Für die Bewerbung: So erstellt ihr überzeugende UX-Portfolios

Bewerben sich User-Experience-Professionals auf eine Stelle oder wollen Aufträge akquirieren, werden sie häufig nach einem Portfolio gefragt. Aber worauf achten Personaler:innen und Auftraggeber:innen besonders? Wer das Wort „Portfolio“ hört, denkt oft an eine schicke Website mit wenig Text und vielen visuell beeindruckenden Arbeitsproben. Portfolios wie diese sind im Grafikdesign und User-Interface-Design fest etabliert und zeigen das fertige, visuell polierte Ergebnis als Nachweis der eigenen Fähigkeiten. „UI-Designer:innen sollten natürlich darstellen, dass sie für Timing, Farben, Interaktionen, Animationen ein Händchen haben“, erläutert UX-Designer Sebastian Baum, der in Köln einen Stammtisch mit regelmäßigen Portfolio-Feedback-Runden organisiert. Grafische Gestaltungskompetenzen stehen also für Menschen im Fokus, die sich um die Oberflächengestaltung von digitalen Produkten kümmern. Für die User-Experience, also das eigentliche Nutzungserlebnis, spielen jedoch noch viele weitere Faktoren eine Rolle, die andere Kompetenzen benötigen. Experte Baum warnt: „Das ist eine häufige Falle: Viele UX-Professionals wünschen sich auch solche tollen Animationen, obwohl sie von ihren Kernkompetenzen eher ablenken als zielführend sind.“ Welche Kernkompetenzen UX-Professionals benötigen und im Portfolio darstellen sollten, hängt insbesondere vom eigenen Profil sowie der Art der Arbeitsstelle beziehungsweise des Auftrags ab. Für UX-Design, User-Research oder UX-Management ist der Prozess mit seinen Zwischenschritten und Fehlversuchen wichtiger als das visuelle Endergebnis: Wie genau wurde sichergestellt, dass ein bestimmtes Produkt den Bedürfnissen der Nutzenden entspricht und Wert erzeugt? Hier zählen Kenntnisse über Prototyping-Tools wie Figma, XD, Axure oder Sketch, Research-Methoden, etwa Interviews, Beobachtungen oder Usability-Tests, sowie Verfahren, um die Bedürfnisse von Nutzenden zum Beispiel in Affinitätsdiagrammen zu analysieren und zu kommunizieren, etwa über Personas oder Customer-Journey-Maps. Dazu kommen wichtige übergreifende Skills für alle UX-Jobs, etwa Empathiefähigkeit, Kollaboration sowie Kreativität und Problemlösekompetenz. Ein UX-Portfolio ist daher häufig stärker Content-lastig als ein visuelles Portfolio, weil mehr Hintergrundinformationen und Erläuterungen notwendig sind. [crosslinks ids="252818,252724,252776"] Wichtig ist auch, sich in die Situation der Personalverantwortlichen hineinzuversetzen. Sie möchten wissen, wie UX-Arbeit Wert für die Nutzenden und das Unternehmen schafft. „Es ist sehr wichtig, den Return on Invest von UX darzustellen“, bestätigt Sebastian Baum. „Ich weiß, dass das unfassbar schwierig ist, aber das ist, was UX kann: den Status quo verbessern. Und wenn du das dem Recruiter oder Head of UX darstellen kannst, bist du schnell eine Runde weiter.“ Portfolio-Checkliste: Der Fokus liegt auf relevanten Fähigkeiten, auch sogenannten Soft Skills wie Empathie oder Problemlösekompetenz. Jede Fallstudie behandelt einen neuen, relevanten Aspekt. Das Portfolio ist auf die Bedürfnisse von Personalverantwortlichen mit wenig Zeit angepasst, etwa über eine „Executive Summary“ in jeder Fallstudie. Ergebnisse werden mithilfe von Daten, Visualisierungen, Metriken und Zitaten belegt. Das Portfolio hat eine sinnvolle, konsistente Struktur. Jede Darstellung kommuniziert eine angemessene Aussage, etwa den Prozess, der zu einem Ergebnis geführt hat. Nicht vergessen sollten UX-Professionals allerdings, dass ein Portfolio verschiedene Zielgruppen ansprechen muss. „Ich als UXer weiß normalerweise, was die Methode ist“, erläutert der Experte. „Das heißt, du musst mir nicht erklären, wie sie funktioniert, sondern was du aus der Methode herausgeholt hast.