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Reportage
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Fynn Kliemann: Der Elon Musk aus Rüspel

Fynn Kliemann ist Heimwerkerkönig, Software-Entwickler und neuerdings auch Musiker. Jetzt plant der 28-Jährige den nächsten Coup: eine Kreativkommune mit ­angeschlossener Kryptowährung. Wie tickt jemand, der keine Angst hat, zu versagen?

Von Daniel Hüfner
16 Min. Lesezeit
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(Foto: Jan Helge Petri)


Die Detonation erschüttert das winzige Dorf Rüspel in ­Niedersachsen kurz vor Weihnachten 2017. Ahnungslos sitzen die 248 ­Einwohner an einem nieseligen Adventssonntag bei Gebäck und Kerzenschein in ihren Häusern, als sie durch den lauten Knall vom Acker nebenan aufgeschreckt werden.

Der Übeltäter: Fynn ­Kliemann. Der 28-Jährige hat mal wieder gebastelt – und es diesmal wirklich übertrieben. Während die Dorfbewohner noch rätseln, was da draußen vor ihren Fenstern gerade passiert ist, wissen Hunderttausende in den sozialen Netzwerken schon ­Bescheid: Kliemann hat mit befreundeten Pyrotechnikern einen riesigen Penis in sein Grundstück gesprengt. 100 Meter lang, so groß wie ein Fußballfeld. Zeitungen werden später berichten, die Druckwelle sei noch 30 Kilometer von Rüspel entfernt zu ­spüren gewesen. Willkommen im Kliemannsland: dem Zuhause von Deutschlands wohl größenwahnsinnigstem Internetunternehmer.

Ein Kaff digitalisiert sich

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Internetunternehmer mit Größenwahn. Das heißt bei Fynn ­Kliemann konkret: Sich selbst den Heimwerker-King nennen, Youtube-Sternchen und Agenturbetreiber gleichzeitig sein, dazu Softwareentwickler und, ach ja, neuerdings auch Musiker. Kliemann, zerzaustes Haar und stets im Skaterlook unterwegs, ist sowas wie der Elon Musk aus Rüspel. Randvoll mit Ideen, always on, niemals ausge­schlafen. Erst recht, wenn man nebenbei noch einen eigenen „Staat“ zu regieren hat.

Der Eingang zum Kliemannsland in Rüspel. Hier arbeitet Youtube-Sternchen Fynn Kliemann an einer neuartigen Kreativ-Kommune. (Foto: © Jan-Helge Petri)

Der Eingang zum Kliemannsland in Rüspel. Hier arbeitet Agenturgründer, Programmierer und Youtube-Sternchen Fynn Kliemann an einer neuartigen Kreativ-Kommune. (Foto: © Jan-Helge Petri)

Wobei das Kliemannsland, so nennt Fynn seinen drei Hektar großen Freiluftspielplatz zwischen Hamburg und Bremen, von außen nach allem aussieht, bloß nicht nach Zivilisation. Ein Besuch an einem sonnigen Septembertag: Der ehemalige Reiterhof liegt verschlafen an der Dorfstraße von Rüspel, grüne Scheunen und ein Backsteinhaus säumen die Einfahrt. Auf dem Maisfeld gegenüber schrauben Bauern an einem Traktor herum, es riecht nach Kuhmist. Mehr Kaff geht nicht.

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Hinter dem Bretterzaun des Gehöfts aber offenbart sich eine groteske Parallelwelt: Verkatert wirkende Gestalten klettern mit Smartphones bewaffnet aus Zelten und bunt bemalten Wohnwagen, unweit von einem Tümpel, in dem ein U-Boot vor Anker liegt. Eine junge Frau in Pyjama schleppt sich an Krücken über den Hof. Sie hat sich beim Skateboardfahren mehrfach das Becken gebrochen, erzählt sie. Eine Tafel an der Scheune zeigt an, wie viele Tage seit dem letztem Unfall verstrichen sind: null. Flankiert wird das Gelände von meterhohen Holztürmen, die zwischen Pferdeställen und Gemüsegärten aussehen, als würde hier eine Festung gegen Zombies verteidigt.

