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Facebooks digitale Währung: Was plant Mark Zuckerberg mit Libra wirklich?

Die Digitalwährung Libra gibt es noch gar nicht – und doch wird Mark Zuckerbergs jüngstes Projekt schon von Banken und Politikern verteufelt. Hat Libra das Zeug zur Weltwährung? Und was genau erhofft sich Facebook davon?

Von Eike Kühl
12 Min. Lesezeit
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Facebook-Gründer Mark Zuckerberg will mit den Nutzern von Facebook, Whatsapp und Instagram ein „Internet des Geldes“ schaffen. (Foto: Anthony Quintano/Wikimedia Commons CC BY, Grafik: t3n)


Es war Ende 2017, als sich Mark Zuckerberg und David ­Marcus, damals Leiter des Facebook Messengers, die Frage stellten, ob es möglich wäre, eine Art „Internet des Geldes“ zu schaffen. ­Facebook, Instagram und Whatsapp bildeten längst das größte globale Kommunikationsnetzwerk. Doch was Handel und Bezahlungen anging, schien die Konkurrenz von Google, Apple und dem chinesischen Netzwerk Wechat schon weiter zu sein. Um das zu ändern, verließ Marcus kurz darauf das Messenger-Team und wechselte mit einigen ­Top-Ingenieuren des Unternehmens in einen gesicherten Trakt am Rande des Facebook-­Campus. Nur befugte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter durften ihn betreten.

Das Ergebnis des geheimen Projekts wurde im Juni 2019 enthüllt: die Digitalwährung Libra. Sie soll, so ist der Plan, zum ­digitalen Zahlungsmittel der Zukunft werden, grenzübergreifende Überweisungen vereinfachen und zudem in Facebook-­Apps wie Instagram und Whatsapp integriert sein. Um kein Spekulations­mittel wie Bitcoin zu werden, soll der Wert von ­Libra an einen Korb stabiler Währungen wie dem US-Dollar, dem Euro oder dem Yen gekoppelt sein. Auch kann die Internet­währung nicht geschürft werden. Über ihre Ausgabe wacht die Libra-­Association, ein in der Schweiz registriertes, gemein­nütziges Konsortium. Es verwaltet sowohl die ­Libra-Reserve, eine Art Fonds, in dem jede ausgegebene Libra durch eine gleich­wertige Rücklage gedeckt ist, als auch die ­Transaktionen, die auf einer neu entwickelten Blockchain stattfinden.

„Hier etwas Geld für den Monat!“: So könnte die App für die Libra-Wallet Calibra ausehen. (Abbildung: Facebook)

„Hier etwas Geld für den Monat!“: So könnte die App für die Libra-Wallet Calibra ausehen. (Abbildung: Facebook)

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Die Eckpunkte klingen ambitioniert, wenn nicht spektakulär. Eine stabile Digitalwährung, die von weltweit führenden Unternehmen unterstützt wird? Das gab es noch nie. Doch weil Libra nach dem jetzigen Stand frühestens im ersten Halbjahr 2020 verfügbar sein wird, sind viele Details noch unklar und ebenso viele Fragen offen: Für welche Menschen ist Libra eigentlich gedacht? Was erhofft sich Facebook von einer neuen Digitalwährung? Und hat Libra das Potenzial, nicht nur ein „Internet des Geldes“ zu werden, sondern vielleicht sogar die weltweite Währungspolitik zu beeinflussen? „Es ist ein beeindruckendes Projekt, das ­meines Erachtens auch erfolgreich sein wird“, sagt Philipp Sandner, ­Leiter des ­Blockchain ­Centers an der Frankfurt School of Finance & Management. Libra könnte nach seiner Einschätzung zunächst vor allem in Entwicklungs- und Schwellenländern interessant sein. Sowohl als mobiles Zahlungsmittel für die Menschen vor Ort, wo es kaum Banken gibt und die Inflation steigt, als auch für deren Verwandte im Ausland, die sogenannte Rück- oder Heimat­überweisungen tätigen – und für die derzeit Überweisungs­gebühren von bis zu 20 Prozent des Betrages anfallen. „Es gibt hier das konkrete Problem eines ineffizienten Zahlungsverkehrs, der sich tatsächlich mit der Blockchain-Technologie lösen ließe“, sagt Sandner.

