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Krankschreibung per App: Wie die Digitalisierung das Gesundheitssystem verändert

Videosprechstunde, Betreuungs-App, elektronische Akte: Patienten könnten sich bald sicherer und effizienter durch das Gesundheitssystem bewegen. Bei manchem potenziellen Nutzer überwiegt noch eine gesunde Skepsis. Doch die digitale Dosis steigt.

Von Manuel Heckel
10 Min. Lesezeit
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(Abbildung: Shutterstock / Syda Productions)

Nase verstopft? „Oh ja!“ Augen gerötet? „Aber hallo!“ Fieber? „Zum Glück noch nicht.“ Sechs Fragen gilt es auf einer Website insgesamt zu beantworten, neun Euro sind zu bezahlen – und ­wenige ­Stunden später kann sich der erkältete Online-Nutzer ­seine digitale Krankschreibung als PDF herunterladen. In der Zwischenzeit hat sich ein Arzt in Schleswig-Holstein die Angaben angeschaut und in ­Sekundenschnelle entschieden, ob die ­Symptome klar auf eine ­Arbeitsunfähigkeit hindeuten. Das Ergebnis: Eine Krankschreibung für zwei Tage, keine Bettruhe ­nötig, Ausgehen ist weiterhin erlaubt.

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Mehr als 15.000 Mal will das Startup au-schein.de den ­digitalen „gelben Schein“ bereits seit Anfang 2019 verschickt ­haben – und das bei „keinerlei gemeldeten Fehldiagnosen und 100 Prozent Akzeptanz bei den Arbeitgebern“, wie Gründer Can Ansay beteuert. Für mittlerweile drei Erkrankungen bietet das Startup diesen Service an: Neben der Erkältung sind das Regel­schmerzen und Rückenbeschwerden. Das Startup selbst hofft auf ein ­gesundes Umsatzwachstum. Zudem will es aber auch dabei helfen, das Gesundheitssystem zu entlasten. Zeitraubende Kurzuntersuchungen in Arztpraxen fallen durch den Online-­Fragebogen weg: „Endlich nicht mehr wegen jeder Erkältung ewig im Wartezimmer warten“, lobt ein Nutzer bei Facebook.

Suche nach dem gesunden Maß an ­Digitalisierung

Weniger Stress, mehr Transparenz, schnellere Hilfe: Einen ­ganzen Rezeptblock an Argumenten führen Fürsprecher eines ­digitaleren ­Gesundheitssystems ins Feld. Dennoch gibt es eine Reihe von Gründen, die das Immunsystem gegen die Digitalisierung ­stabil halten: „Die Hinderungsgründe reichen von mangelnder Akzeptanz für den notwendigen Kulturwandel über unpassende Vergütungsregeln bis zur fehlenden Breitbandverbindung“, sagt Timo Thranberend. Er leitet das Projekt „Der digitale Patient“ der Bertelsmann-Stiftung, das diese Entwicklungen begleitet.

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Anhand des Beschwerdebildes entscheidet die App Kry, ob der ­Patient einen Termin zur ­Videosprechstunde bei einem Arzt erhält. Eventuell notwendige ­Rezepte werden direkt an die Wunschapotheke weitergeleitet. (Abbildung: Kry)

Anhand des Beschwerdebildes entscheidet die App Kry, ob der ­Patient einen Termin zur ­Videosprechstunde bei einem Arzt erhält. Eventuell notwendige ­Rezepte werden direkt an die Wunschapotheke weitergeleitet. (Bild: Kry)

Dazu kommt eine gesunde Skepsis, die viele Patienten und Mediziner noch mitbringen. Regelmäßige Datenschutzverletzungen erschüttern das Vertrauen, hochsensible Gesundheits­daten in eine Cloud zu geben oder sich per Videochat ­untersuchen zu lassen. ­Au-schein.de hat seinen Service anfangs via Whatsapp angeboten, schwenkte dann wegen Protesten von Verbraucherschützern auf einen Online-Service um. Der Download der Krankschreibung ist zudem mit einem zweiten Faktor abgesichert.

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Ein weiteres Problem: Im hochregulierten Gesundheitssystem werden viele Ideen ausgebremst, weil eine Möglichkeit zur Abrechnung fehlt. „Das System muss sich zum Wohle der Patientenversorgung für Innovationen öffnen“, gab ein Zusammenschluss von 48 Gründern Mitte Oktober 2019 als Parole aus. Sie haben sich zum neuen Spitzenverband Digitale Gesundheitsversorgung zusammengeschlossen. Und übergaben Gesundheitsminister Jens Spahn ein Manifest mit ihren Forderungen.

