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Digitaler Unterricht: Warum die Schul-Cloud im Lockdown nicht da war

Seit Jahren wird in Deutschland an einer Schul-Cloud ­gearbeitet. Im Lockdown wurden dann PDFs per E-Mail verschickt. Was war da schief gelaufen?

Von Jan Vollmer
11 Min. Lesezeit
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(Foto: Kay Herschelmann)

[Dieser Text stammt aus der t3n-Ausgabe Nr. 60 vom Juni 2020]

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Wer Manuel Höferlin am frühen Nachmittag anruft, hat gute ­Chancen, ihn zwischen seinen beiden Jobs zu erreichen: In der zweiten Tages­hälfte ist Höferlin Politiker, der mit der FDP-­Bundestagsfraktion und den Ausschüssen in Zoom-Meetings ­diskutiert, vormittags Aushilfsgrundschullehrer wider Willen für seine Kinder.

„Es geht alles durcheinander“, sagt Höferlin über seinen unverhofften Zweitjob. „Dabei versteht man einfach nicht, wieso es nach so vielen Jahren immer noch kein einheitliches IT-System für Schulen gibt.“ Seine Frustration sitzt tief. Das mag auch daher rühren, dass er vor seiner Politkarriere IT-Unternehmer war und seit Ende 2019 Vorsitzender des Bundestagsausschusses ­„Digitale Agenda“ ist.

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„Manche Lehrer schicken E-Mails mit PDF zum Ausdrucken, man selbst ist dann der Erklärbär“, erzählt Höferlin. Eine der ­Lehrerinnen hat einen Frühlingsspaziergang gefilmt und fragt die Kinder im Video, ob sie wüssten, welche Blätter an diesem oder jenem Baum wachsen. Lediglich ein Englischlehrer habe sich die Mühe gemacht, Microsoft Teams aufzusetzen, und ein paar Informatiklehrer hätten „etwas gebastelt“.

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Auch wenn in den vergangenen 20 Jahren hier und da ­Whiteboards, Laptops und iPads angeschafft wurden und einzelne Schulen mit digitalem Lernen experimentieren, fehlt eine große Vision, ein Plan, wie Schule digital transformiert werden kann. Solange die Schüler jeden Morgen in die Schule kamen, ließen sich auch ­ausgedruckte Arbeitsblätter verteilen, Handys verbieten und die Digitalisierung verschieben.

Vereinzelt gab es Anfang der 2000er Informatik bereits als Schulfach, angeboten von engagierten Lehrern. Auch Computerräume wurden eingerichtet, manche haben die Schüler aber eher dazu genutzt, um in den Pausen Counter-Strike zu zocken oder über ihre ICQ-Messenger zu chatten. Die Digitalisierung hat ­seitdem die Welt verändert – die Schulen in Deutschland allerdings kaum.

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Welche Rolle die DSGVO spielt

Seit dem Ausbruch des Coronavirus rächt sich die ­verschleppte Digitalisierung. Elf Millionen Schüler sind teilweise zu Hause. Und Lehrer, Schüler und Eltern stehen vor denselben Fragen: Über welchen Dienst können wir miteinander sprechen und unterrichten? Wie können wir sicher und datenschutzkonform Nachrichten schreiben? Wo können wir Aufsätze und Präsentationen speichern?

Da weder auf Bundes- noch auf Länderebene ein größerer Plan zur Digitalisierung der Schule umgesetzt wurde, begann das große Basteln. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, eine ­frustrierende Übung. Statt über Bruchrechnen und Goethes Faust zerbrechen sich Schüler und Lehrer den Kopf darüber, welche ­Dateien jetzt wo gespeichert sind, und ob man die E-Mail-Adressen von Schülern auf dem Computer sichern darf. Das Ergebnis: Um überhaupt unterrichten zu können, müssen ­mühsam erarbeitete Datenschutzrichtlinien wie die DSGVO ­letztlich hintenanstehen: Unterricht läuft jetzt über Zoom, über den Gaming-Dienst Discord oder über Google-Dienste.

Das große Basteln ist nicht nur nervenaufreibend. Es benachteiligt auch die, die es ohnehin schon schwerer haben als ihre ­Mitschüler: Zu Hause lernen geht einfacher, wenn man ein eigenes Zimmer hat, einen Computer, eine schnelle Internet­verbindung und Eltern, die einem im Zweifel den Dreisatz noch mal erklären. Im Wohnzimmer, auf dem Couchtisch, mit den Hausaufgaben auf dem Handy und dem Fernseher im Hintergrund ist das schwieriger.

