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Trendreport

Learning by Gaming: Computerspiele kommen endlich in der Schule an

Von Computerspielen könnte der Schulunterricht enorm profitieren. Einige engagierte Lehrer arbeiten seit Jahren damit, doch sie sind die Ausnahme. Zu groß ist die Skepsis, zu schwierig oft die Umsetzung. Games kommen allerdings immer mehr in der Mitte der Gesellschaft an – und damit vielleicht auch endlich in Schulen.

Von Jakob von Lindern
13 Min.
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Die Discovery Tour bei Assassin‘s Creed Origins: Frei von klassischen Aufgaben und Missionen können Spieler die Welt der alten Ägypter erkunden und sogenannte Guided Tours absolvieren. (Abbildung: Ubisoft)


Ein kurzer Sprint, einige Sprünge über mannshohe Kalkstein­blöcke, schon stehe ich am Eingang der in der Sonne schimmernden Cheopspyramide. Im Inneren ist es düster, das Licht von ­Fackeln flackert an den Wänden, der Weg führt in die große Galerie und nur kriechend geht es weiter in die Königinnenkammer. Natürlich krieche ich nicht wirklich alleine durch die düsteren Gänge der Großen Pyramide von Gizeh, das macht eine Spielfigur für mich. Immer wieder bleibe ich stehen: Die Welt um mich herum verblasst plötzlich und es erscheinen Text oder Fotos und eine Stimme ertönt, um beispielsweise zu erklären, dass in der Königinnenkammer vermutlich nie eine Königin begraben lag.

Ohne Touristenhorden durch das alte Ägypten zu streifen, das ermöglicht mir die Discovery Tour des Spiels Assassin’s Creed Origins. Der Spieler bewegt sich frei durch das antike Ägypten und kann 75 Touren absolvieren, in denen es um Mumifizierung, das Alltagsleben der damaligen Zeit, den Nil oder eben die ­Pyramiden geht. Aufgaben, Kämpfe oder andere Spielziele gibt es nicht. Die Idee ist vielmehr, mit dem Spiel etwas zu lernen, möglicherweise besser als aus Büchern – zumindest mit mehr Spaß. In einer Broschüre des Spieleentwicklers Ubisoft heißt es: „Die Discovery Tour ist interaktiver Geschichtsunterricht für alle und gibt besonders Lehrern ein Werkzeug an die Hand, mit dem sie ihren Unterricht lebendiger gestalten können.“

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Dass Computerspiele den Unterricht bereichern können, ist eine Erkenntnis, die sich langsam immer weiter durchsetzt: „Wir bekommen immer mehr Anfragen, vor allem im Lauf des vergangenen Jahres hat das Thema richtig Fahrt aufgenommen“, sagt Carolin Wendt von der Stiftung Digitale Spielekultur. Die ­Stiftung betreibt gemeinsam mit der TH Köln die Plattform Digitale-Spiele­welten.de, auf der Methoden und Unterrichtsmaterial rund um das Thema digitale Spiele zur Verfügung stehen. „Bisher sind wir auf Lehrerinnen und Lehrer zugegangen“, sagt Wendt, „mittlerweile kommen sie zu uns.“ Immer mehr Projekte und Initiativen rund um das Thema entstehen, immer mehr Lehrer zeigen Interesse und binden Computerspiele in ihren Unterricht ein.

Aus Sicht vieler Experten ein überfälliger Trend. Denn dass Spiele beim Lernen helfen können, ist schon lange bekannt. Bereits in den Achtzigerjahren wurde das Thema unter dem Schlagwort Edutainment diskutiert, später prägte der US-amerikanische Autor Marc Prensky den Begriff des Digital Game Based Learning (DGBL) in seinem gleichnamigen Buch. Verschiedene Studien haben gezeigt, dass Computerspiele problemlösendes Denken ­fördern können. Genauso wie die Entscheidungsfähigkeit oder Konzentration. Es gibt Studien, die zeigen oder zumindest nahelegen, dass Spiele beim Lernen von Fremdsprachen, ­Biologie, Geografie oder Geschichte sinnvoll eingesetzt werden können.

