Netflix-CEO Reed Hastings über den Streaming-Wettbewerb und Virtual Reality: „Amazon ist nicht unser Konkurrent“
t3n Magazin: Netflix ist seit Anfang des Jahres in 190 Ländern vertreten und agiert somit fast global – außer in China. Wann geht ihr dort an den Start?
Reed Hastings: Wir wollen so schnell wie möglich nach China, aber dafür benötigen wir die Erlaubnis der Regierung. Und das kann eine Weile dauern. Apple und das iPhone haben beispielsweise sechs Jahre auf eine Erlaubnis gewartet. Aber nun ist China einer der größten Märkte für das Unternehmen – was zeigt, dass es sinnvoll sein kann, geduldig zu sein.
t3n Magazin: Netflix hat 2007 mit dem Videostreaming begonnen, zuvor habt ihr online DVDs verschickt. Heute – neun Jahre später – ist die Streaming-Revolution in vollem Gange und das klassische lineare Fernsehen wirkt wie ein Relikt aus der Steinzeit. Wie konnte diese Veränderung so schnell vonstatten gehen?
Reed Hastings: Der weltweite Ausbau der Netzwerk- und Übertragungskapazitäten war der Hauptgrund.
t3n Magazin: War denn die Technologie wirklich der einzige Treiber?
Reed Hastings: Technologie ermächtigt dazu, neue Wege zu beschreiten. Und der Grund, weshalb wir nicht noch früher mit dem Videostreaming gestartet haben, waren wirklich die fehlenden Breitband-Kapazitäten. Alles andere war bereit.
t3n Magazin: Kannst du dich noch an den Moment erinnern, an dem dir bewusst wurde, dass die Zukunft einer Online-Videothek im Streaming liegt?
Reed Hastings: Das war ziemlich genau 2005, als ich mein erstes YouTube-Video abspielte: Klick und Play. Klar, die Videoqualität war damals grausam und man hätte sich nicht unbedingt einen Film oder eine TV-Serie anschauen wollen – aber der Impact des sofortigen Abspielens war gewaltig, das haben wir sofort verstanden. Wir haben dann circa eineinhalb Jahre gebraucht, bis die Übertragungsrechte für den Content soweit standen und wir schließlich unser Streaming-Angebot launchen konnten.
t3n Magazin: Wenn wir heute von Qualität sprechen, dann gilt 4k als der kommende Standard. Netflix experimentiert bereits mit der vielversprechenden Technologie. Was habt ihr für Erfahrungen gemacht?
Reed Hastings: Sehr gute. Die meisten unserer neuen Eigenproduktionen werden in 4k produziert. Wir gehen als Technologie-Vorreiter noch einen Schritt weiter und schauen uns schon die nächste größere Innovation in der Entertainment-Technologie an: High Dynamic Range (HDR). Weiße Bildausschnitte entsprechen bei HDR einem echten Weiß und schwarze einem echten Schwarz.
t3n Magazin: Geht das etwas genauer?
Reed Hastings: Ein Beispiel: Wenn du im realen Leben in die Sonne schaust, schmerzen aufgrund der enormen Helligkeit deine Augen. Aber wenn du im Fernsehen in die Sonne blickst, passiert nichts weiter – weil das Fernsehbild nicht so hell ist wie die Sonne. Die HDR-Technologie versucht nun auf dem Fernseher eine Helligkeit zu erzeugen, die man in den Augen wirklich spürt – weil man beispielsweise dort in eine Sonne schaut. Auf der anderen Seite sind dunkle Bildausschnitte so dunkel, dass man wirklich nichts sieht. Das „Sehen“ im Fernsehen wird also viel menschlicher. Ab Ende des Jahres gibt es diese Technologie auch bei uns.
t3n Magazin: Was für Breitband-Kapazitäten sind für 4k und HDR denn nötig?