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Sebastian Müller*, ein junger Klassenlehrer an einem ­hessischen Gymnasium, der in Wirklichkeit anders heißt, hat in der ersten Woche der geschlossenen Schule über 500 E-Mails gelesen und verschickt. Vor Corona hat er bei der Administration des IT-Systems der Schule mitgeholfen. „Rund 30 Minuten pro Woche. War okay“, sagt er. Nach dem Lockdown war er 12 bis 15 Stunden am Tag damit beschäftigt, das System für das ­E-Learning der gesamten Schule aufzustellen.

„Die Schule hat uns Lehrern einen Zettel zum ­Unterschreiben gegeben, dass wir DSGVO-konforme Rechner zu Hause haben, um die Daten der Schüler zu verwalten“, erzählt Müller. Einen ­Rechner, der nicht ans Internet angeschlossen sei, habe ­natürlich niemand zu Hause. In dem Schreiben, das t3n vorliegt, muss er auch dem hessischen Datenschutzbeauftragten versichern, dass dieser gerne bei ihm zu Hause vorbeikommen kann, um die Datenverarbeitung zu überprüfen.

Seit Beginn der Coronakrise hat Bildungsministerin Anja Karliczek noch einmal 15 Millionen Euro in das Projekt der deutschen Schul-Cloud gesteckt. (Foto: BMBF/Hans-Joachim Riekel)

Wie viele Lehrer nutzt Müller jetzt einen Flickenteppich an Diensten: Über einen Messenger namens Untis schreibt er mit seiner Klasse. Wenn es mehr zu besprechen gibt, nutzt er das ­Videokonferenzprogramm Zoom. Weil der Dienst aber ­wegen mangelndem Daten­schutz in der Kritik steht, soll er nach ­einem neuen Tool Ausschau halten. „Da wirst du wahnsinnig“, sagt ­Müller dazu. Datenschützer wird es freuen, dass zumindest Whatsapp in Müllers Schule nicht verwendet wird.

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Dass der Unterricht verhältnismäßig gut klappt, liege auch daran, dass er in einem engagierten Gymnasium arbeite. Ko­llegen, die beispielsweise in einem weniger digital ­ausgerichteten Hauptschulzweig einer Gesamtschule unterrichten, seien viel schlimmer dran: „Die hatten bis zur Schließung noch Papier­stundenpläne. Und dann erst mal drei Wochen gar keinen ­Kontakt zu ihren Schülern.“ In manchen Hauptschulklassen ­seien ­insgesamt 25 Schüler – und zehn davon hätten kein End­gerät oder gerade kein Datenvolumen oder wohnten so abgelegen, dass es dort überhaupt kein mobiles Internet gebe, erzählt Müller von den Erfahrungen seiner Kollegen. „Da ist nichts angekommen, die konnten kein Video angucken. Da bist du komplett aufgeschmissen.“

Ein Großteil der deutschen Schulen bastelt jetzt. Aber ein paar haben Glück im Unglück. Am Samstag, den 14. März – kurz bevor in vielen Bundesländern die Schulen geschlossen wurden – saß ­Markus Wöllner, Schulleiter eines Gymnasiums, zusammen mit seinen Kollegen vor dem Computer. Sie streamten – testweise – ihren ersten Onlineunterricht. Zwei Tage später, am Montag, wurde die erste Mathe­stunde live im Internet abgehalten. Weil er Angst hat, von der Landesregierung für seinen digitalen Alleingang abgestraft zu werden, möchte er seinen richtigen Namen nicht in einem Magazin lesen.

Wenn man von ihm wissen will, wie die Digitalisierung an seinem Gymnasium läuft, antwortet er mit einer Google-­Kalender-Einladung zu einem Google-Hangout. Wöllner sitzt mit hellem Sakko in seinem Büro, während die zwölften Klassen ihr Abitur im Gebäude schreiben. „Ganz schöne Logistik“, sagt er, sei nötig, um den erforderlichen Abstand zwischen den Schülern zu organisieren.

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Wöllner arbeitet seit zwei Jahren an einem Konzept zur Digitalisierung der Schule. „Im letzten halben Jahr haben wir uns mit dem Datenschutz beschäftigt“, erzählt er. „Mit dem Beginn der Schulschließung waren wir online.“ Jeden Morgen schaltet die Schule eine Seite frei, auf der sich alle Schüler anmelden können. „Wenn jemand fehlt, ruf ich da zu Hause an und biete meine Hilfe bei technischen Problemen an“, berichtet er. Der Stundenplan gilt weiterhin, nur findet der Unterricht jetzt über Google Education statt. Whatsapp hat auch er verboten.

