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Porträt

So versucht Kitchentown die Food-Szene aufzumischen

Mit einer Mischung aus Küchen­labor, ­Coworking und ­Accelerator will ­Kitchentown die Foodtech-­Szene in ­Europa aufmischen. Kann das ­gelingen? Ein Ortsbesuch in Berlin.

5 Min.
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Bei Kitchentown in Berlin sitzen die Gründer nicht nur vor dem Bildschirm, sondern stehen auch in der Küche. (Foto: Ole Witt)

Der Blick aus dem Fenster des Konferenzraums von ­Kitchentown bleibt am Berliner Fernsehturm hängen. Nur wenige ­Meter vom Alex entfernt hat der US-Foodtech-Inkubator seinen ­ersten Standort im Ausland eröffnet. Wo früher Mitarbeiter der ­Mercedes-Benz-Bank tagtäglich in die Kantine gingen, befindet sich jetzt ein Food-Labor, das sich über drei Etagen und 1.000 Quadratmeter erstreckt. Hier sollen Startups aus ganz Europa an der Zukunft des Essens arbeiten. Doch das Timing könnte für Kitchentown nicht schlechter sein: Die Corona-Pandemie mit ­ihren Kontaktbeschränkungen macht es jedem Geschäftsmodell schwer, das vom gemeinsamen Arbeiten und dem persönlichen Austausch lebt. Und das ausgerechnet wenige Monate nach dem Start im November.

Food-Accelerator: Zu Besuch bei Kitchentown in Berlin

Auf insgesamt 1.000 Quadratmetern über drei Etagen erstreckt sich das Zukunftslabor von Kitchentown. (Foto: Ole WItt)

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Mit-Geschäftsführer Lukas Neuß wirkt im Gespräch dafür sehr entspannt: „Das physische Erlebnis und das Socialising leiden natürlich darunter, aber es hat uns nicht so schlimm getroffen“, betont der Manager, der zuvor für Bahlsen tätig war. Der Kekshersteller ist einer der Investoren von Kitchentown. „Wir ­hoffen vielmehr, dass die ­Krise die Transformation im bisher ­wenig digitalisierten Food-Bereich vorantreibt.“ Wegen Corona bietet der Accelerator neuerdings auch „­Remote Product Development“ an, für das pro Person und Monat eine Gebühr von 99 Euro anfällt. Seit Juli nutzen sechs Startups das Angebot.

Eigentlich finanziert sich Kitchentown über eine monat­liche Mitgliedsgebühr für die Nutzung von Büroplätzen, Produkt­entwicklung und Testküche für die Produktion von Erstmengen. Dafür ruft der Inkubator bis zu 640 Euro pro Person im Monat auf. Daneben versucht sich Kitchentown auch als Frühphasen­investor. Im Gegenzug für die Teilnahme an einem sechs­monatigen Acceleratorprogramm und einer Erstfinanzierung von 30.000 Euro müssen Startups sechs Prozent ihrer Unternehmensanteile abgeben.

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„Wir hoffen, dass die Krise die digitale ­Transformation im Food-Bereich ­vorantreibt.“

In den vergangenen Wochen und Monaten hat sich ein weiteres Standbein aufgetan: die Zusammenarbeit mit bereits etablierten Unternehmen, die sich von Kitchentown Nachhilfe in Innovation versprechen. Der deutsche Hersteller von Aroma- und Geschmacksstoffen Symrise zum Beispiel. „Symrise verlagert einzelne Entwicklungsprojekte zu uns, um sich intensiver mit agilem Arbeiten und Rapid Prototyping zu beschäftigen“, erzählt Neuß und nennt den Ansatz Collaborative Innovation.

