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Wir nannten es Arbeit! Was Künst­liche Intelligenz auch für deinen Arbeitsplatz bedeutet

Die Automatisierung dringt in alle Branchen vor. Was ­manche großartig finden, macht anderen Angst. Fest steht: Künst­liche Intelligenz verändert grundlegend, was wir heute Arbeit ­nennen. Darauf reagieren sollten wir schon heute.

17 Min. Lesezeit
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(Grafik: t3n)

Ein Androide, der als Präsident eines Staates kandidiert, hält eine flammende Rede vor allen Mitarbeitern eines Industrieunternehmens. Seine Zuhörer: ein einziger Mensch und eine Halle voller Roboter. Die Szene stammt aus dem Roman „Qualityland“ des Berliner Autors Marc-Uwe Kling. Im gleichnamigen Land wird praktisch jede Arbeit von Maschinen erledigt. Es gibt Anwaltsbots, Kampfroboter, elektronische Schriftstellerinnen, Sexdroiden, Lieferdrohnen, selbstfahrende Taxis. Eine Truppe kaputter Maschinen, darunter eine E-Poetin mit Schreibblockade und ein Kampfroboter mit posttraumatischer Belastungsstörung, stehen im Zentrum der Geschichte. Aber die meisten Maschinen des Landes sind intakt – und nehmen den Menschen die Arbeit weg. Und so spricht auch der androide Präsidentschaftskandidat – ungeachtet der Zusammensetzung des Live-Publikums – in seiner Fabrikhallen-Rede vor allem über den Arbeitsmarkt: „Durch Digitalisierung, Automatisierung und Rationalisierung werden Arbeitsplätze in immer größerem Umfang massenweise abgeschafft“, ruft er.

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Von einem Roboter als Regierungschef sind wir in der Realität weit entfernt, doch die Debatte um Automatisierung und die Auswirkungen auf unsere Arbeit gibt es wirklich. Für viele Menschen ist längst klar: Fast jeder Job kann künftig von Computern gemacht werden. Als Beleg dient oft eine Studie der Oxford-Wissenschaftler Carl Benedikt Frey und Michael A. Osborne aus dem Jahr 2013, laut der 47 Prozent der Beschäftigten in den USA in Berufen arbeiten, die wahrscheinlich in den nächsten zehn bis zwanzig Jahren automatisiert werden.

Überraschend an der Untersuchung war für viele, welche Berufsgruppen die Forscher als gefährdet einstufen. Mit dabei sind nämlich viele Bürotätigkeiten, Dienstleistungen und vermeintlich kreative Tätigkeiten. Für Buchhalter sieht die Untersuchung eine 94-prozentige Automatisierungschance, für Versicherungsvertreter 92 Prozent, für Programmierer immerhin noch 48 Prozent. Damit ist die Angst, von Maschinen ersetzt zu werden, bei den Geistesarbeitern angekommen, den White-Collar-Workern, die im weißen Hemd – oder mittlerweile oft eher im Kapuzenpulli –
arbeiten statt im Blaumann. Bis dahin war diese Befürchtung vor allem Arbeitern in der industriellen Produktion vorbehalten.

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Die Schlagworte für die neuen Automatisierungsängste sind in aller Munde: künstliche Intelligenz, Algorithmen, ­Machine ­Learning. Immer intelligentere Software sorgt dafür, dass ­Maschinen Dinge können, die wir bisher nur uns Menschen zugetraut haben. Googles Alphago Zero hat sich das chinesische Brettspiel viel schneller und besser beigebracht, als die meisten Experten erwarteten. Microsoft und Alibaba haben kürzlich unabhängig voneinander gemeldet, ihre Software habe in einem Test ein besseres Textverständnis als Menschen erreicht. IBM Watson steuert Busse und hilft Ärzten. Nachrichten wie diese erregen großes Aufsehen – und sie erwecken den Eindruck: Es wird wohl nicht mehr lange dauern, bis Computer unsere Arbeit übernehmen.