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Lernen mit der Minecraft-Education-Edition: Hier ein aus Minecraft-Klötzchen erbautes menschliches Auge, das die Spieler von allen Seiten betrachten und manipulieren können. (Screenshot: Microsoft)

Auch zur Discovery Tour von Assasin’s Creed gibt es eine Untersuchung. Marc-André Éthier, Professor an der Universität ­Montréal hat mit mehr als 300 Schülerinnen und Schülern getestet, wer mehr über das alte Ägypten lernt: Eine Gruppe, die den Stoff mit einem Lehrer durchnimmt oder die Gruppe, die den gleichen Inhalt per Discovery Tour erfährt. Gemessen wurde das durch einen Eingangs- und Ausgangstest. Das Ergebnis: Die ­Gruppe, die mit Lehrer lernte, schnitt im Ausgangstest etwas ­besser ab. Aber nur knapp. Während die Lehrer-Gruppe 51 ­Prozent der Fragen im Abschlusstest richtig beantwortete, erreichte die spielende Gruppe 44 Prozent – ausgehend von 21 vor dem Spiel (bei der Lehrer-Gruppe waren es 22).

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Natürlich bleiben Fragen offen, sagt Maxime Durand, His­toriker und Mitentwickler der Discovery Tour, bei einem Vortrag auf dem Gamescom Congress im August 2018. Zum Beispiel habe der Versuch nur relativ einfache Fakten abgefragt, kein ­Verständnis zu komplexen Entwicklung von Gesellschaft und ­Politik oder zu kritischem Denken. Auch müsse man noch testen, ob eine Kombination von Lehrer und Spiel andere Ergebnisse produzieren würde. Aber die Untersuchung zeigt doch: Lernen per Computerspiel? Das geht.

„It’s motivating, because it’s fun“

Das ist durchaus naheliegend, schließlich liegen Spielen und Lernen nahe beieinander. Kleine Kinder lernen alles – Laufen, Sprechen, soziales Miteinander – buchstäblich spielerisch. Auch institutionalisiertes Lernen und Spielen teilen sich eine ganze Reihe von Merkmalen. Zum Beispiel geht es bei beidem darum, Aufgaben zu lösen und dafür Strategien zu entwickeln. Es gibt Rückkopplungsprozesse, die Rückmeldung über Erfolg, Leistung und Fortschritt geben. Und nach jeder erfüllten Aufgabe folgt direkt die nächste, schwierigere.

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Spiele sind interaktiv. Das heißt, anders als bei einem Buch oder einem Film wirkt der Rezipient direkt auf das Geschehen ein und ist dadurch deutlich stärker involviert und damit bei der Sache. Vor allem: Wer spielt, ist automatisch motiviert.

Beim Spielen entsteht die sogenannte intrinsische, aus sich selbst herauskommende, Motivation. Man macht etwas gerne, deswegen will man weitermachen. Nicht, weil man sich irgendetwas Externes davon verspricht. Dass man quasi nebenbei etwas lernt, stört nicht, ist aber nicht der Antrieb. Das ist wohl eines der gewichtigsten Argumente, warum es Sinn ergibt, Spiele als ­Bildungsinstrumente zu nutzen. „Die größte Kunst ist, den Kleinen alles, was sie tun oder lernen sollen, zum Spiel und Zeitvertreib zu machen“, schrieb schon 1693 der englische Philosoph John Locke in seinen Gedanken über Erziehung. Seitdem haben sich Spiele stark verändert. Sie sind komplexer geworden, ­multimedial und bieten die Möglichkeit, andere Welten ­buchstäblich zu betreten. Umso mehr gilt, was Marc Prensky gleich zu Beginn seines Buches konstatiert: „Digital-Game-based-Learning is motivating, because it is fun.“