Die Einschätzung deckt sich mit der von Facebook. In einem ersten Trailer für Libra sind fast ausschließlich Menschen zu ­sehen, die nicht in den westlichen Industriestaaten leben, sondern in Laos und den Philippinen, in Indien und Mexiko. Facebook spricht in seinem White Paper von mutmaßlich 1,7 Milliarden Menschen, die keinen Zugang zu Banken haben, aber zunehmend über Smartphones vernetzt sind. Ähnlich wie in Ostafrika das mobile Bezahlsystem M-Pesa seit Jahren als glühendes Beispiel für die Vorzüge digitaler Finanzen herangezogen wird, könnte auch Libra eine Alternative zu traditionellen Finanzdienst­leistungen werden: Grenzübergreifende Überweisungen in ­Sekundenschnelle mit minimalen Gebühren zu einem stabilen Kurs. Sollte Libra halten, was es verspricht, könnte es den Markt der Rücküberweisungen, die nach Schätzungen der Weltbank ­allein in Sub-Sahara-Afrika rund 40 Milliarden US-Dollar ausmachen, kräftig durcheinanderwirbeln.

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Facebooks Interesse an Entwicklungs- und Schwellen­ländern kommt nicht von ungefähr. Während die Nutzerzahlen in den USA und Europa stagnieren oder sogar sinken, steigen sie im Rest der Welt, vor allem in Asien und Afrika. Deshalb versucht Facebook seit Jahren, Menschen in diesen Regionen online und damit im besten Fall in das eigene Ökosystem zu bringen. Eine eigene Digitalwährung passt zu dieser Entwicklung: „Den Menschen fehlt der Zugang zu Finanzdienstleistungen. Aber sie haben immer öfter Zugang zu Facebook“, sagt Michel Rauchs vom Center for Alternative Finance der ­Universität Cambridge. Je attraktiver Libra für die Bedürfnisse der Menschen vor Ort ist, desto mehr Anreize gibt es, Facebook zu nutzen. Und für Philipp Sandner spricht noch etwas für einen Erfolg in den erwähnten Regionen: „Es ist womöglich leichter, mit der Regulierung in diesen Ländern ins Gespräch zu kommen.“

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Bequemlichkeit ist Trumpf

Hierzulande scheinen die Vorteile einer neuen Digitalwährung gegenüber bestehenden Bezahlmethoden weniger klar. Dank Paypal oder seiner Tochter Venmo ist es bereits mit wenigen Klicks möglich, Freunden Geld zu schicken. Es gibt Google und Apple Pay für den Einkauf mit dem Smartphone. Wieso sollten wir zuerst über unser ­Konto oder unsere Kreditkarte Euros in Libra umtauschen, um dann mit einer Digitalwährung etwas zu erwerben, das wir auch gleich mit ­Kreditkarte oder Paypal hätten kaufen können?

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Die Antwort lautet, na klar: „Bequemlichkeit.“ Auf den ersten Blick mag Libra nur der nächste Versuch eines bekannten Unternehmens sein, jetzt auch „irgendwas mit Blockchain“ zu machen. Doch die Sache sieht anders aus, wenn man die Nutzerzahlen von Facebook, Whatsapp und Instagram betrachtet – und ihre mögliche Verknüpfung mit Calibra: So heißt die eigene Wallet, die Facebook ebenfalls im Juni vorgestellt hat. Zwar ist Libra Open Source, wodurch jeder eine eigene Wallet anbieten könnte. Und um Libra zu tauschen oder zu nutzen, ist nicht mal ein ­Facebook-Konto notwendig.

„Einfluss erhält Facebook nicht dadurch, Libra als Währung zu ­kontrollieren, sondern indem es die ­meisten Libra-Nutzer um sich schart.“

Falls allerdings Calibra, wie angekündigt, schon im Facebook ­Messenger und Whatsapp enthalten sein wird, hätten plötzlich hundert ­Millionen Menschen über Nacht eine Wallet auf ihrem ­Smartphone installiert. Philipp Sandner sieht darin eine Lösung für die „letzte Meile“, wie es in der Telekommunikationsbranche heißt: „Hard- und Softwarehersteller wie Apple, Samsung oder eben Facebook arbeiten unabhängig voneinander daran, eine ­Infrastruktur für Digitalwährungen bereitzustellen. Dabei haben sie etwas, was vielen Startups fehlt. Den richtigen Marktzugang durch eine kritische Masse an Nutzern.“

Sollte Calibra Digitalwährungen massentauglich machen, könnte es komfortabler sein, die zwei Bier vom Vorabend seinem Kumpel einfach direkt in Whatsapp über Libra zu bezahlen, als dafür extra die Paypal-App zu öffnen. Bedenken könnten der Bequemlichkeit zum Opfer fallen –, wie es bei Facebook und seinen Datenschutzproblemen üblich ist, die viele Menschen zwar kennen, aber ignorieren.

