Anzeige
Anzeige
Reportage
Artikel merken

Digitale Nomaden in Thailand: Zu Besuch im Mekka für Webworker

Digitale Nomaden arbeiten an Orten, an denen andere ­Urlaub ­machen. Doch wie gut funktioniert der Spagat zwischen ­Arbeiten und Reisen im Alltag? Eine Spurensuche in Chiang Mai, dem thailändischen Mekka für Webworker.

Von Sébastien Bonset
13 Min. Lesezeit
Anzeige
Anzeige

(Foto: Sébastien Bonset)

Es ist Dezember, das Thermometer zeigt angenehme 27 Grad, es duftet nach Kaffee. Vor mir überquert ein Mönch in ­grellorangener Robe die Straße und schaut gebannt auf sein Smartphone, ich stehe vor dem Hotel und beobachte ihn. Ich fühle mich ein bisschen wie im Urlaub, obwohl es eigentlich ein normaler Arbeitstag für mich ist: Ich warte auf einen Gesprächspartner, der sich um ein paar Minuten verspätet. Nur mache ich das eben nicht wie sonst in Hannover, sondern im thailändischen Chiang Mai, dem Mekka der digitalen Nomaden.

Anzeige
Anzeige

Eine Flugstunde von Bangkok entfernt hat sich eine ganze Stadt zum Biotop für freiheitsliebende Digitalarbeiter ent­wickelt: Das schnelle Internet, die niedrigen Lebenshaltungskosten ­sowie die vielen Cafés und Coworking-Spaces locken eine globale ­Community aus Gründern und Selbstständigen an. Aus der Ferne hört sich das romantisch an, diese neue Art des Arbeitens unter Palmen. Ich will aus der Nähe sehen, wie der Alltag tatsächlich aussieht.

Dahinter steckt aber auch noch eine größere Frage, die mich beschäftigt. Vielleicht ist das Leben der Digitalarbeiter in Chiang Mai nicht nur für Freiberufler und Reiseverrückte interessant. Vielleicht liefert es auch eine Blaupause für Unternehmen. Schon jetzt werfen Berater mit Begriffen wie „New Work“ und „ortsunabhängigem Arbeiten“ um sich. Die Digitalisierung ermöglicht solche früher utopischen Szenarien – denn, wer den ganzen Tag vor dem Notebook sitzt, kann das theoretisch nicht nur im Büro tun, sondern überall. Die Automatisierung dreht diese Zukunftsvision noch ein Stück weiter: Künstliche Intelligenz verändert den Begriff Arbeit generell, es stellt sich immer mehr die Frage nach dem Sinn einer Tätigkeit. Arbeit soll sich im Idealfall nicht nur finanziell lohnen, sie muss auch die Möglichkeit schaffen, sich selbst zu verwirklichen, überall, jederzeit. Das digitale Nomadentum kann als eine Art Vorläufer dieser Zukunft beschrieben werden.

Anzeige
Anzeige

Ein besonderer Reiz für digitale Nomaden liegt in der Kombination aus Arbeiten an exotischen Orten und dem Reisen und Entdecken neuer Orte. Chiang Mai bietet sich für Kurztrips an, da die Stadt von Bergen und dichten Wäldern umgeben ist, die nicht nur Wasserfälle und Elefantenreservate, sondern auch potenzielle Arbeitsplätze mit ­Internet-Anbindung beherbergen. Hier entspannen und arbeiten ­Mitglieder des Wifi Tribe. (Foto: wifitribe)

Natürlich sind digitales Nomadentum und ortsunabhängiges Arbeiten keine Synonyme. Während das zweite Arbeitsmodell zaghaft von einigen wenigen deutschen Arbeitgebern eingeführt wird, ist das erste von hoher Eigeninitiative abhängig, bedarf guter Planung und bringt einige Schwierigkeiten mit sich: Wie verdiene ich ausreichend Geld? Wie organisiere ich den Erhalt ­offizieller Dokumente ohne feste Postadresse? Wie eröffne ich ein Bankkonto ohne dauerhaften Wohnort und Meldeadresse? Wie sieht es mit der Arbeitserlaubnis aus? Von diesen Sorgen werde ich in den kommenden Tagen in Chiang Mai von fast jedem digitalen Nomaden hören, mit dem ich spreche.