Dass diese Einsicht nun, rund 15 Jahre nachdem Computerspiele in der deutschen Öffentlichkeit vor allem als Killerspiele verteufelt wurden, immer weitere Kreise zieht, hat verschiedene Gründe: Einer dürfte sein, dass Computerspiele ganz allgemein in der Mitte der Gesellschaft ankommen. Menschen, die mit ­Computerspielen aufgewachsen sind, kommen langsam in Schlüsselpositionen. Mit ­Dorothee Bär sitzt eine Staatsministerin im Kanzleramt, für die Games- und E-Sports-Förderung „ganz oben auf der Agenda“ steht. Kanzlerin ­Angela Merkel hat im vergangenen Jahr die Gamescom in Köln eröffnet – für viele ein wichtiges Signal für die Branche. „Es gibt insgesamt einen Shift, was die Anerkennung von Spielen angeht“, sagt Carolin Wendt von der Stiftung Digitale Spielekultur, „das wirkt sich auch auf die Schulen aus.“

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Außerdem sind Spiele schlicht ein wichtiger Teil der Realität junger Menschen. Nur zehn Prozent der Jugendlichen spielen laut der JIM-Studie des Medienpädagogischen Forschungs­verbundes Südwest (mpfs) nie ein digitales Spiel, mehr als 60 Prozent spielen täglich. Was so präsent in der Welt der Jugendlichen ist, können oder wollen Lehrer nicht ignorieren. Und es bietet ihnen die Chance, einen besseren Zugang zu ihren Schülerinnen und Schülern zu finden.

Hinzu kommt: Je besser die Technik, desto einfacher sind Spiele in den Unterricht zu integrieren. Praktisch alle Schülerinnen und Schüler haben ein Smartphone – und damit unter Umständen leistungsfähigere Computer in der Hosentasche als im Computerraum. Bring your own Device (BYOD) ist ein viel diskutiertes Konzept in der Debatte um digitale Bildung. „Für viele Lehrer bietet erst BYOD die Möglichkeit, Games in ihren Unterricht einzubringen“, sagt Wendt.

Lernen also bald alle Schüler vor allem durch Zocken? Ganz so schnell wird es wohl nicht gehen. Denn bei aller Bewegung, die in dem Thema ist, in der Breite sind Games im Unterricht noch nicht angekommen. Nur eine kleine Zahl von Schülern ­dürfte heute in der Schule mit Computerspielen in Kontakt kommen. Konkrete Zahlen dazu gibt es kaum wie insgesamt zur Frage, was im Alltag deutscher Klassenzimmer eigentlich passiert. Aber es gibt Einschätzungen. Und die klingen oft eher so: Es gibt tolle Initiativen, aber noch sind das eher Leuchtturmprojekte.

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Allerdings: Einzelne Projekte können zu Epizentren eines ­größeren Trends werden. Tatsächlich gibt es einige engagierte Lehrer und Projekte im deutschsprachigen Raum, die das ­Thema seit Jahren ­vorantreiben und auch öffentlich dafür werben, ­Games im Unterricht einzusetzen.

Lehrmethode oder Literatur?

Das kann ganz Unterschiedliches bedeuten. Auf der Plattform ­Digitale-Spielewelten.de finden sich Dutzende ­Projekte und ­Methoden für Games im Unterricht: etwa zum Thema Flucht mit dem Spiel This War of Mine, zu Armut (Spent), zu ­Physikexperimenten in Portal, zu Geschlechterrollen in ­Spielen am Beispiel von Fantasy-Charakteren, zu moralischen Fragen der ­Zombie-Apokalypse (The Walking Dead) oder Kunst mit Minecraft.

Grob lassen sich die Ideen, die es zu Computerspielen an ­Schulen gibt, in drei Bereiche gliedern: Spiele können ein Vehikel sein, um bestimmte Fakten zu lernen oder Systeme zu ­verstehen. So funktioniert etwa die Discovery Tour bei Assassin’s Creed ­Origins oder das, was Microsoft mit der Minecraft-Education-­Edition anbietet: eine ganze Bibliothek an Bildungswelten vom Korallenriff über das begehbare menschliche Auge bis hin zur ­Chemistry World. Spiele können aber auch Vorbild und ­Hilfsmittel für Lehrer sein, wenn es darum geht, Lernende zu ­motivieren. Das wird oft unter dem Stichwort ­Gamification ­diskutiert. Und: Computerspiele können auch Literatur sein.

