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Reportage
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Warum es so wenige europäische Unicorns gibt

Ein großer Markt, noch größere Finanzierungslücken: Zwar ­blühen Startups in fast allen Ländern Europas auf. Auf dem Weg zum ­Einhorn scheitern aber noch viele, auch wenn sich die Bedingungen langsam verbessern. Ein Lagebericht.

13 Min. Lesezeit
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(Illustration: Shutterstock / Vladi333, t3n)

Aus dem All ist Europa auszumachen, Grenzen sind jedoch kaum zu unterscheiden: Sollten die Trägerraketen von Isar Aerospace wie geplant ab dem Jahr 2022 Kleinsatelliten ins All befördern, blicken diese auf eine einheitliche Landschaft. Am Boden hat das Raumfahrt­startup mit Sitz in Gilching bei München jedoch noch mit Grenzen zu kämpfen. Aktuell sucht das Team um die Gründer Daniel Metzler, Josef Fleischmann und Markus Brandl nach Gelände, auf dem sie ihre lauten Triebwerke – befeuert mit Kohlenwasserstoff und flüssigem Sauerstoff – testen dürfen. Deutschland dürfte dabei keine Rolle spielen: „Hier finden wir nur selten Bedingungen, die wir uns als Startup leisten können“, sagt Metzler.

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Noch stärker muss Isar Aerospace den Blick weiten, wenn es um die Finanzierung geht: Bis zu 100 Millionen Euro Risikokapital, schätzt Metzler, braucht das Startup, bis es die ersten Umsätze macht. „Langsam werden die ersten europäischen Investoren mutiger“, berichtet der Gründer –, aber auch in den USA ist das Interesse groß an einem Investment. Und die Schecks, gerade bei riskanten Wetten auf die Zukunft, sind dort immer noch großzügiger. Vor der Gründung haben er und seine Mitgründer darüber nachgedacht, in die USA zu gehen, so Metzler. „Europa ist aber für uns ein großer Markt.“

Mehr als 500 Millionen Einwohner und ein kombiniertes Brutto­inlandsprodukt von 15 Billionen Euro sind zwei sehr gewichtige Argumente für eine Unternehmensgründung in Europa. Die Rahmenbedingungen waren selten besser: EU-Kommission wie Nationalstaaten umwerben Entrepreneure mit Förderprogrammen, Investoren stellen mehr Geld zur Verfügung als zuvor. Laut der Datenbank Pitchbook hat sich die Summe, die Wagniskapitalgeber in Europa investieren, in den vergangenen zehn Jahren fast verdreifacht.

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Damit einher geht ein neuer Anspruch von Gründern. Mehr denn je suchen sie den Vergleich mit Wettbewerbern aus China und den USA und beschwören ein europäisches Startupökosystem, das mehr ist als eine Ansammlung von Techzentren, die zufällig auf demselben Kontinent liegen. Viele Startups und Wagniskapitalgeber betonen weniger ihre Herkunft, als ihre europäische Ausrichtung. Wer Isar Aerospace etwa als das „SpaceX Europas“ betitelt und damit an die Weltraum­ambitionen von Elon Musk erinnert, erntet wenig Widerspruch.

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Erst erobern wir Europa, dann die Welt: Diese Strategie verfolgen viele Gründer, wenn sie ihre Expansion planen. In einer groß angelegten Befragung des EU-Startup-Monitors gaben fast neun von zehn der über 2.000 befragten Unternehmen an, dass die Erschließung mindestens eines neuen Auslandsmarktes auf ihrer Jahresagenda stehe. 85 Prozent setzen dabei auf eine Expansion innerhalb der EU. Bei nur 40 Prozent stehen (auch) andere Länder auf dem Plan.

