Influencer-Marketing für Startups: Umsatz dank Anna
Im Vordergrund ein schlankes Handgelenk mit Armbanduhr, im Hintergrund das Lenkrad eines Autos: Besonders spektakulär wirkt es nicht, das Foto, das vor zwei Jahren den Weihnachtstagen von Fabian Deventer den letzten Rest von Besinnlichkeit genommen hat. Schon seit Tagen mussten Deventer und seine beiden Kompagnons Besucher ihres neuen Onlineshops Kapten and Son vertrösten, weil alle beworbenen Uhren ausverkauft waren. Nun machten auch noch die Server schlapp – das auf der Fotoplattform Instagram hochgeladene Bild lenkte tausende Menschen gleichzeitig auf die Seite. Absenderin des Posts war Pamela Reif, eine der populärsten deutschen Instagrammerinnen. Die Gründer hatten sie dafür bezahlt, ihr mit Kapten-and-Son-Uhr dekoriertes Handgelenk vor die Smartphone-Kamera zu halten.
„Wir waren auf den Ansturm nicht vorbereitet“, räumt Deventer ein. So ärgerlich der Serverzusammenbruch damals war – heute geht ihm die Anekdote leicht über die Lippen. Denn die Panne hatte auch etwas Positives: Sie lieferte den Beweis, dass die Gründer mit ihrem unkonventionellen Marketingansatz goldrichtig lagen. Als eines der ersten Startups in Deutschland hat Kapten and Son das sogenannte Influencer-Marketing für sich entdeckt. Statt Geld für klassische Onlinewerbung auszugeben, haben Deventer und seine Mitstreiter Abonnenten-starke Instagrammer angeschrieben. Der Deal: Die „Influencer“ posten ein Foto mit einer Kapten-and-Son-Uhr und verlinken auf den Account des Anbieters, im Gegenzug dürfen sie die Uhr behalten und bekommen eine Aufwandsentschädigung.
„Jeder braucht Inspiration, wenn es um Mode geht. Dieses Bedürfnis bedient Instagram wie keine andere Plattform“, sagt Deventer. Mit mehreren Tausend Influencern hat Kapten and Son nun schon zusammengearbeitet und mit jedem der gesponserten Posts neue Abonnenten für den eigenen Instagramkanal – der Zähler steht aktuell bei mehr als 425.000 – und neue Kunden gewonnen. „Das Influencer-Marketing hat uns ein extrem schnelles Wachstum erlaubt“, sagt Deventer. Neben Uhren umfasst das Sortiment nun auch Sonnenbrillen. Auf Investoren sei das Startup, das inzwischen 50 Mitarbeiter an drei Standorten beschäftigt, nicht angewiesen. Neue Produkte sind erst vage angedacht.
Dieses und ähnliche Beispiele anderer Startups haben sich in der Werbebranche schnell herumgesprochen. Bald umgarnten auch große Modelabels und Reiseanbieter Influencer, inzwischen sind Unternehmen aus allen Branchen aktiv. So hat die Techniker Krankenkasse den Youtuber LeFloid eingespannt, der GdW Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen warb mit dem Videoblogger Julian Jarow für den Ausbildungsberuf des Immobilienkaufmanns, Mercedes-Benz bespielt über Influencer sowohl Instagram als auch Youtube. Ein Ende des Booms ist noch nicht abzusehen. „Viele industrielle Dickschiffe entdecken das Format gerade erst für sich“, sagt Andreas Bersch, Geschäftsführer der Berliner Digitalagentur Brandpunkt und Veranstalter der Influencer-Konferenz Inreach, die am 14. November zum zweiten Mal stattfindet.
Acht Euro für 1.000 Follower
Mit den großen Werbeetats drängen immer mehr spezialisierte Dienstleister in den Markt: Agenturen nehmen prominente Influencer als Manager unter ihre Fittiche, Online-Plattformen bringen sie mit Werbetreibenden zusammen. Auch hier entern nach einer Reihe von Startups nun verstärkt Großunternehmen den Markt. So ist beispielsweise das Medienhaus Gruner + Jahr kürzlich mit der Influencer-Beratung Incircles an den Start gegangen. Der vermarktungserprobte Modehändler Zalando baut mit Collabary derzeit eine eigene Plattform auf. Und der Internetriese Google hat im Oktober Famebit übernommen – ein Technologie-Unternehmen, das sich als Vermittler zwischen Firmen und Youtubern andient.
