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Interview
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Künstliche Intelligenz: „Gehirne in die Cloud laden? Absurd!“

Macht künstliche Intelligenz ewiges Leben möglich? Einige Silicon-Valley-Größen propagieren genau das. Sie glauben, dass man unser Gehirn nur mit einem Breitbandanschluss ausstatten müsste.

9 Min. Lesezeit
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(Foto: TedxBerlin / Sebastian Gabsch)

Wissenschaftler Raúl Rojas González ist mehrfacher Fußballweltmeister – dank künstlicher Intelligenz. Der Informatik-Professor der FU Berlin hat Roboter entwickelt, die gegen andere Maschinen in der Ballsportart antreten. Bereits zwei Mal hat er mit seinen „Schützlingen“ den internationalen Robocup gewonnen. Trotzdem seien sie weit davon entfernt, gegen Menschen antreten zu können, sagt Rojas im Interview.

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Generell hingen die Maschinen der Menschheit noch hinterher, meint der Experte: Den Computern fehle ein tieferes Verständnis von dem, was der Algorithmus am Ende als Ergebnis auswirft. Im Gespräch mit t3n erklärt der Wissenschaftler, warum neuronale Netze längst noch nicht so weit sind, wie in der Öffentlichkeit angenommen wird, und wieso wir uns beim Thema ewiges Leben auf Basis künstlicher Intelligenz noch gedulden müssen.

t3n Magazin: Herr Rojas, wir führen unser Gespräch über das Telefon. Woher weiß ich, dass ich nicht gerade mit einem Roboter spreche, sondern mit einem echten Menschen?

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Raul Rojas: Im Jahr 2016 können Sie sich da noch sicher sein. Es gibt noch keinen Roboter, der so eine Konversation führen könnte. Unsere Synthesizer für die Erzeugung von Sprache klingen zwar heute schon fast realistisch, aber man merkt immer noch sofort, dass es sich um einen Computer handelt. Auch unsere Dialogsysteme sind noch nicht so gut und reagieren nur auf Stichworte beziehungsweise bestimmte Kombinationen von Begriffen. Sie führen keine linguistische Analyse durch und haben kein tieferes Verständnis von dem, worüber gesprochen wird. Deswegen sind die Dialoge, die man mit dem Computer führen kann, ziemlich begrenzt. Ich bin also kein Roboter.

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t3n Magazin: Wobei diese sachliche Antwort auch von einem Roboter stammen könnte. Humor wäre sicherlich schwieriger zu simulieren.

Richtig. Wenn man beim Turing-Test jede beliebige Fragen stellen darf, um herauszufinden, ob man gerade mit einem Menschen oder einer Maschine kommuniziert, fragt man natürlich nach Gefühlen, Träumen, Plänen für die Zukunft, Liebe oder Freundschaft, also subjektiven Empfindungen, die für einen Computer unergründlich sind, und über die er deshalb auch nicht sprechen kann.

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t3n Magazin: Sie sind ja mehrfacher Fußballweltmeister. Allerdings spielen Sie nicht selbst, sondern schicken Roboter auf das Spielfeld. Was haben Sie dabei über die Koordination von Körper und „Geist“ dieser Maschinen gelernt?

Unsere Roboter sind weit davon entfernt, echten Fußball gegen Menschen spielen zu können, und das ist auch nicht unser Ziel.


Unsere Roboter sind weit davon entfernt, echten Fußball gegen Menschen spielen zu können, und das ist auch nicht unser Ziel. Die Fussballrobotik ist ein Laboratorium, um in begrenzter Umgebung Computer-Vision und Koordination zu untersuchen, etwa das Zusammenspiel von mehreren Robotern mit einem gemeinsamen Ziel. Fußball eignet sich dafür sehr gut, weil die Anzahl der Regeln, die Größe des Feldes und auch das, was darauf passieren kann, überschaubar ist. Wollte man Roboter als Butler für den Haushalt studieren, wäre das ungleich schwieriger, weil diese dann in einer verwinkelten Wohnung navigieren und mit einer Vielzahl von Objekten interagieren müssten.

