Leistung im Team messen: Jedes Team braucht einen Lukas Podolski

(Foto: Lukas Podolski)
Ein Minderleister im Team reicht aus, um die Leistung der gesamten Mannschaft herunterzuziehen. Diese Vermutung gab es schon lange, Benjamin Walker belegte sie 2011 wissenschaftlich: Für seine Untersuchung 2011 unterteilte der Doktorand 158 Studenten in 33 Gruppen. In jedes Team setzte er einen Low Performer, eine Person, die nicht ganz so motiviert war wie alle anderen. Den Teammitgliedern wurde gesagt, dass alle dieselbe Note bekommen würden, je nachdem, wie gut sie ihre Aufgabe gemeinsam erledigen würden.
Die Studie kam zu einem klaren Ergebnis: Schon ein Low Performer reichte aus, um die Leistung einer ganzen Gruppe zu reduzieren. Auch wenn die anderen Mitglieder alle ihr Bestes gaben, konnten sie die schwache Arbeit eines Mindestleisters nicht ausgleichen. „Die Ergebnisse zeigen, dass die Person, die am wenigsten leistet, einen großen Einfluss hat“, so Walker. Das wiederum mache sich auch bei der Zufriedenheit und Motivation bemerkbar. Die Untersuchung bestätigt die Redensart: Eine Kette ist nur so stark wie ihr schwächstes Glied.
Die qualitative Studie verdeutlicht, was für einen starken Einfluss ein Low Performer auf das gesamte Team haben kann. Nicht umsonst gelten Minderleister in Unternehmen als Belastung: Sie geben nicht so viel wie andere Mitarbeiter, senken die Messlatte und demotivieren. Etwa 16 Prozent der deutschen Mitarbeiter zählen laut des Marktforschungsinstituts Gallup in diese Kategorie, in der Literatur werden sie auch als Faulenzer, Drückeberger, Bummler bezeichnet. Nur: Wie legen Unternehmen fest, wer für sie ein Low Performer ist – und wie sinnvoll ist diese Aussage überhaupt?
Die Antwort auf diese Frage fällt nicht so leicht, wie man meinen mag. Wenn Unternehmen ihre Mitarbeiter bewerten, stehen Zahlen an erster Stelle: Wie viele Produkte hat der Sales-Angestellte verkauft? Wie viele Likes hat die Facebook-Managerin erreicht? Und um wie viele Bewerbungen hat sich der Personaler gekümmert? Wer bei diesen Daten schlecht abschneidet, wird schnell als Minderleister abgestempelt.
Aber Leistung lässt sich nur bedingt in Zahlen messen. „Im Vertrieb ist es einfach, da kann der Arbeitgeber gucken, wie viel jemand verkauft hat“, sagt Pa Sinyan, Deutschlandchef von Gallup. Aber in anderen Bereichen, ob bei administrativen oder kreativen Jobs, werde es komplizierter. Wenn ein Entwickler 20 Zeilen Code am Tag schreibt, ist das dann viel oder wenig, gemessen an der Komplexität dahinter? Wenn ein Social-Media-Redakteur fünf Facebook-Posts in der Woche veröffentlicht, von denen einer viral geht – reicht das? Und wenn der Personaler nur zwei Bewerber zum Gespräch einlädt, eine aber zur Einstellung führt, hat er seinen Job vernünftig gemacht?
Die undifferenzierte Herangehensweise an Leistung ist ein Problem. Denn Defizite bei einem Mitarbeiter sind oft gefühlt und nicht tatsächlich definiert, wie die Studie „Führen bei Leistungsproblemen“ des DCP Institute und der Fachhochschule Westküste 2015 zeigte. Führungskräfte müssen deshalb klare Kriterien für Mitarbeiter definieren. Pa Sinyan empfiehlt individuelle Messlatten – und zwar nicht von oben aufgedrückte, sondern gemeinsam erstellte. Natürlich lässt sich trotzdem nicht alles in feste Muster pressen. Aber durch die Definition weiß auch der Mitarbeiter, was bei seiner Arbeit zählt.
„Die Führungskraft sollte die Mitarbeiter miteinbeziehen, wenn sie Kennzahlen festlegt“, sagt der Experte. Dabei sei es wichtig, den Arbeitnehmer zu fragen, an welchen Kriterien er selbst seinen Erfolg messen würde. Diese subjektiven Kriterien stützt auch die Rechtssprechung des Bundesarbeitsgerichts. Es verlangt, dass ein Mitarbeiter die Leistung erbringt, die er „bei angemessener Anspannung seiner geistigen und körperlichen Kräfte auf Dauer ohne Gefährdung seiner Gesundheit zu leisten imstande“ sei.