Was ist aus der Schul-Cloud geworden?

In der Theorie gibt es neben Google Education und ­privaten An­bietern aus Deutschland und Europa auch ein staatlich ­gefördertes Angebot: die HPI-Schul-Cloud, die am Hasso-­Plattner-Institut (HPI) der Uni Potsdam entwickelt wird.

So sieht die HPI-Schul-Cloud aus. Wären die Bundesländer und die Schulämter sich einig, so HPI-Chef Christoph Meinel, wäre es kein Problem gewesen, die Schul-Cloud deutschlandweit auszurollen. (Screenshot: Schul-Cloud)

„Ist doch eine Katastrophe, oder?“, entgegnet Projekt­leiter ­Christoph Meinel, wenn man ihn auf die Digitalisierung der ­Schulen anspricht. „Das Thema steht seit 20 Jahren.“ Ein Konzept, wie eine Cloud bundesweit genutzt werden könne, sei aber nie entwickelt worden. An seinem Institut wird nicht nur zur ­Schul-Cloud geforscht, sondern auch zu Datenbanken, Netzwerksicherheit und Cloud-­Speichern. Meinel beschäftigt sich zudem an der HPI-School-of-­Design-Thinking mit der Frage, wie Produkte am besten zu den Anforderungen von Nutzern passen.

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Die Idee für die Schul-Cloud entstand 2016 beim ­IT-Gipfel in Saarbrücken. Meinels Idee war, eine Art bundesweites Betriebssystem für digitalen Unterricht aufzubauen: „Wo Texte erzeugt werden, Präsentationen gemacht, wo es Austausch gibt und Teamarbeit, wo Dateien gespeichert werden können.“ Die ­eigentliche Lernsoftware kommt, wie Meinel erklärt, in An­lehnung an den App-Store, aus einem Lern-Store innerhalb des Systems. „Es gibt Sachen, die brauchen letztendlich alle Schulen: Infrastrukturen zum Speichern, Schreiben oder für Videos. Aus meiner ­Perspektive macht es wenig Sinn, wenn diese Infrastruktur von Schule zu Schule oder Bundesland zu Bundesland anders gelöst wird.“ Welche Lernsoftware auf so einem bundesweiten System dann läuft, solle wiederum jeder für sich entscheiden können.

Eine gelungene Cloud stellt er sich eher vor wie Spotify: „Die Schulen könnten eine Flatrate haben, und wir könnten sekunden­genau mit den Anbietern der Software abrechnen.“ Sobald so eine Struktur stehe, würde er sich und sein Institut gerne wieder zurückziehen. „Die können das gerne umbenennen, es ist sowieso alles Open Source. Wir als HPI wollen auch nicht dauerhaft ein Produkt anbieten.“

Das Konzept wurde zwar von der damaligen Bildungsministerin ­Johanna Wanka für förderungswürdig befunden und die Programmierung vom Bildungsministerium mit sieben Millionen Euro unterstützt, doch das Projekt läuft sehr schleppend: Zunächst durfte nur ein Netzwerk von etwas über hundert ­Schulen mit Schwerpunkt auf Mint-Fächer mitmachen. Im nächsten Schritt wurde die Schul-Cloud von den Ländern Niedersachsen, Brandenburg und Thüringen ausgerollt. Als wegen Corona die Schulen geschlossen werden mussten, waren erst 250 der 40.000 Schulen in Deutschland bei der Schul-Cloud angemeldet.

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Die konkrete Bearbeitung von Aufgaben sind in der Schul-Cloud genauso möglich wie das Hochladen von Lernmaterial. (Screenshot: Schul-Cloud)

Wenn man Meinel fragt, warum Anfang des Jahres nur 0,625 Prozent der deutschen Schulen die Lerninfrastruktur ­genutzt haben, verweist er auf den Projektauftrag, der nur ­einen aus­gewählten Kreis an Schulen vorsah, die Behörden, den Bildungsföderalismus – und den fehlenden Willen. „Bis 2020 gab es keine gemeinsame Entwicklung, keinen gemeinsamen Plan der ­Bundesländer. Erst Corona hat den Hunger auf Digitales an­geregt, vorher ging es nur im Schneckentempo voran“, erklärt der ­Direktor des HPI. Ihn wundere aus technischer Sicht das ­Fehlen von konzeptionellen Vorstellungen in Schulbehörden. Hätte es diese gegeben, wäre es ein Leichtes gewesen, die Cloud hochzufahren.