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Zu Beginn müssten Sender und Empfänger jeweils ­Libra in ihre gängige Landeswährung umrechnen. Das kann, je nach ­Libra-Kurs, mehr oder weniger umständlich sein. Spannend werde es dann, sagt Michel Rauchs, wenn Libra zu einer Rechnungs­einheit wird. Also wenn Privatpersonen, Händler und ­Unternehmen damit anfangen, Waren einen Wert in Libra anstatt in Euro oder Dollar zuzuweisen: „In den entwickelten Ländern wird das noch Jahre dauern, ich vermute sogar Jahrzehnte. Aber es ­könnte sich nach und nach in den Alltag einschleichen, bis wir eines Tages nicht mehr zuerst in Euro, sondern in Libra denken“, sagt Rauchs.

Vorbild WeChat: die Everything-App

Wie erfolgreich ein in Messengern integriertes Bezahlsystem sein kann, beweist das chinesische Wechat. Mittlerweile nutzen 900 Millionen Menschen monatlich Wechat Pay. Das basiert zwar ­weder auf einer eigenen Digitalwährung noch einer Blockchain, aber es ist so allgegenwärtig, dass Chinesen Wechat Pay längst nicht nur für bargeldlose Einkäufe und E-Commerce ­nutzen, sondern auch für Rechnungen und Mietzahlungen, also für ­Finanzgeschäfte, die traditionell über Banken abgewickelt werden. Wechat ist in China die Everything-App, die Facebook gerne für den Rest der Welt werden möchte. Deshalb versucht das Unternehmen seit Jahren, immer mehr Funktionen und Angebote direkt in den Messenger zu integrieren: Zuerst waren es Medienangebote und Games, dann kamen KI-Bots und Direkt­käufe, bald sollen Whatsapp, Instagram und der Messenger untereinander kommunizieren können, und mit Calibra kommen womöglich noch komplexere Finanzdienstleistungen dazu. „Wenn es darum geht, die Reibung zu verringern, ist es ­genauso wichtig, das ­Nutzererlebnis zu vereinfachen, wie die Mittelsmänner abzuschaffen“, schreibt Branchenanalyst Ben Thompson, der den einflussreichen Newsletter Stratechery verfasst. Und das könnte seiner Einschätzung nach auch die langfristige Strategie hinter Libra sein: „Facebook glaubt, die beste Lösung für digitale Überweisungen anbieten zu können. Einfluss erhält Facebook nicht dadurch, Libra als Währung zu kontrollieren, sondern, indem es die meisten Libra-Nutzer um sich schart“, schreibt Thompson.

Man könnte das Libra-Ökosystem mit einem ­Fußballstadion vergleichen: Facebook hat die technische Infrastruktur ent­wickelt, also quasi das Stadion, und stellt es der Öffentlichkeit zur freien Nutzung bereit. Im Mittelkreis liegt der Ball, in diesem Fall Libra. Die Schieds- und Linienrichter sind die Mitglieder der Libra-Association. Sie passen auf, dass richtig gespielt wird. Jeder kann den Rasen betreten und ­mit Libra kicken. Je mehr Spieler es gibt, desto mehr Zuschauer kommen, desto interessanter wird es fürs Geschäft. Zuerst kommen die Bratwurst- und Bier­stände, dann Merchandising und weitere Unterhaltungsangebote, am Spielfeldrand blinken Werbeanzeigen. Bei allem verdient ­Facebook ein bisschen mit: „Wenn Libra erfolgreich ist, profitiert Facebook davon, dass es mehr Handel über seine Apps ermöglicht. Mehr Handel bedeutet mehr Werbung“, beschreibt es Calibra-­Projektleiter David Marcus.

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Auch Experte Michel Rauchs von der Universität Cambridge bezeichnet Libra als ein „ziemlich gutes Geschäftsmodell“ für Facebook, schließlich gibt es drei denkbare Einnahmequellen: Je mehr Angebote es für die Nutzerinnen und Nutzer gibt, desto mehr Zeit verbringen sie in den Facebook-Apps und desto mehr Werbung kann das Netzwerk ausspielen. „Weil Facebook außerdem einen Validator Node der Libra-Blockchain betreibt, behält es vermutlich eine kleine Gebühr für jede Transaktion ein. Und als Mitglied der Libra-Association erhält ­Facebook außerdem noch anteilig Zinsen aus der Libra-Reserve, sollte diese profitabel sein“, sagt Rauchs.

