Wie Drew Houston aus Dropbox ein Milliardenunternehmen machte: Der Michael Jordan der Tech-Branche
Was soll man auch anderes werden als einer der ganz Großen, wenn man in einer Reihe steht mit den „Unsterblichen Sechs“? Wie soll man nicht daran glauben, als Nachfolger von Burt Reynolds und Neil Armstrong alles erreichen zu können? Drew Houston also hatte eigentlich gar keine andere Wahl, als Schauspieler oder Astronaut zu werden. Oder eben ein Milliardenunternehmen zu gründen.
Houston hat genau das getan. Mit seinen 1.500 Mitarbeitern sitzt er heute in zwei Bürogebäuden in San Francisco gleich neben dem Baseballstadion der Giants. Während in einem Flügel noch renoviert wird, plant Houston schon den Umzug – ein paar Blöcke weiter will er mit Dropbox ziehen, dahin, wo an Spieltagen der Verkehr keine ganz so große Katastrophe ist. Mit seinen 32 Jahren hat er es geschafft.
Dabei beginnt Houstons Karriere 2007 ganz unscheinbar – an einer Bushaltestelle in Boston. Hier, als Student des Massachusetts Institute of Technology und Mitglied der Studentenverbindung Phi Delta Theta [1], deren Gründer bescheiden „The Immortal Six“ genannt werden und zu denen Prominente wie Reynolds oder Armstrong gehören, soll er seine ersten Zeilen Code geschrieben haben. Diese paar Zeilen, von denen es inzwischen Hunderttausende gibt, haben Houston – und sein Unternehmen, dem Analysten einen Wert von bis zu zehn Milliarden US-Dollar zuschreiben, zu einem ernstzunehmenden Player der Tech-Branche gemacht. Dabei war die Idee zu Dropbox eigentlich nichts Weltbewegendes. Houston und sein Freund Arash Ferdowsi waren einfach nur E-Mails und Anhänge leid. Wer kennt das nicht?
Ein paar Jungs, die in Boxershorts in einem dunklen Zimmer coden
Vielleicht ist es eins der Erfolgsgeheimnisse von Dropbox, dass der Dienst mit der Lösung für ein ganz konkretes Problem antritt. Ein Problem, das nicht irgendeine imaginäre Zielgruppe hat, sondern Houston selbst. Als er da an dieser Haltestelle in Boston auf den Bus wartet und die Zeit mit etwas Arbeit überbrücken will, stockt er. „Vor meinem inneren Auge sah ich meinen USB-Stick – auf meinen Schreibtisch zu Hause“, erzählt er vier Jahre später [2]. Und genau auf dem sind die Daten, die er jetzt braucht. „Ich habe 15 Minuten lang geschmollt – und dann, wie jeder anständige Entwickler, angefangen zu coden. Ich hatte ja keine Ahnung, was daraus werden würde.“

Jedes Projekt beginnt mit einer ersten Zeile Code, doch aus seiner ersten Zeile ist ein Cloud-Service geworden, der es Nutzern erlaubt, Dateien auszutauschen – ohne USB-Sticks, ohne Kabel. Heute nutzen diesen Service, der inzwischen viel mehr kann als das, rund 400 Millionen Menschen. Und doch steht Houston ständig unter Beobachtung. Und das merkt man ihm an.
