Anzeige
Anzeige
Interview

Digitale Technologien als Chance für Journalismus: Wolfgang Blau im Interview

Ob Chatbots der Smartwatches: Neue digitale Technologien verändern nicht nur, wie wir Inhalte konsumieren, sondern auch was wir konsumieren. Wolfgang Blau sieht in dieser Entwicklung eine Chance.

Von Oliver Nermerich
8 Min.
Artikel merken
Anzeige
Anzeige
(Foto: Condé Nast International)

Er war Chefredakteur von Zeit Online und hat den weltweiten Relaunch des britischen Guardian redaktionell verantwortet: Wolfgang Blau gehört zu den deutschen Journalisten, die die Digitalisierung nicht nur früh beschrieben, sondern auch vorangetrieben haben. Condé-Nast-CEO Jonathan Newhouse holte den 49-Jährigen wegen seiner Digitalexpertise als Chief Digital Officer in den Verlag. Dort verantwortet Wolfgang Blau seit Ende 2015 die digitalen Aktivitäten von Medienmarken wie GQ, Wired, Vanity Fair oder Vogue in den Märkten Europa, Lateinamerika und Asien.

Anzeige
Anzeige

Zum Mobiljournalismus hat er eine klare Meinung. Die Denkweise Mobile-First ist für ihn veraltet. Sein Arbeitscredo lautet: „Mobile ist der neue Standard.“ Wer in Zukunft noch gelesen werden wolle, müsse die neuen technischen Möglichkeiten nutzen und Inhalte dafür zuschneiden. Seine Arbeit mit Kollegen in China, wo Vogue Marktführer ist, hat seinen Fokus auf Smartphones noch verstärkt. Dort wüden digitale Produkte und Services mit einer noch höheren Geschwindigkeit als im Silicon Valley vorangetrieben, sagt der Vordenker.

t3n Magazin: Wolfgang, wie hast du dir heute Morgen einen Überblick über die Nachrichtenlage verschafft?

Anzeige
Anzeige

Wolfgang Blau: Ich habe auf Twitter die Suchbegriffe „Brexit“ und „Pound“ gescannt, ein paar Texte der Financial Times angelesen und dann in der U-Bahn Kurznachrichten von Deutschlandfunk, BBC, NPR und ein paar asiatischen Ländern gehört. Ich mag die Podcast-App Hourly News.

Anzeige
Anzeige

t3n Magazin: In einem Interview sagtest du kürzlich, dass der mobile Journalismus vermutlich die besten Texter der Branche hervorbringen und am Ende auch zu besserem Printjournalismus führen wird. Warum?

Auf dem Smartphone ist der jeweils sichtbare Textausschnitt in der Regel so klein, dass der erste Absatz exzellent sein muss, oder der Leser ist weg. Bei Magazinlesern oder Deskop-Usern ist das anders. In Eye-Tracking-Studien können wir sehen, wie die große Mehrheit der Leser einen Text erst einmal vertikal scannt und dann irgendwo im ersten Drittel des Artikels zu lesen beginnt. Ist der erste Absatz eines Textes dann nicht stark genug, haben der zweite oder dritte Absatz so immer noch eine Chance, gelesen zu werden. Auf dem Smartphone muss hingegen zwischen jedem weiteren Scrollen der jeweils sichtbare Textausschnitt wieder so gut sein, dass ein User die unbewusste Entscheidung trifft, noch einmal zu scrollen.

Anzeige
Anzeige

t3n Magazin: Das Smartphone hat in den vergangenen Jahren Konkurrenz bekommen, unter anderem durch intelligente Uhren. Dort lesen wir Texte ja noch mal anders. Nutzt du diese Möglichkeiten?

Wolfgang Blau: Ich habe meine Apple Watch nach ein paar Wochen wieder verkauft. Ich habe eh fast immer ein Smartphone in der Hand. Nützlich wird eine Smartwatch für mich, wenn sie vom Smartphone autonom ist und eigenen Netzzugang hat. Die Kombination Smartphone und Fitbit reicht mir im Moment noch.

t3n Magazin: Also keine Chance für den Journalismus auf der Smartwatch?

Anzeige
Anzeige

Doch, durchaus. Was journalistische Formate für Smartwatches angeht, würde es mich nicht wundern, bald Lesersegmente zu beobachten, die auch längere Texte gerne auf der Watch lesen. Ich selbst gehöre zu dieser seltsamen Gruppe. Auf der Einstiegsebene gerne Bullet-Points, aber dann auch bitte die Wahl, gleich den zugehörigen Volltext auf der Watch lesen zu können, statt ihn nur für das spätere Lesen auf Smartphone oder Desktop bookmarken zu dürfen.

t3n Magazin: Nachdem der Hype um Smartwatches wieder abgeklungen ist, lautet das derzeitige Buzzword Chatbots. Räumst du dem „conversational journalism“ eine Chance ein?