“ Allerdings gibt es viele Unternehmen, in denen es keine UX-Professionals mit Personalverantwortung gibt oder in denen Personal- und Geschäftsleitung eine Vorauswahl treffen. „Storytelling ist eines unserer wichtigsten Pfunde, das wir im UX-Design haben“, erklärt Baum seine Lösungsstrategie: „Informationen so aufarbeiten, dass eben beide Zielgruppen verstehen, was du tust.“ [caption id="attachment_252876" align="alignnone" width="1200"] Zentrale Informationen zu jeder Fallstudie auf einen Blick (UX-Portfolio von Moritz Oesterlau). (Abbildung: Moritz Osterlau / Björn Rohlfs)[/caption] Ein Portfolio aufbauen Wichtig ist also, dass ein Portfolio die eigenen Skills sinnvoll belegt, zur Person sowie zum gewünschten Job passt und aufzeigt, wie die eigene Arbeit Wert erzeugt. Das funktioniert sehr gut über Fallstudien auf Basis der eigenen Projekte. Typischerweise enthalten UX-Portfolios drei bis fünf Fallstudien, aber wichtiger als die Anzahl ist, dass jede Fallstudie relevante Fähigkeiten belegt. Es eignen sich je nach dem eigenen Profil und dem anvisierten Ziel sehr unterschiedliche Vorhaben, zum Beispiel Research-Projekte, Konzepte, Trainings, Publikationen, Vorträge und digitale Produkte. „Es ist schwierig, Jahre später zu rekapitulieren, was man in einem monatelangen Projekt getan hat“, erklärt Sebastian Baum. „Am besten schreibt man den gesamten Prozess daher sofort mit. Ich habe mir dafür eine Struktur aufgebaut: Wie lang war das Projekt? Was ist das Ziel? Was ist das Problem, und wie habe ich es gelöst? Welche Ergebnisse gab es?“ Basierend auf solchen Aufzeichnungen hilft es, ein wenig über sich selbst nachzudenken: Wo genau liegen die eigenen Stärken, und was unterscheidet einen von anderen UX-Professionals? Welche interessanten Geschichten kann man über die Projekte erzählen? Die Ergebnisse dieser Selbstreflexion machen sich als „Lessons Learned“ auch innerhalb eines Portfolios sehr gut. Für die Inhalte der Fallstudien bietet sich die Star-Methode an: Situation (S): relevante Kontextinformationen Tasks (T, Aufgaben): Beschreibung der Kern-Problemstellung und der eigenen Rolle (auch im Zusammenspiel mit anderen am Projekt beteiligten Personen) Actions (A, Handlungen): Herangehensweise zur Lösung der Problemstellung inklusive Auswahl und Rechtfertigung der gewählten Methoden Results (R, Ergebnisse): Ergebnisse des Projekts mit Kennzahlen, etwa in Form von Grafiken, Metriken oder Zitaten aus Studien und Tests mit Nutzenden Keine Angst haben sollten UX-Professionals vor authentischen Darstellungen ihrer Zwischenschritte: Skizzen, Notizen und Whiteboards verleihen einem Projekt Glaubwürdigkeit. „Eine Aufnahme des fertigen Produkts sagt: Ich habe dies gestaltet und das visuelle Aussehen festgelegt“, schreibt Joe Natoli, der sich seit über 30 Jahren mit UX beschäftigt, in seinem Kurs zu Portfolios. „Eine Aufnahme eines skizzierten Prozesses oder Notizen zur Problemlösung sagen: Ich habe herausgefunden, was das Problem ist und wie es gelöst werden kann.“ Portfolio mit fiktiven Projekten Was aber sollen UX-Professionals tun, wenn sie noch keine Projekte haben? „Es ist vollkommen in Ordnung, sich ein fiktives Projekt zu suchen und zu erwähnen, welche Methoden man benutzt hat und warum“, erläutert Sebastian Baum. „Ich möchte sehen, ob du kritisch hinterfragst, ob das wirklich die richtige Methode für die Situation ist und warum du in dieser Situation die Methode gewählt hast.