Besserung ist in Sicht. Für den Verbraucher, gesund oder krank, steigt die Zahl der digitalen Gesundheitsangebote. Krankenkassen nehmen immer mehr Präventions-Apps in ihre Programme auf. In immer mehr Regionen laufen Tests mit Video­sprechstunden beim Arzt. Im Hintergrund ringen Mediziner,­ Kostenträger und Techunternehmen um eine elektronische Patientenakte, mit der Patienten ihre kompletten Arztdokumente und Medikamentenlisten stets komplett digital bereithaben. Ende Oktober hat der Bundestag zudem beschlossen, dass die digitale Krank­meldung kommt. „Die generelle Offenheit, sich mit dem Thema zu beschäftigen, hat zugenommen“, sagt  Thranberend.

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Bald schon könnten die neuen Möglichkeiten stärker im Patienten­alltag zu sehen sein. Regulatorisch werden aktuell ­wichtige Weichen gestellt. Große Hoffnungen der Branche liegen auf dem Digitale-Versorgung-Gesetz (DVG) von Gesundheits­minister Jens Spahn. Der Entwurf in der vom Gesundheitsausschuss geänderten Fassung wurde im November 2019 vom Bundeskabinett angenommen.. „Patienten sollen sich darauf verlassen können, dass digitale Anwendungen und sinnvolle Apps schnell und sicher in die Versorgung kommen“, sagte Spahn im Juli.

Parallel erhöhen Startups, Klinikkonzerne und Kranken­kassen ihre Investitionen in die passenden technischen ­Lösungen. Die gesetzlichen Krankenversicherer arbeiten bereits mit Ärzte- und Krankenhausvertretern in einem Innovationsfonds ­zusammen. Die privaten Krankenversicherer sagten im ­September 2019 100 Millionen Euro für einen neuen Fonds zu, der in „Digital Health“-Unternehmen investieren soll. Kommen all diese Entwicklungen zusammen, könnte die digitale Gesundheit in den kommenden Jahren viral gehen.

Am Beispiel der Telemedizin lässt sich erkennen, welche Hürden ein digitales Gesundheitsthema überspringen muss. Der ­generelle Nutzen für viele medizinische Einsatzzwecke wird kaum bestritten: Über eine Videosprechstunde könnten Patienten etwa schneller einen Facharzttermin bekommen. In ländlichen ­Regionen, in denen Ärztinnen fehlen, ließen sich Routinebehandlungen von einem zen­tralen Standort durchführen. Die AOK Nordwest ist etwa mit dabei, bei der „Telepraxis Dagebüll“. In Nordfriesland sind viele Hausarzt­stellen frei, gleichzeitig steigt die Zahl der Touristen – häufig auch mit chronischen Krankheiten. Fachpersonal soll den Medizinern einiges an Routineuntersuchungen abnehmen, via Video wird eine approbierte Ärztin dazugeschaltet. Auch HNO- oder Herzspezialisten sollen in Zukunft mit eingebunden werden.

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„Wer will denn mit ­Magen-Darm-Grippe oder Erkältung zum Arzt, wenn er im Bett viel besser ­aufgehoben ist?”

Und bei Erkrankungswellen, die jetzt auch zum Winter­beginn wieder durch Deutschland rollen, müssten sich viele Patienten nicht mehr ins Wartezimmer quälen, in dem sie sich im Zweifel noch einen Virus einfangen: „Wer will denn mit Magen-­Darm-Grippe oder Erkältung zum Arzt, wenn er im Bett viel besser aufgehoben ist?“, fragt Tom Ackermann, Vorstandsvorsitzender der AOK Nordwest.

Auch in viel einfacheren Anwendungsfällen könnte die ­Digitalisierung die Effizienz erhöhen. Bei der sogenannten ­asynchronen Telemedizin füllen Patienten online Fragebögen aus –und Ärzte urteilen dann auf Basis dieser Eingaben. Neben au-schein.de arbeitet unter anderem auch das Portal fernarzt.com mit diesem Modell: Über 250 Medikamente werden hier verschrieben, populär sind insbesondere regelmäßige Folgerezepte wie etwa für die Anti-Baby-Pille. „Wir können Rezepte – unter strikter Einhaltung aller Regulation und Sicherheitsstandards – innerhalb einer Viertelstunde ausstellen“, sagt ­fernarzt.com­Geschäftsführer Florian Tonner. Ansonsten müssen Patient und Arzt auch virtuell erst einmal einen gemeinsamen Termin finden.

