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Kolumne
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Kollektiver Vernunftausbruch

Die kollektive Vernunft in der aktuellen ­Krise ­beeindruckt Felix Schwenzel in seiner Kolumne für Irrelevanz. Wichtig sei aber, dass wir aus der ­Krise lernen und nicht in alte Muster zurück­fallen.

Von Felix Schwenzel
3 Min. Lesezeit
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(Foto: Shutterstock / Roman Samborskyi)

Der Firnis der Zivilisation ist extrem dünn. Mir fiel das zum ersten Mal 1992 auf, nach den gewalttätigen Unruhen in Los ­Angeles. Polizisten hatten den Afroamerikaner Rodney King bei einer Verkehrskontrolle schwer misshandelt und damit tagelange Straßenschlachten ausgelöst. Am Ende gab es über 50 Tote und mehrere Tausend Verletzte. Mir wurde klar, dass unsere politische und wirtschaftliche Ordnung keinesfalls so stabil ist, wie ich mir das bis dahin gedacht hatte. Mich haben die Unruhen von Los ­Angeles politisch sensibilisiert.

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Die Coronakrise dürfte ein ­ähnliches Potenzial haben. Sie könnte uns alle ­dafür sensibilisieren, dass nicht nur die gesellschaftlichen Verhältnisse auf wacke­ligen Füßen stehen, wenn wir sie nicht aktiv stützen. Sondern auch dafür, dass wir, trotz enormer Fortschritte in Wissenschaft und Technik, immer noch ein verletzlicher Teil der Natur sind. ­Corona erinnert uns daran, dass wir die Kraft der Natur alles andere als gebändigt ­haben. Wir sind ihr, wie die Menschen vor Jahrhunderten, immer noch größtenteils ­ausgeliefert.

Vor Corona hatte ich immer wieder das Gefühl, insbesondere bei Diskus­sio­nen um den Klimawandel, dass viele Menschen glaubten, dass wir den Klimawandel, die Zerstörung unserer Lebensgrundlagen, schon irgendwie mit Technologie in den Griff bekommen. Corona hat uns gelehrt, dass wir allein mit Wunschdenken, Technikgläubigkeit oder konzentriertem Optimismus den Fortbestand unserer Zivilisation nicht sichern werden.

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Die aktuelle Krise hat aber auch gezeigt, dass wir angesichts „akuter“ ­Gefahrenlagen als Gesellschaft durchaus zu Verzicht und vernunftbasiertem Handeln fähig sind. Marktliberale haben es für lange Zeit als Ding der Unmöglichkeit angesehen, dass Menschen dazu bereit wären, Einschränkungen ihrer Lebensqualität hinzunehmen, um andere zu schützen oder globale Gefahren abzuwehren.

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Corona eröffnet uns die Chance, ­daran zu erinnern, dass die Zukunft prinzi­piell nicht planbar ist, und dass der Markt allein weder die ökonomischen oder gesellschaftlichen Folgen eines Virus ­abwehren, noch den Klimawandel ­stoppen kann. Es gibt keine Alternative zum gemeinschaftlichen Handeln, zur Vernunft, zur Solidarität, also zum Staat und zur Zivilgesellschaft.

Der weltweite Vernunftausbruch, den wir zurzeit erleben, die sinkende Luftverpestung, weil viele aufs Auto­fahren und Fliegen verzichten, die Erkenntnis, dass man in Daten­netzen Geschäfts- und Sozialkontakte pflegen und aufbauen kann, die Popularisierung des bargeld­losen Bezahlens: All das könnte aber auch ein jähes Ende erleben, wenn wir nicht auf der Hut sind. 1973, als Deutschland in einer Wirtschaftskrise steckte und der Jom-Kippur-­Krieg den Ölpreis explodieren ließ, verordnete die Bundesregierung deutschlandweit Fahrverbote und Tempolimit 100 auf Autobahnen.

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Das Sonntagsfahrverbot ließ den Benzin­verbrauch um sieben bis zwölf Prozent sinken. Viele sparten Strom, drosselten die Heizung und hielten das Tempolimit ein. Aber diese ökonomische und ökologische Sensibilität hielt nicht lange an. Schon wenige Wochen später, als der Krieg im Nahen Osten vorbei war, wurden die Fahrverbote und Tempolimits in Deutschland wieder aufgehoben, als sei nichts gewesen. Im europäischen Ausland blieben die Tempolimits übrigens bestehen. In Deutschland wagte man sich seither selbst bei weiteren Öl- und Ökokrisen nicht mehr ans Tempolimit heran.

Vielleicht bleibt ja doch etwas vom Corona-Vernunfts- und Soli­da­­ritätsaus­bruch. Zum Beispiel:

  • Die Erkenntnis, dass Verzicht nicht nur Verlust bedeutet, dass tiefgreifende Veränderungen im Lebenswandel von einer breiten gesellschaftlichen Mehrheit getragen werden – wenn die Gründe nachvollziehbar und vernünftig sind.
  • Die Erkenntnis, dass das Internet und ordent­licher Zugang zum Netz unveräußerliche Grundrechte sind, das gesellschaftliche Teilhabe ermöglicht und nicht einfach gesperrt oder wegen Infrastruktur­engpässen ­verwehrt oder kaputtgedrosselt werden darf.
  • Die Erkenntnis, dass Homeoffice nicht nur ein Incentive für Mitar­beiter, sondern die Möglichkeit, seine Arbeit­nehmer dezentral und ortsunabhängig einzusetzen, ein handfester Wettbewerbsvorteil für Unternehmen ist.

Was allerdings mit ziemlicher S­icher­heit bleiben wird bei allen künftigen ­Krisen: die Angst ums Klopapier.

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2 Kommentare
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Klaus Meier

Der Vernunftausbruch scheint in vielen Teilen der Welt eher virtuell zu sein, siehe die Lügen in China, USA oder Südamerika. Dafür wird von der WHO mit falschen Zahlen auf Schweden eingeschlagen… Gleichzeitig werden in fast allen westlichen Ländern in den Innenstädten geplündert und randaliert… natürlich im Namen der Solidarität

Ich denke ich habe ein anderes Release der Realität laufen.

P.S.
Was der Verzicht auf Bargeld mit „vernunftbegabtem“ Handeln zu tun hat, erschließt sich auch nicht.

Antworten
Martin Dewald

Ich bin auch kritisch was die bleibende Vernunft aus der Krise betrifft. Letzte Woche las ich in der Welt einen Bericht über eine Studie, die sich mit dem Glauben an Verschwörungsmythen beschäftigte, die im Zusammenhang mit Corona stehen, also 5G, Bill Gates, Mikrochips, Gedankenkontrolle, usw.

Das das Ergebnis der Studie war, dass 28% der Deutsche mindestens eine dieser kruden Mythen glauben, hat blankes Entsetzen bei mir hervorgerufen.

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