In der Praxis werden die Ambitionen vieler Startups aktuell indes immer wieder ausgebremst – von zwei gewichtigen Faktoren. Erstens: Es mangelt am lieben Geld. Zwar ist das Finanzierungsvolumen in Europa Erhebungen der Beratung EY zufolge im vergangenen Jahr auf den Rekordwert von 21 Milliarden Euro gestiegen. Doch gemessen am Bruttoinlandsprodukt liegt Europa in Sachen Wagniskapital weit hinter anderen Ländern. In den USA etwa haben Startups laut ­Pitchbook 2018 umgerechnet satte 116 Milliarden Euro eingesammelt. Der zweite, vielleicht sogar gravierendere Faktor: Grenzzäune mag es nicht mehr geben, einheitlich ist Europa deswegen noch lange nicht.

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(Abbildung: t3n)

(Abbildung: t3n)

„Es gibt für Unternehmen keinen natürlichen europäischen Markt“, sagt Julien-David Nitlech, Partner des Wagniskapital­gebers Iris ­Capital. Er rechnet vor: Während Gründer in den USA schon zum Start einen Markt mit 327 Millionen Einwohnern bearbeiten können, müssen europäische Startups mindestens sechsmal expandieren, um ähnlich viele potenzielle Kunden in der EU zu erreichen. Übersetzungen sind nötig, ein mehr­sprachiger ­Vertrieb und Kundenservice muss aufgebaut werden – und für ­jedes europäische Land gelten andere Gesetze, die beachtet werden müssen. „Das ist jedes Mal aufs Neue ein Kraftakt“, sagt Nitlech.

Ein Beispiel: Der Drohnenvermittler Fairfleet lässt europaweit die unbemannten Fluggeräte aufsteigen. Je Land, manchmal sogar je Region, können sich die Auflagen jedoch unterscheiden. Wie hoch dürfen die Drohnen aufsteigen, welche Gebiete sind tabu für Luftaufnahmen? „Unser Wunsch wäre, dass es europaweit eine einheitliche Regelung gibt“, sagt Mitgründer Dario Manns.

Denn jede zusätzliche Regel erschwert die Expansion: „Wir brauchen einen einheitlichen Rechtsrahmen, in dem euro­päischen ­Startups nur noch die unterschiedlichen Sprachen das Leben schwer machen“, fordert Florian Nöll, Vorsitzender des Bundesverbands Deutsche Startups. Die Interessensvertretung hat zusammen mit dem französischen Branchenverband France Digitale einen ganzen Katalog mit Empfehlungen an die euro­päische Politik erarbeitet. „Building the United Tech of Europe“, ist das Papier überschrieben, das kurz vor der Europawahl veröffentlicht wurde.

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Die Themen im Manifest reichen von Open Data über vereinfachte Visa für Fachkräfte von anderen Kontinenten bis zu ­einer vorgeschlagenen interfraktionellen Arbeitsgruppe für ­Startups im Europäischen Parlament. Als wichtiges Thema ­machen die Verbände zudem die Steuergesetze aus. Nötig sei es etwa, ­Gewinne und Verluste von Startups in Europa konsolidiert zu betrachten, statt einzelne ­rentable Landesgesellschaften zu besteuern. Harmonisiert werden müssen nach Ansicht der ­Initiatoren zudem die Regeln für die Mitarbeiterkapitalbeteiligung. Denn ­wenig finanzkräftige Startups locken gerne mit Unternehmensanteilen statt mit hohen Gehältern. Doch die Umsetzung in manchen Mitgliedsstaaten – darunter Deutschland – ist kompliziert, zudem gibt es keine Versteuerung späterer Gewinne.

Profitieren von solchen Reformen würden all jene Startups, die erst in Europa groß werden wollen, bevor sie über Niederlassungen auf anderen Kontinenten nachdenken. Dazu gehört etwa Virtuo aus Paris. Das Ende 2015 gegründete Unternehmen will Sixt, Europcar und Co. Konkurrenz machen – mit einem vollständig digitalen Vermietungsprozess. Nach Niederlassungen in Frankreich und London sollen noch in diesem Jahr Betriebs- und Marketingbüros in Deutschland und Spanien eröffnet werden. „Auch wenn wir weltweite Ambitionen haben –, die europäische Expansion ist für uns der erste logische Schritt“, sagt Mitgründer Karim Kaddoura am Rande des Investorentags von Iris Capital Anfang Mai.