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Die einen träumen deshalb schon von einer paradiesischen Welt, in der niemand mehr arbeiten muss – die anderen haben Angst vor Arbeitslosigkeit. Aus dem Silicon Valley kommen Vorschläge wie eine Robotersteuer und ein bedingungsloses Grundeinkommen für die Zukunft ohne Arbeit. In Deutschland fordert Sascha Lobo, die SPD müsse es als ihre Kernaufgabe begreifen, die Folgen der Digitalisierung gesellschaftlich zu bewältigen. „In einer Zeit, in der nicht viele Leute wissen, ob es ihren Job in zehn Jahren noch so gibt“, wie der Spiegel-Online-Kolumnist schreibt.

Im Jahr 2018, so scheint es, sind wir von den Utopien und Dystopien allerdings noch gleichsam weit entfernt. Die Arbeitslosigkeit in Deutschland ist so gering wie seit Jahren nicht – und Menschen, die faul in der Hängematte liegen, weil Maschinen all ihre Arbeit tun, sind auch nicht gerade die Regel. Also doch alles halb so wild, das mit der Robo-Zukunft?

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Engere Kooperation mit der KI

Peter Buxmann glaubt nicht, dass wir in absehbarer Zukunft alle von Maschinen ersetzt werden. Wohl aber: uns auf neue Arbeitsabläufe einstellen müssen. Buxmann ist Professor für Wirtschaftsinformatik an der TU Darmstadt und hat sich in den vergangenen Jahren intensiv sowohl mit Machine Learning als auch mit der Entwicklung neuer Geschäftsmodelle auseinandergesetzt: „Künstliche Intelligenz wird in Unternehmen und in der Gesellschaft Einzug halten, wir werden immer enger mit Algorithmen zusammenarbeiten“, sagt er. „Das wird den Arbeitsalltag verändern.“

Für die Mitarbeiter der Personalvermittlung Randstad hat diese Entwicklung bereits begonnen. Die Firma ist ein globaler Zeitarbeitsgigant, alleine bei der deutschen Tochtergesellschaft sind mehr als 50.000 Menschen beschäftigt, die im Auftrag anderer Firmen eingesetzt werden. Dazu kommen fast 3.000 Mitarbeiter, die eine riesige Personalabteilung bilden – an allen Ecken geht es um das Recruiting, das Einstellen und Anlernen neuer Mitarbeiter, die Bearbeitung von Arbeitsverträgen.

Beim Vermitteln der Jobs hilft seit einiger Zeit eine Software namens „Automatic Pre Match“. Mit ihr können die Personaler wie in einer Internet-Suchmaschine ihre Anfrage formulieren. Im Hintergrund durchsucht das Programm mehrere Jobplattformen und Bewerbermanagementsysteme nach passenden Kandidaten. Stolz ist das Randstad-Team auch auf den Einsatz einer Sprachanalysesoftware des Aachener Startups Precire: Aus Stimmen und Texten, die im Bewerbungsprozess anfallen, kuratiert das Programm ein Persönlichkeitsprofil: Wie flüssig drückt sich ein Kandidat aus? Wie kompetent oder wie extrovertiert ist er oder sie? All das kommt jetzt gewissermaßen nebenbei ans Licht.

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„Die Technologie wird unsere Art zu arbeiten verändern, aber der Mensch wird dabei weiterhin im Mittelpunkt stehen“, sagt Lars Hewel, bei Randstad Deutschland verantwortlich für
Business Intelligence, Konzepte und Strategien. Konkret heißt das auch: „Wir wollen die Teile der Tätigkeit ersetzen, die ersetzbar sind.“ Viel Arbeit wurde den Personaldisponenten etwa durch eine neue Plattform abgenommen, auf der Mitarbeiter selbst ihre Einsätze planen können – und daraus automatisch Dienstpläne entstehen. „Da greift der zuständige Mitarbeiter nur noch ein, wenn es haken sollte“, sagt Hewel. Und in Frankreich sind jetzt schon Chatbots im Einsatz, die immer mal wieder bei ehemaligen Bewerbern nachhaken – ist man immer noch an einem Job bei Randstad interessiert, welche Branchen wären interessant?

Randstad gilt als Vorreiter, aber auch in anderen Unternehmen arbeiten Menschen bereits mit virtuellen Kollegen zusammen. Im engeren Sinne intelligent sind die nicht immer. Häufig geht es bei den Automatisierungsideen vor allem darum, sich wieder­holende Prozesse ohne menschliches Zutun ablaufen zu lassen. Das ist zwar schlau – aber nicht intelligent.