Seit dem Beginn der Coronakrise hat die aktuelle Bildungsministerin Anja Karliczek noch mal 15 Millionen Euro an das HPI nachgeschossen. „Die Grundfunktionalität steht“, erklärt Meinel den Status quo der Schulcloud. Stärkere Rechenressourcen seien inzwischen aufgebaut, neue Verträge mit Hardwareanbietern geschlossen. Er habe auch mehr Personal zur Verfügung, das beim Ausrollen hilft. „Für 300 Schulen waren wir gut eingestellt. Für Tausende Schulen brauchte es Unterstützung, und der Bund hat geholfen“, sagt er. Seit Corona habe es fast 3.000 neue Anmeldungen gegeben. Wenn diese Schulen alle angeschlossen seien, könnten Weitere folgen. Aber ist die Schul-Cloud auch im ­Stande alle 40.000 deutschen Schulen zu stemmen? Meinel überlegt kurz: „Ich sage mal ja. Die HPI-Schul-Cloud ist skalierbar, auch für 40.000 Schulen.“

Fragt man HPI-Chef Meinel, warum die Schul-Cloud nicht am Start war, sagt er: „Dazu hätte es einen entsprechenden politischen Beschluss geben müssen in den Bundesländern oder auf Bundes­ebene.“ Seine Cloud, so Meinel, sei ursprünglich nur für den festen Kreis von Schulen des Projektpartners Mint-EC geplant und ausgelegt gewesen. Nur mit Niedersachsen, Brandenburg und Thüringen gab es darüber hinaus Projektpartnerschaften. Nur angesichts der Schulschließungen hätten sich Bundesländer und das Bildungsministerium entschieden, die HPI-Schul-Cloud für alle zu öffnen.

Die Kleinstaaterei wird zum ­Problem

Eine bundesweite Schul-Cloud müsste dem nahekommen, was sich auch der Aushilfslehrer wider Willen und FDP-­Politiker ­Manuel ­Höferlin wünscht: „Die digitale Transformation der ­Schule.“ Aber ­warum gibt es bisher keine einheitliche Cloud für alle deutschen Schulen? Es mangele an politischem Willen, heißt es von Projektleiter Meinel. Höferlin sagt: „Weil es einfach nicht gemacht wurde, von allen Akteuren nicht. Es gab keine Bewegung bei den Behörden, keine Bewegung bei den Lehrern, die Schulen haben nicht umgestellt, die Lehrer wurden nicht digital fortgebildet.“

Zwar hat der Bund mit dem sogenannten Digitalpakt ­Schule im Jahr 2018 fünf Milliarden Euro für die Digitalisierung der Schulen versprochen. Das klingt nach viel Geld. Aber bei 40.000 Schulen in Deutschland bekommt jede Schule im Schnitt nur 125.000 Euro. Abgesehen davon sind Schulen Ländersache – und damit für die Bundesregierung schwer zu erreichen. Damit der Bund den Ländern Geld für die Schulen geben konnte, musste noch im Frühjahr 2019 das Grundgesetz geändert werden. Vor Corona – bis zum Januar 2020 – waren von den fünf Milliarden bisher nur 20 Millionen bewilligt worden. In vier Bundesländern (Hessen, Schleswig-Holstein, Sachsen-­Anhalt, Thüringen, ­Saarland) ist noch kein einziger Cent geflossen.

Wie viel Digitalisierung bekommt eine Schule für 125.000 Euro? 100 Macbooks könnte man damit kaufen. Aber 100 ­Macbooks sind noch lange keine digitale Transformation. Unternehmen ringen seit Jahren mit der Frage, was genau ­digitale Transformation ist und wie das geht. Mit ungleich mehr ­Mitteln und ungleich mehr Druck. Und aus­gerechnet Schulen sollen selbst – jede für sich – herausfinden, was das bedeutet?

