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„Nur durch Ausprobieren kann man Verstehen.“ – Richard Gutjahr im Gespräch

Der Journalist Richard Gutjahr berichtet auf eigene Faust via Internet – ob aus der iPad-Warteschlange oder über die Aufstände in Ägypten. Geschickt nutzt er die neuen Möglichkeiten des Webs von Blog bis Facebook. Im Gespräch mit t3n erklärt er, welche Chancen und Gefahren sich aus dem Medienwandel ergeben.

8 Min. Lesezeit
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(Foto von: Mathias Vietmaier, Lizenz: CC BY-NC-SA 3.0)

(Foto von: Mathias Vietmeier, Lizenz: CC BY-NC-SA 3.0)

t3n Magazin: Sie nutzen Social Media und andere Kanäle ausgiebig, um eigene Formen der Berichterstattung umzusetzen. Das kann aus der Warteschlange fürs erste iPad sein oder vom Tahrir-Platz in Kairo. Was reizt Sie eigentlich am Beruf des Journalisten so sehr, dass Sie selbst „nach Feierabend“ nicht genug davon bekommen? Ist der „rasende Reporter“ ein Kindheitstraum?

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Richard Gutjahr: Ich wollte früher Astronaut werden, Lokomotivführer und solche Dinge. So kennt man das ja von kleinen Jungen. Aber dass ich Journalist werden wollte, kam erst relativ spät. Eigentlich ist das erstaunlich, denn ich habe einiges in Sachen Medien gemacht, beispielsweise Filme mit Super-8 gedreht oder mir mit Klebstoff und Schere meine eigene Zeitung gebastelt. Ich habe übrigens tatsächlich versucht, diese Zeitung auf der Straße zu verkaufen. Der eigentliche Anstoß, Journalist zu werden, war 1989 der Mauerfall. Ich war zu dem Zeitpunkt zum Highschool-Austausch in Wyoming und habe bei diesem Ereignis mitbekommen, wie spannend das Leben ist. Ich finde das spannender als alle James-Bond-Filme. Filme kommen an die Realität einfach nicht heran, egal wie viele Spezialeffekte sie haben. Da war für mich der Moment, wo ich den Entschluss gefasst habe: Ja, ich will diese Geschichten erzählen.

t3n Magazin: Ist das der Grund, warum Sie zusätzlich so sehr im Internet aktiv sind? Schließlich haben Sie praktisch alle klassischen Medien zur Verfügung: Sie moderieren im Fernsehen, schreiben für die Zeitung. Wozu noch online?

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Richard Gutjahr: Mein Ansporn ist: Ich will derjenige sein, der das Internet eines Tages vollgeschrieben hat. Vorher bin ich nicht zufrieden. Nein, Scherz beiseite. Das Internet ist eine natürliche Fortschreibung dessen, was wir Menschen von jeher getan haben: uns informiert und Geschichten erzählt. Bei den klassischen Medien hat mir da etwas gefehlt: der Rückkanal. Der ist jetzt da und wir wissen noch gar nicht so genau, was wir mit diesem Geschenk anfangen wollen und können. Wir tasten uns derzeit alle voran, um das herauszufinden. Ich sehe mich als Journalist geradezu in der Pflicht, mich auf diesem Feld weiterzuentwickeln. Schließlich sind Informationen das, womit wir unser Geld verdienen.

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t3n Magazin: Längst nicht alle Journalisten würden unterschreiben, dass das Internet für sie Pflicht sei. Wie begründen Sie das solchen Kollegen gegenüber?

Richard Gutjahr: Ein wichtiges Beispiel: Durch Kanäle wie Twitter habe ich Informationen teilweise erheblich früher. Ich moderiere eine Nachrichtensendung im dritten Programm der ARD beim Bayerischen Fernsehen und hatte gerade kürzlich wieder den Fall, dass ich über ein Ereignis durch Twitter eine Stunde früher Bescheid wusste als die offiziellen Nachrichtenredaktionen. Eine Stunde ist eine halbe Ewigkeit in unserem Geschäft. In dieser Zeit kann man recherchieren, sich um Bilder kümmern, eine Falschmeldung entlarven und vieles mehr. Ich bin der Meinung: Wir können es uns gar nicht leisten, nicht mit diesen neuen Kanälen zu arbeiten. Das wäre so, als würde man sagen: Ich brauche kein Telefon. Das ginge sogar, aber wer würde denn freiwillig auf so ein Hilfsmittel verzichten?

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t3n Magazin: Trotzdem sind Sie weiterhin in klassischen Medien aktiv. Was sind die Gründe dafür? Wo haben diese Medien ihre Stärken?