Auch wenn zum Beispiel der frühe Chatbot der News-App Quartz unterhaltsam ist, liegt das journalistische Potenzial von Chatbots vermutlicher weniger darin, Inhalte in einer gesprächsähnlichen Struktur zu vermitteln, sondern darin, eher beiläufig Informationen abzufragen, die dann die Erstellung personalisierter Inhalte ermöglichen.

Anzeige
Anzeige

t3n Magazin: Was meinst du damit?

Chatbots könnten helfen, den Journalismus zu personalisieren, um ihn wirkungsvoller zu machen. Die meisten journalistischen Darstellungsformen sind ja noch im Industriezeitalter verwurzelt: „One size fits all.“ Bis vor kurzem war es nicht möglich, jedem Leser eine individuelle Fassung eines Textes zur Verfügung zu stellen. Die zwangsläufige Folge waren und sind Redundanzen in den meisten Artikel. Egal wie viel du oder ich beispielsweise über den Krieg in Syrien wissen, wird uns beiden der identische Text mit derselben Gewichtung von Hintergrundinfos und neuen Entwicklungen präsentiert.

Wären die jeweiligen Hintergrund-Passagen dieses Textes aber maschinenlesbar strukturiert, könnte ein Chatbot dir und mir jeweils ein bis zwei Fragen stellen und uns dann jeweils verschiedene Versionen dieses Artikels präsentieren, die wir beide als persönlich relevanter empfinden würden. Der Bot könnte bei diesen Interaktionen auch schon Hinweise darauf entdecken, dass Deutsch für dich oder mich nicht Muttersprache ist und dann den Text, der in anspruchsvollem Deutsch für Muttersprachler verfasst ist, an einigen Stellen simpler formulieren.

Anzeige
Anzeige

t3n Magazin: Und warum glauben Sie, dass Inhalte, die in einer gesprächsähnlichen Situation vermittelt werden, nicht die Zukunft von Chatbots im Journalismus sind?

Ich würde das nicht so binär sehen. Die gesprächsähnliche Vermittlung von journalistischen Inhalten bleibt interessant. Wir haben aber mit so gut wie allen neuen Geräte-Kategorien und Kommunikations-Werkzeugen in der Vergangenheit immer wieder dasselbe Phänomen beobachten können: Dass zuerst einmal altbekannte Darstellungsformen auf das neue Gerät übertragen werden – etwa die PDF-Ausgabe der Zeitung auf den Desktop-PC.

Oder dass selbstverständlich davon ausgegangen wird, dass ein Handy als Weiterentwicklung des Telefons ebenfalls primär zum Telefonieren benutzt würde – und nicht etwa für Textnachrichten und heute Chat-Apps. Ähnlich ist nun mit dem Zusammenkommen von Chat-Apps und Bots. Dass Bots primär chat-ähnliche Interaktionen hervorbringen, scheint naheliegend, ist vielleicht aber nur eine Wiederholung des Reflexes, aus dem heraus Verlage auch glaubten, Desktop-Computer seien ein guter Ausspielweg für Zeitungs-PDFs.

Anzeige
Anzeige

t3n Magazin: Warum ist dieser Reflex in Bezug auf Chatbots ein Problem?

Es birgt auch keinen größeren Erkenntnisgewinn, wenn der Bot mir keine Inhalte anbieten kann, die auf meinen Kenntnisstand des jeweiligen Themas zugeschnitten sind, sondern nur den Standardtext in Chat-Häppchen schneidet.


Die chat-ähnliche Vermittlung von Nachrichten in der Quartz-App ist ein Beispiel: Dem Quartz-Chatbot durch ein Thema zu folgen, ist nicht zeiteffizient. Es birgt auch keinen größeren Erkenntnisgewinn, wenn der Bot mir keine Inhalte anbieten kann, die auf meinen Kenntnisstand des jeweiligen Themas zugeschnitten sind, sondern nur den Standardtext in Chat-Häppchen schneidet. Wie gesagt: interessanter wäre es doch, wenn der Bot das Vorwissen des Nutzers abfragt und ihm dann eine individuelle Fassung präsentiert.

t3n Magazin: In Asien sind Chatbots längst angekommen, über die chinesische Plattform Wechat lassen sich eine ganze Reihe von Tätigkeiten erledigen. Wie verändert das den Journalismus?

