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Katharina Borchert: Von der Bloggerin zum Spiegel-Online-Chef

Katharina Borchert lebt die Netzvariante des „Vom-Tellerwäscher-zum-Millionär“-Traums: Von der Hobby-Bloggerin zur Spiegel-Online-Chefin. Von Hamburg aus leitet sie die Geschicke des beliebten deutschen Nachrichtendienstes. Dort vermisst sie eigentlich nur eins: das Bloggen. Denn mehr als 140 Zeichen am Stück sind für „Lyssa“ leider nicht mehr drin.

5 Min. Lesezeit
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Eine Chefposition bei Spiegel Online (kurz SPON) bedeutet Schnittstelle sein. Zur Chefredaktion, zum Anzeigenverkauf, zur IT, zum Projektmanagement. Und die strategische Planung verantworten. Manch ein Zeitgenosse wünscht sich insgeheim, Katharina Borchert wäre einfach eine freie Journalistin geblieben, die hier und da über Social Media referiert. Dann hätte sie noch immer Zeit, über die aberwitzigen Alltagsdinge zu bloggen, die sie täglich erlebt und die ihrem Gehirn interessante Schlussfolgerungen entlocken.

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Schon vor zehn Jahren, als Internet noch etwas für verrückte Geeks war, hackte die 38-Jährige alias „Lyssa“ ihre Geschichten in das Blog „Lyssas Lounge“ [1] ein. Die Idee kam ihr, als sie nach der 9/11-Zeitenwende auf persönliche Augenzeugenberichte im Internet stieß und sich nächtelang durch diese neue Art der Berichterstattung wühlte. Ihre eigenen Geschichten handelten jedoch nicht von Terror und Zerstörung, sondern von schwarzen Tüten als Verpackung für Sexspielzeug, Schuhkaufproblemen, Hunden als Kommunikationsberater und später von ihren Geschäftsreisen.

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Wäre Borchert Politikerin, sie wäre längst zum Rücktritt gedrängt worden: Wer so offenherzig über vermeintliche Tabuthemen schreibt – ob aktuell oder früher – hätte definitiv ein Problem. Heute schmunzelt sie darüber: „Ich habe nie damit gerechnet, mit meinen kleinen Geschichten jemals mehr als 30 Leute zu erreichen. Vor allem habe ich nicht damit gerechnet, dass man Lyssa eines Tages mit Katharina Borchert in Verbindung bringen würde.“

Auch wenn die Hamburgerin mit ihrem heutigen Wissen manches ein bisschen anders formuliert hätte: Peinlich sind ihr die literarischen Ergüsse nicht. Der Beweis: „Ich hätte die Sachen doch nachträglich löschen können. Peinlich wäre es mir nur, wenn sie schlecht geschrieben wären.“ Heute bloggt Lyssa zwar nicht mehr, zwitschert aber. Ohne Twitter geht bei Borchert gar nichts. Leider habe es der Kurznachrichten-Dienst in Deutschland schwerer als in vielen anderen Ländern, wo selbst Politiker muntere Tweets unters Volk brächten. Ob als Lyssa oder Spiegel-Online-Chefin: Die Sozialen Medien sind und bleiben ihr Herzensthema.

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Borcherts Aufstieg in den gesitteten Redaktionsdienst beginnt mit einem Anruf von Bodo Hombach, dem Geschäftsführer der WAZ-Gruppe. Er will die bekannte Bloggerin ins Boot holen, um den Online-Auftritt auf Vordermann zu bringen. Bis dato scheint das Web-Portal eher ein Alibi-Projekt zu sein, andere Nachrichtendienste sind 2006 schon deutlich weiter. Borchert findet die Anfrage mutig, sie selbst hätte sich damals für diesen Job nicht angestellt. Das finden andere auch. Mit Kritik habe sie gerechnet, erinnert sich Borchert, schließlich sei diese Personalie für alle überraschend gewesen. „Was dann kam, war aber schwer zu verdauen.“

Die heftigsten und persönlichsten Anfeindungen seien ausgerechnet aus den eigenen Reihen, aus der „Blogosphäre“, gekommen. Da wurde sie plötzlich mit Schmeicheleien wie „Peitschen-Borchert“ überschüttet, ein Anklang auf ihr manchmal etwas strenges Aussehen mit straffem Pferdeschwanz und dunkler Brille. Der Jubel darüber, dass man auch mit Bloggen etwas werden kann, blieb aus. Als „Lyssa“ wäre es leicht gewesen, damit umzugehen, ihr Hang zum Sarkasmus hätte phantastische Reaktionen hervorgebracht. Aber als frischgebackene Chefin von DerWesten musste der Lyssa-Hut auf der Hutablage bleiben. „Die Zähne zusammenzubeißen und die Klappe zu halten war extrem schwer“, gibt sie zu.

Unter den kritischen Augen von Journalisten, WAZ-Mitarbeitern und Bloggern verändert Borchert nach und nach den Onlineauftritt der Ruhrpott-Mediengruppe. Vieles davon ist nach außen hin nicht gleich sichtbar, es geht ihr zunächst um einen kulturellen Wandel. Eine ihrer ersten Maßnahmen ist, die für den Web-Auftritt zuständigen Redakteure ins WAZ-Gebäude zu holen. Bis zu diesem Zeitpunkt sitzen die Online-Schreiber in einem Gebäude zehn Minuten von der Printredaktion entfernt: „Frustriert, unterbesetzt, unterfinanziert, ohne Konzept und Strategie, nicht ernst genommen: ein echt tragischer Zustand“.