Anzeige
Anzeige

New Work: Realität statt Gerede

Einer von ihnen ist Sebastian Wolff. Er holt mich vor dem Hotel mit seinem Motorroller ab. Der 35-Jährige hat blonde Haare, an den Seiten kurzgeschoren, auf dem Kopf lang, trägt Jeans und T-Shirt. Er reicht mir einen Helm, wir steigen auf den Roller und schlängeln uns durch den Verkehr von Chiang Mai, vorbei an ­Autos, Fußgängern und Straßenverkäufern.

Es ist 13 Uhr Ortszeit und Sebastian ist eben erst aufgestanden. Die Nacht zuvor hat er bis vier Uhr morgens gearbeitet. ­Sebastian hat ursprünglich Apotheker gelernt, jetzt ist er Vollzeit im E-Commerce tätig. Der digitale Nomade betreibt insgesamt drei Onlineshops für den US-Markt und verkauft seine Produkte nach dem Dropshipping-Modell: Er bestellt es beim Hersteller erst, wenn ein Kunde auch tatsächlich gekauft hat – ein Lager braucht er deshalb nicht. Darüber hinaus ist er als ­Business-
Coach und Berater tätig.

Anzeige
Anzeige

Es ist kurz vor Weihnachten und der Dropshipper hat viel zu tun. Die Kunden wollen ihre Geschenke noch pünktlich erhalten, die Zahl der Support-Fälle ist hoch und die Kunden erwarten ­Feedback innerhalb der Geschäftszeiten. Da gilt es, bei den eigenen Arbeitszeiten flexibler zu sein – die Arbeit fällt aktuell an, wenn es in Thailand tief in der Nacht ist.

„Ich kann machen, was ich will, wie ich will, wo ich will und wann ich will.“

Bevor es mit Sebastians Roller zum gemeinsamen Mittag­essen – beziehungsweise in seinem Arbeitsalltag: zum Frühstück – geht, halten wir noch kurz an einem Verschlag an, bei dem er regelmäßig seine schmutzige Wäsche abgibt. Während er zwei volle Tüten Dreckwäsche von seinem Roller nimmt, berichtet er, wie er dazu gekommen ist, Deutschland und seinem Job den Rücken zu kehren. In erster Linie war er genervt von ­langen Fahrtzeiten zur Arbeit, langen Arbeitszeiten und dem hohen Stresslevel. „Mir wurde das Leben im Hamsterrad einfach zu viel und so habe ich die Reißleine gezogen. Meine Vorstellungen von einem glücklichen Leben sind einfach andere.“

Wie diese Vorstellungen genau aussehen, wird schnell deutlich, wenn man Sebastian danach fragt, was er an dem Leben und der Arbeit als digitaler Nomade schätzt. „Ganz kurz und ganz klar: die Freiheit. Ich kann machen, was ich will, wie ich will, wo ich will und wann ich will. Ich bin mein eigener Boss, muss keine Urlaubsanträge einreichen und arbeite dort, wo andere Urlaub machen”, sagt er.

Anzeige
Anzeige

Das klingt zwar erst einmal mehr als verlockend, aber der 35-­Jährige versichert, dass sein Fokus ganz klar auf seinem Geschäft liegt. Er arbeite viel und gerne und liege nicht ständig am Strand und poste Kokosnussfotos – ein Seitenhieb auf die wachsende Zahl digitaler Nomaden, die ihre Existenzberechtigung aus Instagram und anderen Netzwerken ableiten. Sebastian bezeichnet sich entsprechend auch nicht als digitaler Nomade, sondern als „Slow Nomad“. Er verbringt die meiste Zeit des Tages arbeitend vor seinem Rechner – das allerdings an unterschiedlichen traumhaften Orten. Er ist nicht ständig auf Reisen und hat auch nicht den Drang, 100 Orte pro Jahr zu sehen. Stattdessen verbringt er mehrere Monate am Stück an einem Ort. Aktuell ist das bei ihm eben Chiang Mai.