Richard Gutjahr: Man erreicht mit den klassischen Medien auf einen Schlag noch immer sehr viel mehr Publikum, als man das mit einem Blog, per Twitter oder Facebook schafft. Man kann auch nicht über Jahrzehnte entwickelte Traditionen mit einem Handstreich verändern. Auch die Blogosphäre läge falsch mit der Meinung, man bräuchte keine klassischen Massenmedien mehr. Das wäre mindestens so ignorant und kurz gesprungen, wie ich das manchmal in den alten Medien gegenüber den Bloggern erlebe.

t3n Magazin: Lassen sich denn diese neuen und alten Kanäle miteinander verbinden?

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Richard Gutjahr: Ich glaube, dass wir uns beide Welten sehr genau anschauen müssen. Es geht darum, Dinge auszuprobieren und nicht nur auf Podien darüber zu diskutieren. Nur durch Ausprobieren kann man verstehen, womit man es eigentlich zu tun hat. Das gilt übrigens in beide Richtungen gedacht. Erst wenn man beide Welten und die Systematiken dahinter verstanden hat, kann man anfangen, eine neue Welt zu erschaffen.

t3n Magazin: Vermehrt wird darüber diskutiert, wie man Qualitätsjournalismus überhaupt noch finanzieren kann, auch und gerade im Internet. Sehen Sie das auch als ein Problem? Oder ist das aus Ihrer Sicht eher eine Ausrede?

Richard Gutjahr: Man muss drei Gruppen unterscheiden, wenn man sich anschaut, wie gut sich Journalismus finanzieren lässt. Da haben wir zum einen die öffentlich-rechtlichen Rundfunkhäuser, die in der Tat gut ausgetattet sind. Die zweite Gruppe sind die Verleger. Die haben lange wie die Made im Speck gelebt und leben heute noch immer gut, wenn auch nicht mehr so gut wie vor zwanzig Jahren. Und als Drittes haben wir jene, die ich jetzt einmal als Idealisten bezeichnen möchte, beispielsweise Blogger. Die machen das größtenteils aus eigenem Ansporn und ohne Bezahlung. In Zukunft wird es einen Mix aus diesen drei Welten geben. Wir werden eine Grundversorgung durch die Öffentlich-Rechtlichen auch im Internet brauchen. Warum? Weil ich mein Wissen nicht nur allein von Augenzeugen vor Ort via Twitter haben möchte. Ich möchte zugleich einen Korrespondenten haben, auf den ich mich verlassen kann und bei dem ich nicht erst recherchieren muss, wie denn sein Hintergrund ist und wer ihn bezahlt. Ich will aber ebenso private Unternehmen wie Facebook, Google und andere. Die bringen das Netz voran. Und als drittes will ich eine weitere Instanz von Öffentlichkeit, die den anderen beiden auf die Finger klopft und eine Gegenöffentlichkeit darstellt: Blogger, Amateure, gewöhnliche Menschen. Im Zusammenspiel dieser Kräfte haben wir etwas Gesundes. Das ist eine homogene Medienöffentlichkeit. Ich möchte von keiner dieser Quellen allein abhängig sein.

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t3n Magazin: Ist denn von dieser neuen Medienlandschaft schon irgendetwas zu sehen oder ist das alles Zukunftsmusik?

Richard Gutjahr: Es gibt einige gute Ansätze, vorzugsweise im Ausland. Ich frage mich: Warum beschäftigen nicht mehr klassische Medien Blogger? Die New York Times macht das ganz hervorragend. Aber auch Spiegel Online oder die FAZ haben damit begonnen. Ich könnte mir darüber hinaus vorstellen, dass künftig Verleger mit den Öffentlich-Rechtlichen zusammenarbeiten, zum Beispiel für gemeinsame Mediatheken. Es gibt viele Möglichkeiten für Kooperationen, wenn man bereit ist, seine eigene Komfortzone zu verlassen und nicht nur in den eingetretenen Pfaden denkt. Es bringt eben nichts, sein Denken aus den letzten 50 Jahren einfach auf die neuen Medien zu übertragen. Das kann nur schiefgehen.

t3n Magazin: Den neuen Kanälen im Netz wird eine demokratisierende Kraft nachgesagt. Wie realistisch ist das?

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Richard Gutjahr: Im Englischen gibt es das Sprichwort: „Be careful what you wish for.“ Ganz so einfach wie manche denken, ist es nicht. Es reicht nicht, den Menschen Facebook und Twitter zu geben und schon bricht überall auf der Welt Frieden und Demokratie aus. Man muss sich zudem bewusst sein, dass diese neuen Technologien ebenso gegen ein Volk verwendet werden können. Man denke an China, aber Tendenzen gibt es auch in den USA und bei uns. Ich nenne hier nur einmal die Vorratsdatenspeicherung, den „Bundestrojaner“ und ähnliches. Die technischen Möglichkeiten wecken Begehrlichkeiten auch bei den Machthabern. Und nicht zu vergessen: Wenn Menschen geschickt auf der Klaviatur der Sozialen Netzwerke spielen, dann können sie diese für ganz furchtbare Dinge nutzen. Ich sehe darin also kein „Wundermittel“. Es kommt darauf an, was man aus einer Technologie macht. Ich glaube dennoch, dass von allen bisherigen Medien das Web am meisten dazu beitragen kann, für demokratische Strömungen zu sorgen. Allein schon aus seiner dezentralen Struktur heraus: Es gibt eben nicht den einen, dem die Druckerpresse oder der Sendemast gehört. Stattdessen sind es unglaublich viele, die Informationen verbreiten können. Deshalb ist es auch unglaublich viel schwerer, die Wahrheit zu unterdrücken oder zu manipulieren.