Vielleicht ist der Druck aber auch das zweite Erfolgsgeheimnis von Dropbox, dieser Druck, den Houston seit jenem Tag an der Bushaltestelle kennt. Kurz nachdem er beginnt, an Dropbox zu arbeiten, schließt er sich mit Ferdowsi zusammen. Sein Partner schmeißt die Uni und sie ziehen sich in eine Studentenbude in Cambridge zurück. Drei Monate arbeiten sie wie die Verrückten, jeden Tag, von mittags bis zum Sonnenaufgang. „Ich glaube, wir haben angefangen wie die meisten Tech-Unternehmen“, sagt Houston. „Ein paar Jungs, die in Boxershorts in einem dunklen Zimmer coden. Wir haben uns einfach konzentriert und programmiert.“
600 Millionen Dollar in 7 Jahren
Mit einer Seed-Finanzierug von 15.000 US-Dollar übersteht das Team die ersten 90 Tage, dann ziehen sie nach San Francisco. Was folgt, ist Finanzierung auf Finanzierung: 1,2 Millionen von Investoren wie Sequoia oder Signatures Capital, ein Jahr später acht Millionen in einer Series A, noch mal drei Jahre später 250 Millionen, und 2014 kommen weitere 350 Millionen US-Dollar hinzu. Insgesamt ziehen Houston und Ferdowsi in sieben Jahren mehr als 600 Millionen US-Dollar an Land.
Vielleicht setzt auch diese Summe Houston so unter Druck: mit 32 Jahren über Tausend Mitarbeiter zu haben und Investoren, denen man zeigen muss, dass das, was man entwickelt hat, nicht bloß eine Idee ist, sondern ein Geschäftsmodell. Wer Houston trifft, spürt diesen Druck. Der smarte Amerikaner ist ein vorsichtiger Mensch, zurückhaltend, freundlich und mit der Gabe ausgestattet, einem in die Augen zu blicken, ohne einen anzusehen.
Wohl auch deshalb hat Houston sich über die Jahre so etwas wie einen Beraterkreis zugelegt. Will man ihn zum Interview treffen, ist nicht selten sein COO dabei: Dennis Woodside. Betritt er eine Bühne, tut er es meist nicht allein. So wie bei der Dropbox Open Ende 2015, der ersten Business-Konferenz, die sein Unternehmen veranstaltet [3]. 800 Kunden lädt er dazu nach San Francisco ein – und einige Tech-Promis, die er vermutlich Freunde nennen würde. Gestandene Manager wie Salesforce-Gründer Marc Benioff oder HP-Chefin Meg Whitman. Neben ihnen wirkt er noch zurückhaltender als sonst, fast schon schüchtern. Im Gespräch, in dem es auch um die regelmäßige Kritik von außen geht, blickt er immer wieder suchend zu Woodside, der bei etlichen Fragen einspringt. Ist das Unsicherheit? Angst? Wohl kaum. Eher wirkt es, als habe Houston verstanden, dass er Menschen braucht, auf die er sich verlassen kann, um auf Dauer erfolgreich zu sein. Menschen mit mehr Lebenserfahrung, die schon einige Unternehmen von innen gesehen haben und wissen, was es heißt, im Rampenlicht zu stehen.
„Mit dem Aufbau einer Firma bist du nie fertig“
Sicher, auch für Houston ist Dropbox nicht die erste Station. Bevor er das Startup gründet, arbeitet der Informatiker unter anderem beim Security-Startup Bit9, der Games-Schmiede Accolade und dem Marketing-Spezialisten Hubspot. Doch Dropbox ist die erste echte Herausforderung, der erste echte Kampf. Vor allem, weil Houston hier nicht mehr der Entwickler ist, der er als Student mal war, der sich mit Coden die Nächte um die Ohren schlägt. Hier muss er lenken, entscheiden, delegieren. Eine der härtesten Lektionen sei es gewesen, nicht mehr am Produkt selbst arbeiten zu können: „Es macht Spaß, sich mit einem Problem hinzusetzen und erst wieder aufzustehen, wenn du fertig bist. Aber eine Firma aufzubauen oder Menschen zu führen – damit bist du nie fertig.“ Doch auch das ist Drew Houston: ein Mann, der es gelernt hat, mit Dingen klar zu kommen. „Raus aus der Komfortzone [4].“
Spricht man mit Investoren über ihn, klingt aus den Worten Respekt. Über die Zahlen des Unternehmens will zwar niemand reden, doch man spürt: Houstons Art, sein Unternehmen zu führen und sich die richtigen Menschen zu suchen, kommt an. In einer Zeit, in der die Medien immer wieder über einen Börsengang und den Firmenwert spekulieren, wirken Manager wie Woodside, Benioff oder Whitman wie Anker für Houston – und für Dropbox. „Partnerschaften“, so ein Investor, „könnten einer der wichtigsten Punkte werden, wenn das Unternehmen wirklich skalieren will.“ Und das gilt nicht nur für Großkunden wie HP oder News Corp.