Wenn du deine Online-Einkäufe, Flugbuchungen, Taxi- und Pizzabestellungen allesamt via Chat erledigst, dann verändert das auch deine Sicht auf online-journalistische Formate. Von meinen 19 Kollegen in der Online-Redaktion von Vogue China produzieren beispielsweise sechs Kollegen ausschließlich spezielle Inhalte für unseren Wechat-Account. Das ist einfach eine andere Erzählform. Speziell in puncto Chatbots ist der chinesische Messengerdienst der eigentliche Star und Innovationstreiber, nicht Facebook. Wer wissen will, wie der Journalismus auf Mobiltelefonen künftig vonstattengeht, muss China und hier vor allem Wechat im Blick haben.

Anzeige
Anzeige

t3n Magazin: Nach dem mobilen Journalismus scheint Virtual Reality der nächsten große Trend zu sein. Zu Recht?

Es wäre gut, wenn Journalisten deutlicher zwischen Konzepten wie dem 360-Grad-Video, Virtual und Augmented Reality unterscheiden würden. Noch scheint ja fast alles, was mit einem Headset betrachtet wird, als Virtual Reality zu gelten. Natürlich würde ich gerne mit unseren Redaktionen rund um die Welt Virtual-Reality-Projekte anstoßen, werde aber dazu raten, sich auf 360-Grad-Videos zu konzentrieren. Dort sind die Produktionskosten viel niedriger. Virtual-Reality-Projekte sind hingegen fast nur mit Agenturen umzusetzen. Aus wirtschaftlicher Sicht vereint Virtual Reality die Schwächen der meisten journalistischen Apps mit der Schwäche webbasierter Interactives: Sie sind teuer zu produzieren und es ist schwierig, damit eine große Leserschaft zu erreichen, da du für Virtual Reality meistens nicht nur ein Headset, sondern auch noch eine App benötigst.

t3n Magazin: Wie können journalistische Formate dann überhaupt in der virtuellen Realität aussehen?

Wolfgang Blau: Der Medienwissenschaftler Marshall McLuhan hat einmal gesagt, dass jedes neue Medium seine Entwicklung als ein Gefäß für das jeweilige Vorgängermedium beginne. So wird das auch bei der virtuellen Realität sein, die gerade als eine Weiterentwicklung von Video betrachtet wird, mit linearem Video aber recht wenig gemeinsam hat. Ich könnte mir zum Beispiel vorstellen – und mag damit komplett daneben liegen –, dass Virtual Reality im Journalismus gar nicht primär filmisch genutzt wird, sondern um komplexe Sachverhalte räumlich zu vermitteln. Das entspräche der räumlichen Vorstellung davon, wie wir Menschen Informationen ablegen und beim Denken zwischenspeichern. Wir verwenden ja im Umgang mit mentaler Information bereits räumliche Metaphern wie „im Hinterkopf behalten“ oder „links liegen“ lassen. Komplizierte Sachverhalte via VR räumlich zu durchschreiten käme dieser Sichtweise auf unser eigenes Gehirn nur entgegen.

t3n Magazin: Was würde dir das in deiner täglichen Arbeit bringen?

In meiner Arbeit hier wühle ich mich gerade durch eine große Zahl von Excel-Dateien, um Details unserer Märkte und Produkte in Asien, Europa und Lateinamerika besser zu verstehen. Mich via Virtual Reality dreidimensional statt nur zweidimensional am Bildschirm oder auf Papier durch diese Daten bewegen zu können, würde mir bei dieser Arbeit sehr helfen. Nimm zum Beispiel die Geschichte zu den „Panama Papers“: Wie viele Leser konnten mit den Infografiken zur Verschachtelung der diversen Briefkastenfirmen wirklich etwas anfangen? Eine dreidimensionale Visualisierung statt flacher Schachtelgrafiken hätte da helfen können. Ich freue mich also schon darauf, durch dreidimensionale Infografiken zu laufen.

t3n Magazin: Wir reden die ganze Zeit über die Vorzüge des Digitalen, obwohl du gerade mit einem Printmagazin sprichst. Allen Unkenrufen zum Trotz entstehen ständig neue Printmagazine. Was hat Print, was Online nicht hat?

Printmedien kannst du anfassen, begreifen und visuell anders genießen als Inhalte auf einem Bildschirm. Nicht besser oder schlechter: Nur anders. Ich mag es, diese Wahl zu haben, vielleicht auch gerade weil ich so viele Stunden meines Tages im Netz verbringe. Wenn ich mich mit einem Magazin hinsetze, sage ich mir bereits unbewusst: „Jetzt hab ich Zeit.“ Es ist diese andere Bereitschaft, sich auf das Lesen einzulassen, von der sowohl die Rezeption der redaktionellen Inhalte als auch die der Werbung profitieren.

t3n Magazin: Wenn du auf deine Laufbahn zurückblickst: Was war einer der beeindruckendsten Momente, die du in deiner journalistischen Karriere erlebt hast?