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So sieht sie Philipe Wampfler. Im Deutschunterricht nimmt der Schweizer Lehrer und Uni-Dozent verschiedene Spiele durch. Da heißt die Hausaufgabe auch schon mal: „Spielen Sie bis Checkpoint 3.“ Für ihn sind Spiele kein Vehikel, um etwas zu lernen, sondern sind selbst als Unterrichtsgegenstand interessant: „Der ­Literaturunterricht dient dazu, Konzepte zu erwerben, um Erzählungen zu verstehen und zu analysieren“, sagt er. „Das passiert vorrangig über Bücher, aber dabei darf es nicht bleiben. ­Computerspiele ­bieten hervorragenden Zugang zu Geschichten.“
In The Stanley Parable müssen seine Schüler immer wieder entscheiden, ob sie der Geschichte folgen, die eine Stimme aus dem Off erzählt oder anders handeln. In Sunset steuern sie die Haushaltshilfe einer Wohnung in einem Bürgerkriegsland, die während ihrer Arbeit immer mehr über das herausfindet, was ­außerhalb des Hauses geschieht. Gekämpft wird nicht. „Wir spielen vor allem Autorenspiele von Independent-Labels“, sagt Wampfler, „nicht das, was die Jugendlichen sowieso spielen. Wenn ich Film behandle, zeige ich ja auch nicht den Herrn der Ringe.“

Anders als in Büchern und Filmen trifft der Rezipient bei Spielen selbst Entscheidungen, eine ganz neue Erzählform. Jeder Spieler sieht unter Umständen etwas anders. Man ist nicht einem Autor verpflichtet, sondern formt die Geschichte in Grenzen selbst und trägt gewissermaßen auch die Verantwortung dafür. Wampfler fordert deshalb in einem Artikel: „Computerspiele gehören über kurz oder lang in den Kanon für den Deutschunterricht, weil sie ästhetische und sprachliche Herausforderungen darstellen, die zum Aufbau literarischer und sprachlicher Kompetenzen einladen.“ Und auch, weil sie einfach Teil der Lebensrealität vieler Schüler sind. Wampfler zitiert den Didaktiker Axel Krommer: „Computerspiele sind inzwischen die eigentliche Form digitaler Jugendliteratur.“

Lebensenergie statt Fleißpunkte

Einen ganz anderen Ansatz, um Spiele in den Unterricht zu integrieren, hat Daniel Jurgeleit, Englisch- und Deutschlehrer in ­Baden-Württemberg. Sein Unterricht ist eine Art Fantasy-Rollenspiel – egal, worum es geht. Er verwendet die Software Classcraft, ein Gamification-­Framework für den Unterricht. Jede und jeder in der Klasse wählt einen Fantasy-Charakter – Heiler, Magier oder Krieger. Im Lauf des Schuljahres bekommen sie Erfahrungspunkte vom Lehrer: Pluspunkte für richtige Antworten oder gute Gruppenarbeit, Minuspunkte für Zuspätkommen und so weiter.
Gute Leistungen in der Schule zahlen sich im Spiel aus – und haben Auswirkungen auf die echte Welt: Krieger können ­andere beschützen, beispielsweise deren Schadenspunkte abfangen, wenn sie einem Mitschüler drohen, weil er die Hausaufgaben vergessen hat. Heiler können angerichteten Schaden ­wiedergutmachen. Wer genug Punkte hat, kann Privilegien freispielen – Musik hören zum Beispiel oder den Platz im ­Klassenzimmer tauschen.