Bei der Veranstaltung in einem Saal des Eiffelturms präsentieren Virtuo und andere Startups, in die Iris Capital investiert hat, ihre Pläne. Fast immer geht es dabei um Expansion: Der Berliner E-Roller-Bauer Unu Motors etwa drängt gerade nach Frankreich, das in Croix bei Lille ansässige Startup Exotec Solutions tastet sich mit seinem Lagersystem über neue Partner in viele andere europäische Länder vor. Gehalten wird die Präsentation auf Englisch, in den Pausen finden viele Gespräche außerdem auf Französisch oder Deutsch statt.

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Iris Capital selbst versteht sich trotz seiner überwiegend französischen Geldgeber längst als „paneuropäisches“ Unternehmen. Ein Drittel der Investments würden in Frankreich getätigt, ein Drittel in Deutschland und ein Drittel in anderen Ländern, sagt Thorben Rothe, der im Berliner Büro von Iris Capital arbeitet. „Die nationalen Startup-Ökosysteme in Europa rücken näher zusammen“, beobachtet er. Einerseits würden immer mehr Wagniskapitalunternehmen abseits ihres Heimatmarktes tätig werden, zum anderen würden auch die Unternehmer beweglicher.

Denn bei allen Klagen: Viele der großen Richtlinien und Verordnungen, die in den vergangenen Jahrzehnten in Brüssel entstanden sind, erleichtern auch Startups die Expansion. Dazu gehören etwa Zahlungsdiensterichtlinien, die Fintechs das Leben erleichtern, ebenso wie die Datenschutzgrundverordnung. Schon die gemeinsame Währung und die Freizügigkeit für Arbeit­nehmer haben die Geschäftspraxis ohne Frage drastisch vereinfacht. Investor Rothe ist zufrieden mit dieser Entwicklung: „Es hilft natürlich, dass die EU regulatorische Rahmenbedingungen nach und nach vereinheitlicht.“

Mehr Unterstützung für die Spätphase

Ein ähnliches Bild zeigt sich bei der Frage der Finanzierung. Auch hier tut sich etwas, aber aus Sicht vieler Startups noch nicht ­genug. Beim Start mangelt es nur selten an Unterstützung. Naheliegend war etwa der Anschub, den Isar Aerospace erhielt. Die Europäische Weltraum­organisation (ESA) nahm das Startup in einer frühen Phase in sein Förderprogramm auf. 50.000 Euro Kapital, Büroräume und jede Menge wertvoller Kontakte waren inklusive.

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Rein quantitativ mangelt es auf europäischer Ebene kaum an Förderinstrumenten. Auf einer Infoseite der ­EU-Kommission, die sich selbst als „One-Stop-Shop“ für Startups bezeichnet, ­finden sich allein 19 verschiedene Förderprogramme. Geld fließt etwa vom Europäischen Investitionsfonds (EIF), der Startups über nationale Banken unterstützt – in Deutschland zählen dazu ­neben anderen die KfW und die LfA Förderbank Bayern. Weitere ­In­strumente sind etwa das KMU-Programm Cosme sowie das Forschungs- und Innovationsförderungsprogramm Horizont 2020.

So breit jedoch das Angebot, so schwer die Übersicht. Die ­Kapazitäten, sich durch verschiedene Formulare und Regularien zu arbeiten, fehlen vielen Startups. Das entscheidende Problem der vielen Förderinstrumente ist jedoch: Sie zielen vor allem auf die Frühphase, in der es aktuell nur wenige Engpässe gibt. Selbst eine zweite Finanzierungsrunde stemmen Startups aktuell vergleichsweise leicht. Mit privaten Risikokapitalunternehmen wie Iris Capital, Project A, Target Global oder Atomico lassen sich Beträge zwischen zehn und 30 Millionen zusammenbekommen. Die Lücke spüren Startups, wenn es um hohe zweistellige oder dreistellige Investitionsrunden geht. Die Summen, die eine sorgen­freie internationale Expansion ermöglichen. Umso spektakulärer war im Januar die Nachricht, dass die Berliner Smart­phone-Bank N26 satte 300 Millionen US-Dollar eingesammelt hat – allerdings mit einer US-Risikokapitalgesellschaft als führendem Investor.

