Seriengründer Jan Beckers im Interview: Startups am laufenden Band
t3n Magazin: Hitfox hat seine Anfänge 2011 in der Games-Branche genommen. Was macht für dich den Reiz dieser Branche aus?
Jan Beckers: Mit Gaming habe ich eigentlich immer gute Erfahrungen gemacht. Das fing mit 15 Jahren an, als ich meine Eltern dazu überredet habe, meine Führerschein-Ersparnisse in Electronic-Arts-Aktien zu investieren, also in die damals größte Computerspiel-Firma. Die Aktien haben mir zu Oberstufenzeiten tatsächlich mehrere Reisen finanziert – mein gutes Gefühl hat mich also nicht betrogen. 2011 hatte ich, vor allem durch mein erstes Gaming-Startup Sponsorpay, bereits ein sehr gutes Netzwerk in der Branche. Ich wusste, wie spannend und dynamisch der Gaming-Markt war und dass er in Sachen professionelle Organisation und Effizienz noch viel Luft nach oben hatte. Mit Hitfox in diese Kerbe zu stoßen, war also ein logischer Schritt.
t3n Magazin: Dennoch habt ihr bis heute mehrere Richtungswechsel vollzogen, vom „Groupon für Game-Deals“ über die Game-Vermarktung bis hin zum Inkubator für digitale Geschäftsmodelle, der ihr heute seid. Geht eine derart schnelle Weiterentwicklung nicht zulasten der Nachhaltigkeit?
Beckers: Für Hitfox als Inkubator liegt die Nachhaltigkeit ja gerade darin, regelmäßig neue erfolgreiche Unternehmen hervorzubringen und am Markt zu platzieren. Dass wir uns dabei thematisch immer wieder neu erfinden, gehört sozusagen zum System. Auch die anfänglichen Pivots sehe ich positiv. Ich denke, es zeichnet ein Unternehmen aus, wenn es in kurzer Zeit den Schwenk zu einem deutlich besseren Geschäftsmodell vollziehen kann. Für Startups gehört es zu den Kernaufgaben, schnell und wendig zu sein und das attraktivste Produkt für den anvisierten Markt zu finden – auch wenn es mehrere Versuche braucht.
t3n Magazin: Mittlerweile stehen bei euch die Themen Digital Advertising, Big Data und FinTech auf der Agenda. Wie kam es zu dieser Kombination?
Beckers: Wir haben gemerkt, dass sich große Synergien aus den genannten Bereichen ergeben. Das verbindende Element ist Big Data: Eine Art Meta-Layer, das sich über alle möglichen Branchen und Geschäftsmodelle legt und in den nächsten Jahren noch für viel Wirbel sorgen wird. Für viele mag „Big Data“ noch abstrakt klingen. Aber es gibt bereits Branchen, in denen die Disruption in vollem Gange ist: Advertising etwa, das erste Standbein von Hitfox, ist ein klassisches Beispiel dafür. Hier haben neue, zahlengetriebene Analyseverfahren schon zu deutlich mehr Effizienz und Wertschöpfung geführt, indem etwa Werbung zielgruppengerecht ausgesteuert werden kann. Und auch der Finanzmarkt besteht zu großen Teilen aus Bits und Bytes und gehört zu den frühen Showcases für die Disruption durch Big Data. Die Potenziale sind schlicht enorm – und Hitfox sitzt an einer Schnittstelle.
t3n Magazin: Wie könnten denn entsprechende Geschäftsmodelle im Bereich FinTech aussehen?
Beckers: Beispiele gibt es ja bereits zur Genüge, etwa Kreditech, das Daten aus dem Web und aus sozialen Netzwerken für differenzierte Kreditscoring-Methoden nutzbar macht. Verlockend fände ich beispielsweise auch einen Service, der Aktienkurse antizipiert – basierend auf Veränderungen von hunderten verschiedener Datenpunkte. Wir selbst arbeiten an zwei konkreten Geschäftsideen, über die ich momentan leider noch nicht viel verraten kann. Bündeln werden wir sie in jedem Fall auf unserer neuen Plattform FinLeap, einer Art Startplattform für Unternehmen speziell im Finanzmarkt.
t3n Magazin: Seht ihr euch eher als Helfer oder als Konkurrent der Banken?
Beckers: Ein bisschen von beidem – wir planen sowohl Unternehmen, die Banken helfen, digital und mobil neue Kunden zu gewinnen, als auch direkte Banken-Konkurrenten. Generell ist doch beides gut: Denn wenn es mehr Wettbewerb in Form von Startups gibt, die neue Ideen und bessere Produkte einbringen, profitieren die Kunden ja in jedem Fall.
t3n Magazin: Du bist seit Jahren Teil der Berliner Startup-Szene – siehst du nur pures Wachstum, oder auch ein Erwachsenwerden des deutschen Startup-Hotspots?