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Tatsächlich beherbergt das Kliemannsland schon mehr Menschen, als Rüspel überhaupt Einwohner hat. Zumindest digital. Über 50.000 sind es, die sich online als Bürger registriert haben, um sich am Aufbau der utopisch-interaktiven Kommune zu beteiligen. Wer als Neubürger akzeptiert wird, erhält einen Ausweis und kann sich durch regelmäßige Besuche um Belohnungs­stempel verdient machen.

Hier geht’s zu den besten Fotos aus dem Kliemannsland

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Die Kliemannsländler renovieren dann zum Beispiel das alte Gasthaus, bauen Duschen und Schlafsäle und installieren WLAN-Hotspots. Auch ein Café haben sie schon in Betrieb genommen. Woran auf dem Hof in Rüspel gearbeitet wird, darüber entscheidet ein demokratisches System: Über die Onlineplattform Fynnder bringen die Kliemannsländler neue Projektvorschläge ein, die andere mit „Fynnd ich gut“ oder „Fynnd ich kagge“ bewerten können. So wird abgestimmt, ob etwa eine neue Wetterstation oder ein Lagerfeuerplatz gebaut werden.

Ihr König, Fynn Kliemann, sieht darin zwar noch keine Gesellschaftsutopie, aber durchaus eine neue Form des Zusammenlebens: „Hier hinter dem Zaun ist die Welt noch heile“, sagt ­Kliemann, der statt einer Krone eine rosafarbene Wollmütze auf dem Kopf trägt. Während sich draußen die politische Groß­wetterlage verdüstert, der Fremdenhass zunimmt, ist im ­Kliemannsland jeder willkommen. Zwischen den Bewohnern gebe es keine Unterschiede, sagt der 28-Jährige. Was zählt, sei allein der Wille zum Anpacken. „Jeder kocht hier sein eigenes kleines Süppchen und zusammen wird das dann ein riesengroßer geiler Brei.“

An diesem Tag steht jedoch kein Projekt an, das die Menschheit ernsthaft voranbringen würde. Eine Badewanne, kein Witz, soll als Anhänger an einen motorisierten Buggy befestigt werden. Einziges Ziel: Ein lustiges Video für Fynns Youtube-Kanal. Ein Kamerateam in abgewetzten Klamotten wartet schon.

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Kliemann und seine Freunde wollen eine Badewanne an einen Motorbuggy montieren. Dabei geht so einiges schief. Die Abonnenten auf Youtube freut's. (Foto: © Jan-Helge Petri)

Kliemann und seine Freunde wollen eine Badewanne an einen Motorbuggy montieren. Dabei geht so einiges schief. Die Abonnenten auf Youtube freut’s. (Foto: © Jan-Helge Petri)

Doch zuerst muss Kliemann noch eine Runde mit dem Buggy drehen. Unangeschnallt hüpft er in das stählerne Gefährt und brettert los, wirbelt Erdhaufen auf und überschlägt sich nach einer zu heftigen Linkskurve. Gezerrter Po-Muskel, qualmender Motor, lautes Gelächter. Dann werden die Ärmel hochgekrempelt: Stundenlang schweißen, schrauben und bohren ­Kliemann und seine Freunde an dem Buggy herum. Funken fliegen, ­irgendwann verbrennt sich der Kameramann an einer frischen Schweißnaht. „Brauchst mal‘ne Kühlung, Kumpel?“, ruft Fynn und wickelt ihm mit schwarzem Gaffer-Tape eine Kaltkompresse um den verwundeten Unterarm.