„Wirkliche intelligente Automatisierung ist zumindest im großen Stil in den allermeisten Unternehmen noch Zukunfts­musik“, sagt Robert Laube. Als Chief Technology and Innovation Officer des IT-Dienstleisters Avanade in Deutschland sieht er täglich, auf welche Produkte größere Firmen hierzulande häufig setzen. Er unterscheidet zwischen einfacher Automatisierung mit dem Ziel, bestimmte Prozesse von Programmen oder Bots ausführen zu lassen. Dazu kann das simple Zusammenstellen von Reports gehören, für das vorher Hilfskräfte manuell Daten zwischen
Tabellen hin- und herkopieren mussten. Zum anderen sieht er die komplexere Enterprise-Automatisierung, die ganze Abläufe quer durch Abteilungen abbildet. Der entscheidende Unterschied: Künstliche Intelligenz hilft den Programmen, aus den Daten zu lernen und so immer selbstständiger die Aufgaben zu erledigen. „Die meisten Unternehmen konzentrieren sich im Moment auf die einfache Variante“, sagt Laube.

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Getrieben wird die Entwicklung oft weniger von großen Konzernen als von kleinen KI-Schmieden. Zwölf Milliarden Dollar Wagniskapital haben Startups in diesem Bereich im vergangenen Jahr eingesammelt, ergab eine Erhebung von KPMG – eine Verdopplung gegenüber 2016. Nach Einschätzung von Tim Dümichen, Partner bei der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft, fließt künftig noch mehr Geld in den Sektor. „Angesichts der breiten Anwendungsmöglichkeiten künstlicher Intelligenz quer über die unterschiedlichsten Industrien hinweg dürfte das Thema auch in diesem Jahr weit oben auf der Agenda der Investoren stehen“, sagte er im Januar.

Auf den Kundenservice konzentriert sich Parlamind mit seiner KI-Software. Das Startup verspricht seinen Kunden ein intelligentes, virtuelles Teammitglied. Standardanfragen, die per Mail oder Chat eintrudeln, arbeiten Algorithmen ab und halten so den menschlichen Kollegen den Rücken frei. „Kunden stellen immer wieder dieselben Fragen“, sagt Christian Wolf. Der Mitgründer von Parlamind kennt das aus eigener Erfahrung. 2008 hat er Wirkaufens und Asgoodasnew aus der Taufe gehoben – der erste Onlineshop kauft gebrauchte Elektronikartikel wie beispielsweise Smartphones an, im zweiten werden sie wieder verkauft. Trotz einer ausführlichen FAQ-Liste und vielen Informationen auf der Homepage kamen aber immer wieder dieselben Fragen auf: Immer wieder wollten Kunden beispielsweise etwas über Lieferzeiten und Bezahlmodalitäten wissen. Auch die erneute Zusendung einer Rechnung war ein Klassiker. „Solche Routine-Anfragen fressen viel Zeit – und leider baut man damit keine besondere Kundenbeziehung auf“, sagt Wolf. „Das geht nur mit einer intensiven Beratung, für die dann aber gar keine Zeit bleibt.“

Sind die smarten Kollegen eine Gefahr oder eine Chance?

Als Antwort auf dieses Problem ist Parlamind entstanden, mehr als hundert Unternehmen setzen die Software bereits ein. Im Schnitt jede zehnte Anfrage beantworte bereits die KI, mit fortlaufendem Training der Software sei ein Automatisierungsgrad von bis zu 60 Prozent möglich, sagt Wolf. Der große Vorteil des Computers: Er ist schnell, braucht keine Pausen – und ist immer freundlich.

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Qualitäten, die auch im Einzelhandel gefragt sind: Unternehmen wie Otto, Kaufland und Dm nutzen die Algorithmen des Karlsruher KI-Spezialisten Blue Yonder, um Preise zu optimieren und verkaufte Mengen vorauszusagen. „Wenn Menschen diese Entscheidungen nach ihrem Bauchgefühl treffen, ist dies viel zu ungenau“, sagt Gründer Michael Feindt. „Die KI ist darin wesentlich besser.“ Eine wichtige Grundlage für die Prognosen des Computers sind historische Verkaufsdaten. Sogar der Wetterbericht fließt in die Berechnungen ein: Denn fällt der Winter mild aus, sind warme Kleider nicht so gefragt. Und steht im Sommer ein verregnetes Wochenende an, verkaufen sich wahrscheinlich Bier und Limonaden nicht so gut.