Für die Forschung wäre das zu unübersichtlich. Wir brauchen Laborbedingungen und haben so schon viel über die Fähigkeiten der Roboter gelernt. Wir sind aber noch weit davon entfernt, elegante Roboter bauen zu können, die dann auch noch schönen Fußball spielen. Bisher bewegen sie sich holprig, fallen um oder erkennen den Ball nicht, obwohl er vor ihren Füßen liegt.

t3n Magazin: Das Thema künstliche Intelligenz (KI) genießt derzeit große Aufmerksamkeit. Als Laien sind wir einerseits alltäglich konfrontiert mit offenkundig nicht sonderlich intelligenten Assistenzsystemen. Auf der anderen Seite lesen wir Warnungen, dass sich künstliche Intelligenz zur Gefahr für die Menschheit entwickeln könnte. Wie lässt sich KI sinnvoll differenzieren?

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Künstliche Intelligenz ist ein dehnbarer Begriff. Traditionell versteht man darunter all jene Aufgaben, die Menschen ohne zu überlegen bewältigen können, Computer jedoch noch nicht. Gute Beispiele sind Gesichts- und Spracherkennung. Wir erkennen sofort, wer eine Person ist beziehungsweise was sie sagt. Das ist Computern lange Zeit sehr schwer gefallen. Wenn man aber die zugrunde liegenden Regeln kennt und sie für den Computer formulieren kann, lassen sich wie im Schach per brute force, also unter massivem Rechenaufwand, Abermillionen von Kombinationen testen.

In dem Moment, in dem der Computer ein Problem besser lösen kann als der Mensch, fällt es dann aus dem Forschungsgebiet der KI raus und verwandelt sich in IT, in normale Computertechnologie. Die künstliche Intelligenz bleibt das, was sich am Horizont als noch nicht gelöstes Problem abzeichnet. Und da gibt es noch sehr viel zu tun.

t3n Magazin: Im vergangenen Jahr hat ein Computer erstmals einen Menschen im Go geschlagen, einem Spiel mit unzähligen Kombinationsmöglichkeiten. Gelöst wurde das Problem durch den Einsatz eines künstlichen neuronalen Netzes, das die Regeln des Spiels durch die Analyse zahlreicher Partien selbst erlernt hat. Sie haben schon vor zwanzig Jahren ein Buch über neuronale Netze geschrieben. Was hat sich seitdem geändert?

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Weltmeisterschaft unter Robotern: Beim Robocup in China 2015 war auch das maschinelle Team der Freien Universität Berlin vertreten. Raúl Rojas betreut das Projekt. Er sagt, dass die Roboter weit entfernt davon seien, gegen Menschen bestehen zu können – nicht nur beim Fußball. (Foto: dpa)

Die KI-Forschung verläuft in Wellen. Phasen, in denen es viel Interesse, größere Erfolge und viel Euphorie gibt, wechseln sich mit Phasen der Ernüchterung ab. Im Moment reiten wir auf der Welle der Euphorie und man glaubt, dass man mit neuronalen Netzen nicht nur Go sondern auch alle anderen Probleme lösen kann. Ich denke, dass diese Sicht verkürzt ist. Wir werden künftig nicht alles mit brute force erledigen können, aber genau das ist bei neuronalen Netzen zumindest teilweise noch der Fall.

Man muss sich das so vorstellen: Damit ein neuronales Netz beispielsweise lernt, auf einem Bild ein Pferd von einem Baum unterscheiden zu können, muss man es mit Millionen von entsprechenden Bildern füttern. Danach kann es mit statistisch hoher Wahrscheinlichkeit diese Unterscheidung korrekt treffen und ein Pferd erkennen – aber ohne tieferes Verständnis. Wenn man den Computer fragt, warum es sich um ein Pferd handelt, würde er nicht sagen: „weil es ein Vierbeiner mit Hufen und einer bestimmten Kopfform ist“. Eigentlich hätten wir am liebsten eine solche menschliche Herleitung. Aber die Verarbeitung des Computers erfolgt noch auf einer niedrigeren Wahrnehmungsebene und unter Einsatz großer Rechenleistung.

t3n Magazin: Nicht alle teilen Ihre Auffassung, dass der Fortschritt in der KI in Wellen verläuft. In den USA gibt es eine lautstarke Bewegung um Ray Kurzweil, die fest an einen exponentiellen Fortschritt in unterschiedlichsten Bereichen der Wissenschaft und insbesondere in der KI glaubt.