Facebook sieht sich nicht in der ­Verantwortung

Bis Facebook und die anderen Mitglieder der Libra-Association sich über Einnahmen freuen können, muss aber noch einiges passieren. Neben dem Aufbau einer zuverlässigen Infrastruktur, also den Servern, die die Transaktionen der Blockchain verwalten, muss vor allem Vertrauen geschaffen werden. Angesichts des großen Facebook-Stempels, der auf Libra lastet, ist das leichter gesagt als getan. Wer dem Netzwerk und seinen wiederholten Datenschutzpannen jetzt schon kritisch gegenübersteht, will ihm vermutlich nicht auch noch Einblicke in seine Finanzen geben.

Backend einer Währung: Das Libra-Gerüst

Libra-Association
Die Libra-Association ist eine neue Nichtregierungsorganisation mit Sitz in der Schweiz. Zu den 28 Gründungsmitgliedern gehören neben Facebook Unternehmen wie Mastercard und Visa, Vodafone und Spotify, aber auch Risikokapitalgeber und NGO. Sie bestimmen die Zusammensetzung des Währungskorbs, an den der Kurs von Libra gebunden ist. Außerdem entscheiden sie über die Zusammensetzung der Libra-Reserve und wie deren Rendite verteilt wird. Am Anfang stellen sie die Hardware für die sogenannten Validator Nodes: Sie sichern die Transaktionen auf der Blockchain. Bis zum Start 2020 soll die Association auf 100 Mitglieder anwachsen, wobei die Stimmrechte gleichmäßig verteilt sein sollen.

Libra-Reserve
Die Libra-Reserve garantiert, dass jede Einheit der digitalen Währung, die ausgegeben wird, durch eine Rücklage gedeckt ist. Sie wirkt quasi wie ein Geldspeicher im Hintergrund, der immer dann geöffnet wird, wenn jemand Libra in Fiat-Geld umtauscht und umgekehrt. Die Rücklagen bestehen aus verschiedenen Vermögenswerten wie Bankeinlagen oder kurzlaufenden Staatsanleihen. Werfen diese Zinsen ab, werden sie an die ­Mitglieder der Libra-Association ausgezahlt. Experten wie ­Michel Rauchs von der Uni Cambridge glauben, dass die Libra-Reserve das Potenzial hat, zu einem der größten nichtstaatlichen Fonds der Welt zu werden.

Libra-Blockchain
Libra basiert auf einer hybriden Blockchain: Jeder kann Anwendungen auf ihr aufbauen, aber nur ausgewählte Validator Nodes können am Anfang Transaktionen validieren. In diesem Sinne ist das System „permissioned“ im Gegensatz zu Bitcoin, das „permissionless“ ist und theoretisch jedem erlaubt, neue Bitcoin zu schürfen. Der Nachteil: Libra ist dadurch weniger dezentral als andere Kryptowährungen. Der Vorteil: Libra soll bis zu 1.000 Transaktionen pro Sekunde ermöglichen. Nach einigen Jahren, wenn die Skalierbarkeit gegeben ist, könnte auch Libra zu einem „Permissionless“-System werden. Blockchain-Anwendungen können über eine neue Programmiersprache namens „Move“ entwickelt werden.

Facebook schiebt die Verantwortung deshalb vorbeugend von sich: „Ja, wir haben Libra zwar entwickelt“, heißt es auf der Website, aber spätestens mit dem Start sei man nur noch eine Stimme unter vielen in der Libra-Association. Man habe deshalb keine Kontrolle über die Weiterentwicklung der Digitalwährung. Und ja, mit ­Calibra werde man zwar eine eigene Wallet anbieten. Aber niemand sei gezwungen, diese auch zu nutzen. Und, ganz wichtig, die Transaktionsdaten von Calibra sollen nicht mit den Nutzerdaten von Facebook zusammengeführt werden. Ein Austausch finde nur statt, wenn die Nutzerinnen dem zustimmten, etwa indem sie ihre Freundesliste zwischen den Anwendungen synchronisieren.

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„Es ist die größte Herausforderung, den Menschen klarzu­machen, dass Facebook nicht gleichbedeutend mit Libra ist“, sagt Michel Rauchs. „Deshalb ist es wichtig, dass die Mitglieder der Association so divers wie möglich sind.“ Zum einen helfe es der Dezentralität des Systems, wenn die Mitglieder, also die anfänglichen Validatoren der Blockchain, aus verschiedenen Ländern mit verschiedenen Rechtsprechungen kämen und vielleicht ­sogar Konkurrenten seien. Zum anderen könne nur so überzeugend dargestellt werden, dass hinter Libra weder Facebook alleine noch bloß eine Gruppe amerikanischer Techfirmen steckten, die möglicherweise eines Tages die weltweit beliebteste Digital­währung kontrollieren und dadurch die globale Währungs- und Zinspolitik beeinflussen könnten.