Wie viele andere Nomaden auch schätzt Sebastian an der thailändischen 130.000-Einwohner-Stadt besonders die geringen Lebenshaltungskosten. Das ist ein nicht zu unterschätzender Faktor, denn besonders zu Beginn einer Karriere als digitaler Nomade oder als Gründer ergibt es Sinn, sich dort aufzuhalten, wo man mit wenig Geld am weitesten kommt. Sebastian gibt im Monat rund 1.000 Euro aus. Darin sind Reisen innerhalb Thailands, zwei Massagen pro Woche, Partynächte und regelmäßige Restaurantbesuche bereits inbegriffen. Es geht aber auch deutlich günstiger. Selbst mit 500 Euro monatlich lebt man nicht schlecht. Zum Vergleich: Ein thailändischer Lehrer verdient bei einer Wochen­arbeitszeit von 60 Stunden rund 400 Euro im Monat.

Für die Stadt sprechen laut Sebastian zudem die Ruhe im Vergleich zu anderen thailändischen Städten, das riesige Angebot an Coffeeshops mit hervorragendem Kaffee, schnelles Internet und ausreichend Steckdosen, die Fülle an Coworking-Spaces sowie die Energie und das Businessmindset, das sich aus dem Netzwerk digitaler Nomaden aus den unterschiedlichsten Ländern ergibt. „Hier sind viele andere Gründer und Startups. Aus diesem Grund bekommt man von Trends nicht nur früh etwas mit, sondern alle sitzen auch im selben Boot und helfen sich gegenseitig“, erklärt der Dropshipper. Wer eine digitale Dienstleistung benötigt – sei es eine Website, ein Logo oder einen Contentwriter –, findet all das am Nachbartisch im Café oder in einer der vielen lokalen ­Facebook-Gruppen.

Anzeige
Anzeige

Struktur in der Flexibilität

Mittlerweile sind wir an einer der vielen provisorischen ­Garküchen, die man an fast jeder Straße in Chiang Mai findet, angekommen. Wir setzen uns auf die Plastikstühle und ­Sebastian bestellt auf Thai ein paar Gerichte. Der digitale Nomade gehört zu den wenigen Ausnahmen, die sich die Mühe machen, ­Thailändisch zu lernen. Dafür nimmt er regelmäßig privaten Sprachunterricht. Während wir den beiden Thailänderinnen fortgeschrittenen Alters dabei zusehen, wie sie mit frischen Zutaten, Töpfen und Pfannen hantieren, will ich von Sebastian wissen, wie denn ein typischer Arbeitstag für ihn aussieht. Die Antwort überrascht mich, denn das Ganze scheint weit mehr strukturiert zu sein, als ich erwartet habe. Zwar führt der Dropshipper kein Nine-to-­Five-Leben, aber trotz aller zeitlichen Freiheit und Flexibilität folgt er klar erkennbaren Mustern.

Er verbringt den Vormittag in der Regel mit Sport, Sprach­unterricht sowie Kokosnüssen, Eiskaffee und gebratenem Reis zum Frühstück. Gegen Mittag fängt der Arbeitstag an. Meistens trifft sich der Deutsche mit einigen anderen Nomaden zum Arbeiten in einem der vielen Coworking-Spaces oder Cafés. Zum ersten Feierabend geht es dann zum gemeinsamen Abendessen und danach wird weiter gewerkelt. Im Fall von Sebastian manchmal bis spät in die Nacht. Diese Routine wird immer wieder unterbrochen von Fitnessstudiobesuchen, spontanen Ausflügen zu einem der vielen Wasserfälle, die sich zuhauf in den Bergen rund um ­Chiang Mai befinden, oder der Teilnahme an einem der zahl­reichen ­Meetups oder Talks.