In ihrem Manifest fordern der Bundesverband Deutsche ­Startups und France Digital deswegen Schützenhilfe von der EU – genauer vom Europäischen Investitionsfonds (EIF). Dieser solle sich vor allem auf die Spätphase konzentrieren und paneuropäische Fonds fördern. Zumindest in die Richtung geht eine Initiative der EU-Kommission: Zusammen mit dem EIF hat sie im vergangenen Jahr den Dachfonds VentureEU aufgelegt und mit 410 Millionen Euro ausgestattet.

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Mit dem Startkapital sollen sechs beauftragte Wagniskapital­firmen neue Fonds auflegen, für die sie mindestens dreimal so viel Geld aus privaten Quellen einbringen müssen. Dieses Kapital soll dann der Grundstock für größere Finanzierungsrunden von Startups sein. Wenn sich weitere Geldgeber anschließen, könnte sich das verfügbare Risikokapital in Europa um insgesamt 6,5 Milliarden Euro erhöhen. Mit einem besseren Zugang zu ­Kapital, so das Kalkül, würde es für Gründer auch unattraktiver, ihr ­Unternehmen frühzeitig an finanzkräftige Digitalkonzerne aus den USA oder China zu verkaufen.

Beispiele dafür gibt es viele: Anfang des Jahres hat etwa der chinesische E-Commerce-Konzern Alibaba das Startup Data Artisans aus Berlin übernommen. Das Startup steht hinter der Plattform „Apache Flink“, mit der große Datenmengen schnell verarbeitet werden können. Einen Hoffnungsträger in Sachen künstliche Intelligenz verleibte sich der US-Softwarekonzern JDA vergangenen Sommer ein: Blue Yonder, eine Ausgründung des Karlsruher Instituts für Technologie, war mit einem Prognose­system für den Einzelhandel bekannt geworden. Und im Mai übernahm Paypal das Kassensystem Izettle – dabei bereitete das schwedische Unternehmen gerade einen Börsengang vor. Junge Techunternehmen, die sich in Europa aus eigener Kraft zu Branchenriesen entwickeln, lassen sich dagegen weiterhin an einer oder zwei Investorenhänden abzählen.

Hoffnung auf europäische Einhörner

Die Hoffnung auf mehr Einhörner aus Europa ist jedoch da – und sie wächst, nicht zuletzt aufgrund optimistisch stimmender ­Zahlen: Insgesamt 61 Unternehmen mit einer Bewertung von mehr als einer Milliarde US-Dollar zählte der Venture-Capitalist Atomico in seinem Report „State of European Tech“ Ende 2018. Ende 2017 lag diese Zahl gerade einmal bei 44. Hinzu kommen zwölf Startups mit einer Bewertung von über fünf Milliarden Dollar sowie fünf Unternehmen, deren Bewertung sogar zehn Milliarden Dollar überschreitet. Europa sei auf dem besten Weg, einen eigenen „Techtitanen“, also ein Unternehmen, dessen Wert 50 Milliarden Dollar übersteige, hervorzubringen, urteilten auch die Analysten des Beratungshauses GP Bullhouse im vergangenen Sommer.

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(Grafik: Shutterstock / Paopano, t3n)

(Grafik: Shutterstock / Paopano, t3n)

An einem Abend Ende März sitzen viele von denen, die groß werden und dabei groß verdienen wollen, in einem Luxus­hotel in ­Lausanne. Draußen liegt still der Genfer See, drinnen werden unter dem Kronleuchter Filet und schwerer Wein serviert. Die Atmosphäre atmet eher Geldadel als Startupspirit. Die „Tech Tour“ ist zu Gast, eine Initiative von Investmentbanken, ­Private-Equity-Firmen und Risikokapitalgebern. Das Ziel: Wachstums­champions verfolgen und auszeichnen, sogenannte Scaleups – Techfirmen, die auf dem besten Weg sind, richtig groß zu werden. Es sind die Firmen, die über einen Börsengang nachdenken können.