Dass es mittelfristig dazu kommen wird, bezweifelt ­Philipp ­Sandner von der Frankfurt School of Finance & Management: „Momentan gibt es noch viel Panikmache. Die ist weitest­gehend unbegründet, solange Libra eins zu eins durch klassische Finanz­anlagen gedeckt ist. Dann wird auch kein neues Geld gedruckt. Problematisch wird es, wenn die Libra-Association die 100-­Prozent-Deckelung aufhebt, denn dann würde Geld geschöpft werden und eine eigene Geldpolitik entstehen“, sagt Sandner. Die Verteilung der Reserven könnte ebenfalls Wirkung zeigen. Etwa dann, wenn sich das ­Konsortium entscheidet, eine Währung wie den Yen oder den Euro stärker bei der Kursanpassung von Libra zu gewichten. Das könnte die Zinssätze am Anleihenmarkt beeinflussen. Auch Michel Rauchs glaubt, dass die ­Libra-Reserve zu einem der größten nichtstaatlichen Anlagefonds werden könnte und somit Druck vor allem auf schwächere Währungen und deren Zentralbanken ausüben könnte. Doch das sei, betont der Experte, natürlich hypothetisch.

Der weite Weg zur Regulierung

Alles andere als hypothetisch sind die Versuche seitens der ­Finanzaufsichten, Libra schon zum Start genau regulieren oder gar stoppen zu wollen. So hat die indische Regierung Anfang Juli angekündigt, dass Libra unter das bestehende Verbot für den Handel mit Kryptowährungen fällt. Facebook würde ­damit ein großer potenzieller Markt verloren gehen. In den USA hat eine Interessengruppe ein Moratorium für Libra gefordert, und Jeff Powell, Chef der US-Notenbank, äußerte ebenso starke ­Bedenken wie sein chinesischer Amtskollege Mu ­Changchun. In Europa, wo Facebook aufgrund seiner Datenschutzverstöße ohnehin stark in der Kritik steht, forderte unter anderem der französische ­Finanzminister Bruno Le Maire eine starke Regulierung. Der Druck der Länder ist so groß, dass Facebook seine Investoren Ende Juli sogar in einem Schreiben davor warnte, Libra könne womöglich nicht rechtzeitig oder niemals das Licht der Welt erblicken. Zumal es bislang auch an konkreten Vorschlägen für eine Regulierung fehlt. Wie schon im Fall von Bitcoin scheinen die Finanzaufsichten überfordert. Dabei ließe sich Libra, wie andere Digitalwährungen auch, ohnehin nicht wirklich verbieten. Regulierung könnte, je nach lokaler Rechtsprechung, zwar die Anbieter von Wallets, Tauschbörsen oder Händler einschränken, aber nicht grundsätzlich den Zugriff auf die Blockchain verhindern. Anders gesagt: Wer Libra nutzen will, kann das so oder so tun. Doch wenn es in einem Land keine entsprechenden Angebote gibt, etwa weil ­Facebook keine Libra-Transaktionen in seinem Messenger anbietet, ist der Nutzwert der neuen Währung begrenzt.

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Blockchain-Experten wie Shermin Voshmgir, Leiterin des ­Forschungsinstituts für Kryptoökonomie der Wirtschaftsuniversität Wien, gehen deshalb auch davon aus, dass Facebook intern schon weitere Anwendungen jenseits des Bezahlens erprobt. „Denkbar sind beispielsweise spezielle Währungstoken, die Nutzer für das Ansehen von Werbeanzeigen belohnen oder ein Qualitätstoken für Medien im Kampf gegen Fake News“, erklärt Voshmgir. In jedem Fall sei das Bezahlen mit Libra erst der Anfang. Facebook habe erkannt, dass Digitalwährungen und Token das neue Internet seien. Jetzt wolle der Konzern gewissermaßen noch schnell auf den Zug aufspringen, bevor er bei Nutzern am Ende womöglich ganz obsolet wird. „Libra ist Facebooks Versuch, nicht bald unterzugehen“, so die Forscherin.

Bis zum geplanten Start von Libra im kommenden Jahr dürfte also noch einiges passieren. Facebook und seine Mitstreiter müssen zeigen, dass aus der ambitionierten Idee, wenn nicht gleich ein „Internet des Geldes“, so doch zumindest eine brauchbare ­Digitalwährung entstehen kann, die sich von der Last ihrer Schöpfer befreien kann. Erst dann können wir darüber nachdenken, wie es ist, das Bier in der Kneipe nicht in Euro, sondern mit Libra zu bezahlen.

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