Chiang Mai ist bei digitalen Nomaden nicht nur wegen niedriger Lebenshaltungskosten, schneller Internetanbindung und guten Wetters so beliebt. Die nord­thailändische Stadt bietet für jeden Geschmack die richtige Arbeits- atmosphäre. Wer es gern klassisch mag, findet in einem der vielen Coworking-Spaces wie dem Punspace einen Schreibtisch. (Foto: Sébastien Bonset)

Für Julia Kallweit vom Startup Wifi Tribe geht der Tag in der Regel deutlich früher los. Die 26-Jährige hat mit ihrem Geschäftspartner Diego vor rund zwei Jahren einen Coworking- und ­Coliving-Service für digitale Nomaden gegründet. Auch Julia holt mich mit ihrem Roller ab. Ohne das Gefährt auf zwei Rädern geht in Chiang Mai gar nichts. Unterwegs erzählt sie mir von Wifi Tribe. Das Unternehmen soll das ortsunabhängige Arbeiten mit Gleichgesinnten strukturiert ermöglichen. Wifi Tribe organisiert für Teilnehmer nicht nur Unterkunft, Veranstaltungen und Freizeitangebot, sondern auch einen Großteil der offiziellen Notwendigkeiten. Die Mitglieder zahlen zwischen 800 und 1.800 US-
Dollar im Monat – je nachdem, wie lange sie mitreisen wollen und welche Art von Zimmer sie bevorzugen.

Anzeige
Anzeige

Die kurze Rollertour durch die Stadt führt uns zu einem Hotel – beziehungsweise zur Poolanlage eines Hotels. Julia will mir zeigen, wie ihre Gruppe neuerdings arbeitet. Das Hotel hat sich ebenfalls auf den Ansturm der digitalen Nomaden eingestellt und bietet Tages- oder Monatspässe für die Webworker an – selbst für jene, die nicht selbst im Hotel wohnen. Darin ist nicht nur die Nutzung des Pools enthalten, sondern auch ein Zugang zum schnellen Wlan und ein Drink. Nachdem wir vom Roller abgestiegen sind, blicke ich auf eine Szene, die wie das Klischee des digitalen Nomadentums wirkt: Unter Palmen liegen rund 15 Frauen und Männer zwischen 20 und 50 Jahren auf Liegestühlen am Pool. Jeder von ihnen hat entweder einen Laptop oder ein Tablet auf dem Schoß. Im Schatten sitzt eine weitere Gruppe von fünf Personen an einem Tisch, auf dem sogar ein externer Monitor aufgebaut wurde. Die Art und Weise, wie digitale Nomaden in der thailändischen Stadt arbeiten, sieht eben sehr unterschiedlich aus: Während die einen ganz klassisch Coworking-Spaces mit Schreibtischen aufsuchen, also eher die Büroatmosphäre benötigen, bevorzugen andere das Freizeitgefühl und suchen Cafés mit guter Internetanbindung auf oder lümmeln lieber am Pool herum.

Der Wifi Tribe ist eine Art Reise­organisator für digitale Nomaden. Gleichzeitig sind unterschiedliche Gruppen auf unterschiedlichen Kontinenten unterwegs. Das Asien-­Chapter hat das Arbeiten am Hotel-Pool für sich entdeckt. (Foto: Sébastien Bonset)

Für Julia ist Chiang Mai nur eine Zwischenstation. Noch bis Mai ist sie in Thailand, dann zieht sie weiter. Sie hat eine klare Checkliste für gute Nomaden-Orte: Medellin, Bali und ­Kapstadt. Alles Orte, die Julia als „Level One Nomad Destinations“ bezeichnet. „Sie sind superzugänglich, einfach im Alltag, bieten eine schnelle Eingewöhnungszeit, eine riesige Community und es steht fast überall schnelles und zuverlässiges Internet zur Verfügung“, erklärt die Deutsche. „Orte wie Bali oder Lissabon punkten zudem noch mit der Strand-Location.“ Das ist einer der wenigen Vorteile, mit denen Chiang Mai nicht punkten kann. Vielleicht erfreut sich daher der Hotelpool bei einigen Nomaden so großer Beliebtheit.