Von Estland lernen

Der digitale Flickenteppich der Schulen ist für Höferlin aber nur einer von vielen digitalen Flickenteppichen in Deutschland. Selbst mit einer bundesweiten Schul-Cloud, so Höferlin, würden erst mal nur die Flicken größer: „Ich frage mich, warum bauen wir eigentlich drei verschiedene Plattformen? Das Innenministerium baut die Bundes-­Cloud, das Wirtschaftsministerium baut Gaia-X, und jetzt soll noch eine bundesweite Schul-Cloud dazukommen?“ Zumal die drei Clouds nicht die einzigen unabhängigen Systeme in der IT-Architektur Deutschlands seien. „Das zieht sich ja durch: Zur Kommunikation gibt es dann De-Mail und für die Justiz das elektronische Gerichtspostfach, für Steuern das System Elster. Schauen Sie doch mal nach Estland. Da gibt es ein System für alles“, sagt Höferlin.

X-Road heißt das estnische System, von dem Höferlin spricht. Den ersten Prototypen gibt es seit dem Jahr 2000. Mittlerweile ist X-Road so etwas wie das digitale Betriebssystem ­Estlands geworden: Alle Ministerien und Behörden nutzen es, zur Kommunikation untereinander und mit den Bürgern. Steuern, Unternehmensgründungen, die ­Bestätigung des Sehtests für den Führerschein, der Strafzettel oder die Parlamentswahlen – alles läuft über X-Road.

Weil es kein einheitliches System gibt, begann für Lehrer, Schüler und Eltern mit der Schulschließung das große digitale Basteln: Aufgaben kommen deshalb per E-Mail, in Microsoft Teams oder über Google Education. (Foto: Shutterstock / MNStudio)

Auch das estnische Elearning-System Ekool ist an ­X-Road angeschlossen. Schüler können dort Material abrufen, ihre Hausaufgaben, die Kommentare ihrer Lehrer, die Termine für ihre ­nächsten Prüfungen oder ihre Noten einsehen. Wer krank war, kann über Ekool nachschauen, was in der Schule passiert ist. Eltern können dort auch einstellen, dass sie ­benachrichtigt werden, wenn ihr Kind nicht in der Schule auftaucht. Die ­Lehrer können überprüfen, ob Eltern in den vergangenen Monaten die Noten der Kinder aufgerufen haben. Wenn Kinder über längere Zeit fehlen, wird über Ekool eine Schulpsychologi­n benachrichtigt.

Als in Estland wegen des Corona-Virus die Schulen ­schließen mussten, ging Ekool durch den erhöhten Traffic in die Knie – ­allerdings nur für 20 Minuten. Warum hat Estland, ein Land, das noch bis 1991 von der Sowjetunion besetzt war, ein digitales Betriebssystem und digitale Schulen – während in Deutschland erst mit der Schulschließung das große Basteln beginnt?

Toomas Ilves, der ehemalige Präsident Estlands und ­treibende Kraft hinter der estnischen Digitalisierung, forscht heute zu Technologie und Digitalisierung an der Universität Stanford. Er erklärt die Entwicklung aus der estnischen Geschichte: In den 1990ern – nach 50 Jahren sowjetischer Besatzung – war die ­estnische Wirtschaft auf ungefähr demselben Stand wie 1938. Für Estland war es eine Stunde Null: Der Aufbau einer ­traditionellen Industrie hätte noch 50 Jahre gedauert. Digitalisierung und digitale Wirtschaft, so Ilves, war die einzige Chance auf eine schnellere Entwicklung. „Aber bei Digitalisierung geht es nicht nur um ­Technik. Wichtiger sind politischer Wille, ­Gesetze und Regularien“, so Ilves. „Und, wenn du irgendwo hinkommen willst, musst du mit den Jungen anfangen. Deswegen haben wir den Computerunterricht in die Schulen gebracht.“

Dass Corona für die Digitalisierung der deutschen ­Schulen eine Stunde Null wird, daran zweifelt zumindest der FDP-­Politiker Höferlin: „Für mich klingt das gerade so, als wollte man die Situation überbrücken, bis alle wieder ,normal‘ Schule haben.“ Aber was ist heute schon normal?

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Markus

Ich habe mich versucht im Schulsystem zu engagieren, mit massiven Invest, aber seit dieser Erfahrung kommt mir jeder Felsbroken in den Bergen vor ein hüpfender Flummi. Einige Projekte im öffentlichen Umfeld habe ich kennenlernen dürfen und das Schulsystem war da aufschlussreich.

Es gibt eine riesige Schere zwischen geistig flexiblen und willigen Lehrern jeder Altersklasse und dem größeren Anteil an denjenigen, die einfach nur wieder zum alten Normal zurück möchten. Schade und Chance vertan.

Antworten
MrB

Das große Lehrerbashing in 3…. 2…. 1…..

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