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Die Job-Transformer: Mitarbeiter auf die digitale Transformation vorbereiten

Lange konnten Unternehmen Nachwuchs­talente einkaufen, wenn neue Kompetenzen gefragt waren. Die Innovationsgeschwindigkeit der ­Digitalisierung und Engpässe bei Fachkräften ­setzen dem ein Ende. Unternehmen sind auf ­bestehende Mitarbeiter angewiesen und ­müssen diese fit für Technologien und Abläufe von ­morgen machen. Lebens­langes Lernen wird zur Pflicht – das zwingt die Unternehmen selbst zur ­Transformation.

16 Min. Lesezeit
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(Fotos: Kevin Münkel,Model: Neele Schütze)

Ein simpler Klick auf der Firmen-Homepage zeigt manchmal, dass zwischen „Pressemitteilungen” und „Karriereseite” mit­unter Welten liegen. T-Systems etwa kündigte kürzlich an, mindestens 6.000 Stellen weltweit abzubauen und 4.000 weitere zu „verlagern” – parallel wurde die „T-Systems-Joboffensive” ausgeschrieben. Bei der Deutschen Bank sind es 7.000 Jobs, die in den kommenden Jahren weltweit wegfallen sollen. Gleichzeitig werden alleine für den deutschen Markt mehr als 200 neue Stellen ausgeschrieben. Und Zalando hat im Frühjahr bekannt gegeben, mehr als 200 Jobs im Marketing abzubauen – stellte aber auch in Aussicht, 2.000 neue Mitarbeiter anzustellen.

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Kündigungswellen und Joboffensiven, Abbau und Ausbau, Fire and Hire. Diese Strategie von Konzernen und Mittelständlern dürfte bald der Vergangenheit angehören. Jahrzehntelang setzten Unternehmen auf Berufs- und Hochschulen, um Fachkräfte zu finden. Schulungen im Betrieb sorgten für den nötigen Feinschliff bei der Bedienung von neuen Programmen oder Anlagen. Brauchte man tatsächlich neue Kompetenzen, etwa für das Internet, wurden neue Abteilungen aufgebaut und eingekauft. Doch das funktioniert nur noch in Ausnahmefällen. Der Grund: Vielerorts ist der Fachkräftemarkt schlichtweg leer gefegt.

Vor allem in IT-Berufen wird der Engpass immer deutlicher: Eine Stellenausschreibung für einen „Data Scientist” oder „KI ­Engineer” läuft schon jetzt häufig ins Leere – die wenigen Experten werden mit Anfragen von Headhuntern überschüttet. Um 50 Prozent ist die Zahl der gemeldeten offenen Stellen in IT-­Berufen in den vergangenen zwei Jahren gestiegen, ermittelte das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Köln im Juni: „Die Hochschulen können die hohe Nachfrage nach IT-Absolventen derzeit nicht befriedigen”, schreiben die Forscher des arbeitgebernahen Forschungsinstituts nüchtern.

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Viele Firmenchefs beklagen lautstark den Fachkräftemangel und schimpfen auf das Bildungssystem, das den Anforderungen der Wirtschaft nicht gerecht werde. Dabei können sie das Schicksal ihrer Unternehmen selbst in die Hand nehmen – und ihre bestehende Belegschaft auf die Zukunft vorbereiten, statt auf passenden Nachwuchs von Unis und Fachhochschulen zu hoffen. Dazu aber müssen sie ihre Weiterbildungsstrategien umkrempeln – weg von einmaligen Schulungen, hin zu einer Kultur, in der Lernen Teil des Alltags ist. Das aber bedeutet: Unternehmen müssen mehr Zeit und mehr Geld für Weiterbildung freimachen. Und sie müssen den Mut aufbringen, neue Wege zu gehen. Eine Einbahnstraße ist das nicht: Auch die Mitarbeiter selbst müssen sich darauf einstellen, dass sie für den Arbeitsalltag von morgen stetige Updates benötigen. Weiterbildung wird für alle von der analogen Kür zur digitalen Pflicht.