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Exponentielles Wachstum findet vor allem beim Bau von Mikroprozessoren statt. Die Anzahl der Transistoren in einem Prozessor verdoppelt sich alle 18 Monate, das bekannte Mooresche Gesetz ist bis heute gültig, obwohl man hier langsam an die physikalischen Grenzen kommt. Aber die Geschichte zeigt, dass sich die Ingenieure immer wieder etwas neues Einfallen lassen, um das exponentielle Wachstum in der Computerleistung aufrecht zu erhalten. Dennoch rechne ich nicht damit, dass die Entwicklung abflachen wird. Die Computer werden weiterhin schneller werden. Ray Kurzweil macht jedoch Folgendes: Er vergleicht die Anzahl der Transistoren in einem Rechner mit der Anzahl der Neuronen in einem menschlichen Hirn.

Er prognostiziert, dass Computer im Jahre 2030 eine Anzahl von 10 hoch 11 Transistoren erreichen und damit automatisch intelligenter als Menschen seien. Somit wäre in seiner Logik die Singularität, also der Zeitpunkt, in dem die Maschinen den Menschen übertreffen, erreicht. Ich denke, dass das falsch ist. Man kann Transistoren nicht mit Neuronen gleichsetzen. Ein Transistor ist ein binäres Element, basierend auf null und eins – ein Neuron ist viel komplizierter. Wir wissen schon nicht genau, was ein einzelnes Neuron leistet, geschweige denn wie viele von ihnen im Verbund arbeiten und als Netzwerk etwas qualitativ Neues erzeugen. Das Gehirn ist für uns noch immer ein großes Rätsel. Etwas so komplexes und unbekanntes mit einem Haufen Transistoren zu vergleichen, ist vermessen.

t3n Magazin: Ray Kurzweil ist von dem Wunsch nach Lebensverlängerung getrieben. Eine Tendenz, die auch bei anderen Personen im Silicon Valley zu beobachten ist. Ein Szenario betrifft auch die KI: die Vorstellung, dass der Mensch irgendwann sein Gehirn in die Cloud hochladen kann. Halten Sie den Upload unseres Geistes für möglich?

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Überhaupt nicht. Das ist eine Fantasie von Ray Kurzweil. Was wir sind, lässt sich nicht auf Programme im Hirn reduzieren. Wir sind auch Körper. Und darauf basiert vieles von dem, was wir erleben. Manchmal ist man fröhlich, weil einem die Sonne auf die Haut scheint und so die Ausschüttung von Hormonen bewirkt. Manchmal ist man depressiv, weil es zu lange dunkel war. Auch empfinden wir Hingabe und Zuneigung zu anderen Menschen. All das sind Abläufe, die im ganzen Körper stattfinden. Wir sind unsere Gedanken plus unsere Zellen und Organe. Wir können unsere Gedanken und Empfindungen nicht einfach vom Körper, von Herz, Magen und Nieren trennen, auf einen Computer laden, und dann auch noch glauben, wir wären derselbe Mensch wie zuvor. Das ist Stoff für eine gute Science-Fiction-Geschichte, aber mehr auch nicht.

Tesla-Grüner elon Musk will das Gehirm am liebsten mit einem Breitbandanschluss vernetzen. Der Wissenschaftler Raul Rojas glaubt nicht daran: Wir wüssten ja heute nicht mal, wie das Gehirn kodiert ist. (Foto: © Jamie-James Medina)

t3n Magazin: Und was ist mit der Hoffnung auf den Daten-Download ins Gehirn? Elon Musk sieht hierin die wichtigste Herausforderung für die KI – quasi den Breitbandanschluss des Hirns an die Cloud, um beim Denken direkten Zugang auf Wikipedia zu haben.