Ob im Einkauf, der Personalabteilung oder im Kundenservice: Automatisierung bedeutet auch, dass sich menschliche Mitarbeiter auf ihre neuen, virtuellen Kollegen einstellen müssen. Für die Menschen bleiben die Ausnahmen übrig, die kniffligen Fälle. Und sie müssen der Software Rückmeldung geben, damit sie lernt. Nicht alle sehen das positiv: „Manche Mitarbeiter haben Angst, ihrer Aufgaben beraubt zu werden“, beobachtet Feindt. Laut einer Umfrage des Digitalverbands Bitkom sind die Deutschen zwiegespalten: Die eine Hälfte sieht künstliche Intelligenz eher als
Gefahr, die andere eher als Chance.

Die Optimisten sagen: KI wird Berufstätigen die Möglichkeit geben, sich auf sinnvollere Arbeiten zu konzentrieren. Genau das ist das Ziel von Lösungen wie der Blue-Yonder-Software. „Durch unsere KI fallen Routineaufgaben weg“, sagt Feindt. In Filialen etwa müssen sich Mitarbeiter nicht mehr durch lange Bestandslisten arbeiten und Posten für Posten Nachbestellungen aufgeben. Statt Stunden brauchen Filialleiter für ihre Orders so nur noch wenige Minuten. „Die meisten empfinden das eher als Gewinn und nicht als Verlust“, sagt Feindt. Das letzte Wort haben ohnehin die Menschen: Sie prüfen die automatischen Bestellungen und passen diese an. Allwissend ist die KI nicht, sondern schließt nur aus aggregierten Daten. Ein lokales Stadtteilfest etwa, für das haufenweise Grillgut geordert wird, bleibt den Algorithmen in der Regel verborgen. Der menschliche Filialleiter stockt dagegen die Biervorräte auf, sobald das Festzelt aufgebaut wird.

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Die durch Automatisierung gewonnene Zeit soll Freiheiten schaffen für anspruchsvollere Aufgaben. Bei der britischen ­Supermarktkette Morrisons haben die Mitarbeiter seit der Einführung von Blue Yonder mehr Zeit für Kundenberatung und haben so deutlich ihre Kundenzufriedenheit verbessern können, so Feindt. Und bei Randstad, erzählt Stratege Hewel, können sich die Personaler wieder mehr um die Bewerber kümmern: Gespräche führen statt Akten sortieren, Strategien entwickeln statt Stundentabellen ausfüllen. Das komme gut an: „Keiner hat hier angefangen, weil er sich den ganzen Tag nur mit organisatorisch-technischen Dingen beschäftigen möchte“, sagt Hewel. „Unsere Mitarbeiter wollen mit Menschen zu tun haben – sei es im Recruiting oder im Vertrieb.“

Kosten runter, Kapazitäten rauf

Neue Freiräume, effizientere Abläufe: Noch werden die Versprechen der Dienstleister häufig skeptisch aufgenommen. Denn aus Unternehmenssicht kostet Automatisierung zunächst Geld für die Programme, Zeit für die Auswahl und Einarbeitung. Laut einer Studie von Avanade nutzen hierzulande erst 22 Prozent Systeme zur intelligenten Automatisierung, weltweit sind es dagegen bereits 31 Prozent. Doch die Investitionsbereitschaft wächst: Beinahe 90 Prozent der befragten Entscheider sind überzeugt, ihr Unternehmen müsse intelligente Automatisierungstechnologien innerhalb der nächsten fünf Jahre einsetzen. „Die Erkenntnis setzt sich durch, dass erhebliche Vorteile dadurch entstehen“, sagt CTO Laube. „Unternehmen können Kosten senken und gleichzeitig Kapazitäten für neue Innovation schaffen.“

Die Kundenservice-Optimierer von Parlamind werben damit, dass ihre KI Routineanfragen zu einem Zehntel der Kosten von menschlichen Mitarbeitern beantwortet. Ein betriebswirtschaftlicher Selbstläufer ist die Investition in das Tool deswegen aber nicht automatisch. Mitunter müsse er die Euphorie potenzieller Kunden bremsen, sagt Parlamind-Gründer Wolf. „Bevor sie über KI nachdenken, müssen die Unternehmen erst ihre Hausaufgaben machen.“ Das bedeutet im Fall des Kundenservices: Die Homepage sollte hinsichtlich der User-Experience bereits ­optimiert sein – zudem ist ein Ticketsystem nötig, an das die KI-Software andocken kann. Vor allem aber müssten sich Unternehmen darüber klarwerden, welche Ziele sie mit der Einführung des Tools erreichen wollen.