Es sind Momente wie diese, die Kliemann eine Fangemeinde weit über die Dorfgrenzen von Rüspel hinaus eingebracht haben. Er redet astreines Norddeutsch („Packst mit an oder wat!?“), klopft Sprüche („Beton ist das Metall unter den Hölzern!“) und verkörpert den mitreißenden Nachbarsjungen von früher, an dessen Haustür man nach den Hausaufgaben immer zuerst klingelte. Wohin das führt, zeigte sich an einem Wochenende im September, als in Rüspel mal wieder Ausnahmezustand herrschte. Fynn hatte zum „SchnabuTröMaTa“ geladen, ein Mix aus ­Trödelmarkt und Grillfest. Im Dorf sind solche Anlässe eine Angelegenheit für ein paar hundert Besucher. Im Kliemannsland waren es Zehntausend. Der Acker, der Straßenrand: zugeparkt.

Wenn Kliemann darüber nachdenkt, dann schüttelt er immer noch ungläubig den Kopf. Denn eigentlich hatte er den Hof vor Jahren nur gekauft, um endlich niemandem mehr auf die Nerven zu gehen, wenn er mit Freunden seinen Bewegungsdrang aus­leben wollte. „Bisschen mit dem Traktor rumbrettern, ­Tischkicker bauen, Raketen zünden. Das war der Plan“, sagt Kliemann, der selber davon ausgeht, dass er ADHS hat. Doch wie so oft im Leben des 28-Jährigen ging der Plan erst einmal schief. Schon bald pilgerten Menschen aus ganz Deutschland nach Rüspel, die, so erzählt es Kliemann, den Hof mithilfe von Google Maps und Sternen­konstellationen ausfindig machten. Erst waren es eine Handvoll, dann ganze Horden. Wie konnte es soweit kommen?

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Den Anfang markierte ein banales Video, das Kliemann im ­April 2015 nichtsahnend bei Youtube veröffentlichte. Es zeigte ihn, wie er in seiner vollgerümpelten Garage aus einer Motorsense, einer ­Satellitenschüssel und einem iPhone eine Steadycam bastelte, eine schwenkbare Kamera. „Zum Spaß, um meinen Freunden zu zeigen, dass man dafür keinen Tausender hinzublättern braucht“, sagt ­Kliemann.

Aus Versehen zum Heimwerker-King

Also schnappte er sich seine Gopro und ­tüftelte drauflos. Das Problem: Fynn hat zwei linke Hände – und das sah man in dem siebenminütigen Clip auch. Mehrfach kloppte er sich mit dem Hammer auf die Finger, klemmte sich die Ohren im Schweißerhelm ein und nietete versehentlich die laufende Kamera um. Dass seine DIY-Steadycam am Ende nur von mehreren ­Lagen Klebeband zusammengehalten wurde? Völlig wurscht.

Mit einem peinlichen Heimwerker-Video wurde Fynn Kliemann in der Youtube-Community bekannt. Seitdem hat er seine Arbeitstechniken Schritt für Schritt perfektioniert. (Foto: © Jan-Helge Petri)

­Kliemanns Dilettantismus, lautstarke Fluchexzesse und kindlicher Jubel über akkurate Schweißnähte waren es, die sein Bastelvideo zum viralen Hit weit über seinen Freundeskreis hinaus machten. „Es wurde geteilt wie bescheuert“, erinnert sich ­Kliemann. Es war die Geburt des selbsternannten Heimwerker-Kings. Denn fortan ließ er die Kamera weiter­laufen: 1,7 Millionen ­Menschen schauten ihm etwa dabei zu, wie er im ­Garten seiner Mutter eine Mauer baute, zu Hause ein Astronauten­trainingsgerät konstruierte (eine Million Aufrufe) oder einen Roboterarm für Menschen mit Querschnittslähmung erfand (750.000 Aufrufe).

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Auch wenn nicht jedes Projekt auf Anhieb zum Nach­machen einlädt – eines lernen die Zuschauer bei Fynn immer: Dass selbst die absurdeste Idee noch umsetzbar ist, solange man den Spott über das Scheitern ertragen kann. Fynns Credo: Dinge nicht ­kaputt denken, sondern einfach machen. Kaum jemand lebt diese Startup-­Attitüde so wie er. „Und wenn ich fünfmal auf die Schnauze falle, am Ende bin ich trotzdem zehnmal schneller am Ziel als umgekehrt“, sagt Kliemann. Vielleicht verbindet ihn gerade das mit Typen wie Elon Musk, den er als Vorbild hat.