Dass Houston dazu in der Lage ist, bezweifeln nicht wenige Beobachter. Die Konkurrenz an Cloud-Diensten ist groß – man nehme nur Google, Box oder Atlassian – und Dropbox kommt nun mal aus dem Privatkundengeschäft, in dem niemand Geld für einen Service ausgeben will. Für Analysten ein Nachteil, für Houston nicht: „Es sind unsere privaten Nutzer gewesen, die uns Zugang zu Unternehmen ermöglicht haben. Das ist ein viel besser skalierbarer Weg – und ich glaube, das sieht man auch an den Zahlen [5].“

Rückzug in die Karaoke-Bar
Houston bewahrt Ruhe, vielleicht seine größte Stärke in einem Markt, in dem es oft die lauten Stimmen sind, die gehört werden. Er aber liebt es zurückgezogen. Einer seiner Lieblingsräume bei Dropbox: „The Mint“, eine Karaokebar, in der Mitarbeiter sich zu Jam-Sessions verabreden können. Auch Houston sitzt hier, wenn es seine Zeit erlaubt, spielt für sich allein ein paar Stücke auf einer akustischen Gitarre und versucht, alles außerhalb der paar Quadratmeter auszublenden. „The Mint“ ist nur ein Teil der Firmenkultur, die Houston versucht, aufrechtzuerhalten, auch wenn Dropbox rasant größer wird und damit Wachstumsschmerzen verbunden sind. Dennoch sage er jedem neuen Mitarbeiter: „Du magst erst ein paar Wochen dabei sein, aber irgendwann bist du ein alter Dropboxer. Also präg dir jetzt ein, was dir an diesem Laden gefällt, denn es liegt auch in deiner Verantwortung, dass er so bleibt.“
Eine gewisse kindliche Freude
In manchen Momenten wirkt Houston noch immer wie ein kleiner Junge, für den sein Computer nur ein Werkzeug ist, um coole Sachen zu machen, als sei die Tech-Branche ein Spielplatz und Dropbox seine Schaukel. Schon früh bekommt er einen PCj geschenkt, einen der ersten Heim-PCs, doch statt ihn nur zocken zu lassen, bringt ihm sein Vater, ein Ingenieur mit Harvard-Vergangenheit, BASIC bei. Eine Initialzündung. Was Houston von da an interessiert, sind nicht die Programme selbst, sondern wie sie funktionieren. Er bringt sich C bei, indem er Quellcode analysiert, und findet mit 14 Jahren bei einem Spiel, für das er sich als Tester registriert, etliche Sicherheitslücken. Als sein Lehrer die Klasse kurze Zeit später fragt, was sie werden wollen, ist Houston der Einzige mit einer klaren Antwort: „Ich wusste, dass ich Computer liebe – und dass ich eine Firma gründen will [6].“

Auch seinen ersten Versionen und Videos merkt man noch eine gewisse kindliche Freude an. In nicht wenigen davon versteckt er Easter-Eggs für Digg- und Reddit-Nutzer, und genau so verspielt wirkt er auch noch, als das MIT ihn 2013 einlädt, eine Rede auf der Abschlussfeier des Jahrgangs zu halten. Stolz und ein bisschen aufgekratzt hält er vor den Absolventen seinen Jahrgangs-Ring, die „Brass Rat“, in die Höhe. Er sei immer noch stolz, ihn zu tragen, sagt er und grinst – um dann den Menschen vor ihm, die kaum zehn Jahre jünger sind, etwas mit auf den Weg zu geben. Er habe aufgehört, ein perfektes Leben führen zu wollen, stattdessen versuche er, es interessant zu machen. „Angeblich ist man der Durchschnitt der fünf Menschen, mit denen man die meisten Zeit verbracht hat. Denkt mal eine Minute darüber nach: Wer wäre in eurer Fünfer-Runde? Könnt ihr euch vorstellen, was aus Michael Jordan geworden wäre, wenn er nicht in der NBA gewesen wäre? Wenn seine Fünfer-Runde ein paar Jungs aus Italien gewesen wären [7] ?“