Arbeiten in der Grauzone

Wer in Chiang Mai arbeiten will, muss sich zunächst mit den Aufenthaltsbedingungen vertraut machen. Als Deutscher erhält man ein sogenanntes „Visa on Arrival“, das für einen Monat gilt. Wer länger bleiben will, kann zum Beispiel ein Touristenvisum beantragen, das für 90 Tage gültig ist. Das ist aber trotzdem noch keine Arbeitsgenehmigung, und so bewegen sich viele digitale Nomaden in Thailand in einer Grauzone. Das wissen auch die Behörden.

Anzeige
Anzeige

Ein Nomade berichtete mir beispielsweise von einer Razzia durch die Einwanderungsbehörde im Punspace – einem der größten und ersten Coworking-Spaces in Chiang Mai. Die Einwanderungsbehörde nahm bei der Razzia alle Ausländer mit, weil sie davon ausging, dass die Nomaden nicht im, sondern für den Coworking-Space arbeiten. Das wäre in Thailand in jedem Fall verboten. Mitunter fehlt den Behörden offenbar einfach das Verständnis, was ein Coworking-Space eigentlich ist. Die digitalen Nomaden erzählten der Behörde dann ohne Ausnahme, dass sie sich im Urlaub befänden und nur ihre Mails gecheckt hätten. Das war einfacher als zu erklären, was genau ein Coworking-Space ist. Sie durften daraufhin wieder gehen.

Digitale Nomaden müssen sich jedoch nicht nur überlegen, wo sie ihre Laptops aufschlagen. Sie müssen sich genau wie Julia und Sebastian darüber Gedanken machen, wie sie Geld verdienen. Dabei gelten dieselben Regeln wie auch für Gründer oder Selbstständige in der Heimat: Wer aus einem Angestelltenverhältnis kommt, muss sich erst einmal umstellen. „Das erste Jahr war hart und geprägt von Herausforderungen, schlaflosen Nächten und manchmal bis zu 100 Arbeitsstunden pro Woche“, sagt Sebastian Wolff. In den ersten zwölf Monaten verdiente er kaum Geld, erst danach ging es bergauf.

Was es für ihn als digitalen Nomaden im Vergleich zum normalen Selbstständigen aber einfacher machte: Er hatte sich ein Land mit günstigen Lebenshaltungskosten ausgesucht, das Geld reichte dadurch länger. Sein Rat an alle, die diesen Lebensstil ins Auge gefasst haben, lautet deshalb: Flexibel bleiben, sich der eigenen Stärken und Schwächen bewusst sein, Geld für die ersten sechs Monate sparen und dann in einem günstigen Land wie Thailand netzwerken, Ideen sammeln und loslegen.

Anzeige
Anzeige

Dass Sebastian trotz der anfänglichen Schwierigkeiten an seiner Idee des freien Arbeitens festhielt, hängt auch mit der Situation in Deutschland zusammen. „Ich frage mich, wie lange es dauert, bis auch Arbeitgeber in Deutschland ihren Mitarbeitern endlich flexiblere Arbeitsmodelle anbieten und die Vorteile von Homeoffice und Remote-Working erkennen“, sagt er. „Flexi­bilität ist für viele heute mehr wert als eine Gehaltserhöhung. Ich glaube, mit dieser Einstellung bin ich nicht allein.”