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Der Hersteller zitiert auf seiner Website verschiedene ­Studien, die zeigen, dass der Ansatz zu mehr Motivation und besseren Lernergebnissen führt. In den USA verwenden das Programm nach Angaben des Herstellers Tausende Schulen, in Deutschland dürfte Jurgeleit einer von sehr wenigen sein. Auch er hat gute Erfahrungen gemacht: „Die Schüler sind mehr dabei, sie geben sich mehr Mühe, die Gruppen funktionieren bei Gruppenarbeiten besser“, beschreibt er in einem Interview. Die Schüler fänden es gut, Leistungen verbesserten sich, die Atmosphäre sei besser: „Es nimmt dem Schulalltag ein bisschen die Schärfe“.

Zu wenig Zeit, zu wenig Ahnung

Egal ob Gaming-Framework, als Literatur im Deutschunterricht oder als Methode in Geschichte, alle diese Ideen haben eines gemeinsam: Es ist alles andere als einfach, solche Projekte in deutschen Schulen umzusetzen. Da ist einerseits die Hardware-­Ausstattung an Schulen eine ganz eigene Diskussion. Fest steht: Die Möglichkeit, eine komplette Klasse ein High-End-Spiel wie Assasin’s Creed spielen zu lassen, hat kaum eine Schule. ­Ähnlich sieht es mit finanziellen Mitteln aus, die etwa für ­Lizenzen notwendig wären. Vor allem aber geht es oft um Zeit. „Jede ­Lehrperson muss abwägen, was sie wann mit welchem Aufwand machen kann“, sagt Tobias Hübner, Lehrer an einem Gymnasium in Düsseldorf und Dozent am Zentrum für Lehrerinnenbildung der Uni Köln. „Wer Computerspiele im Unterricht unterbringen will, muss sich die Zeit dafür selbst freischaufeln.“

Auch Hübner ist einer der Vorreiter in Deutschland, wenn es um Spiele im Unterricht geht. Der Deutsch- und Religionslehrer nutzt sie mittlerweile hauptsächlich, um seinen Schülern digitale Kompetenzen beizubringen. In Projekten arbeiten seine Klassen mit dem Raspberry Pi oder verwenden die Programmiersprache Scratch, um eigene Spiele zu entwickeln: „Ich glaube, dass jeder, der heute Abitur macht, zumindest grundsätzliches Verständnis dafür haben sollte, wie Computer funktionieren“, sagt er. Mittlerweile hat er nebenbei das Startup Codingschule mit aufgebaut, mit dem er seine Projekte auch außerhalb der Schule weiter ­vorantreibt und Kurse anbietet, unter anderem zum Thema ­Programmieren.

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Aber auch innerhalb des Deutschunterrichts hat er für seine Themen zahlreiche Anknüpfungspunkte gefunden und Unterrichtsmaterialien erarbeitet, die er online zur Verfügung stellt. Denn er weiß: Von anderer Stelle bekommen Lehrer wenig Unterstützung, wenn sie Computerspiele oder andere ­digitale ­Themen in den Unterricht bringen wollen. „Ich glaube, viele ­Kollegen ­wären grundsätzlich offen dafür, mit digitalen Medien und ­Computerspielen zu arbeiten“, sagt er. „Aber es fehlt einfach an Ressourcen.“

This War Of Mine vom polnischen Entwickler 11 Bit Studios thematisiert die Ressourcenknappheit während eines Krieges. Spieler müssen sich fortwährend um die Bewohner kümmern. (Screenshot: 11 Bit Studios)

Es geht ihm dabei weniger um die Ausstattung der Schulen mit Technik als um das inhaltliche Rüstzeug für Lehrer. In Nordrhein-­Westfalen etwa gibt es seit einiger Zeit statt fester Lehrpläne das sogenannte Kompetenzrastermodell. Das heißt, Lehrern wird zum Beispiel nicht mehr vorgegeben, welches Buch gelesen ­werden muss, sondern nur, dass die Schüler einen literarischen Text verstehen können müssen. „Ich bin großer Fan des Modells, weil es mir zum Beispiel die Freiheit bietet, Erzählperspektiven anhand von Games durchzunehmen“, sagt Hübner, „aber Lehrer, die sich das nicht selbst erarbeiten wollen oder können, werden alleine gelassen in der Umsetzung.“ Materialien zu digitalen ­Themen gäbe es wenig. „Dass im Deutschbuch zum Thema Computerspiele nur ein Text von Manfred Spitzer abgedruckt ist, spricht ­Bände“, sagt Hübner. Der Psychiater schürt regelmäßig in schrillen Tönen Ängste vor den Gefahren digitaler Technik für Kinder. Ihm wird vorgeworfen, unwissenschaftlich zu arbeiten.