Angebote setzen sich langsam durch

Immer noch herrscht jedoch ein Werbeverbot für solche ­Angebote. Eine vierstellige Zahl an Rezepten verschreibe man aktuell pro ­Woche, berichtet Tonner. Die meisten Nutzer zahlen die Rezeptgebühr zwischen neun und 29 Euro privat, um sich den Gang zum Arzt zu sparen. „Wir gehen davon aus, dass die Patienten­zahlen weiter ansteigen, wenn das Werbeverbot kippt“, ist Tonner überzeugt.

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Regulatorisch betreten die meisten digitalen Angebote noch Neuland. Im Mai 2018 erst lockerte die Ärzteschaft das ­sogenannte „Fernbehandlungsverbot“: Vorher durften Mediziner hierzulande niemanden via Telefon, Chat oder Video behandeln, den sie noch nie zuvor getroffen hatten. Damit dürfen ­deutsche Mediziner jenseits von Ausnahmefällen auch mit digitalen ­Kommunikationsmitteln arbeiten, wenn sie sicher sind, dass ­ihnen durch den fehlenden persönlichen Kontakt nichts Entscheidendes entgeht. Auch müssen sie überzeugt sein, dass der gewählte Kontaktkanal einen vertraulichen Austausch zwischen Arzt und Patient ermöglicht.

Fernarzt.com etwa hat sein Modell mit englischen Ärztinnen aufgebaut und beginnt nun erst, auch mit deutschen Medizinern zusammenzuarbeiten. In Deutschland war Baden-Württemberg führend. Dort startete die Kassenärztliche Vereinigung Ende 2018 in einem Pilotprojekt die Fernbehandlung via Video. In den vergangenen Monaten folgten einige andere Versuche in anderen Bundesländern.

Moodpath ist eine App, die in Zusammenarbeit mit mehreren Universitätskliniken entstanden ist und unter anderem als Stimmungstagebuch fungiert. Dazu beantworten Nutzer jeden Tag wenige Fragen, und erhalten eine Übersicht über ihre psychische Gesundheit. (Abbildung: Moodpath)

Moodpath ist eine App, die in Zusammenarbeit mit mehreren Universitätskliniken entstanden ist und unter anderem als Stimmungstagebuch fungiert. Dazu beantworten Nutzer jeden Tag wenige Fragen, und erhalten eine Übersicht über ihre psychische Gesundheit. (Bild: Moodpath)

So dürfte sich die Diagnose per Chat oder die Behandlung via Videocall in den kommenden Jahren als Ergänzung zum heutigen medizinischen Angebot etablieren. „Es könnte theoretisch schnell gehen, dass das zu einer Entlastung führt, denn die technische und regulatorische Basis ist da“, sagt Thranberend. Eine Umfrage des Digital­verbands Bitkom aus dem Frühjahr 2019 hat gezeigt, dass fast jeder vierte Bundesbürger für einen schnellen ­ärztlichen Rat per App sogar extra zahlen würde.

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Andere Telemedizinanbieter wie Zava (lange Zeit als DrEd unterwegs), Teleclinic oder Kry hoffen auf diese Entwicklung. Auch der Klinikkonzern Helios kündigte kürzlich an, ein digitales Behandlungsangebot aufzubauen. Mittelfristig ­könnte sich so ­natürlich auch die Landschaft der niedergelassenen ­Ärztinnen verändern. Statt vieler Praxen entstehen Callcenter mit ­approbierten Medizinern. Das ermöglicht dem Mangelberuf auch, neue Arbeitszeitmodelle anzubieten.

Im hochregulierten deutschen Gesundheitssystem sind gute ­Ideen gefragt –, aber komplizierter umzusetzen: Einige Anwendungen – etwa digitale Geburtsvorbereitungskurse – werden von Krankenkassen bereits als freiwilliger Service bezuschusst. Über das Digitale-Versorgung-Gesetz sollen Softwareprogramme für das Smartphone auch auf Rezept erhältlich sein. Die Hausärztin kann zukünftig also Aspirin empfehlen und Apps verschreiben.