Beckers: Die Größe und Substanz der Szene hat sich seit 2008, als ich hier angekommen bin, enorm entwickelt. Es gibt mittlerweile viele Unternehmen, die bewiesen haben, dass sie erfolgreich Geld verdienen und nachhaltige Geschäftsmodelle aufbauen können. Und der Aufwärtstrend wird noch einige Jahre anhalten: Die Akteure werden erfahrener, trauen sich mehr zu und bekommen konsequenterweise auch mehr Kapital – mit jedem Jahr, das vergeht, bringt Berlin größere und ambitioniertere Unternehmen hervor. Klar gibt es immer wieder einzelne Companys, die gehyped werden, obwohl es nicht gerechtfertigt ist. Die verschwinden aber auch schnell wieder. Der Markt bereinigt sich selbst – und je älter und erfahrener so ein Markt ist, desto besser funktioniert dieser Mechanismus.
t3n Magazin: Was ist für Gründer so reizvoll an Berlin?
Beckers: Als Standort ist Berlin europaweit im Vorteil, das merken wir nicht zuletzt an den mehr als tausend Bewerbungen, die monatlich bei uns eintrudeln. Ich denke, das hat auch mit der Historie zu tun: Die Berliner Startup- und Kreativwirtschaft hat enorm von dem wirtschaftlichen Vakuum profitiert, das die deutsche Teilung hinterlassen hat. Nach der Wende gab es hier weder überteuerte Mieten noch hohe Abgaben für Unternehmer. Im Gegensatz zu vielen anderen Metropolen waren die unternehmerischen Ressourcen einfach unglaublich billig: ein idealer Nährboden für Gründer und Kreative. Nun wird die Szene zum Motor der wirtschaftlichen Entwicklung und kann der Stadt hoffentlich einiges zurückgeben.
t3n Magazin: Die Politik hat diese Entwicklung lange Zeit allenfalls am Rande gewürdigt. Im letzten Jahr hast du dich noch darüber aufgeregt, dass Kohle mehr subventioniert wird als die deutsche Internetwirtschaft. Hat sich der Wind mittlerweile gedreht?
Beckers: Von Subventionen halte ich generell wenig. Ich glaube, dass niedrige Steuersätze, wenig Einmischung seitens der Politik und mehr Freiheiten für Unternehmer eher der Schlüssel zu wirtschaftlichem Wachstum sind. Nur: Wenn wir schon jemanden unterstützen, dann doch bitte einen Wachstumsbereich und nicht etwas, das seinen Platz in der Vergangenheit hat. So ein Strukturwandel ist schmerzhaft, aber manchmal muss man schmerzhafte Entscheidungen treffen können. In Berlin spüre ich, dass ein Umdenken im Gange ist – ein gesteigertes Interesse für unsere Branche, sowohl bei der Kanzlerin als auch bei vielen Politikern aus der zweiten und dritten Reihe. Die Erkenntnis, dass die Zukunft digital ist, ist dem politischen Establishment nicht mehr fremd – trotzdem hat das Thema noch nicht den Stellenwert, den es verdient hätte.
t3n Magazin: Wo könnte die Politik mehr tun, um die deutsche Gründerszene anzuschieben?
Beckers: Zum Beispiel in der Ausbildung künftiger Generationen: Es ist doch schade, wenn der tausendste Abiturient sich für ein Medizin- oder Jurastudium entscheidet, nur weil es ihm als ein erfolgreiches Karrieremodell vermittelt worden ist – aber nicht, weil er eine besondere Begabung hat oder eine besondere Leidenschaft für den Beruf empfindet. Gleichzeitig entscheiden sich noch immer viel weniger junge Leute für technische oder naturwissenschaftliche Bereiche oder sogar für die Selbstständigkeit, obwohl das Aufstiegspotenzial hier ebenfalls gewaltig ist. Sowohl in der Schaffung von Vorbildern als auch in der Vermittlung konkreter Bildungsinhalte könnte die Politik Deutschland als Standort der digitalen Wirtschaft erheblich besser unterstützen.
t3n Magazin: Apropos Bildung – welcher Bildungsweg hat aus dir einen Seriengründer gemacht?
Beckers: Ich habe ein klassisches BWL-Studium absolviert – für mich ein ganz logischer Weg, da ich mich schon immer für Wirtschaft interessiert habe. Ich habe allerdings schon während der ersten Semester angefangen, neben dem Studium zu gründen, mit 19 oder 20. Ich hatte anfangs einfach extrem viel Freizeit. Also habe ich meine Vorliebe für gute Partys zum Anlass genommen, eine eigene Plattform und Agentur für Studentenpartys aufzubauen. Von da an hatte ich eigentlich immer irgendein Unternehmen.
t3n Magazin: Gründen ohne abgeschlossenes Studium und nennenswerte Erfahrungen in der Arbeitswelt – für die Vorsichtigeren unter uns Deutschen klingt das ziemlich waghalsig. Hattest du nie Angst, es könnte schief gehen?
Beckers: Nein. Ich habe diese ersten Unternehmungen ja während des Studiums aufgebaut und keine existenzgefährdenden Summen, sondern vor allem viel Arbeitszeit investiert. Ich habe eigentlich immer daran geglaubt, dass ich mit den Sachen, die ich mir ausgesucht habe, auch erfolgreich sein kann.
t3n Magazin: Gibt es Entscheidungen, die du bis heute bereust?