Geschadet hat es ihm jedenfalls nicht. Im Gegenteil: Kliemanns ­Erfolg als Heimwerker-King bei Youtube machte ihn schnell auch für die Fernsehindustrie interessant. Er bekam Angebote für die ­Produktion eigener TV-Formate, sogar ein Sende­platz bei Circus ­Halligalli war im Gespräch. Einig wurde sich ­Kliemann am Ende aber nur mit einem Filmteam des NDR, das bereit war, die Sendungen nach seinen Vorstellungen auf dem Hof in ­Rüspel zu produzieren. Geld gab es für die Drehtage. Werk­zeuge und Utensilien hingegen bezahlte Kliemann entweder selbst oder bekam sie geschenkt.

Aber einen drei Hektar großen Hof alleine bewirtschaften? Das konnte auch er nicht leisten. Kliemann brauchte Helfer. Und über das Internet, so dachte er, ließen sich die schon finden. Also startete Fynn einen Bewerberaufruf über seine inzwischen gut besuchten Social-Media-Kanäle. „Dann wurden wir überrannt“, sagt er. Aus dem Kliemannsland war damit nicht nur eine Fernsehsendung geworden, sondern ein realer Kleinstaat.

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Mehr als nur ein Quatschmacher

Notebook statt Schweißgerät: Kliemann ist eigentlich gelernter Mediengestalter. Nebenbei betreibt er eine Projektmanagement-Software mit mehr als 100.000 Nutzern. (Foto: © Jan-Helge Petri)

Was der Hype um den Hof in Rüspel oft in den Hintergrund rückt: ­Kliemann ist nicht nur Quatschmacher, sondern ein ernstzunehmender Unternehmer. Will heißen: Wenn er nicht gerade das Schweißgerät in der Hand hält, dann hockt er zehn Kilometer vom Hof entfernt in einem Büro und schreibt Code. Vor sieben Jahren hat Fynn in Zeven mit einem Geschäftspartner die Webagentur Herrlich Media gegründet. Die entwickelt Websites für Firmen aus der Region, etwa für eine Ferien­hausvermietung auf Norderney. Nebenbei verkauft ­Kliemann noch Portemonnaies aus recyceltem Kunststoff und kümmert sich mit einem Schlachter um den Online-Vertrieb von Rumpsteaks. Ein Buch hat Fynn übrigens auch schon geschrieben: „Fast 21 beknackte Romane in großer Schrift“, für Leute mit kurzem Geduldsfaden. Für Leute wie ihn.

Wer so viele Projekte am Start hat, könnte schnell den Überblick verlieren. Aber einfach ein bewährtes Projektmanagement-T­ool am Markt hernehmen und dafür bezahlen? Nicht mit ­Kliemann. „Keine der Lösungen, die ich gefunden habe, hat mich angesprochen“, sagt Fynn. „Sah alles aus wie ’ne Excel-­Tabelle.“ Also programmierte er eine eigene Software und nutzt sie auch tagtäglich. In Agantty plant Kliemann alles – angefangen bei Deadlines bis hin zu kleinteiligen Entwicklungsschritten.

Das Tool setzt dabei, wie der Name es schon andeutet, auf ein Gantt-Diagramm als Instrument zum Projektmanagement. Anstehende und bereits erledigte Aufgaben sind grafisch in Form einer Zeitachse dargestellt. So behält Fynn immer die Übersicht, was wann ansteht. Wie er organisieren inzwischen 100.000 andere Nutzer ihre Projekte mit Agantty. Das Gratis-Tool wächst so rasant, dass Kliemann es aus der Agentur heraus in eine eigenständige Firma überführt hat. Seine Vision für das Startup könnte größer natürlich nicht sein: „Agantty wird das beste Projekt­management-Tool der Welt“, sagt er wie ein gestandener CEO.