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Als Buzzword ist „lebenslanges Lernen” keine neue Erscheinung. Politiker, Firmenlenker, Gewerkschafter: Sie alle betonen seit Jahren den wachsenden Stellenwert von Weiterbildung. Tatsächlich hat sich auch viel getan, wie Auswertungen des IW Köln zeigen: Hatte 1979 gerade einmal jeder fünfte Erwerbstätige in Deutschland eine Weiterbildung absolviert, waren es zuletzt 60 Prozent. Die Betriebe geben jährlich 33,5 Milliarden Euro für Weiterbildung aus – das sind über tausend Euro pro Mitarbeiter.

(Fotos: Kevin Münkel, Model: Neele Schütze)

Und dennoch: Das Engagement reicht noch lange nicht aus. Denn der große Umbruch in der Arbeitswelt hat gerade erst begonnen. Die rasanten Fortschritte bei künstlicher Intelligenz verleihen der Digitalisierung neues Tempo – und Führungskräften in Unternehmen dämmert längst, dass sich die Aufgabenverteilung zwischen Mensch und Maschine in naher Zukunft drastisch verändert. In einer Umfrage der Beratung McKinsey unter euro­päischen Managern gab kürzlich mehr als die Hälfte der Befragten an, dass in den kommenden fünf Jahren mindestens ein Viertel ihrer Mitarbeiter neue Kompetenzen braucht. Dass sich die Herausforderungen der Automatisierung und Digitalisierung vor allem durch Neueinstellungen lösen lassen, glauben indes nur sieben Prozent.

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Um nicht vom Fachkräftemangel gelähmt zu werden, müssen also groß angelegte Weiterbildungsinitiativen her. Erste Unternehmen haben das erkannt – doch in der Gesamtwirtschaft ist davon aktuell viel zu wenig zu sehen: „Noch denken viele Unternehmen nicht strategisch genug über Weiterbildung nach”, sagt Anna Wiesinger, Associate Partner bei McKinsey. „Sie versuchen, die Lücken zu schließen, die sich auftun. Aber eigentlich müssen sie überlegen: Welchen Mangel an Fähigkeiten und Fachkräften wird es in fünf bis zehn Jahren geben?”

Einfache Antworten auf die Frage gibt es nicht. Zumal sie im Grunde gleich mehrere Probleme adressiert: Einerseits gibt es Menschen, die für ihre jetzige Tätigkeit neue Dinge lernen müssen, zum Beispiel mit einer neuen Software umzugehen. ­„Upskilling” nennen das die Autoren der Studie, die ­McKinsey zusammen mit der Sozialunternehmer­organisation Ashoka durchgeführt hat. Andererseits entstehen ganz neue Jobs, vom E-Commerce-Kaufmann bis zum KI-Ingenieur, und damit auch neue Anforderungen an Wissen und ­Fähigkeiten der Menschen, die diese Jobs ausüben sollen. Sie brauchen nicht nur Trainings, sondern Umschulungen, also ein „Reskilling”.

Digitale Grundausbildung für alle

Vergleichsweise weit verbreitet ist nach Einschätzung der Ex­perten das „Upskilling”, dessen Logik klassischen Weiterbildungen entspricht. Neu ist, dass nicht mehr nur eine Handvoll von Mitarbeitern geschult werden muss, sondern ganze Teams und Abteilungen. Und dass nicht nur der Umgang mit neuen Programmen gelehrt wird, sondern ein grundlegendes Verständnis für neue Geschäftsmodelle und Arbeitswelten geschaffen werden muss. Digital wird neben Englisch und Deutsch in vielen Firmen die dritte Arbeitssprache.

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Beispiel Otto: Der Katalog wird im Herbst zum letzten Mal gedruckt, mehr als 90 Prozent der Umsätze stammen mittlerweile aus digitalen Produkten. Unter den knapp 50.000 Mitarbeitern bleiben aber viele, die den Großteil ihres Berufslebens mit dem alten Versandgeschäft verbracht haben. Personalchefin Sandra Widmaier erwartet zudem, dass sich in fünf Jahren 40 Prozent der Arbeit im Konzern in Projekten abspielen wird. „Das bringt für das Unternehmen und für die Mitarbeiter eine unglaubliche Veränderung mit sich – und vieles davon ist erst einmal sehr ungewohnt.”