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Nach Einschätzung Wolfs eint zwar alle seine Kunden das Streben nach Qualitätsverbesserungen. Doch das dominierende Motiv hänge stark von der Marktsituation ab. „Vor allem größeren Unternehmen mit einem etablierten Kundenstamm geht es um Kosteneinsparungen“, sagt er. Aufstrebende Startups dagegen treibe etwas anderes an: Sie suchen nach Wegen, schnell die steigende Zahl der Anfragen zu bewältigen. „Es ist gar nicht so leicht, gute Kundenservice-Mitarbeiter zu finden“, sagt Wolf, „zumal die Fluktuation in dem Bereich sehr groß ist.“

Das rasante Wachstum meistern: Das war auch das Ziel von Max Bauermeister, als sich der Leiter der HR-Abteilung von Wefox vor zwei Jahren durch den Softwaremarkt gepflügt hat. Auf die 50 Mitarbeiter kamen bei dem Berliner Startup, das einen Versicherungs-Marktplatz betreibt, damals drei Personaler. „Wir wussten, dass sich die Mitarbeiterzahl innerhalb weniger Jahre verdreifachen wird – und suchten nach Wegen, unsere Prozesse zu automatisieren und skalieren“, sagt Bauermeister. Bis dahin lagen verschiedenste Tabellen auf Google Drive, von der Arbeitszeiterfassung bis zum Recruiting kamen verschiedene Softwarehelfer zum Einsatz. „Schon wenn wir für Investoren eine Aufstellung mit allen Jobs und Verdiensten erstellen wollten,
waren wir damit Stunden beschäftigt.“

Fündig geworden ist Wefox bei seiner Suche nach einem Automatisierungshelfer bei einem anderen Startup: Gegründet 2015, startet Personio mit einer HR-Management-Software durch. Die kann für die Lohnabrechnung ebenso genutzt werden wie für Stellenausschreibungen und die Arbeitszeiterfassung. Über ihren jeweiligen Account können Mitarbeiter sich beispielsweise Lohnabrechnungen herunterladen, Atteste einreichen und Urlaube beantragen. Aktuell setzen 500 meist kleine oder mittlere Unternehmen die Software der Münchner ein. „Für den Großteil unserer Kunden ist Personio die erste ganzheitliche Personal­managementlösung“, sagt Geschäftsführer Hanno Renner. Laut einer Kundenbefragung ist das häufigste Motiv für die Einführung der Wunsch der Unternehmen, den organisatorischen Aufwand zu senken – der Ausgangspunkt ist meist ähnlich wie bei Wefox.

Zeigt die Software die erhoffte Wirkung? „Ja“, sagt Max Bauermeister: „Wir haben Zeit gewonnen für die Dinge, für die eine HR-Abteilung da sein sollte: sich um die Mitarbeiter zu kümmern.“ Dazu gehörten etwa Coachings für junge Kollegen, die eine Managementposition übernehmen, oder auch die Vermittlung bei Konflikten. Das inzwischen sechsköpfige HR-Team habe seinen Fokus deutlich erweitert – während das Unternehmen auf 150 Mitarbeiter und vier Standorte angewachsen ist.

Anders ist die Ausgangssituation bei Randstad. Der Personaldienstleister ist in einem umkämpften Markt mit sinkenden Margen aktiv – vor jeder Investition wird hier mit spitzer Feder gerechnet. „Idealerweise ist Zeit konvertierbar in mehr Interaktionen mit Kunden oder Bewerbern“, sagt Stratege Hewel, „und das konvertiert im Idealfall in mehr Umsatz.“ Aktuell gelinge es dem Unternehmen, durch die neuen intelligenten IT-Helfer schneller zu wachsen. Sollte irgendwann jedoch ein Niedergang einsetzen, könnte das schwieriger werden. „Alleine durch moderne IT lässt sich Wachstum nicht steigern, der wichtigste Faktor für wirtschaftlichen Erfolg sind immer noch die Mitarbeiter mit ihrem Know-how“, sagt Hewel.