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Zumindest seine Arbeitszeiten können mit denen von Konzern­chefs schon mithalten. Ins Bett gehen? „Immer so zwischen ein und fünf Uhr.“ Aufstehen? „Meistens um halb acht.“ Noch vom Bett aus beantwortet Fynn zuerst einige E-Mails und checkt am Handy, was bei Facebook und Instagram so alles geht. „Dann füttere ich die ­Hühner, mache Kaffee und düse ins Büro. Außer Donnerstag und Freitag, da bin ich dann ganztags auf’m Hof“, sagt Kliemann, der auf halber ­Strecke noch ein Haus ­bewohnt.

Dass der Unternehmer angesichts diverser Baustellen auch multi­taskingfähig sein muss, ist klar. Auf dem Hof in Rüspel kann man an diesem Tag sehen, wie das abläuft: Soeben noch mit dem Winkelschleifer an der Anhängerkupplung des Buggys ­zugange, hockt ­Kliemann im nächsten Augenblick schon mit offenem ­Laptop auf einer Holzbank. E-Mails schreiben, Interviews autorisieren, sich über Projektverläufe informieren. Fast im Minutentakt vibriert sein Handy. Manche Whatsapp-Nachrichten beantwortet er selbst, andere diktiert er seiner Assistentin, die sie dann für ihn abschickt. Kein Wunder, dass Fynn dieses Arbeitspensum selbst unheimlich ist. „Meine größte Angst ist es, irgendwann mal Burn-out zu kriegen“, sagt er.

Zwei Smartphones in den Händen, ein Brötchen im Mund: Multitasking bei Fynn Kliemann. (Foto: © Jan-Helge Petri)

Zwei Smartphones in den Händen, ein Brötchen im Mund: Multitasking bei Fynn Kliemann. (Foto: © Jan-Helge Petri)

Es komme auch durchaus vor, dass er verschnupfte Mitarbeiter nach Hause schickt, noch bevor er mit seinem restaurierten Volvo 240 auf den Hof fährt. Bloß nicht anstecken, denn: „Wenn ich zwei Wochen krank bin, geht alles den Bach runter.“ Woher kommt dieser nie enden wollende Unternehmertrieb? War das schon immer so oder hat er einfach zu viel BWL studiert? Um das zu verstehen, muss man noch einen weiteren Schritt zurückgehen. In die Jugendjahre von Fynn Kliemann.

Aufgewachsen ist er am Waldrand von Heeslingen, keine zehn Kilometer von Rüspel entfernt. Schon das Haus glich einem Abenteuerspielplatz. Seine Eltern, beide Sozialpädagogen, nahmen zusätzlich zu ihren Kindern noch Pflegekinder auf. Es war immer was los, Durchsetzungsvermögen gefragt. In der Schule war Fynn kein Überflieger. „Ich musste mir immer alles reinprügeln, um den Stoff bis zur nächsten Klassenarbeit zu behalten“, sagt er. Auch in der Klasse gehörte er nie zu den coolen Jungs, wie er sagt. „Die meisten waren beim Fußballverein oder der frei­willigen Feuerwehr, hat mich alles nie interessiert. Ich habe lieber Mukke gemacht, bin Skateboard gefahren und hab‘ Scheiße im Wald gebaut.“ Was ihm in der Schule an Coolness fehlte, machte Fynn zu Hause jedoch auch mit scharfem Geschäftssinn wett. Um sich sein Taschengeld aufzubessern, pflückte er Kirschen aus dem Garten seiner Großmutter und verhökerte sie an einem Stand vor ihrer Haustür. Eine Mark verlangte der junge Fynn dafür. „Völlig freche Preise, aber weil ich so süß war, hab ich die alle verkauft“, sagt er. Später dasselbe Spiel mit Erdbeermarmelade. Nur diesmal war der ­Teenager noch frecher: Er besorgte normale Gläser aus dem Supermarkt und verkaufte sie an Nachbarn mit Gewinn weiter. „Ich habe einfach die Etiketten abgerissen.“