Ein 32-jähriger Jungunternehmer, der sich mit Michael Jordan vergleicht. Vielleicht zeigt auch diese Szene, mit welchem Selbstbewusstsein Houston seine Firma groß gemacht hat. Das aber dürfte Houston und Jordan durchaus verbinden, wie auch eine andere Gemeinsamkeit: Beide haben sich durchgeboxt – trotz anfänglicher Ablehnung. Schafft es Jordan zunächst nicht ins Auswahl-Team seiner High-School, wird Houston 2005 vom Startup-Accelerator Y Combinator abgewiesen. Beiden gelingt dieser so wichtige Schritt für ihre Karriere erst im zweiten Anlauf – ein Erlebnis, das prägt, das bescheiden macht. Wie auch das erste Geld, das Investoren Houston und Ferdowsi überweisen. Dropbox beginnt da gerade erst durchzustarten. „Für einen 24-Jährigen ist das wie Weihnachten“, erinnert er sich, „nur dass du, anstatt ein Geschenk zu öffnen, immer wieder auf bankofamerica.com gehst und Refresh klickst, um zu sehen, wie der Kontostand deiner Firma von 60 Dollar auf 1,2 Millionen springt. Zuerst war ich wie berauscht von dieser Zahl, ich habe einen Screenshot gemacht! Aber dann ist mir schlecht geworden. Eines Tages wollen diese Jungs ihr Geld zurück. In was für eine Lage habe ich mich da zur Hölle noch mal gebracht?“
Im Leben gibts keine Aufwärmrunden und keinen Reset-Button
Diese Jungs, das sind Schwergewichte ihrer Branche. Sequoia Capital, BlackRock, Index Ventures. Investoren, die etwas für ihr Geld sehen wollen. Und in dieser Lage steckt Houston noch heute. Doch noch immer scheint er sie nicht nur als Risiko zu sehen, sondern vor allem als Abenteuer. Vielleicht hat er auch deshalb inzwischen so oft selbst investiert, mindestens 100 Millionen in elf Startups. Vielleicht hat man auch deshalb immer wieder das Gefühl, dass Houston nicht nur besonnen an die Arbeit geht, sondern auch mit einer gewissen Getriebenheit. Und mit einer immensen Spielfreude. Eines Tages mit 24, sagt er 2013 den MIT-Absolventen, habe er im Internet gelesen, dass ein Mensch etwa 30.000 Tage zu leben habe. Also habe er sich den Taschenrechner geschnappt und gerechnet: 24 Jahre mal 365. Macht: fast 9.000 Tage – einfach weg. „Was zum Teufel habe ich die ganze Zeit getrieben?“ In jener Nacht habe er begriffen, dass es im Leben keine Aufwärmrunden gebe – und keinen Reset-Button.
Auch deshalb dieser Drang nach dem Abenteuer, auch deshalb vielleicht die Mitgliedschaft in einer Verbindung wie Phi Delta Theta mit ihren „Immortal Six“. Drew Houston will nicht nur Spaß haben und coole Dinge machen. Er will, dass man sich an ihn erinnert wie an einen Burt Reynolds oder einen Neil Armstrong oder einen Air Jordan. Bis dahin aber ist es noch ein weiter Weg.