Darum verändert sich jetzt erst einmal die Strategie, um die Mitarbeiter mitzunehmen: „Wir müssen unsere Weiterbildungsbudgets neu allokieren”, sagt Widmaier. Gerade testet der Konzern eine neue Digitalisierungsgrundausbildung: Mit ­Spielen und 50 Stunden Videomaterial quizzen sich 400 Mitarbeiter aus allen Hierarchieebenen und Abteilungen durch Fragen zur Such­maschinenoptimierung und dem Aufbau digitaler Produkte. Bewährt sich das speziell auf den Konzern zugeschnittene Programm, soll es für alle Mitarbeiter ausgerollt werden. Gelernt werden kann zu jeder Zeit und an jedem Ort – aber verpflichtend: „Wir müssen nicht nur die Kollegen zwischen 40 und 60 schulen, sondern auch die, die von den Universitäten kommen.” Selbst die Generation der Digital Natives ist für Otto nicht automatisch ­digital genug. Wenn die Wettbewerber Amazon und Zalando ­heißen, liegen die Anforderungen höher.

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Mit den Lernhäppchen, die das Wissen der Belegschaft um neue Technologien und Geschäftsmodelle stärken sollen, ist Otto in guter Gesellschaft. Unternehmen quer durch alle Branchen und Größen schreiben sich Disruption und Transformation auf die Fahnen – und wollen dafür nun das Fundament legen. Der ­Detmolder ­Mittelständler Weidmüller etwa, der mit Reihenklemmen für die Verbindung elektrischer Leitungen Marktführer ist, sieht sich selbst auf dem Weg zum Lösungsanbieter für die vernetzte Industrie. An vielen Stellen im Unternehmen dreht sich deswegen nun alles um Software und Robotik, in der Produktion wird mit der Datenbrille Hololens experimentiert.

Bei Weidmüller laufen die Weiterbildungsfäden in der unternehmenseigenen Akademie zusammen. Solche eigenständigen Abteilungen haben in den vergangenen Jahren viele Konzerne und Mittelständler aufgebaut, um das Thema aufzuwerten und eine eigenständigere Arbeit zu ermöglichen. Vom Unternehmenssitz in Detmold aus steuert Eberhard Niggemann, Leiter der Weidmüller-Akademie, die Upskilling-Bemühungen für die weltweiten Produktions- und Vertriebsstandorte: „Es müssen nicht alle 4.700 Mitarbeiter zu IT-­Experten werden. Aber jeder muss ein Bewusstsein für die Digitalisierung bekommen.”

Umschulen wird üblicher

Doch so richtig und wichtig es ist, Mitarbeitern eine Art Basiswissen zu vermitteln und sie mit neuen Tools am Arbeitsplatz vertraut zu machen: Das Fachkräfteproblem ist damit noch nicht gelöst – und noch zu wenige Unternehmen sehen in der eigenen Belegschaft die Lösung dafür: „Die meisten Ansätze gehen derzeit eher in die Richtung Upskilling”, sagt McKinsey-Beraterin ­Wiesinger. „Doch ein Unternehmen, das in Zukunft wachsen will, vor allem im digitalen Kontext, wird nicht darum herumkommen, Mitarbeiter umzuschulen.” In der Vision von Forschern werden beispielsweise aus ungelernten Produktionshelfern Facharbeiter für die Industrie 4.0, aus ­CNC-Fräsern 3D-Druck-Ingenieure und aus heutigen Controllern die Data ­Scientists von morgen.

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Auch bekannte Großunternehmen, die sich eigentlich über ­einen mangelnden Zuspruch von Bewerbern nicht beklagen können, müssen umdenken. Irgendwo zwischen Up- und Reskilling zu verorten ist etwa ein Weiterbildungsvorhaben der Otto-­Gruppe in einer ­Service-Gesellschaft für die Buchhaltung. Dort übernimmt künstliche Intelligenz mehr und mehr der Standardbuchungen. Die Arbeitsplätze sollen dennoch erhalten bleiben – Mitarbeiter werden deswegen jetzt stärker für komplizierte Fälle geschult.

(Fotos: Kevin Münkel,Model: Neele Schütze)

Die neue Weiterbildungswelt verlangt auch Arbeitnehmern viel ab. Sie müssen bereit sein, sich immer wieder neues Wissen anzueignen. Denn: Garantien für den Fortbestand des heutigen Arbeitsplatzes verschwinden mehr und mehr. Die große Chance: Ein eintöniges Arbeitsleben kann so zu einem Pfad werden, der alle paar Jahre in neue Richtungen führt. „Es wird anspruchsvoller, da muss man die Mitarbeiter behutsam hinführen”, sagt Widmaier.