Reed Hastings: HDR benötigt kaum nennenswert mehr Bandbreite als das heutige Full HD. Für 4k braucht es mindestens 25 Mbit pro Sekunde.
t3n Magazin: Eine weitere wichtige neue Entertainment-Technologie ist Virtual Reality. Wie wichtig kann sie für das Storytelling im Fernsehen werden und welche VR-Pläne hat Netflix in der Schublade?
Reed Hastings: Ich glaube, Virtual Reality ist hauptsächlich eine Gaming-Technologie für Plattformen wie beispielsweise die PlayStation 4. Die nächste Generation von Spielkonsolen werden Virtual-Reality-Plattformen sein. Und es gibt auch eine Form des Storytellings in VR, aber sie ist grundlegend interaktiv – das unterscheidet sie fundamental von Geschichten in Filmen und TV-Serien. Deshalb halte ich VR für Film und Fernsehen nicht für relevant. Und Videospiele waren niemals ein Ersatz für Filme und TV-Serien – das wird Virtual Reality auch nicht sein.
t3n Magazin: Netflix zeichnet sich nicht nur technologisch durch eine Vorreiter-Rolle aus. Auch mit dem Start von Eigenproduktionen wart ihr im Netz die Ersten. Wer sind für euch die größten Konkurrenten?
Reed Hastings: Es sind vor allem die traditionellen Fernsehanstalten. Was beispielsweise „House of Cards“ angeht, hatten wir einen heftigen Bieter-Wettbewerb mit HBO. In Großbritannien haben wir mit der BBC für „The Crown“ konkurriert. Der Wettbewerbsdruck von Streaming-Anbietern im Netz wie Amazon ist im Vergleich zu den großen nationalen Sendern eher klein.
t3n Magazin: Heißt das dann etwa, dass wir eines Tages vielleicht auch Live-Formate wie Shows oder Sportübertragungen – die Parade-Disziplin des klassischen linearen Fernsehens – auf Netflix sehen werden?
Reed Hastings: Vermutlich nicht. Wir konzentrieren uns voll auf TV-Serien und Filme und versuchen, unseren Content weltweit zur Verfügung zu stellen – das ist bereits ein enormer Aufwand. Lokal produzieren, beispielsweise in Frankreich, Südkorea oder Japan, und global ausrollen – das ist unsere Hauptstrategie. Andere konzentrieren sich eben auf Live-TV und News.
t3n Magazin: Wie fast jeder moderne Dienst im Netz setzt auch ihr auf Datenanalyse. Wie stellt ihr sicher, dass es vor allem in euren Eigenproduktionen immer Platz für kreative und ungewöhnliche Formate gibt?
Reed Hastings: Wir nennen unseren Umgang mit Daten „informierte Intuition“. Dabei schauen wir selbstverständlich auf die Daten, die uns zur Verfügung stehen, aber wir folgen ihnen nicht sklavisch. Wenn wir also von einem Format glauben, dass es wirklich beliebt und erfolgreich werden könnte, unsere Daten aber etwas Gegenteiliges behaupten, entscheiden wir uns trotzdem für das Format.
t3n Magazin: Kannst du ein Beispiel nennen?
Reed Hastings: „Making a Murderer“ war so ein Fall. Wenn du dir nur die Daten anschaust – vor allem bezüglich der Erfolgsaussichten dieses Formats: einer zehnstündigen Dokumentation über einen Mörder –, dann würde die Entscheidung schnell „nein“ lauten. Aber mit der richtigen Umsetzung und der Art und Weise, wie die Geschichte erzählt wird, kann ein solches Format eben doch ein Hit werden. Im Fall von „Making a Murderer“ ist unser Konzept voll aufgegangen – trotz der Datenlage.
t3n Magazin: Bei so viel gutem Video-Content im Netz: Gehst du eigentlich selbst noch ins Kino?
Reed Hastings: Das hängt ganz vom Kino ab. Bei großen Produktionen wie „Der Marsianer“ mache ich das gelegentlich. Dabei geht es mir hauptsächlich um den 3D-Effekt im Kino. Aber in den allermeisten Fällen warte ich, bis ich den Content zu Hause sehen kann. Am Besten bei Netflix.