Entsteht aber ein Erstattungsanspruch für Apps, muss eine medizinische Wirksamkeit feststehen. „Gesundheits-Apps ­müssen auch einen objektiven Nutzen stiften“, sagt Ackermann. „Was sinnvoll ist, und was das solidarische Kollektiv daher auch finanziert –, dafür müssen erst noch praktikable Bewertungs­verfahren gefunden werden. Die objektive Bewertung des Nutzens ist auch für eine angemessene Preisfindung essenziell.“ Die Bertelsmann-Stiftung arbeitet unter dem Namen Appq an ­einem Gütekriterienset für solche Anwendungen, gefördert durch das Gesundheitsministerium. Der aktuelle Plan des DVG sieht vor, dass das Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) als Kontrollstelle fungieren soll.

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Moodpath, eine App zur Prävention und Begleitung bei psychischen Erkrankungen, bereitet sich bereits darauf vor. Das ­Startup, das im Herbst 2019 von der bundesweit tätigen Schön-Klinik übernommen wurde, will sich bald in einer höheren Risikoklasse als Medizinprodukt zertifizieren lassen. Eine mögliche Bedingung, um als erstattungsfähig anerkannt zu werden. „Wir sind auf dem Weg, alle Voraussetzungen zu erfüllen“, sagt Gründer Felix Frauendorf.

Doch der junge Digitalunternehmer weiß, wie komplex die Gesundheitsbranche aufgestellt ist: „Die Frage bleibt ja, wie die App dann tatsächlich zum Versicherten kommt“, sagt Frauendorf. Erst braucht es ein Rezept des Arztes, dann muss der die Angebots­palette kennen, irgendwann folgt dann vielleicht der Download. Der konkrete Abrechnungsprozess ist dabei noch nicht geklärt: „Das wird vielleicht nicht direkt im nächsten Jahr durch die ­Decke gehen –, aber es ist ein wichtiger Schritt.“

Reha für die IT-Infrastruktur

Virtuelle Begegnungsräume und praktische Apps sind das eine. Doch viel Arbeit findet vor allem im Hintergrund statt. Zum Teil klaffen in der Infrastruktur, die Mediziner und Krankenkassen verbindet, noch offene technische oder ­organisatorische ­Wunden. Das E-Rezept etwa soll bald kommen und einen ­papierlosen ­Ablauf von Arzt über Apotheke bis zur Abrechnung ermöglichen. Noch fehlen in manchen Formularen schlicht die notwendigen Kennziffern, ist aus Telemedizin-­Startups zu hören. In einer Vorlage zur „Telepraxis Dagebüll“ stehen „eigenständige Abrechnungsziffern“ ebenfalls ganz oben auf der ­To-do-Liste. Nur weil Telemedizin erlaubt ist, lohnt sie sich nicht automatisch für Mediziner. Da müssen Krankenkassen und Ärzteschaft noch ­verbindliche Vergütungsregeln verhandeln.

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(Grafik: t3n)

Bei knapp 20 Millionen Behandlungsfällen in Kranken­häusern und rund einer Milliarde Arztkontakten in den Praxen, wie es die Bundes­ärztekammer schätzt, werden die Dimensionen des Projekts deutlich. Es reicht nicht, in Praxen und Kliniken rasch eine neue Software aufzuspielen. Stattdessen geht es um viel Überzeugungsarbeit – und hohe Investitionen in die Technologie. Unter dem Stichwort Telematik­infrastruktur sollen alle ­Akteure im Gesundheitswesen vernetzt werden. Schon der Rollout der elektronischen Gesundheitskarte war ein Kraftakt für die ­Branche. Jetzt wird darum gestritten, wer die Installation und Erweiterung der IT bei Ärzten oder in Pflegeheimen bezahlt. Im Digitale-Versorgung-Gesetz könnten Lösungs­vorschläge ­auftauchen. Aufwendig ist der Prozess aber in jedem Fall: „So etwas wie ein E-Rezept klingt trivial, aber auch da müssen erst Prozesse, Standards und Schnittstellen definiert werden“, sagt Thranberend.

Die Hoffnungen sind groß: Bis 2021 könnte das ­elektronische ­Rezept flächendeckend umgesetzt sein –, und dann auch mit einer Erinnerung an die Medikamenteneinnahme verknüpft ­werden. Oder mit einer automatischen Warnung, wenn bei zwei ­verschiedenen ­Pillen Wechselwirkungen drohen. „Das E-Rezept und die E-Verordnung können wichtige Treiber sein, da können sich ganz viele ­Prozesse miteinander verbinden“, sagt Ackermann.