Der Technologiekonzern Bosch, für den weltweit 402.000 Menschen arbeiten, hat gerade eine umfassendere Reskilling-­Offensive gestartet. Dutzende Ingenieure, die bisher Maschinen­software geschrieben oder an Hardware getüftelt haben, bekommen die ­Chance, Programme mit bis zu 120 Lernstunden an der Hochschule oder Online­trainings zu absolvieren. Sie sollen künftig an Software für Endnutzer arbeiten – in der Produktwelt von Bosch nimmt die einen immer höheren Stellenwert ein. Ein ähnliches Vorhaben gibt es für Mitarbeiter der Automobilsparte, die sich bisher mit klassischen Antrieben befasst haben und nun für die E-Mobilität fit gemacht werden.

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„Die Helden der Zukunft sind die, die nicht nur ­Fachwissen haben, sondern es auch weitergeben.“

All diese Umschulungen kosten Zeit und Geld – allein aus ­sozialer Verantwortung werden sie nicht vorangetrieben. Vielmehr will sich der Konzern nicht nur auf externe Bewerber verlassen. Denn selbst wenn Neueinsteiger auf dem Papier die passenden Quali­fikationen haben, beherrschen sie damit noch nicht genau die Programmiersprachen und Detailkenntnisse, die bei Bosch gefragt sind. „Es gibt einen sehr viel höheren Qualifizierungsbedarf als in der Vergangenheit”, sagt Ingo Rendenbach. Der Leiter des Robert-Bosch-Kollegs hat zusammen mit Kollegen die Initiative „Bosch Learning Company” und Bosch Training Centers gegründet, die Mitarbeiter hinsichtlich der digitalen Transformation qualifizieren und dafür moderne Lernmethoden zur Verfügung stellen will. Das Ziel: „Wir wollen erreichen, dass Lernen fest zum beruflichen Alltag gehört.”

Die Aussage, die neuerdings ähnlich auch bei anderen Unternehmen zu hören ist, klingt banal. Tatsächlich zeugt sie von einem deutlichen Umdenken der Arbeitgeber. Jahrzehntelang haben sie Weiterbildungen vor allem als Zugeständnis an Gewerkschaften und Betriebsräte betrachtet. Die erstritten eine fixe Zahl von Fortbildungstagen – zum Ärger von Abteilungsleitern, die es vor allem als lästig ansahen, für abwesende Mitarbeiter eine Vertretung finden zu müssen. Jetzt fordern erste Unternehmen plötzlich von den Mitarbeitern Weiterbildungen ein – und stellen ihre bisherigen Programme auf den Prüfstand.

„Unternehmen müssen ihre Weiterbildung ganz anders orga­nisieren als bisher”, sagt Gabriele Koge, die beim Fraunhofer ­Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) in Stuttgart zum Thema forscht. „Einfach mehr vom Alten wird nicht funktionieren.” Bis heute läuft es in vielen Unternehmen so: Mitarbeiter wählen einmal im Jahr einen beliebigen Kurs aus einem Katalog aus – und finden sich dann zusammen mit Kollegen in einem Schulungsraum beim Frontalunterricht wieder. Auch abteilungsweise verordnete Pflichtveranstaltungen sind gang und gäbe.

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Doch in einer Arbeitswelt, in der sich die Anforderungen ständig verändern, stößt die herkömmliche Weiterbildungspraxis an ihre Grenzen. Die Gründe sind vielfältig: Einmalige Schulungen aus dem Seminarkatalog etwa passen oft zu wenig zum tatsächlichen Arbeitsalltag der Mitarbeiter und mangels Wiederholung verpufft die Wirkung schnell. Von oben verordnete Weiterbildung ist auch problematisch: Es ist kaum möglich, zentral zu erkennen, welche Abteilung welche Weiterbildung braucht – schon gar nicht ein Jahr im Voraus. Eine Erkenntnis daraus: „Weiterbildung muss sich dezentralisieren und sie muss agiler werden”, sagt Korge.