Pornos brachten das erste Geld

So viel Selbstbewusstsein sollte sich später auszahlen. Als die Schulzeit vorüber war, begann Fynn in Bremen eine Ausbildung zum Mediengestalter. Von dem „lächerlichen“ Gehalt leben konnte er zunächst nicht. Wegen der ständigen Pendelei mit dem Auto habe er sogar draufgezahlt, sagt Kliemann. Die Langeweile in der ­Berufsschule wusste er jedoch kreativ zu nutzen. Mit einem Freund brachte er sich in der hintersten Bankreihe am Laptop das Programmieren bei. Hauptsächlich PHP, ein bisschen JavaScript, etwas Python. Kurz darauf startete Kliemann seine erste eigene Website, „10 most ­important“ hieß die, ein virtuelles Sammel­surium aus Dingen, die man im Internet unbedingt gesehen oder ausprobiert haben sollte. Die zehn besten Browser-Games, die zehn besten Tipps gegen Langeweile, die zehn besten Fantasyromane. Zunächst lief es so lala, wie Kliemann sagt. Doch dann sei ihm diese Idee mit den Pornoseiten gekommen. Ja richtig, die zehn besten kostenlosen Pornoseiten. „Das war so ein Kicker, ­Alter!“, sagt Kliemann über den ersten großen „­Startup-Moment“ seines Lebens. Durch geschickte Suchmaschinenoptimierung verbuchte seine Website bald bis zu 20.000 Besucher täglich. Den generierten Traffic machte er mit Affiliate-Links zu Geld. Kein innovatives, aber finanziell lohnendes Geschäft für den jungen Fynn. „Damit hab ich meine Ausbildung finanziert“, sagt er. Bis zu mehreren Hundert Euro habe er damit an guten Tagen verdient.

Ums Reichwerden, das betont Kliemann im Gespräch immer wieder, sei es ihm jedoch nie gegangen. Geld sehe er nur als Mittel zum Zweck. „Wenn ich eine Idee hab‘ und die scheitert an der Finanzierung, dann ist das Scheiße“, sagt er. Deswegen soll seine Agentur auch künftig das wichtigste Projekt bleiben. ­„Damit finanzieren wir den ganzen anderen Mist, den wir sonst so machen.“ Die Werbeanzeigen seiner teilweise millionenfach geklickten Heimwerkervideos auf Youtube hat Fynn dagegen abgeschaltet – obwohl sie ihm sicher ein kleines Vermögen einbringen könnten. Doch Werbung nerve ihn. Deswegen könne er auch Influencer-­Marketing nichts abgewinnen. Für mehrere Tausend Euro einen gesponserten Hammer in die Kamera halten? Ein diktiertes Loblied auf eine Kettensäge singen? „Alles Schrott, sag ich alles ab“, sagt Kliemann. Er wolle Spaß haben und unabhängig von den Interessen der Werbeindustrie bleiben. Bei Hundert­tausenden, oft von Product Placement geplagten Youtube-Nutzern, kommt seine Botschaft an. Jedoch nicht bei allen: „Leider ist FK nur noch ein selbstverliebter Kleindarsteller und kommerziell hoch zehn!“, schreibt ein langjähriger Abonnent. Wo auch immer die Wahrheit liegt: Seine Reichweite in sozialen Netzwerken weiß Kliemann in jedem Fall geschickt zu nutzen. In einem Onlineshop verkauft er unter dem ­Slogan „Heimwerkerzeug, das nicht scheiße ist“ all die Dinge, die er beim Tüfteln auf dem Hof so benutzt. Sprich: Eigene Bleistifte, Zollstöcke, T-Shirts und Kapuzenpullover.