Der Award geht an diesem Jahr an das Schweizer Unternehmen Sophia Genetics, das mit seiner Software medizinische Daten zu Therapiezwecken und zur Medikamentenentwicklung aufbereitet. Dafür musste sich das Startup schon durch die regulatorischen Rahmenwerke vieler Länder kämpfen, kann nun aber auch mit der vielfach geprüften Qualität des Produktes werben. Mitgründer Jurgi Camblong gibt sich optimistisch bei der Preisverleihung: „Wenn man in Europa ein Business aufbauen kann, schafft man es überall.“ Das nächste große Ding aus der B2B-Welt, so Camblong, komme ganz sicher aus Europa.

Das deutsche Energiespeicherstartup Cloud & Heat wird an dem Abend mit einem Innovationspreis ausgezeichnet. ­Wenige Wochen zuvor war das Dresdner Unternehmen auch eins von zwölf deutschen Startups, das die „Tech Tour“ auf die Top-50-­Liste der wachstumsstärksten Techunternehmen in Europa ­gesetzt hatte. „Unsere Arbeit wird jedes Jahr schwieriger, da es stetig mehr große europäische Techunternehmen gibt”, sagte Falk Müller-Veerse, Partner bei Bryan, Garnier & Co. und Vorsitzender der Auswahlkommission der Initiative. Dieses „Luxus­problems“ bei der Auswahl nehme man sich jedoch gerne an, so der Banker: „Das zeigt deutlich, dass europäische Gründer durchaus in der Lage sind, Unternehmen vom Startup bis zum potenziellen Einhorn zu entwickeln.“

Mit ähnlich viel Optimismus ist Sebastian Grabert nach ­Lausanne gereist. Dort sucht er das Gespräch mit möglichen ­Börsenkandidaten. Grabert leitet das deutsche Büro der Mehr­länderbörse Euronext. Zu der gehören die Börsen in Paris, Amsterdam, Brüssel, Lissabon und seit wenigen Wochen auch Oslo. Und an allen Orten sähen Grabert und sein Team gerne mehr ­Börsengänge von wachsenden Techunternehmen. Das Angebot an Risikokapital wachse zwar und Konzerne würden mutiger, was strategische Zukäufe angehe, berichtet Grabert am Tag nach der Awardverleihung. „Aber der Kapitalmarkt bietet die einzige Alternative zum Risikokapital, die zugleich Unabhängigkeit ermöglicht. Da ist zwar viel Ausbildung und Aufklärung nötig, aber am Ende müssen Unternehmen, die signifikant wachsen wollen, schon den europaweiten Kapitalmarkt anzapfen wollen.“ Der nächste Schritt wäre nämlich noch viel aufwendiger: Wer ­direkt in den USA im Kapitalmarkt starten will, muss häufig den ­Firmensitz über den Atlantik verlegen und die Rechtsform ­ändern.

Seit einigen Jahren hat die Euronext daher eine Art Ausbildungsprogramm gestartet: Über zehn Monate lang werden die Finanzchefs und zentrale Mitarbeiter ausgewählter Startups zu den wichtigsten Regeln geschult: Saubere Kennzahlen, verläss­liche Buchführung, klare Unternehmensregeln sind nötig, um am streng regulierten Kapitalmarkt bestehen zu können. Für rasch gewachsene Startups ist das häufig ein Kraftakt. „Ein ­Börsengang ist viel Arbeit“, räumt Grabert ein, „aber die Kosten, um neues Kapital aufzunehmen, sinken im Anschluss rapide.“

Netzwerke überwinden Grenzen

Die Sehnsucht nach den europäischen Einhörnern treibt nicht nur die Investmentbanken und Börsenplätze um. Erfolgreiche Gründer mit gut gefüllten Konten können selbst wiederum als Helfer für die ­nächste Startupgeneration bereitstehen – hier machen sich natürlich auch die Gründer von Startups verdient, die an Konzerne verkauft haben. „Wenn es einen großen Exit einer europäischen Techfirma gibt, dann verteilen sich deren Talente über den ganzen Kontinent – als Gründer, Betreiber oder Investor“, sagt Atomico-Partner Tom ­Wehmeier.