Ich werde nie vergessen, wie mein Chef beim Guardian, Alan Rusbridger, spät abends zu mir ins Büro kam und sagte: „Du hast doch bei Zeit Online vor deinem Weggang noch diesen anonymen Datenbriefkasten gestartet. Angenommen, du hättest gerade jemanden in Hong Kong stehen, der dir vertrauliche Daten übermitteln muss: Wie würdest Du das bewerkstelligen?“ Dieser Jemand stellte sich als Edward Snowden heraus. Der Rest ist Geschichte.

t3n Magazin: Als du noch bei Zeit Online gearbeitet hast, soll dich Helmut Schmidt mal ins Büro zitiert und dich um eine Erklärung für die vielen Kommentare auf der Website gebeten haben. Was hast du ihm darauf geantwortet?

Was die Online-Kommentare anging, war er ein Pragmatiker: Meine Antwort, dass wir lediglich die Wahl haben, entweder auf unserer eigenen Website diskutiert zu werden oder anderswo und dann aber außerhalb unseres Einflussbereichs, ließ er gelten. Helmut Schmidt hat mich immer wieder mal in sein Büro gebeten, manchmal mit konkreten Fragen und manchmal auch nur, um generell über das Internet oder Zeit Online zu sprechen. Mit Ausnahme des brillianten Zeit-Geschäftsführers Rainer Esser hat Helmut Schmidt mir klügere und vorurteilsfreiere Fragen über den Online-Journalismus gestellt als irgendjemand sonst bei der Zeit.

Das Interview ist auch im Buch unseres Autoren erschienen. 

Mehr zu diesem Thema
Fast fertig!

Bitte klicke auf den Link in der Bestätigungsmail, um deine Anmeldung abzuschließen.

Du willst noch weitere Infos zum Newsletter? Jetzt mehr erfahren

Anzeige
Anzeige
Schreib den ersten Kommentar!
Bitte beachte unsere Community-Richtlinien

Wir freuen uns über kontroverse Diskussionen, die gerne auch mal hitzig geführt werden dürfen. Beleidigende, grob anstößige, rassistische und strafrechtlich relevante Äußerungen und Beiträge tolerieren wir nicht. Bitte achte darauf, dass du keine Texte veröffentlichst, für die du keine ausdrückliche Erlaubnis des Urhebers hast. Ebenfalls nicht erlaubt ist der Missbrauch der Webangebote unter t3n.de als Werbeplattform. Die Nennung von Produktnamen, Herstellern, Dienstleistern und Websites ist nur dann zulässig, wenn damit nicht vorrangig der Zweck der Werbung verfolgt wird. Wir behalten uns vor, Beiträge, die diese Regeln verletzen, zu löschen und Accounts zeitweilig oder auf Dauer zu sperren.

Trotz all dieser notwendigen Regeln: Diskutiere kontrovers, sage anderen deine Meinung, trage mit weiterführenden Informationen zum Wissensaustausch bei, aber bleibe dabei fair und respektiere die Meinung anderer. Wir wünschen Dir viel Spaß mit den Webangeboten von t3n und freuen uns auf spannende Beiträge.

Dein t3n-Team

Melde dich mit deinem t3n Account an oder fülle die unteren Felder aus.

Bitte schalte deinen Adblocker für t3n.de aus!
Hallo und herzlich willkommen bei t3n!

Bitte schalte deinen Adblocker für t3n.de aus, um diesen Artikel zu lesen.

Wir sind ein unabhängiger Publisher mit einem Team von mehr als 75 fantastischen Menschen, aber ohne riesigen Konzern im Rücken. Banner und ähnliche Werbemittel sind für unsere Finanzierung sehr wichtig.

Schon jetzt und im Namen der gesamten t3n-Crew: vielen Dank für deine Unterstützung! 🙌

Deine t3n-Crew

Anleitung zur Deaktivierung
Artikel merken

Bitte melde dich an, um diesen Artikel in deiner persönlichen Merkliste auf t3n zu speichern.

Jetzt registrieren und merken

Du hast schon einen t3n-Account? Hier anmelden

oder
Auf Mastodon teilen

Gib die URL deiner Mastodon-Instanz ein, um den Artikel zu teilen.

Anzeige
Anzeige