Nach eigenem Bekunden ist es aber vor allem die Wiss­begierde, die Fynn antreibt. „Jeder Tag, an dem ich nichts lerne, ist ein verschwendeter Tag“, sagt er. Fynn will die Welt um sich herum bis ins kleinste Detail verstehen. Wenn er auf dem Hof einem Feinmechaniker über den Weg läuft, dann löchert er ihn solange mit Fragen, bis Fynn selbst so schlau ist wie er. Dabei interessieren ihn besonders Themen, die nichts mit Heimwerken oder dem Agenturgeschäft zu tun haben. „Astrophysik, Chemie, ­Physik, mathematische Probleme und Hummeln zum Beispiel“, sagt Kliemann. „Mich interessiert alles, weil es immer etwas gibt, das man noch verbessern kann.“ Um seinen Wissensdurst zu stillen, hat er seit vielen Jahren ein festes Ritual: Jeden Abend schaut sich Fynn eine Doku auf Netflix oder Youtube an. Kann er einen Fachbegriff erst später nachschlagen, hält er ihn in seiner To-do-App auf dem Handy fest und aktiviert die Erinnerungsfunktion. Aktuell auf dem Lehrplan: Corioliskraft, Tribologie und Proxima Centauri, der erdnächste Stern nach der Sonne. Bei so viel ­Theorie darf sein Bewegungsdrang natürlich nicht zu kurz kommen: „Demnächst mache ich einen Flugschein“, sagt Fynn.

Jetzt ein Album, danach ein Kryptocoin

Aber ob er dafür überhaupt noch Zeit hat? Denn gerade bahnt sich für den Heimwerkerkönig, Agenturbetreiber und Programmierer eine weitere Karriere an. Eine, die ihn sogar berühmter denn je machen könnte: die eines gefragten Musikers. Ende September erst hat Kliemann ein eigenes Album veröffentlicht. ­Keine einfache Haudrauf-Platte, wie man sie vielleicht von einem hyperaktiven Typen wie ihm erwarten würde. Im Gegenteil: Die kleine Auswahl aus hunderten Songs, die Kliemann über Jahre am heimischen Rechner komponiert hat, zeigt ihn von seiner verletztlichen, ruhigen und auch intimen Seite. Mal besingt er seine Furcht vor der Selbstzerstörung, mal die Liebe zu seiner Freundin Franzi, mit der er seit 15 Jahren zusammen ist.

Am Ende des Tages steht das Projekt: Der Anhänger hängt am Buggy. Die Testfahrt endet trotzdem im Busch vor dem Hof.(Foto: © Jan-Helge Petri)

Am Ende des Tages steht das Projekt: Der Anhänger hängt am Buggy. Die Testfahrt endet trotzdem im Busch vor dem Hof.(Foto: © Jan-Helge Petri)

Dass Fynn dem Album den Namen „Nie“ verpasst hat, hat einen banalen Grund: Es wäre wohl tatsächlich nie erschienen, hätte sich vor zwei Jahren nicht ein Manager von Four Music bei ihm gemeldet. Wie vielen seiner Fans auf Youtube waren auch dem Berliner Plattenlabel die Songschnipsel aufgefallen, die Fynn oft ans Ende seiner Heimwerkervideos hängte. Dass Kliemann ­passabel Klavier und Gitarre spielt, seine Reibeisenstimme an Rap-Stars wie Casper erinnert und er früher mal Mitglied einer Straßenband war, war dem Label das Angebot eines Plattenvertrags wert. Doch was macht Kliemann? Der lehnte, den fertigen Vertrag vor sich liegend, in letzter Minute ab. Er habe den Plattenbossen dann doch nicht mehr Prozente abdrücken wollen als ­nötig, sagt er.