Ähnliches gilt für die elektronische Patientenakte. Die soll eine Art virtueller Tresor für alle Arztbriefe und Medikations­listen für Patienten werden. Die Hoheit über die Daten soll ­dabei bei den Verbrauchern selbst liegen. Vor allem aber geht keine wichtige Diagnose auf dem Weg zwischen zwei ­Fachbehandlungen ­verloren. „Dadurch könnten Ärzte die ­gesamte Behandlungshistorie ­sehen“, sagt Tonner, „das macht Online- wie Offline-­Behandlungen viel sicherer.“

Der Bund hat jetzt den Druck erhöht, diese ­technischen Grundlagen für einen digitalen ­Patientenkontakt zu schaffen. Bis Juni 2020 müssen die Spitzenorganisationen im Gesundheitswesen die ­Rahmenbedingungen für das E-Rezept ­definieren. Und kommt das ­Digitale-­Versorgung-Gesetz durch, soll bis ­April 2021 eine Basisversion der Patientenakte stehen, in der zumindest Impfausweis, Mutterpass, Zahnbonusheft und eine ­Untersuchungsübersicht von Kindern hinterlegt sein soll.

Wie digital darf die Medizin werden?

Auch an vielen weiteren Kontaktpunkten werden in den ­kommenden Jahren digitale Lösungen auftauchen – und Diskussionen jenseits der Technologie entstehen. Die AOK ­Nordwest legt in diesen Wochen mit einem ­Präventionsprogramm für ­Diabetes-Typ-2-Patienten los, in dem auch ­digitale Produkte wie vernetzte Glucose-Messgeräte und Insulin­pumpen ­auftauchen könnten. Mit der Uni-Klinik Münster testet die Versicherung ein Wearable, das bei Parkinson-Erkrankten die ­Zitteranfälle, die sogenannten Tremores, aufzeichnet. ­Verbunden mit einer umfangreichen Datenbasis zu Lebensumständen und ­Medikation können so individuelle und faktenbasierte Erkenntnisse über den Krankheitsverlauf aufgezeichnet werden.

Wenige Angaben zu Symptomen und Wohlbefinden auf au-schein.de genügen, damit ein Arzt entscheidet, ob die Arbeitsunfähigkeit gegeben ist. Sieht er das so, wird der „gelbe Schein“ als PDF ausgestellt und kann an Arbeitgeber und Krankenkasse weitergeleitet werden. (Screenshot: Au-Schein)

Wenige Angaben zu Symptomen und Wohlbefinden auf au-schein.de genügen, damit ein Arzt entscheidet, ob die Arbeitsunfähigkeit gegeben ist. Sieht er das so, wird der „gelbe Schein“ als PDF ausgestellt und kann an Arbeitgeber und Krankenkasse weitergeleitet werden. (Screenshot: Au-Schein)

Im Hintergrund sind solche Projekte immer noch viel ­Arbeit. Aber, so Krankenkassen-Chef Ackermann, es ­werde ­einfacher und systematischer: „Vor einigen Jahren war das eher impulsgetrieben, jetzt kommen wir in normale unternehmerische Routinen.“ In den Datenbergen von Patienten, ­Medizinern und Versicherungen verbergen sich noch jede ­Menge Möglichkeiten. Sinnvolle, wie die automatisierte und ­anonyme Auswertung von Behandlungs­mustern: Aus Tausenden von ­digital ­dokumentierten Behandlungsverläufen könnten die sinnvollsten Therapien ­gefunden werden.

Doch es geht nicht nur um die Möglichkeiten der Algorithmen, sondern auch um deren gesunde Grenzen. Der US-Versicherer John Hancock kündigte vor einem Jahr sogenannte „interaktive“ Tarife an – Versicherte müssen ihre Fitness- und Gesundheits­daten von Smartphones oder Armbändern teilen. „Verhaltens­adjustierte Tarife sehen wir eher nicht –, aber man könnte sich etwa digitale Unterstützung in Versorgungstarifen und bei der Prävention chronischer Krankheiten vorstellen“, sagt Ackermann.

In einer Dystopie des digitalen Gesundheitssystems ­müsste sich der Patient in Zukunft gar nicht mehr durch den Frage­katalog auf Websites klicken, bevor eine Krankschreibung ausgestellt wird oder ein Rezept verschrieben wird. Die ­Smartwatch hat diese Daten dann bereits ausgelesen, die Google-Anfrage „Was tun bei Husten?“ wird mit ausgewertet. Parallel zur Technik wird die ­Moral im Gesundheitswesen stärker an Bedeutung ­gewinnen: „Die ­ethischen Fragen werden uns fordern“, ist ­Ackermann überzeugt.

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