaupt erst ein Gesicht“, kontert die Journalistin Alyssa Bereznak. Sie bezieht sich darauf, dass Tiktok-Nutzer zwar einen populären Musik­track verwenden, die Bilder, Tanzmoves oder ­Lippenbewegungen aber lieber selbst inszenieren. „Der Anwender ist der Held“, sagt Bereznak.

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Vermutlich weiß kein Millennial, wer ­Fleetwood Mac wirklich sind. Aber alle haben die Musik von „The ­Ocean Spray“ millionenfach geteilt. Künstlerinnen wie Cookie Kawaii realisieren mit ihrer digitalen Kopie daher interaktive Musikvideos. „Sie tanzt, als wäre noch jemand dabei“, so Bereznak. Eine Einladung an alle Nutzer zu einem virtuellen Duett mit der digitalen Kawaii.

Interaktion ist auch das größte Asset, das WaveXR oder Genie ins Feld führen. WaveXR ist ein Anbieter virtueller Unterhaltung, der Künstlern die virtuellen Welten auf den unterschiedlichsten Social-­Media-Plattformen erschließt. So setzte WaveXR zum Beispiel das Tiktok-Konzert von The Weeknd um, bei dem die Nutzer bestimmen konnten, was im Liveact als Nächstes passiert. Live durch Anwender ins Spiel gebrachte Interaktionen wie „küsse ­einen Frosch“ lassen sich kaum vorproduzieren, es sei denn, man gibt den Nutzern die Interaktionsmöglichkeiten vor, wie in einem interaktiven Tatort. Ansonsten muss es eben live sein.

Genie setzt dagegen eher auf Marketing und das basiert auf der Idee von Kim Kardashians Kimoji. Die Avatare sind Spielfiguren mit großen Köpfen, wie man sie von Nintendos Wii-Konsole kennt. Sie können Produkte präsentieren, auf Termine hinweisen oder auch ein langweiliges Zoom-Meeting aufpeppen. Eine einfach zu buchende Zweitversion eines Prominenten also, der vor allem eines kann: sich perfekt in die jeweilige Social-Media- oder Spieleumgebung integrieren.

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Pimp my Avatar

Wenn sich Promis Avatare machen, wollen Nutzer das natürlich auch. „Die Generation Z hat ihr Leben lang nichts anderes gemacht“, meint Alyssa Bereznak. Second Life war vielleicht etwas früh dran, aber bei Nintendos Wii gab es Avatare. Bitmoji und ­Apples Memoji sind die Vorläufer von Genie. In „Fortnite“, „Roblox“ oder „Animal Crossing“ haben sie nicht nur digitale Stellvertreter erschaffen, sondern auch die Häuser, Gärten und Landschaften, in denen sie sich herumtreiben. Hierfür braucht es freilich die richtige Ausstattung. Und das ist der zweite Hype, der nahezu unbemerkt dem Avatar-Boom folgt: Im vergangenen Jahr haben Nutzer für sage und schreibe 100 Milliarden US-Dollar ­digitale Güter gekauft. Topmarken wie Gucci, Ralph Lauren oder Dior verkaufen Pixelbildchen von Schuhen, Schals und Polohemden, um Avatare zu verschönern. Um derlei Errungenschaften zu präsentieren, hat der Marketingstratege Ryan Mullins einen virtuellen Laufsteg entworfen. Er heißt Aglet, ist eine Art „Pokémon Go“ für Sneaker-Fans und hat wohl jede Schuhmarke dazu gebracht, sich für das kommende Jahr irgendeine Form der Aglet-­Marketingstrategie auszudenken. Gingen Experten zu Beginn des ­Hypes 2016 noch davon aus, dass die Avatare vor allem reale Mode vertreiben, so dreht sich der Spieß jetzt um: Die Labels entwerfen Mode, die es nur für Avatare gibt. Direct to Avatar – oder kurz D2A – lautet die dazugehörige Fachbezeichnung.

Auch für Model Kendall Jenner ging ein Avatar zu Modeaufnahmen für die Marke Burberry. (Abbildung: Mimic Productions)

Das Phänomen Avatar zeigt sich dieser Tage in einer ganzen Reihe von Spielarten, die man unterscheiden und einordnen muss, um das Potenzial zu verstehen. An einem Ende steht vielleicht Joe Bidens genieähnlicher Avatar, mit dem er Wahlkampf in „Animal Crossing“ machte. Am anderen der realitätsnahe Deep Fake der britischen Königin, der sich auf Channel4 Gedanken um „Echt versus Falsch“ macht. Fest steht, dass Avatare mittlerweile Hollywood-Bildqualität erreicht haben und von echten Menschen kaum mehr zu unterschieden sind. Wer das nicht glaubt, kann ja mal im Audible-Spot von ­Sebastian ­Fitzek nach der Stelle suchen, an der ein 3D-Modell sein echtes Gesicht ersetzt. Die Berliner 3D-Experten von Mimic ­Productions sind die Schöpfer dieses und anderer Hochglanz-Avatare. Neben ­Sebastian Fitzek haben sich hier auch Mario Götze, Kayne West oder Lena Meyer-Landrut digitalisieren lassen. Noch ist der Ansatz kampagnen­bezogen wie eine klassische 3D-Produktion. Aber jeder weitere Spot mit demselben Avatar spart bares Geld – und das nicht zu knapp.

Ein weiteres Projekt der Berliner wirft allerdings eher ­Fragen auf. Nämlich: Darf man Tote für Werbezwecke nutzen? Und wenn ja, wer besitzt die Rechte? Es ging um keine Geringere als die Mona Lisa. 2021 wird sie als Dessous-Model zum Einsatz kommen, ­etwas jünger als auf da Vincis Bild und etwas schlanker. Aber wollen wir, dass verstorbene Künstler neue Songs aufnehmen, inklusive Musikvideo? Oder Tote als Werbegesicht? ­Kentucky Fried Chicken hat sich dafür entschieden: Gründer ­Colonel Sanders lebt heute als Datei auf den Festplatten der Agentur Wieden & Kennedy. Nur sieht der Avatar wesentlich sexyer aus als der echte Colonel. Wenn die virtuelle Wiederauferstehung möglich ist, wie sieht es dann mit ewiger Jugend aus? Die Kaji-Familie hat ihren Spross Ryan vorsorglich digitalisieren lassen. Damit er nicht altert. Das ist wichtig, denn Ryan betreibt den erfolgreichsten unabhängigen Spielzeugkanal der Welt mit 24 Millionen Followern, und das Testen von Spielzeug nehmen die Fans einem pickeligen 15-Jährigen vielleicht nicht mehr ab.

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