Beckers: Zu Anfang meiner Gründerkarriere habe ich einmal Probleme mit einem Mitgründer gehabt. In der Situation habe ich bereut, mich auf ihn verlassen zu haben, und das als Fehlentscheidung wahrgenommen. Rückblickend muss ich aber sagen, dass es gut war, diese Erfahrung so früh zu machen: Damals kam es mich noch nicht allzu teuer zu stehen und seither wähle ich meine Partner sehr genau aus. Im Großen und Ganzen würde ich alles wieder so machen, wie ich es gemacht habe.
t3n Magazin: Wie läuft heute ein typischer Tag für dich ab?
Beckers: Beim Frühstück lese ich Zeitschriften und Fachblogs. Etwa um neun Uhr starte ich dann mit E-Mails in den Arbeitstag – es kann immer sein, dass aus unseren Standorten in San Francisco oder Korea etwas Dringendes ansteht. Den Vormittag über widme ich mich wichtigen strategischen Themen, bei denen ich Ruhe brauche und konzentriert arbeiten muss. Manchmal treffe ich auch Jobkandidaten oder potenzielle Geschäftspartner zum Frühstück. Generell versuche ich, lange Meetings zu vermeiden und anstehende Themen kurz und schmerzlos mit den Leuten am Platz zu klären. Ich hasse es, wenn man mit mehreren Leuten eine halbe Stunde zusammensitzt, nur weil eine halbe Stunde Meeting im Kalender eingetragen ist. Trotzdem gehen ab mittags die internen und externen Arbeitstreffen los. Bis abends bin ich in Terminen, arbeite zwischendurch immer wieder E-Mails ab. Gegen neun verlasse ich das Büro, mache dann noch Sport oder treffe mich mit Kollegen oder Partnern auf einen Drink.
t3n Magazin: Ganz ehrlich: Das klingt nicht, als ob dir viel Zeit für ein Privatleben bliebe. Der Nachteil am Leben eines Serial Entrepreneurs?
Beckers: Natürlich muss ich Prioritäten setzen und dann an anderer Stelle Abstriche machen. Ich habe Phasen, in denen ich wochenlang durcharbeite und selbst die Wochenenden beschneide. Dann kommen aber auch wieder Phasen, vor allem zwischen den Launches neuer Unternehmen, in denen ich die Welt bereisen, alte Freunde wieder treffen und auftanken kann. Unterm Strich, würde ich sagen, ist es ein intensives Leben und Arbeiten – das allen, die es sich so ausgesucht haben, viel Spaß bereitet. Und es birgt auch ganz eigene Rewards – beispielsweise wenn ich mir das Hitfox-Team anschaue, das in den letzten Jahren auf fast 300 angewachsen ist. Das gibt mir ein extrem gutes Gefühl.
t3n Magazin: Ein großes Team – aber auch große Verantwortung. Viele andere starten in deinem Alter, mit Anfang 30, gerade erst ins Berufsleben. Setzt dich das manchmal unter Druck?
Beckers: Ich bin mittlerweile seit elf Jahren Unternehmer, da hat man sich an gewisse Sachen gewöhnt. Aber klar: Eine große Aufgabe ist es auf jeden Fall. Ich muss mich nicht nur um mich selbst kümmern, sondern auch um den Erfolg und die Weiterentwicklung vieler anderer. Sie haben sich Hitfox im Vertrauen auf ein stabiles Arbeitsumfeld angeschlossen, in dem sie von richtig guten Unternehmern lernen können – wir stellen hohe Anforderungen an unsere Bewerber, da haben sie umgekehrt auch jedes Recht, viel von uns zu erwarten. Aber als Druck würde ich das nicht bezeichnen. Eher als Ansporn.
t3n Magazin: Was darf in deinem Arbeitsalltag auf keinen Fall fehlen – und auf was würdest du gerne verzichten?
Beckers: Die drei wichtigsten Apps, die ich aus meinem Berufsleben nicht mehr wegdenken kann, sind MyTaxi, Evernote und Contactually, ein cleveres Kontaktmanagement-Tool, das man auch unterwegs gut nutzen kann. Wovon ich mir ein bisschen weniger wünschen würde, sind E-Mails: Ich weiß, dass sie wichtig sind, aber ich glaube wir alle schreiben viel zu viele.
t3n Magazin: Was tust du, um abends abschalten zu können?
Beckers: Es kommt öfter mal vor, dass mir abends irgendeine heiße Idee im Kopf herumschwirrt, über die ich noch stundenlang nachdenken könnte. Dagegen helfen mir vor allem Sport und Sauna – wenn ich nach einem Arbeitstag sogar beides hinbekomme, schlafe ich wie ein Baby.
Bleibt da nicht die Glaubwürdigkeit gegenüber dem Kunden in das Produkt aufgrund des Geschäftsfeld-Jojos nicht auf der Strecke? Das ist alles andere als nachhaltig im Kontext der mittel- bis langfristigen Kundenbindung.