Nach meinen Gesprächen mit digitalen Nomaden in Chiang Mai kann ich das bestätigen. Ich bin während meines Aufenthalts in Chiang Mai ganz unterschiedlichen Arbeitsmodellen begegnet. Menschen, die im Coworking-Space arbeiten, Menschen, die ­Cafés bevorzugen, und Menschen, die ihrer Arbeit mit dem Laptop am Hotelpool nachgehen. Ich habe digitale Nomaden kennen­gelernt, die programmieren, übersetzen, designen oder online ­Produkte verkaufen, auch solche, die ihren Lebensunterhalt damit
verdienen, anderen zu erklären, wie man am besten selbst zum digitalen Nomaden wird. Ich habe mit Menschen gesprochen, die weit mehr als 40 Stunden pro Woche arbeiten, die auf der Suche nach dem perfekten Gleichgewicht zwischen Arbeit und Freizeit sind, die noch gar nicht genau wissen, wie sie online Geld verdienen sollen, und schließlich solche, die eigentlich in erster Linie reisen sowie Spaß haben und das mit möglichst geringem Aufwand finanzieren wollen. Sie alle haben gemein, dass sie aus traditionellen Arbeitsmodellen ausbrechen wollen – genau wie Sebastian.

(Quelle: t3n)

Für viele Menschen, die ich in Chiang Mai getroffen habe, ist das digitale Nomadentum ein Lebensstil. Sie bereisen die Welt und arbeiten an exotischen Orten, weil diese Art zu leben und zu arbeiten bei ihnen kreative Energie freisetzt. Vielleicht bedeutet digitales Nomadentum deshalb so oft noch freiberufliches Arbeiten. Dass sie nicht für Unternehmen arbeiten, dürfte auch daran liegen, dass sich zumindest deutsche Arbeitgeber besonders mit der Kombination aus Reisen und Arbeiten schwer tun – selbst wenn sie ortsunabhängigem Arbeiten und Home-Office-Tagen nicht abgeneigt sind.

Dabei zeigt Wifi Tribe, dass man das Ganze nicht gleich für immer durchziehen muss und die Vorteile dieses Arbeitsmodells durchaus auch zeitlich begrenzt für sich in Anspruch nehmen kann. Bei dem Startup sind mittlerweile nicht nur Menschen Kunden, die Unterstützung beim Start als digitale Nomaden ­suchen. Immer häufiger buchen auch Angestellte oder Unternehmen für ausgewählte Arbeitnehmer mehrmonatiges Coworking und Reisen mit Wifi Tribe. Warum erkennen nicht mehr Unternehmen, dass es sich lohnen kann, Mitarbeiter für ein paar Wochen ans andere Ende der Welt zu schicken, um dort zu arbeiten, und derartige temporäre und Inspiration stiftende Tapetenwechsel selbst organisieren?

Als ich mich wieder in den Flieger setze und Chiang Mai verlasse, hängt mir dieser Gedanke noch lange nach. Nachdem ich mich selbst in Coworking-Spaces in der Stadt gesetzt habe, kann ich bestätigen, dass es inspirierend wirkt, in einer völlig neuen und exotischen Umgebung dem eigenen Job nachzu­gehen. Allerdings muss es auch nicht immer die große weite Welt sein. In Hannover arbeite ich regelmäßig für einen Tag in einem Coworking-Space und nicht in den Räumen der t3n-Redaktion. Auch das wirkt sich bei mir sehr positiv auf die Produktivität aus, obwohl dort Pool, Schönwettergarantie und das exotische Drumherum fehlen und ich nicht freiberuflich arbeite.

Vielleicht ist es also gar nicht so sehr das Land, das den Unterschied ausmacht, sondern die Flexibilität, dort zu arbeiten, wo man will. Das geht mit dem einher, was mir viele Nomaden erzählt haben: Dass sie darauf hoffen, dass auch in Konzernen und Unternehmen in Deutschland und anderen Heimatländern ein Umdenken stattfindet und alte Modelle aufgebrochen werden. Einige von ihnen würden dann sogar zurück in ihre Heimat kommen.