Angst vor der Arbeitsplatzdiskussion

Verklausulierte Formulierungen wie diese sind typisch für ­Unternehmensvertreter, die über Automatisierung reden. Wer offen zugibt, dass Stellen zur Disposition stehen, riskiert Negativ­schlagzeilen oder einen Aufschrei in den sozialen Netzwerken. „Die Debatte um KI und Arbeitsplätze wird zu schrill geführt“, sagt Parlamind-Chef Wolf – seine Kunden bevorzugen es deswegen, öffentlich nicht genannt zu werden. Die Entscheider müssen indes auch gegen firmeninterne Widerstände ankämpfen, so der Eindruck von Blue-Yonder-Gründer Feindt: „Dass sie technisch aufrüsten müssen, ist den Vorständen bewusst. Aber sie scheuen oft die Konflikte.“ Dabei haben sie ein gewichtiges Argument auf der Seite – den Wettbewerb. „Mittelfristig werden KI-Systeme im Handel zum Standard“, sagt Feindt. „Wer dann zu lange gezögert hat, manövriert sich in die Pleite.“ Statt einiger weniger Jobs, so die Überlegung, gehen dann Hunderte verloren.

„Wer zu lange zögert, manövriert sich in die Pleite.“

Weitgehend Einigkeit herrscht indes darüber, dass sich der Automatisierungsgrad im Arbeitsalltag nicht mehr zurückdrehen lässt. Feindt führt das CERN, an dem er lange gearbeitet hat, als Beispiel an: Zu Beginn seien an der Kernforschungseinrichtung hunderte Bürokräfte beschäftigt gewesen, die in einer Halle mit Rechenschiebern über den Formeln der Wissenschaftler saßen.
Schon lange erledigt das jeder Forscher selbst am Computer – die Bürokräfte wurden hier tatsächlich von Maschinen ersetzt. „Trotzdem wünscht sich heute niemand mehr die alten Zeiten zurück“, sagt Feindt. Die große Frage, damals wie heute, in den Unternehmen: Gibt es für alle Mitarbeiter, deren Tätigkeiten Maschinen übernehmen, genügend neue Aufgaben?

Bis jetzt hätte keiner seiner Kunden auch nur einen Mitarbeiter durch seine Software entlassen müssen, sagt Christian Ritosek. Er hat 2015 Candis gegründet, ein Startup, das sich der Automatisierung der Buchhaltung verschrieben hat. Die Kunden, häufig Steuerberater, hätten dadurch heute bereits viel Zeit für „wertsteigernde“ Aufgaben – also etwa die ausführliche Beratung der Mandanten. Die Software stünde aber noch relativ am Anfang, sagt Ritosek. „Wir sind überzeugt, dass sich die Buchhaltung zu 100 Prozent automatisieren lässt.“ Die Vision: Die maschinenlesbare Rechnung wird zugeordnet und verbucht, die Umsatzsteuer mit dem Finanzamt abgerechnet und der Betrag wird beim Jahresabschluss automatisch berücksichtigt.

„Automatisierung heißt, Mitarbeitern mehr ­Freiräume zu geben. Nicht, sie zu entlassen.“

Wie können Unternehmen mit den frei werdenden Kapazitätenumgehen? „Unternehmen müssen massiv in die Weiterbildung ihrer Mitarbeiter investieren“, sagt Ritosek. Letztere tragen nach Einschätzung des Gründers zumindest eine Mitverantwortung dafür, ob Unternehmen sie trotz Automatisierung weiter beschäftigen: „Wer nicht digitaler denken will, der wird auf der Strecke bleiben.“ Mit einem personellen Kahlschlag tun sich Unternehmen auch wirtschaftlich auf Dauer keinen Gefallen, meint Berater Robert Laube. „Automatisierung heißt, Mitarbeitern mehr Freiräume zu geben“, sagt er. „Nicht, sie zu entlassen.“

Zu einem anderen Ergebnis kam Anfang des vergangenen Jahres ein japanischer Versicherer. Nachdem der Konzern IBMs künstliche Intelligenz Watson eingekauft hatte, um schneller über Zahlungen an seine Kunden entscheiden zu können, folgte eine Kündigungswelle. Ein knappes Drittel seiner Zahlungsabteilung setzte das Unternehmen vor die Tür – 34 Mitarbeiter waren betroffen.