t3n Magazin: Dazu passt ein Phänomen wie WikiLeaks, wo ursprünglich geheime Informationen offengelegt werden. Hinzu kommt das Thema Hacker mit Gruppen wie Anonymous und LulzSec, die für viel Aufsehen sorgen. Kommt da eventuell gar eine Generation von „Hacker-Journalisten“ auf uns zu?

Richard Gutjahr: Was das angeht, bin ich schon fast ein bisschen konservativ. Ich bin der Meinung: Was in der realen Welt verboten ist, gilt auch im Netz und umgekehrt. Wenn Hacker in Systeme eindringen und Schaden verursachen, dann muss man dem nachgehen. Und „Hacker-Journalisten“ gab es im Prinzip schon: Journalisten haben sich beispielsweise Zugang zu E-Mails verschafft. Wenn dahinter aber nur die Lust nach Sensation steckt und kein gesellschaftliches Interesse, dann halte ich das für eine schlimme Abart des Journalismus. Die hat es übrigens genau so auch schon in der analogen Welt gegeben. Das ist keine Erfindung des Internet.

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t3n Magazin: Hier gibt es natürlich eine Zwickmühle für Journalisten: Wie geht man damit um, wenn ein Hacker vertrauliche Informationen anbietet, die einen Skandal aufdecken? Muss man das als klassisches Medium nicht praktisch veröffentlichen, bevor es andere sowieso tun? Sehen Sie diesen Druck als Gefahr für den journalistischen Standard?

Richard Gutjahr: Wie eben schon gesagt: Ich glaube nicht, dass in der Onlinewelt andere Gesetze gelten als in der analogen. Wenn ein Journalist eine gute Story hat, die für einen Großteil der Gesellschaft relevant ist, dann wird er sie bringen. Wenn ein Druck in der Onlinewelt zunimmt, dann ist es der Aktualitätsdruck. Ob eine Geschichte gut oder schlecht ist, wird dagegen nach den gleichen Kriterien beurteilt wie eh und je. Man muss dabei auch sehen: Einerseits kann man einen Skandal mit einem Mausklick einer Weltöffentlichkeit mitteilen. Andererseits wird dieser scheinbare Vorteil dadurch egalisiert, dass das wirklich jeder kann. Damit wird es für den einzelnen wiederum schwerer, mit seiner Story überhaupt Gehör zu finden. Anders gesagt: Man hat zwar die Möglichkeit, ein Millionenpublikum zu finden, aber die anderen haben es auch.

t3n Magazin: Ein weiterer Bereich, wo Journalisten bedrängt werden, sind die immer ausgefeilteren Algorithmen, mit denen Newswebsites oder auch digitale Magazine automatisch erstellt werden. Werden Journalisten hier bald ersetzt oder viel eher ergänzt?

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Richard Gutjahr: Die Auseinandersetzung auf diesem Gebiet ist schon in vollem Gange. Google ist mit seinem Newsangebot nur die Spitze des Eisbergs. Und wir sehen, wie vehement Verleger versuchen, dagegen vorzugehen. Heruntergebrochen auf das Berufsbild des Journalisten heißt das: Ja, das ist eine Konkurrenz. Auch Facebook ist eine Konkurrenz, wo kein Chefredakteur mehr über die Wichtigkeit einer Nachricht entscheidet, sondern wo die eigenen Freunde das übernehmen. Und meine Freunde kennen mich, der Chefredakteur nicht. Das ist eine immense Konkurrenz und Bedrohung. Trotzdem sage ich: Journalisten werden nicht durch Algorithmen oder Soziale Netzwerke obsolet. Das sehe ich jedenfalls in naher Zukunft noch nicht. Vielleicht wirkt es sich sogar positiv aus: Wenn Journalisten diese neue Konkurrenz antreibt, besser zu werden in der Arbeit und genauer dem Publikum zuzuhören, dann ist das keine Bedrohung sondern ein Geschenk. Meine Journalistenkollegen und ich werden noch lange sehr viel zu tun haben. Davon bin ich überzeugt. Ray Kurzweil hat einmal vorhergesagt, dass 2029 der erste Computer ein Bewusstsein entwickelt. Also bis dahin haben wir noch einiges an Zeit.

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