Eine Folge dieser Professionalisierung: Für Unternehmen wird es immer teurer, reichweitenstarke Social-Media-Stars zu gewinnen. „Heute werden ganz andere Preise aufgerufen als noch vor zwei Jahren“, sagt Vanessa Siegbert, PR-Chefin von Kapten and Son. „Das macht es für Startups sehr viel schwerer.“ Philipp John, Mitgründer der Vermittlungsplattform Reachhero, beziffert die durchschnittlichen Kosten für einen Influencer-Post bei Instagram auf zwei bis acht Euro pro 1.000 Abonnenten. Bei Youtube sei ein Tausenderkontaktpreis von 20 bis 80 Euro üblich. „Im Beauty- und Fashionbereich steigen die Preise derzeit besonders stark“, so John. „Es gibt enorm viele Advertiser, aber eben nur eine begrenzte Zahl reichweitenstarker Influencer.“ Beispiel Pamela Reif: Ein einzelner Post, der potenziell 2,5 Millionen Follower erreicht, kostet nach Berechnungen des Analyse-Tools InfluencerDB inzwischen mehr als 11.000 Euro.
Gerade im Vergleich zu klassischer Print- oder TV-Werbung wirken solche Beträge auf große Unternehmen noch wie ein Taschengeld. Doch Startups drohen in dem Preiswettbewerb abgehängt zu werden –und damit ein extrem wirksames Werbeinstrument zu verlieren, dem auch die wachsende Verbreitung von Ad-Blockern nichts anhaben kann. Laut einer Befragung der Hamburger Kommunikationsberatung Faktenkontor hat fast jeder vierte Social-Media-Nutzer schon einmal eine Ware gekauft oder eine Dienstleistung in Anspruch genommen, die von einem Blogger oder Youtuber beworben wurde. Der Mechanismus dahinter: „Social-Media-Stars sind für ihre Fans unmittelbar erreichbar – die empfundene Nähe ist sehr viel größer als bei Hollywoodstars oder anderen Testimonials der alten Werbewelt“, sagt Brandpunkt-Chef Bersch. Eine Produktempfehlung wirke deswegen so, als käme sie von einem guten Freund.
Im Buhlen um die Gunst der Influencer suchen Gründer derzeit nach neuen Kniffen und Strategien, um sich gegen die wachsende Konkurrenz durchzusetzen. Die Startvoraussetzungen sind nach Einschätzung von Bersch noch immer gut: „Bei aller Professionalisierung geht es nicht nur um Geld“, sagt der Agenturchef. „Startups haben oft innovative Produkte, die das Interesse der Influencer wecken und sogar deren Reputation steigern können.“ Die Imagepflege haben manche bitter nötig – weil sie Gefahr laufen, sich immer weiter von der Lebenswelt ihrer Fans zu entfernen, Denn wer plötzlich nur noch teure Markenware trägt und seine Wochenenden in Luxusressorts verbringt, entfernt sich aus der Lebenswelt seiner Fans. „Dann leidet die Authentizität und die Influencer setzen ihre Glaubwürdigkeit aufs Spiel“, sagt Bersch.