Das ist absurd. Von Computern, wie wir sie heute kennen, werden wir keine direkte Schnittstelle zum Hirn bauen können. Schon aus technischer Sicht geht das nicht, weil wir nicht wissen, wie das Gehirn kodiert ist. Selbst wenn wir die Kodierung irgendwann verstehen, kann man da nicht einfach per Funk oder Kabel Daten reinleiten. Das soll nicht heißen, dass es nicht bestimmte Arten von Prothesen geben kann.

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Für Parkinsonpatienten gibt es beispielsweise schon spezielle Sensoren, die man wie einen Schrittmacher im Gehirn einpflanzen kann. Aber in die Datenverarbeitung des ganzen Gehirns einzugreifen, egal ob nun in Richtung Upload oder Download, das ist nicht machbar und das wird meiner Einschätzung nach dieses Jahrhundert auch nicht mehr passieren.

t3n Magazin: Welche Aufgabe der KI ist denn wichtiger als das ewige Leben?

In der KI-Forschung geht es nicht darum, menschliches Leben zu erzeugen oder zu verlängern, sondern darum, menschliche Fähigkeiten auf Maschinen zu übertragen, beispielsweise für die Arbeit in der Fabrik oder zur Steuerung autonomer Fahrzeuge. Schon dabei müssen wir uns fragen, wie weit wir gehen wollen.

Durch die Robotik kommt auf uns das Problem zu, dass wir zu viele Arbeitsplätze ersetzen, aber dass Roboter bekanntlich keine Produkte kaufen. Diese sozialen Auswirkungen der KI sind wichtiger als die Schnittstelle zum Gehirn. Und was die Sehnsucht nach dem ewigen Leben angeht: Im Roman „Nachtzug nach Lissabon“ denkt der Protagonist über Unsterblichkeit als die große Langeweile nach. Man bräuchte überhaupt nicht mehr zu handeln, weil sich alles auch auf später verschieben ließe. Wir würden in eine starre Existenz verfallen. Man sollte sich also ganz grundsätzlich fragen, ob das ewige Leben ein anstrebenswertes Ziel ist.

t3n Magazin: In Japan gibt es heute Menschen, die ihre Aibo-Roboter zeremoniell bestatten. Die Besitzer glauben, dass die Maschinen durch das ihnen einprogrammierte Lernverhalten eine eigene Persönlichkeit entwickelt haben. Wenn wir schon keine menschliche Form der KI schaffen können: Können aus der KI eines Tages für ihre Einzigartigkeit schützenswerte, künstliche Lebensformen entspringen?

Nein, das glaube ich nicht. Die Japaner haben eine große Begeisterung für Spielzeuge. Man kann sich auch mit einer Puppe identifizieren und diese irgendwann begraben. Aber zu glauben, dass Spielzeuge eine emotionale Verbindung mit Menschen eingehen oder gar eine neue Spezies werden könnten, ist wirklich verfrüht. Außerdem kann man bei einem Roboter wie bei einem Lego-Spielzeug alle Teile ersetzen und auch die Programmierung jeden Tag umformen. Weshalb sollte man so etwas schützen? Es wird noch viele solcher Spielzeuge geben, und sie werden für uns auch verschiedene Aufgaben erledigen. Zwischen dem Lebendigen und dem Unbelebten wird aber immer ein Abstand bleiben. Wir verlieben uns ja auch nicht in unsere Waschmaschine.

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Dein t3n-Team

Steffen Hannemann

Geht es in der KI-Forschung nicht darum Grenzen zu überwinden. ;)
Grenzen des Lebens, Grenzen der Wissensaufnahme, wenn wir eine Superintelligenz erschaffen die über alles Wissen der Menschheit verfügt und dies eigenständig weiterentwickelt, werden wir auch durch die SuperKI bald die Möglichkeit haben unsere Wissensaufnahme zu steigern, hundert mal so viel, oder Millionen mal so viel wie heute.

Die Skepsis klingt doch sehr bekannt: Als Jules Verne seine Zukunft-Visionen beschrieben hat, war er für die Zeitgenossen ein Spinner und heute… :)

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