Um Missgunst zu vermeiden, sollten Führungskräfte die Kriterien, an denen jeder Mitarbeiter gemessen wird, offenlegen. „Je offener ein Chef über die Kennzahlen redet, desto weniger Neid erzeugt er“, erklärt Pa Sinyan. Es komme immer schnell die Frage auf, warum die Mitarbeiterin schon wieder befördert werde oder warum der Kollege einen Bonus erhalte. Mit Transparenz unterbindet die Führungskraft diese Debatte und sorgt auch dafür, dass sich niemand unfair bewertet fühlt.
Die Kriterien sollten sich aber nicht nur auf harte Zahlen stützen, sondern auch weiche Faktoren berücksichtigen. Der Fall von Lukas Podolski zeigt das deutlich. Als der Nationalspieler in den EM-Kader 2016 berufen wurde, bezeichnete ihn die „Zeit“ als Maskottchen der DFB-Elf, auch andere Medien und Experten stellten die Fähigkeiten des Spielers infrage. Trainer Joachim Löw aber verwies nicht nur darauf, dass Podolski „für die Mannschaft noch einen sportlichen Wert“ habe, auch wenn „das manche nicht wahrhaben“ wollten. Er fügte zudem hinzu, Podolski sei eine Persönlichkeit. Wenn man es etwas blumiger als der Bundestrainer fassen will, könnte man sagen: „Prinz Poldi“ sorgt für die Stimmung im Team.
Von Joachim Löw können auch Unternehmen lernen. Nicht umsonst hat sich das Berufsbild des Feelgood-Managers entwickelt. Selbst wenn der Mitarbeiter vielleicht nicht die besten Zahlen liefert, sollten sich Führungskräfte auch die sozialen Fähigkeiten ansehen. Ist vielleicht besagter Minderleister derjenige, der jede Konferenz ein wenig auflockert? Der genau weiß, wie es jedem Mitarbeiter geht? Der die Kollegen auch außerhalb des Büros zusammenbringt? Der die Betriebsfeier erst richtig in Schwung bringt? Dann ist der vermeintliche Minderleister vielleicht der Lukas Podolski des Teams.
[pullqoute]„Der Eindruck ‚Der ist aber lustig‘ verpufft, wenn jemand seinen Job nicht macht.“[/pullqoute]
Natürlich darf die soziale Kompetenz nicht die einzige Kennzahl bleiben. „Das Gefühl ‚Der ist aber lustig‘ verpufft relativ schnell, wenn jemand seine Arbeit nicht macht“, sagt Sinyan. Kurzfristig füge sich ein gutgelaunter Low Performer vielleicht ins Team ein. Aber mittel- bis langfristig seien die Kollegen schnell genervt davon. „Dann werden die Mitarbeiter sauer auf den Kollegen, sauer auf den Chef, sauer auf das Unternehmen.“ Abgesehen von den sozialen Skills sollte deshalb schon eine gewisse Arbeitsleistung vorhanden sein.
Wenn ein Mitarbeiter seinen Job dann trotzdem nicht so gut erfüllt wie andere, wenn er seine individuellen Ziele verpasst, sollte die Führungskraft das Gespräch suchen. „Mitarbeiter entscheiden nicht einfach, weniger zu leisten“, wie es der Organisationsberater Hannes Wacker einmal in einem Gespräch mit der „Zeit“ ausdrückte. „Vielmehr liegen Probleme vor, für die sie keine Lösung finden.“
Die Aufgabe der Führungskraft ist es, die Hintergründe herauszufinden und den Mitarbeiter zu unterstützen. Denn je früher ein Chef eingreift, desto eher kann er bei diesen Problemen noch helfend eingreifen, wie die Studie „Führung bei Leistungsproblemen“ belegt. Manchmal weiß der Mitarbeiter gar nicht, was von ihm erwartet wird. Manchmal fehlt vielleicht auch die Herausforderung. In anderen Fällen schlagen persönliche Probleme auf die Leistung. Gerade wenn jemand erst gute Arbeit leistet und dann plötzlich nicht mehr, steckt meist mehr dahinter.
Schließlich wird ein Low Performer nicht als Low Performer geboren, sondern erst durch diesen Begriff zu einem gemacht.