Punkten mit Individualität
Wesentlich bodenständiger wirken da die Salatboxen, mit denen das Hamburger Startup Stadtsalat den Markt für Essenslieferungen aufmischen will. Neben Flyern und Facebook-Anzeigen ist Influencermarketing bei Instagram der größte Posten im Werbebudget des Anfang 2015 gegründeten Unternehmens. „Viele Influencer finden es cool, mit einem Startup zusammenarbeiten, auch wenn wir weniger zahlen“, so die Erfahrung von Geschäftsführer Marcus Berg. Die Kontaktpflege hat er zur Chefsache gemacht: „Wenn ich als CEO von meinem Baby rede, entsteht direkt eine persönliche Verbindung.“ Treue Instagrammer belohnt er auch schon einmal mit einer Einladung zu einem Mehrgängemenü. Zunehmend spreche er Influencer an, die große Unternehmen noch nicht auf dem Schirm haben. „Ab 100.000 Followern ist oft ein Management involviert. Dann kommen wir mit unserer Botschaft kaum noch durch“, sagt der 34-Jährige. Auch Accounts mit nur sechs- oder zehntausend Followern seien interessant. Berg hält dabei vorwiegend Ausschau nach Instagrammern, die sich mit Mode und Lifestyle beschäftigen. Auch Fitness passe gut als Themenfeld, um Salate zu bewerben. „Mir muss der Stil gefallen. Ich mag es beispielsweise, wenn man nicht nur schöne Fotos sieht, sondern auch ein bisschen mehr Text dabei ist.“ Ein weiteres wichtiges Kriterium seien die Engagement-Raten: Wie oft werden die Bilder geliket? Reagieren die Influencer auf Kommentare?
Eine besondere Herausforderung für das Unternehmen, das inklusive Fahrern mehr als 50 Mitarbeiter beschäftigt: Bisher wird nur in Hamburg ausgeliefert – erst im kommenden Jahr soll eine weitere Stadt hinzukommen. Auch wenn die ausgewählten Instagram-Größen in Hamburg leben, sind die Follower geografisch weit verteilt. Etwa 80 Prozent der Reichweite habe deswegen keinerlei Relevanz, so Berg. „Aber schon für die übrigen 20 Prozent lohnt es sich.“ Bisher am erfolgreichsten war die Zusammenarbeit mit Caroline Daur. Die Hamburger BWL-Studentin beglückt ihre inzwischen mehr als 750.000 Instagram-Abonnenten vor allem mit Fotos ihrer Outfits. Als sie das erste Mal eine Salatbox postet, beschert das dem Startup mehr als 2.000 Klicks auf die eigene Homepage.
Eine weitere Besonderheit in der Social-Media-Strategie des Startups: Es versucht gar nicht erst, ein kontinuierliches Dauerrauschen zu erzeugen. Stattdessen setzt Berg auf „konzentrierte Pushs“, wenn sich etwas Neues getan hat – etwa das Liefergebiet ausgeweitet wurde. Dann hauen ein Dutzend Influencer ihre Posts kurz hintereinander raus. In der Zeit ist das Stadtsalat-Team selbst stark auf Instagram aktiv, kommentiert und repostet fleißig. Auch Werbeanzeigen bei Instagram selbst bucht Berg gerne. Die User sehen dann das vom Influencer erstellte Foto, zusammen mit einem Slogan wie „Mach’s wie Caro: Bestell auf Stadtsalat“. Der hohe manuelle Aufwand zahle sich aus, sagt Berg: „Das sind die effektivsten Anzeigen, die wir gemacht haben.“ Ob das Influencer-Marketing noch lange gut geht? „Für uns ist es im Moment noch okay, aber der Markt zeigt schon Anzeichen einer Überhitzung.“ Berg macht das daran fest, dass selbst die Betreiber kleinerer Accounts zunehmend schon hohe Aufwandsentschädigungen fordern.
Influencer in der Sinnkrise
Die steigenden Preise sind nicht die einzige Herausforderung, der sich Startups gegenüber sehen. Immer wieder neue, passende Influencer zu finden und mit ihnen Kampagnen zu entwickeln, wird schnell zu einem extrem zeitaufwendigen Unterfangen. Bei Kapten and Son sind damit zeitweise bis zu neun Mitarbeiter befasst, berichtet PR-Chefin Siegbert. Die Professionalisierung des Marktes sei deswegen für Startups auch eine Chance: „Tools und Plattformen erleichtern die Arbeit deutlich.“ Zu den populärsten Anbietern gehört Reachhero –5.000 Influencer sind auf der Plattform angemeldet, ihnen stehen mehr als tausend registrierte Unternehmen gegenüber. Laut Mitgründer John erreicht die Ende 2014 gestartete Plattform in diesem Jahr bereits einen siebenstelligen Umsatz.