Helfer aus der digitalen Welt

Zumindest technisch steht dem nichts mehr im Weg: Online-­Angebote ermöglichen zeit- und ortsunabhängiges Pauken – und sie können stark auf unterschiedliche Lerngewohnheiten zugeschnitten werden. Nicht nur Geschäftsprozesse werden digitalisiert, sondern auch die Weiterbildung, die Mitarbeiter darauf vorbereiten soll. Gut die Hälfte der Betriebe, die das IW Köln im vergangenen Jahr befragt hat, bietet bereits Lernvideos, Podcasts und internetbasierte Weiterbildungen an. 20 Prozent nutzen digitale Arbeitsmittel wie 3D-Drucker als Lernmedium.

Der Elektronikspezialist Weidmüller macht sich gerade auf, einen „digitalen Zwilling” der vor 15 Jahren gegründeten Aka­demie aufzubauen. Künftig, so die Idee, soll in der „E-Academy” ein Großteil der 120 Seminare aus dem Weiterbildungskatalog auch online verfügbar und damit für alle Mitarbeiter jederzeit und von überall aus zugänglich sein. Auch neue Formate treibt Akademiechef Niggemann voran. Stolz verweist er darauf, dass das Unternehmen vor einem Jahr ein eigenes Videostudio eingerichtet hat. Sogar Trainer vom Fernsehen habe man angeheuert. Mit unterhaltsamen Bewegtbildinhalten sollen Mitarbeitern neue Produkte, strategische Entscheidungen oder auch neue Tools nähergebracht werden. Vor der Kamera stünden Azubis genauso wie Produktmanager oder Vorstände, so Niggemann.

Bosch setzt ebenfalls stark auf Lernvideos, um Wissen zu teilen und Mitarbeiter zu vernetzen. Der Konzern baut derzeit eine Art internes Youtube auf, das Anfang des kommenden Jahres starten soll. Mitarbeiter sollen auch auf eigene Initiative hin ­Videos drehen und hochladen: „Die Helden der Zukunft sind die, die nicht nur Fachwissen haben, sondern es auch weitergeben”, sagt Bosch-Manager Rendenbach. Er ist optimistisch, dass sich Mitarbeiter durch die Interaktionsmöglichkeiten angespornt fühlen: „Boschtube ist die Bühne, Likes sind der Applaus.” Und die Nutzer, so das Kalkül, kommen auf die Plattform, wenn sie bei einer neuen Aufgabe selbst nicht weiterkommen – so wie sich viele bei privaten Projekten ein Tutorial bei Youtube ansehen.

Nicht jedes Unternehmen hat das nötige Kapital und Know-how, um aufwendig eigene Inhalte zu produzieren. Und nicht immer gibt es intern jemanden, der überhaupt das Fachwissen hat, das vermittelt werden soll. Die gute Nachricht ist: Dank der Digitalisierung ist die Palette an möglichen Anbietern größer geworden. Auch in der Weiterbildungswelt werden deswegen Ökosysteme wichtiger – eine Mischung aus eigenen Angeboten, ergänzt um den Austausch mit Kunden und Lieferanten und das Andocken von zahlreichen zusätzlichen Dienstleistern.

Verhältnismäßig neu dabei sind Onlineakademien wie Udemy oder Udacity, die etwa für Audi eine große Weiterbildungsinitiative in den Feldern Big Data und künstliche Intelligenz begleiten. Mit der Code University oder der XU University entstehen neue Hochschulen, die ganz gezielt auf die Aus- und Weiterbildung für die Digitalisierung setzen. Aus einem Basisangebot werden dann häufig einzelne Module oder Aufgaben an die jeweiligen Unternehmen angepasst. „Die Weiterbildungen werden immer indi­vidueller”, berichtet XU-­Co-Geschäftsführerin Nicole Gaiziunas. In Form einer solchen Cocreation lief auch die Zusammenarbeit von Ottos Upskilling-Piloten, der mit dem Bochumer Startup Masterplan entwickelt wurde – das hat sich genau mit dem Ziel gegründet, Wissen in und für Firmen neu aufzubereiten.

(Fotos: Kevin Münkel,Model: Neele Schütze)

Immer mehr Anfragen von Unternehmen vermeldet auch das Braunschweiger Bildungs-Startup Fabmaker. Gestartet als Anbieter von 3D-Druckern und passenden Lernkonzepten für Schulen, bildet das Startup mittlerweile immer häufiger Angestellte aus Konzernen weiter: „Der 3D-Druck ist ein gutes Beispiel, um die Vernetzung von realer und digitaler Welt zu demonstrieren”, sagt Gründer Dean ­Ciric. Die Bandbreite der Anfragen ist groß. Mal wollen Produktionsmitarbeiter ganz genau wissen, wie die Konstruktion bei additiven Fertigungsverfahren aussieht, mal sollen Vertriebsmitarbeiter ganz allgemein erleben, wie sich Produkte in der digitalen Welt verändern können. „Denkprozesse und Horizonte verändern sich”, beschreibt ­Ciric seine Erfahrungen mit den Weiterbildungsverantwortlichen.