“ Wer nicht gerne an fiktiven Projekten arbeitet, kann sich in nicht-kommerziellen Projekten einbringen oder Verbesserungsvorschläge für ein etabliertes Unternehmen erarbeiten, ohne dazu beauftragt worden zu sein. Wichtig ist lediglich, diese Projekte wie reale Aufträge anzugehen. Und wenn man Projekte hat, aber nicht darüber sprechen darf? Auch das ist nicht selten, weil Aufträge häufig Geheimhaltungsvereinbarungen enthalten. Sie sollen verhindern, dass sensible Informationen aus Projekten an die Öffentlichkeit geraten. Doch auch dann gibt es Lösungsansätze. UX-Professionals können das Gespräch mit den Kundinnen und Kunden suchen, denn oft lassen sich Kompromisse finden oder sensible Informationen unleserlich machen. Grundfragen für UX-Portfolios: Was war das grundlegende Problem oder Bedürfnis der Nutzenden, das hinter dem Projekt stand? Wie war der konkrete Problemlösungsansatz? Welche Schritte wurden vollzogen, die zum Ergebnis geführt haben? Welche konkreten Erfolge wurden erzielt? Welche Daten gibt es, um den Erfolg für die Nutzenden und das Unternehmen selbst zu belegen? Wie könnte das eigene Portfolio an den individuellen Kontext (etwa die Stellenanzeige, die gewünschte Jobrolle oder den angedachten Auftrag) angepasst werden? Was würden die Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger erwarten? Alternativ können sie ein generisches, neutrales Projekt auf Basis eines realen Projekts erstellen, das zwar auf der gleichen Herausforderung und dem gleichen Lösungsansatz beruht, jedoch keine echten Dokumente aus dem Projekt zeigt. In jedem Fall ist der verantwortungsbewusste Umgang mit Geheimhaltungsvereinbarungen ein Pluspunkt, der zeigt, dass eine Person integer ist. Portfolios präsentieren Wenn die relevanten Informationen für ein Portfolio gesammelt sind, stellt sich die Frage, wie UX-Professionals es am besten präsentieren. Eine eigene Website ist eine sehr häufig gewählte Variante mit vielen Vorteilen: Das Portfolio lässt sich einfach über einen Link teilen, ist öffentlich einsehbar – kann jedoch auch über ein Passwort geschützt werden – und lässt sich flexibel anpassen. Alternativ oder ergänzend bieten sich eine PDF-Präsentation oder Portfolio-Dienste wie Behance an. Aber egal, welches Format letztlich gewählt wird, gibt es eine Reihe von Tipps, die UX-Professionals berücksichtigen sollten: den Fokus mithilfe einer sinnvollen Struktur und einem reduzierten Layout auf die eigentlichen Arbeiten legen, eine kurze Zusammenfassung („Executive Summary“) mit Problemstellung, relevanten Fähigkeiten und zentralen Ergebnissen bieten, die Auswahl von Fallstudien so treffen, dass sie möglichst gut zum Unternehmen passen, die Evolution des Projekts mitsamt seinen Zwischenschritten und verworfenen Ideen belegen, sicherstellen, dass Entscheidungen mit Daten belegt sind, das Portfolio mit anderen teilen, ihr Feedback einsammeln und das Portfolio fortlaufend verbessern. Fazit UX-Portfolios sind genauso vielfältig wie die Jobprofile in der UX-Branche. Wichtig ist es daher, sich über die eigenen Kernkompetenzen sowie die Anforderungen der Stelle beziehungsweise des Auftrags im Klaren zu sein. Mithilfe von gezielt gestalteten Fallstudien können UX-Professionals jedoch einen fundierten Blick hinter die Kulissen der eigenen Arbeit ermöglichen und so ihre Fähigkeiten belegen. Letztlich geht es darum, zu demonstrieren, wie die eigene (UX-)Arbeit Wert für die Nutzenden und das eigene Unternehmen erzeugt.