Der Risikokapitalgeber ist selbst ein gutes Beispiel: Gegründet wurde der Fonds vom schwedischen Skype-Gründer Niklas ­Zennström, der die Videokonferenzsoftware 2011 für 5,9 ­Milliarden Euro an Microsoft verkauft hatte. Heute investiert ­Atomico mit Sitz in London europaweit in Techstartups wie ­Klarna (Schweden), Peakon (Dänemark) oder Lilium (Deutschland). Dank des Spotify-Börsengangs im vergangenen Jahr könnten bald unternehmerisch denkende Neumillionäre neue Startupimpulse in Europa setzen, hofft ­Wehmeier: „Die Netz­werke bleiben, auch wenn die Talente weiterziehen. Das bringt die Ökosysteme enger zueinander und sorgt für noch mehr Erfolg.“

„Wenn man in Europa ein Business aufbauen kann, schafft man es überall.“

Ein europäisches Silicon Valley wird es vielleicht nie geben. ­Bislang haben sich vor allem London, Berlin und Paris als Gründer­metropolen etabliert – in die drei Städte floss laut EY im vergangenen Jahr mehr als die Hälfte des Wagniskapitals. Doch in immer mehr Regionen Europas wachsen kleine Öko­systeme heran, in denen Startups an die Geschäfte und Geschäfts­modelle der etablierten Unternehmen andocken. Wehmeier hält die Konzentration des Risikokapitals daher auch für ein Phänomen, das bald der Vergangenheit angehört: „Heute bauen Gründer ihr ­Unternehmen in ihrer Heimat auf und bauen die Teams dort auf, wo das Talent sitzt. Diese Art zu wachsen, ist wahrhaftig ­europäisch.“

Tatsächlich machen sich auch Metropolen abseits der drei größten europäischen Volkswirtschaften einen Namen als Startup­hotspot. Tallinn etwa gilt als hervorragender IT-­Standort, nicht zuletzt, weil Estland Vorreiter in Sachen E-Government ist. Zu einem Zentrum für Reisestartups hat sich Barcelona mittlerweile ent­wickelt – zu den Vorzeigeunternehmen gehört ­Travelperk. Die Geschäftsreiseplattform hat zuletzt insgesamt 38 Millionen Euro von Investoren bekommen, federführend bei der Finanzierungsrunde war mit Kinnevik eine schwedische Beteiligungsgesellschaft.

Auch Lodgify – ein Startup, das an einer Buchungssoftware für Ferienunterkünfte arbeitet – sitzt in Barcelona. Die Besonderheit: Die vier Gründer kommen aus Deutschland und Italien, kennengelernt haben sie sich beim Auslandssemester in London. Viel Sonne und vergleichsweise geringe Lebenshaltungskosten haben sie in die katalanische Hauptstadt gezogen. Als Unternehmer schätzen sie nun, dass sie vor Ort Fachkräfte aus ganz ­Europa finden.

Das Beispiel zeigt: Die Politik muss unionsweit gute Startbedingungen stellen, Investoren müssen gewillt sein, auch an kleineren Flughäfen zu landen – der Spirit in der Startupszene stimmt bereits häufig. Biografien wie die der Lodgify-Gründer könnten nach Einschätzung von Florian Nöll vom Bundesverband Deutsche Startups zur Regel werden: „In Europa wird eine Generation groß, die Landesgrenzen gar nicht mehr wahrnimmt. Das ist eine riesige Chance.“ Aus der „Generation Easyjet“ erwächst so die „Generation Entrepreneur­ship“ in Europa.

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