Hübner sieht den Schlüssel in der Lehrerausbildung: „An den Unis und im Referendariat müssten digitale Themen eine viel größere Rolle spielen“, sagt er. Und für die heute schon fertig ausgebildeten Lehrer fordert er Fortbildungen. „Auch wenn es vielleicht utopisch klingt: Im Grunde müsste man Lehrern zwei Wochen freigeben, damit sie sich mal ernsthaft damit beschäftigen können.“

Auch viele andere Experten sehen die Lehrerausbildung in der Pflicht: „Gerade Games wirken auf den ersten Blick sehr anspruchsvoll. Es ist schwierig, sich ihnen zu öffnen, wenn man noch nie damit zu tun hatte“, sagt Carolin Wendt von der Stiftung Digitale Spielekultur. Welche Arten von Spielen gibt es, welche Vorteile können sie für den Unterricht haben, wie funktioniert eigentliche eine Playstation? – All das komme in der Lehrerausbildung bisher kaum vor. „Auch deshalb gibt es unsere Plattform und unsere Angebote“, sagt sie. Oft gehe es auch darum, ­Vorurteile und Vorbehalte abzubauen: „Selbst bei denen, die zu unseren Fortbildungen kommen, merken wir, dass viele skeptisch sind.“

Diese Zurückhaltung kennt auch Christoph Klimmt von der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover: „Gemessen an der Menge an Lehrkräften, die hier ausgebildet werden, ­machen wir uns in Deutschland eher nicht um eine ­Sensibilisierung für neue Medien und digitale Welten verdient“, sagt er. Aus seiner Sicht ein großes Problem: „Ein guter Lehrer sollte die Lebensrealität seiner Schüler kennen und verstehen. Dazu gehören heute definitiv auch Computerspiele.“ Weil er aber weiß, dass Zeit knapp ist, viele Spiele schwer zu verstehen sind und der ­Computerraum entweder belegt oder mit alten Geräten ausgestattet ist und sich das alles auch nicht von heute auf morgen ändern wird, plädiert er für einen niedrigschwelligen Zugang zum Thema. In Anlehnung an Game-based-Learning nennt er seinen ­Ansatz ­Game-­inspired-Learning.

Im Grunde geht es Klimmt vor allem darum, dass Computerspiele in der Schule auftauchen, aber ohne den immensen Aufwand, den manche der Vorzeigeprojekte bedeuten: „Die Spiel­erfahrung, die die Lerner sowieso mitbringen, wird zum Kontext, in dem dann die normale Unterrichtsarbeit stattfindet“, erklärt er. Das kann etwa bedeuten, im Deutschunterricht eine Nach­erzählung über eine Gaming-Episode aus dem Erfahrungsschatz der Schülerinnen und Schüler schreiben zu lassen, in Musik über Spiele-Soundtracks zu sprechen oder dass jemand in Geschichte ein Referat über Assasin’s Creed hält, wenn schon nicht die ganze Klasse spielen kann.

Klimmt sagt selbst, dass das eigentlich keine revolutionäre Idee sei – und schon gleich kein Ersatz für Game-based-Learning. Aber es sei eben eine einfache und deshalb für viele Lehrer die einzige Möglichkeit, das Thema unterzubringen. „Aufwändige, mehrwöchige Projekte kann man dann ja immer noch machen“, sagt er. Wichtig ist ihm vor allem, dass Lehrer Gaming nicht als Bedrohung sehen, sondern als Chance: „Computerspiele sind längst ein ganz normaler Teil der Welt, gerade von Jugendlichen“, sagt er, „Lehrer sollten sie im Unterricht nicht als Fremdkörper betrachten.“

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