Mehr zu diesem Thema
Fast fertig!

Bitte klicke auf den Link in der Bestätigungsmail, um deine Anmeldung abzuschließen.

Du willst noch weitere Infos zum Newsletter? Jetzt mehr erfahren

Anzeige
Anzeige
5 Kommentare
Bitte beachte unsere Community-Richtlinien

Wir freuen uns über kontroverse Diskussionen, die gerne auch mal hitzig geführt werden dürfen. Beleidigende, grob anstößige, rassistische und strafrechtlich relevante Äußerungen und Beiträge tolerieren wir nicht. Bitte achte darauf, dass du keine Texte veröffentlichst, für die du keine ausdrückliche Erlaubnis des Urhebers hast. Ebenfalls nicht erlaubt ist der Missbrauch der Webangebote unter t3n.de als Werbeplattform. Die Nennung von Produktnamen, Herstellern, Dienstleistern und Websites ist nur dann zulässig, wenn damit nicht vorrangig der Zweck der Werbung verfolgt wird. Wir behalten uns vor, Beiträge, die diese Regeln verletzen, zu löschen und Accounts zeitweilig oder auf Dauer zu sperren.

Trotz all dieser notwendigen Regeln: Diskutiere kontrovers, sage anderen deine Meinung, trage mit weiterführenden Informationen zum Wissensaustausch bei, aber bleibe dabei fair und respektiere die Meinung anderer. Wir wünschen Dir viel Spaß mit den Webangeboten von t3n und freuen uns auf spannende Beiträge.

Dein t3n-Team

Garret456

Das sieht wirklich nicht verlockend aus.
Auf einem unbequemen Liegestuhl in der Hitze liegen, ständig Ablenkung, kein ergonomisch eingestellter Arbeitsplatz, völlige Abhängigkeit von Dienstleistern (Essen, Wäschewaschen, Obdach).
Am Anfang klingt es sicher toll: „arbeiten, wo andere Urlaub machen“. Aber das tun der Hotelangestellte, der Skiliftbetreiber, der Cocktailmixer und der Typ, der einem am Strand eine Massage verkaufen will, auch. Und jeder, der in Berlin, Leipzig, München, Würzburg, Erfurt usw. lebt, arbeitet auch dort, wo andere Leute Urlaub machen.
Nur halt ohne Laptop.

Antworten
Ulrich Schmitz

Man sollte auch mal einen Blick auf die älteren „Nomaden“ werfen – so man die denn in Thailand findet. So velockend die Aussicht auf unabhängiges Arbeiten unter Palmen ist, so trügerisch ist es auch. Ich habe selbst lange Zeit in Thailand als freier Journalist gearbeitet, wobei ich das Glück hatte einen festen Dienstleistungsvertrag mit einem deutschen Verlag zu haben. Ich konnte gut sehen, wie sich die häufig mit vielen Illusionen gestarteten Aussteiger dort mit allen möglichen Arbeiten versuchten on- oder offline über Wasser zu halten. Meist wurde es dann schwierig, wenn zu den geringen Lebenshaltungskosten noch Kosten für Ärzte und Medikamente hinzukamen. Eine Krankenversicherung haben die meisten Aussteiger nicht oder nur in unzureichender Form, und eine Einzahlung in irgendeine Altersvorsorge ist meist auch nicht drin. Was als netter Erfahrungstrip in der Jugend noch wertvoll ist, wird dann mit zunehmendem Alter und evtl. vorhandener Familie dann schnell ein Horrortrip. Von daher sehe ich das Thema „Digitale Nomaden“ eher als eine reizvolle Geschichte für Leute, die aus dem sicheren Job in Deutschland heraus von mehr Freiheit in fremden Ländern träumen ;-) Ach ja, ich war dann nach 3 Jahren auch wieder in good old Germany.