Also zog er wieder eines seiner ­typischen ­DIY-Dinger durch: Er gründete ein eigenes Label, sammelte Vorbestellungen nach dem Crowdfunding-Prinzip und produzierte das Album mithilfe von Bekanntschaften nur so oft, wie es tatsächlich nachgefragt wurde. Und glaubt man den von ihm ­publizierten Zahlen, dann hat das ganz okay funktioniert. Mehr als 100.000 Exemplare verkaufte Fynn innerhalb weniger Wochen über seinen ­Onlineshop. Zum Vergleich: Das neue ­Bushido-Werk „Mythos“ fand nur rund 35.000 Käufer. Dass es trotzdem nicht für Platz 1 in den Charts reichte, war lediglich Kliemanns eigenwilliger Ver­öffentlichungsstrategie geschuldet. Um Kosten zu sparen, meldete er sein Studio­album nicht bei ­einem regulären Tonträgervertrieb an. Dass ihm dadurch womöglich Zehntausende Euro an Umsatz durch die Lappen gehen? Egal. „Ich werde das Album nur ein einziges Mal physisch produzieren, weil ich die verschwen­derische Produktion von Musik nicht so geil finde und nicht möchte, dass die Platte wegen Überpro­duktion irgendwann bei einem Discounter in der Grabbelschütte liegt“, sagt Kliemann. Ein zweites Album? Unwahrscheinlich, aber nicht ausgeschlossen.

Fynn Kliemann (links) im Gespräch mit t3n-Redakteur Daniel Hüfner. Eine schwierige Angelegenheit, denn Kliemann fällt es schwer, still zu sitzen und redet wie ein Wasserfall. (Foto: © Jan-Helge Petri)

Fynn Kliemann (links) im Gespräch mit t3n-Redakteur Daniel Hüfner. Eine schwierige Angelegenheit, denn Kliemann fällt es schwer, still zu sitzen und redet wie ein Wasserfall. (Foto: © Jan-Helge Petri)

Und selbst, wenn „Nie“ Kliemanns einzige Platte bleibt: Platz und Beschäftigungsmöglich­keiten gibt es auf dem Hof in Rüspel ja auch so genug. Als ­Kliemann und seine Freunde ihren Badewannenanhänger für den Buggy am späten Nachmittag endlich fertig haben und die anschließende Testfahrt in einem Achsenbruch endet, bleibt noch Zeit für einen Blick in die Zukunft. Womit wir auch wieder beim Größenwahn wären: Denn die nächsten Projekte für den Ausbau seines Kleinstaats in Rüspel hat Fynn längst angeschoben. „­Meine Vision ist, dass wir uns hier autark versorgen können“, sagt er.

Will heißen: Die Kliemannsländler sollen nicht nur ­Lebensmittel anbauen, sondern bald auch den Strom selbst produzieren. „Mit ersten Partnern, die entsprechende Solaranlagen auf dem Hof errichten, bin ich schon im Gespräch“, sagt Kliemann. Dass er nicht von gewöhnlichen Solar­anlagen redet, wie man sie beispielsweise auf dem Dach vom Bauern nebenan findet, ist keine Überraschung. Fynn denkt größer. Er will die Anlagen in Zusammenarbeit mit Technikern vom Chaos Computer Club mit einer eigenen Krypto­währung koppeln. „Kliemark“ könnte sie heißen und mithilfe der Blockchain automatisch einen Techniker rufen, sobald eine Anlage den Geist aufgibt. Den Strom selbst will er dann nutzungsabhängig vermieten. „Am liebsten an das ganze Dorf“, sagt Fynn, der bemüht ist, trotz des großen Rummels um sein Gehöft auch an die Nachbarn zu denken. Angefangen mit Bratwurstgutscheinen für das Grillfest bis hin zu einer eigenen Videoserie namens „Very Important Dorfbewohner“, in der Fynn sich von Bauern erklären lässt, wie man eine Kuh besamt. Es ist seine Art, sich mit den „Ureinwohnern“ von Rüspel zu versöhnen. Denn nicht jede Aktion wird ihm auf Anhieb verziehen.

So wie der Riesenpenis, den er im vergangenen Jahr ohne Vorwarnung in den Acker sprengte. Viele Nachbarn fühlten sich von dem Krach in der Vorweihnachtsidylle gestört. Sogar die ­Polizei musste anrücken. Darum hat sich Fynn auch öffentlich für den Vorfall entschuldigt. „Es hat sich alles aufgeklärt, alles war ordnungsgemäß angemeldet, alle haben sich wieder lieb“, schrieb er an seine Fans gerichtet bei Facebook. Die heile Welt im ­Kliemannsland kann so schnell eben nichts erschüttern.

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