Meldungen wie diese mögen noch die Ausnahme sein. Doch sie zeigen: Es wäre blauäugig zu glauben, dass die rasanten Sprünge bei künstlicher Intelligenz nicht tiefe Spuren auf dem Arbeitsmarkt hinterlassen werden. In das Visier von Technologie-Startups geraten zunehmend auch Berufszweige, an denen die Digitalisierung bisher weitgehend vorbeigezogen ist.

Die Rechtsbranche etwa hat sich Coduka vorgenommen, das für die Seite Geblitzt.de bekannt ist. Autofahrer können darüber kostenlos Bußgeldbescheide anfechten. Das Startup hat eine Software entwickelt, die Partneranwälten den größten Teil der administrativen Arbeit automatisch abwickelt: Dokumente einscannen, der richtigen Akte zuordnen, ein passendes Musterschreiben generieren. Das soll den Prozess um den Faktor 20 effizienter und dadurch überhaupt erst rentabel machen.

Aktuell profitieren Anwälte noch von der Software: Sie gewinnen Mandate, die wegen geringer Streitwerte und hoher Personalkosten vormals selten zustande kamen. Doch je ausgefuchster die Algorithmen werden, desto mehr dürften Legaltechs wie Coduka oder auch die Juristen-KI Ross aus dem Hause IBM Watson auch in kompliziertere Fälle vordringen. „Anwälte, die auf Gebiete spezialisiert sind, die sich einfach automatisieren lassen, werden in Zukunft große Schwierigkeiten haben“, sagt Coduka-Chef Jan Ginhold. „Auch für Rechtsanwaltsfachange­stellte wird es weniger Arbeit geben.“

[/pullquote]„Der Krieg kommt. Und zwar in jeder einzelnen Industrie.“ [/pullquote]

„Der Krieg kommt“, orakelte Tech-Investor Frank Thelen schon vor einiger Zeit. „Und zwar in jeder einzelnen Industrie.“ Er sieht die deutsche Wirtschaft nicht ausreichend vorbereitet auf die Folgen der Digitalisierung – und er ist nicht allein.

Experten und Studien, die vor einem drohenden Arbeitsplatzarmageddon warnen, sind zahlreich. Die Unternehmensberatung Boston Consulting Group etwa rechnet damit, dass knapp acht Millionen Beschäftigte in Deutschland bis zum Jahr 2025 von der Automatisierung betroffen sind – davon seien mehr als 60 Prozent Fachkräfte.#

Suche nach dem neuen Arbeitsalltag

Und dann – doch alle arbeitslos? Marc-Uwe Klings androider Präsidentschaftskandidat hat in seiner Rede eine Lösung für das Automatisierungsproblem parat. Die Entwicklung zurückzudrehen, sagt er, sei weder möglich noch sinnvoll: „Wir müssen stattdessen den Begriff Arbeit neu definieren.“ Er lässt offen, was genau das heißt, an einer anderen Stelle spricht er von einem bedingungslosen Grundeinkommen. Vor allem aber ruft er, die menschengleiche Maschine, den Menschen zu: „Ihr könnt nicht mit uns konkurrieren!“ Und zitiert dann den US-amerikanischen Schriftsteller Kurt Vonnegut: „Maschinen sind Sklaven. Jeder, der mit einem Sklaven konkurriert, wird selbst zum Sklaven.“

Man kann das als etwas wortgewaltigere Version dessen lesen, was die US-amerikanischen Ökonomen Ajay Agrawal, Joshua Gans und Avi Goldfarb schreiben, deren Buch „Prediction Machines: The Simple Economics of Artificial Intelligence“ im April erscheint. Sie verstehen maschinelle und (manche) menschliche Arbeit als Komplementärgüter, also Dinge, die nur zusammen Sinn ergeben. Die ökonomische Regel besagt: Steigt der Wert des einen, steigt auch der Wert des anderen. In einem Artikel schreiben sie: „Wenn sich Machine Learning verbessert, wird der Wert menschlicher Vorhersagekraft sinken, denn maschinelle Vorhersagen sind billiger und besser. Das bedeutet jedoch nicht das Ende menschlicher Arbeitsplätze, wie viele Experten vermuten. Denn der Wert menschlicher Urteilsfähigkeit wird zunehmen.“