Antworten
Lung Ben

mit 20 kann man das mal ausprobieren, für ein Jahr vielleicht. Hab ich auch gemacht, und auch in Chiang Mai. Heute ist die Luft so schlecht, da ist sie in Mekka n och besser!
Aber dann kommt der Punkt, da möchtest du nicht mehr Roller fahren und ein kleines Büro mit Aircon haben. Die Visumbestimmungen werden immer strikter, du bist praktisch auf Abruf da. Chiang Mai war mal ein kleines Paradies- vor 45 Jahren. Ich spreche seitdem fließend Thai, habe mir aber in Deutschland eine Fir ma aufgebaut und bin sehr froh, schon in jungen Jahren in die RV ei gezahlt zu haben. Ein oder zwei Jah re raus, das geht, aber länger ist keine Lebensplanung.

Antworten
Dopignal

Alternative Arbeitsmodelle sind immer super spannend für alle die mit ihrem aktuellen Status unzufrieden sind. Für mich selbst wäre das Risiko zu hoch wirklich für längere Zeit als digitaler Nomade irgendwo in Süd-Ost
-Asien zu versauern… Für einen Urlaub bin ich gerne dort, aber bei dem Gedanken langfristig auf viele gwohnt Standarts zu verzichten graut es mit. Ich habe die Tage einen Artikel zu weiteren alternativen Arbeitsmoddellen gelesen. (http://www.bigkarriere.de/ratgeber/arbeitswelt/new-work) Man nennt das wohl jetzt auch alles „New Work“. Wie auch immer, dort wird vorgschlagen ein Sabatical zu nehmen, was in meinen Ohren besser klingt als alleine im Jungle mit MacBook ;)

Antworten
khoa.nguyen344

Es ist wahrlich nicht so verlockend wie es anfangs den Eindruck hat. Hätte ich die Wahl, ob ich auf der Hängematte am Strand für den Kunden was mache oder die Arbeit lieber im klimatisierten Büro, dann würde ich mich für das Letztere entscheiden. Es kommt aber auf die Tätigkeit an. Ein Fotograf und Fotoblogger bereist gern die Welt und braucht Authentizität in seinen Bildern. Das geht nicht, wenn er stundenlang im Büro hockt. Leute, die mit eigenen Projekten wie Texten oder Affiliate Marketing (z.B. als Reiseblogger) arbeiten, könnten sich durchaus den Luxus erlauben an der Bar am Rechner zu hocken und zu arbeiten. Nichtsdestotrotz ist das alles harte Arbeit. Vielleicht mal zur Veranschaulichung der möglichen Einnahmequellen interessant: hier unter https://www.khoa-nguyen.de/online-marketing/online-geld-verdienen/ habe ich mal eine Auflistung gemacht, wieviel Geld man mit Online Marketing verdienen kann. Denn viele Bereiche rund um den Bereich Remote Work drehen sich um die Online Channels, wenn man schon permanent am Rechner hockt.

Antworten

Melde dich mit deinem t3n Account an oder fülle die unteren Felder aus.

Bitte schalte deinen Adblocker für t3n.de aus!
Hallo und herzlich willkommen bei t3n!

Bitte schalte deinen Adblocker für t3n.de aus, um diesen Artikel zu lesen.

Wir sind ein unabhängiger Publisher mit einem Team von mehr als 75 fantastischen Menschen, aber ohne riesigen Konzern im Rücken. Banner und ähnliche Werbemittel sind für unsere Finanzierung sehr wichtig.

Schon jetzt und im Namen der gesamten t3n-Crew: vielen Dank für deine Unterstützung! 🙌

Deine t3n-Crew

Anleitung zur Deaktivierung
Artikel merken

Bitte melde dich an, um diesen Artikel in deiner persönlichen Merkliste auf t3n zu speichern.

Jetzt registrieren und merken

Du hast schon einen t3n-Account? Hier anmelden

oder
Auf Mastodon teilen

Gib die URL deiner Mastodon-Instanz ein, um den Artikel zu teilen.

Anzeige
Anzeige