Der Instrumentenkasten, aus dem sich Unternehmen ein geeignetes Weiterbildungsangebot zusammenstellen können, war nie größer als heute. Doch all die innovativen Tools und ­Ansätze sind sinnlos, wenn sie kaum jemand nutzt. „Selbstorgani­sa­tion wird in der Weiterbildung immer wichtiger”, sagt ­Fraunhofer-Forscherin Korge. „Allerdings darf man nicht unterschätzen, wie schwierig das ist.” Um die vielen Angebote wahrzunehmen, brauchen Mitarbeiter Freiheiten – und sie müssen lernen, diese auch zu nutzen.

Der Weg zu einer neuen Firmenkultur

Den Mangel an Freiheit kennen viele Angestellte aus eigener Erfahrung. Es gibt genug Chefs, die schon ausflippen, wenn sich ein Mitarbeiter am Arbeitsplatz ein Youtube-Video ansieht – auch, wenn der Inhalt bei einer aktuellen Problemstellung hilft. Und an intensive Online­kurse ist kaum zu denken, wenn schon die alltägliche Arbeitslast für Überstunden sorgt. In einer Befragung des IT-Verbands Bitkom beklagten im vergangenen Jahr sieben von zehn Erwerbstätigen, dass sie im Job keine Zeit für Weiterbildungen haben.

Dahinter steckt in vielen Fällen ein tieferliegendes Problem: In Konzernen und Familienunternehmen gelten traditionell strenge ­Hierarchien, die kaum vereinbar mit der neuen Weiterbildungswelt sind, die auf Dezentralisierung und Eigeninitiative setzt. Der nötige Kulturwandel kann deswegen nur gelingen, wenn die Unternehmensspitze ihn vorantreibt. Anna Wiesinger von McKinsey empfiehlt Konzernen, gleich mehrere Vorstände auf Weiterbildungsfragen anzusetzen: „Ideal ist ein Trio”, sagt sie. „Der CEO für die übergreifende Strategie, der CIO als digitaler Treiber und der CHRO, der für die Frage zuständig ist: ,Welche Skills brauchen wir dafür?‘”

Wie wichtig die Unterstützung der Konzernspitze ist, hat auch Rendenbach erfahren. Zwar betont der Bosch-Manager, dass die „Bosch Learning Company” kein zentral gesteuertes Programm ist, sondern eher einer Graswurzelbewegung mit inzwischen 130 Mitstreitern gleicht. Doch er sagt auch: „Lernen wurde in der HR- und Konzernstrategie fest verankert. Das gibt uns den nötigen Rückhalt.” Führungskräfte würden gezielt für das Thema sensibilisiert – und zunehmend daran gemessen. In Beurteilungen fließt nun ein, was die Manager in Sachen Lernen unternehmen. Etwa, ob den Mitarbeitern dafür Zeit eingeräumt wird.

Auf den Blick über den Tellerrand setzt Otto. Bei der Schulung von Führungskräften gehört eine „Learning Journey” zum Programm: Manager werden in Startups oder zu Digitalunternehmen wie Xing und Axel Springer geschickt, um sich anzuschauen, wie Wandel woanders aussieht. Bei den einen erleben sie, wie Freiräume Mitarbeiter kreativ werden lassen. Bei den anderen steht im Vordergrund, wie permanent neue Kompetenzen für digitale Technologien aufgebaut werden. Als Vorbild in dieser Hinsicht dient oft auch Google. Laszlo Bock, langjähriger Personalchef des Internetriesen, setzt bei der Weiterbildung auf drei Bau­steine: Trainiert wird stets an Aufgaben aus der Praxis, gelehrt wird immer von den besten Leuten und explizite Weiterbildungskurse gibt es nur, wenn sie auch grundlegend das Verhalten ändern.