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Offene Tür und dreckiges Lachen

Unter Bocherts Leitung wird DerWesten ein viel gelesenes Nachrichtenportal, hinter dem ein Team mit Umsatzverantwortung, eigenem Budget, eigener Online-Redaktion und „echtem Selbstbewusstsein“ steht: „Ich habe mühsam gegen die Auffassung angearbeitet, dass Onlineredakteure Content-Schubser sind, die einfach nur Inhalte von A nach B heben.“ Statt dessen sollen sie sich als echte Redakteure begreifen, die Multimedia können, eigene Geschichten bringen, Social Media vorantreiben und sich in Sprache und Inhalt auf die spezielle Leserschaft einstellen. Nichts habe sie beruflich bisher so sehr befriedigt wie die Tatsache, an dieser kulturellen Veränderung wesentlich mitgewirkt zu haben.

Foto: Alexander von Spreti / Clap

Was Borchert aus dieser Zeit ebenfalls mitnimmt, ist eine bahnbrechende Selbsterkenntnis: „Ich bin wahnsinnig gerne Chefin. Nicht wegen des größeren Büros, sondern weil mich die Verantwortung für Menschen glücklich macht.“ Als sie zehn ist, nimmt sie auf dem heimischen Bauernhof in Wattenscheid Tiere auf, die keiner haben will. In ihrer jetzigen Position hat sie es zwar mit Menschen zu tun, aber die grundsätzlich offenen Türen sind geblieben. Dies jedenfalls behaupten ihre Ex-Mitarbeiter von DerWesten in einem bewegenden Abschieds-Video [2]. Auf kleine Schiefertafeln haben sie Dinge geschrieben, die man im Ruhrpott ohne Borchert vermissen wird: „offene Tür und offenes Ohr“, „das fröhlich-dreckige Lachen“, „deinen Rückhalt“, „Pizza und Wodka nach 22 Uhr“ – und natürlich ihren berühmt-berüchtigter Hund Carla, der täglich mit in die Redaktion kommt und mit seinem Spielzeug quietscht, wenn er sich vernachlässigt fühlt.

Nun ist die einstige Bloggerin also bei SPON – kein schlechter Aufstieg, wenn man bedenkt, dass sie in ihrem Leben „Null Karriereplanung“ gemacht hat. Stattdessen habe bis Anfang 30 die völlige Planlosigkeit geherrscht und Überforderung angesichts der unzähligen Berufsmöglichkeiten. Vermutlich hat die Blog-Erfahrung nach 9/11 ihrem Leben die entscheidende Wendung gegeben. Seitdem ist ihre Existenz stark mit dem Internet und den Sozialen Medien verbunden. Aber es hätte auch anders kommen können, nach dem Abitur war Borchert zunächst für ein Entwicklungshilfeprojekt in Namibia und für die UNO tätig – Bereiche, die sie bis heute reizen. Es folgte ein Jurastudium und die Erkenntnis, dass der normale juristische Weg ihrer Kommilitonen nichts für sie sei.

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Wer Angst hat, dass Spiegel Online mit der neuen Chefin vielleicht auch bald auf Bezahlinhalte setzt, kann sich entspannen. Paid Content wird es unter ihrer Führung nicht geben. Dies sei aber keine ideologische Überzeugung, sondern beziehe sich auf Spiegel Online, es gebe in diesem Bereiche keine „One-Size-Fits-All“-Lösungen. Spiegel Online befinde sich in der priviliegierten Position, mit seinem reichweitenbasierten Modell seit sieben Jahren profitabel zu sein – da gebe es doch keinen Grund, etwas zu ändern.Mit Printinhalten geht ihr Team hingegen äußerst restriktiv um: Maximal drei Printartikel pro Woche schaffen es auf die Online-Seite, da wird sauber getrennt. Borchert glaubt trotzdem daran, dass es eines Tages funktionierende Paid-Content-Systeme geben wird, erste Beispiele seien die New York Times oder die Financial Times. „Verlage dürfen nur nicht den Fehler machen und so rigide auf Paid Content setzen, dass sie sich gegenüber Verlinkungen in den Sozialen Netzwerken verschließen – dann verlieren sie ihre Relevanz.“

Ideologisch wird Borchert nur, wo es um die Frage nach gutem Journalismus geht: Kritisch und unabhängig müsse er sein, Meinungsfreiheit gehe über alles. „Nach dem Tod von Steve Jobs bekamen wir heftigste Protestbriefe. Manche kündigten uns die Leserschaft, weil wir angeblich zu positiv über Jobs schrieben, andere verwünschten uns, weil wir angeblich zu kritisch berichteten – das zeigt doch, dass wir alles richtig machen.“

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5 Kommentare
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Michael

Ja, das passt. Lieber seichte, unterhaltsame Geschichten erzählen, ein bisschen Tabu dazu und den Leuten schöne Gefühle geben, als über die raue Realpolitik und Realität in der Welt zu schreiben. Das was wirklich abgeht wollen wir doch gar nicht wissen. ;)

Antworten
Strichnid

„Ideologisch wird Borchert nur, wo es um die Frage nach gutem Journalismus geht: Kritisch und unabhängig müsse er sein, Meinungsfreiheit gehe über alles.“

Moment .. Spiegel Online? Das passt meiner Meinung nach alles andere als zusammen.

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Zauber

Wie lustig!

SPON und die Begriffe „kritisch“ und „unabhängig“ in einem Zusammenhang zu nennen. Das ist, als würde man behaupten eBay sei eine karitative Organisation.

Antworten
Thomas B.

Ach ist der süß verfasst, dieser Artikel über Katharina B. Von welcher PR-Beratung wurde der geschrieben?

Antworten
Thomas B.

…mehr noch: Wo und von wem wurde dieses PR-Geschreibsel in Auftrag gegeben?

Antworten

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