Der Ablauf: Der Werbetreibende schreibt ein Briefing, Influencer bewerben sich mit ihren Ideen und Preisvorstellungen. Seit wenigen Wochen gibt es sogar eine Smartphone-App, mit der die Influencer auch von unterwegs auf Ausschreibungen reagieren können. Für die Vermittlung stellt Reachhero den Werbetreibenden 17 Prozent des Gesamtbudgets einer Kampagne als Gebühr in Rechnung. Dafür bekommen sie die Garantie, dass sie jedes Video oder Instagram-Foto vor der Veröffentlichung autorisieren dürfen. „Wir wollen Unternehmen die Sorge nehmen, dass sie die Kontrolle verlieren“, sagt John. „Im Streitfall vermitteln wir zwischen beiden Parteien.“ An das Konzept glauben auch die Samwer-Brüder, die vor einigen Monaten in Reachhero investiert haben. Ausgebaut werden sollen nun Analyse- und Auswertungsfunktionen.
Doch so hilfreich die Technik ist –um im Influencer-Marketing herauszuragen, brauchen Startups vor allem Kreativität. Vielen Werbetreibenden, so hat man den Eindruck, gehen aktuell die Ideen aus. Geradezu absurd wirkt das Marketing der vielen Tee-Startups, die vor allem in den USA wie Pilze aus dem Boden schießen. Ob Skinnymint, Matefit oder Fittea: Um Interesse an teuren Kräutermischungen in bunten Packungen zu wecken, setzten sie alle auf Bilder von teetrinkenden Instagram-Stars – manche werben gleich für verschiedene Hersteller. Die Folge: Der vermeintlich authentische „Content“ ist kaum noch voneinander unterscheidbar. Schnelle Klicks generieren die Startups so zwar trotzdem. Doch für den Markenaufbau ist die Uniformität verheerend.
Neue Wege im Influencer-Marketing will Stilnest gehen. Gegründet im Jahr 2013, stellt das Startup Ringe, Armbänder und Ketten in beliebiger Auflage her und vertreibt diese in 63 Ländern. Ursprünglich sollte das vor allem unbekannten Designern die Möglichkeit geben, ihre Ideen umzusetzen. Dann kam Nilam Farooq: Die Youtuberin, deren Videos um Themen wie Reisen, Mode und Kosmetik kreisen, entwarf im vergangenen Jahr mit Hilfe von Stilnest eine eigene Schmuckkollektion. „Als wir gemerkt haben, wie gut das für beide Seiten funktioniert, haben wir unser ganzes Geschäftsmodell auf Influencer ausgerichtet“, sagt Tim Bibow, Mitgründer des Startups. „Viele haben keine Lust mehr, nur fremde Marken zu positionieren, und wollen nun ihr eigenes Ding machen.“
Von den rund 100 Kollektionen, die Stilnest anbietet, stammen 30 inzwischen von Social-Media-Stars. Weitere 30 sollen bis zum Jahresende hinzukommen. Fünf der 25 Stilnest-Mitarbeiter kümmern sich darum, die Influencer zu managen und sie beim Design zu unterstützen. „Wichtig ist, dass sie eine persönliche Geschichte erzählen können“, sagt Bibow. Am erfolgreichsten bisher war die englische Youtuberin Anna Saccone, die Sternzeichenketten nach dem Vorbild eines Erbstücks entworfen hat. Innerhalb von sechs Monaten habe der Umsatz die Millionen-Marke überschritten.
Den Druck, Instagrammer oder Youtuber für einzelne Posts zu bezahlen, hat Stilnest nicht. Die Influencer bewerben ihre Kollektion aus eigenem Antrieb, denn sie verdienen an jedem Verkauf mit. Etwa die Hälfte des Gewinns schüttet Stilnest an sie aus. Das Startup will nun auch andere Produktkategorien erschließen: „Kosmetik ist sehr interessant für uns, wir planen auch Piloten mit Uhren und Sonnenbrillen“, sagt Bibow. Mit jedem neuen Produkt kommt Stilnest seinem Ziel näher, eine „Plattform für Influencer-Commerce“ zu werden.