Meta Skills fürs Lernen

Ein Selbstläufer sind Freiräume wie diese jedoch nicht. Den eigenen Weiterbildungsbedarf zu erkennen, ihn klar zu formulieren, das eigene Lernen zu gestalten und mit Zielen zu messen, es zeitlich zu organisieren: Das alles will ernst gelernt sein. IAO-Forscherin ­Korge spricht von „Selbstlernkompetenz”, die vermittelt werden muss. McKinsey nennt es etwas flotter „Meta Skills”. Die Weiterbildungsverantwortlichen, da sind sich die Expertinnen einig, müssen deswegen zunehmend zu Begleitern werden, die den Rahmen erweitern, innerhalb dessen Mitarbeiter lernen: ­„Coaching und Mentoring wird in der ­Weiterbildung immer wichtiger”, sagt McKinsey-Beraterin Wiesinger.

Eine Art, das betriebliche Lernen neu zu organisieren, liefert das Fraunhofer IAO mit dem ZNL Transferzentrum für ­Neurowissenschaften und Lernen: Das sogenannte „Sprint­lernen” orientiert sich an den Ansätzen zum agilen Management und dem aus der Softwareentwicklung bekannten Projekt­managementmodell Scrum. Eine zentrale Idee: In den Unternehmen soll jeder Bereich selbst den Bedarf zum Aufbau von Kompetenzen bestimmen und dann gemeinsam mit begleitenden Experten das Lernen organisieren.

An dem Konzept orientiert sich auch Bosch: „Team ­Competence Evaluation” nennt das Unternehmen ein neues Instrument. Dabei sitzt das Team regelmäßig zusammen, um gemeinsam zu analysieren, welche neue Kompetenzen künftig gebraucht werden. Vermittelt werden können diese dann über klassische Seminare, zunehmend aber eben auch über neue Formen. So gibt es sogenannte „Working-­out-loud-Sessions, bei denen sich Kollegen über einen Zeitraum von drei Monaten einmal wöchentlich für eine Stunde treffen und lernen, sich gezielt ein virtuelles Expertennetzwerk aufzubauen.

Wo Unternehmen das „informelle Lernen” vorantreiben, drohen aber auch Widerstände – oft schon in der Personalab­teilung. Denn, anders als bei einem mit Zertifikat abgeschlossenem ­Seminar, lässt es sich kaum in der Personalakte festhalten, wenn Mitarbeiter sich zwischendurch Lernvideos ansehen. Und wenn alle permanent lernen, wie wichtig sind dann noch formelle Dokumente wie ­Zeugnisse? Bosch-Manager Rendenbach ist sicher: „Schon bei Einstellungs­gesprächen wird die Frage, ob und wie jemand lernt, zu einem zentralen Kriterium.”

Kopfzerbrechen bereitet die neue Lernkultur auch ­Controllern: Sie können kaum noch beziffern, wie viel Zeit Mitarbeiter für Weiterbildungen aufwenden. Und auch die Ausgaben des Unternehmens lassen sich nicht mehr präzise bestimmen. Schon jetzt seien die jährlichen Weiterbildungsausgaben von 260 Millionen Euro, die auf der Bosch-Homepage angegeben sind, bestenfalls ein Näherungswert, so Rendenbach. „Man kann nicht mehr alles in Budgets und Weiterbildungstagen messen”, sagt er. „Weiter­bildungskennzahlen aus der Vergangenheit verlieren an Bedeutung.”

Eine andere Kennzahl aus dem Personalbereich dürfte jedoch weiter an Bedeutung zunehmen: die Vakanzzeit. Zuletzt dauerte es bereits 105 Tage, bis eine Stelle in Deutschland besetzt werden ­konnte. Laut Arbeitsagentur hat sich dieser Wert innerhalb eines Jahres um neun Tage verlängert. In einer Welt, in der sich die Jobs schon verändert haben können, bis die Stellenanzeige freigegeben ist, bremst das die Unternehmen massiv aus. Mit einer ­Strategie des lebenslangen Lernens aber gehen Weiterbildung der ­Angestellten und Weiterentwicklung des Geschäftsmodells im Idealfall Hand in Hand. Über kurz oder lang können sich so auch die Widersprüche zwischen Karriereseiten und Kündigungs­wellen auflösen. Der nächste Wandel wird dann im Intranet angekündigt – inklusive Links und Angeboten zu den notwendigen Schulungen für die Mitarbeiter.

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