Wissenschaftler Buxmann sieht das ähnlich: „Der kreative Teil der Arbeit wird nicht vom Algorithmus stammen“, sagt er. Auch er glaubt zwar, dass die Automatisierung Arbeitsplätze vernichten wird. Allzu pessimistisch ist er dennoch nicht. Er hat sich durch den Berg von Veröffentlichungen und Berechnungen zum Thema gewühlt. Sein Fazit: „Viele Studien machen den Fehler, dass sie davon ausgehen, dass es keine Veränderung bei den Jobprofilen gibt.“

Es gibt für Menschen also trotz aller Automatisierung noch etwas zu tun – es ist vermutlich nur etwas anderes als heute. Neue Jobs werden sich entwickeln, davon sind viele Experten überzeugt. Der Data Scientist, der heute händeringend gesucht wird und doch kein klares Ausbildungsprofil hat, ist da nur der Anfang. Eine Stufe darunter werden sich Firmen überlegen müssen, welche Jobprofile sie heute haben – und welche sie in Zukunft brauchen. „Wer sich gestern als Disponent um die Personalplanung gekümmert hat, könnte morgen schon weiterführende Aufgaben übernehmen“, sagt Randstad-Manager Hewel. Dazu kommt jedoch, dass auch die Arbeitnehmer selbst eine Idee haben müssen, was sie in Zukunft machen wollen. Positiv formuliert: Die KI könnte Chancen schaffen, sich seinen neuen Arbeitsplatz selbst zu schaffen.

Um nicht mit den Maschinen zu konkurrieren, sondern mit ihnen zusammenzuarbeiten, brauchen wir neue Fähigkeiten. Einerseits sind das IT-Kenntnisse. „Wir merken, dass die Steuerberater heute schon Buchhalter mit tiefem IT-Verständnis suchen“, sagt zum Beispiel Candis-Chef Ritosek. Kein einfaches Unterfangen im derzeitigen Arbeitsmarkt: „Das Problem ist, dass dies in den Ausbildungen nicht vermittelt wird. Dafür lernen angehende Buchhalter noch ausgiebigst mit T-Konten zu buchen.“

Unternehmen, die solche Probleme erkannt haben, setzen auf Weiterbildung. Ende vergangenen Jahres kündigte etwa Autobauer Audi eine große Kooperation mit der Online-Universität Udacity
an: Eine nicht genannte Zahl an Mitarbeitern soll sich in den kommenden Jahren mit der Plattform in Themen wie künstliche Intelligenz oder Big Data einarbeiten, inklusive Kursen für Kollegen ohne jegliche Grundkenntnisse.

Die viel gelobten Programmierkenntnisse, mit denen mancher IT-Vordenker heute am liebsten schon im Kindergarten beginnen würde, aber sind vermutlich nicht der sichere Schutz vor der watsonbedingten Arbeitslosigkeit. Sie mögen wichtig sein, um den neuen Kollegen KI besser zu verstehen. Doch je weiter die Automatisierung in die Arbeitsalltage vieler Menschen vordringt, desto einfacher wird sich diese auch anwenden lassen. „Ausbildung muss stärker in kreative Bereiche hineingehen“, sagt Wissenschaftler Buxmann. Entscheidungskompetenz wird wichtiger, Problemlösungsfähigkeiten unabdingbar.

Und dann wäre da ja noch etwas, das wirklich nur Menschen können: Nähe, Wärme, Empathie. Parlamind-Gründer Christian Wolf glaubt, sie wird in der Zukunft in einigen Bereichen zum Alleinstellungsmerkmal, für das mehr Zeit bleiben kann – etwa im Bildungswesen, der Pflege oder beim Sporttraining. „Je stärker wir im Alltag von Maschinen umgeben sind, desto mehr werden wir uns nach menschlicher Zuwendung sehnen.“

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