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Im Moment nutzen ihm zufolge rund 30 Startups das Mitglieder­modell; an der ersten Runde des Accelerator­programms zum Jahres­anfang haben vier Jungunternehmen teilgenommen. Wenn ihre Produkte ein Hinweis auf die Zukunft des Essens geben sollen, besteht diese aus veganen und zuckerfreien Dessert-­Alternativen, Hafer­produkten und alkoholfreien Destillaten als Basis für Cocktails und Longdrinks sowie Getränkepulver-Sticks für Leitungswasser. Kitchentown sieht sich selbst auch als Techplattform. Diese Produkte klingen wenig danach. „Wir definieren Technologie breiter. Für uns fallen darunter nicht nur Apps und Software oder Hardware, sondern auch Bio- und Lebensmitteltechnologie“, erklärt Neuß und fügt hinzu: „Wir wollen Startups aus diesen Gebieten die Spielregeln der Food-Industrie ­beibringen.“

Junge Gründer für die Lebensmittelbranche zu begeistern – mit dieser Idee steht Kitchentown nicht allein da: Lebens­mittelhändler wie Metro, Rewe und Edeka bemühen sich seit ­einiger Zeit mit Gründerwettbewerben und Startup-Programmen, angesichts zu vieler Me-too-Produkte mehr Innovationen in die Regale zu bringen. In ­Berlin hat Edeka seinen eigenen „Food Tech ­Campus“ 2018 im Stadtteil Moabit eröffnet. Hier gibt es allerdings im Unterschied zu Kitchentown keine Industrieküche zur Produkt­entwicklung, sondern nur eine Media-Kitchen zur Produktpräsentation.

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„Wir sehen jetzt gerade eine zweite Welle, in der auf dem Food­Markt auch Hightechthemen wie zum Beispiel Robotics ankommen“, sagt Neuß. Um mehr Kontakt zur Techszene zu bekommen, hat sich Kitchentown mit der Factory Berlin verbündet. Gemeinsam planen sie eine Konferenz rund um die Themen alternative Proteinquellen, Kreislaufwirtschaft und Verpackung, personalisierte Ernährung und auch die Digitalisierung der Gastronomie.

Eines dieser Hightech-Startups, von denen Neuß spricht, ist ­Aitme. Das Gründerteam nutzt die Testküche von Kitchentown, um die Gerichte auszuprobieren, die ihr Roboterkoch einmal zubereiten soll. Wer sich diesen als gastfreundlichen ­Humanoiden vorstellt, wird allerdings enttäuscht. Er sieht mehr wie eine Küchen­zeile aus. Zwei Roboterarme hantieren mit einer Topf­apparatur und bereiten aus vorgeschnitten Zutaten in fünf ­Minuten warme Mahlzeiten zu. Bis zu 100 Gerichte in der Stunde soll der „Robotic Chef“ einmal schaffen, erzählen die Köpfe hinter Aitme, ­Emanuel Pallua und Julian Stoß. Als Investoren haben sie unter anderem Vorwerk Ventures, den Investmentarm des gleichnamigen ­Thermomix-Herstellers, Atlantic Foods, La Famiglia und auch Rocket Internet im Rücken. Das technologische Know-how liefert der ehemalige CEO des Roboterbauers Kuka, Till Reuter.

Bis zu 100 Gerichte in der Stunde soll der „Robotic Chef“ schaffen.

Das Food-Geschäft kennen Pallua und Stoß aus ihrer Zeit als Mitgründer beziehungsweise Marketingchef des Lieferdienstes Foodora. Zielgruppe für ihre Robotic Kitchen sind Geschäfts­kunden, denen sie eine Alternative zur Firmenkantine bieten wollen. Der Markt ist lukrativ: Die umsatzgrößten deutschen Catering-­Unternehmen, spezialisiert auf Essen in Unternehmen, Kliniken, Heimen und Schulen, erwirtschafteten 2019 einen Umsatz von rund 3,55 Milliarden Euro netto. Allerdings plagt die Branche der Fachkräftemangel: Laut Branchendaten lassen sich immer weniger Menschen zu Koch oder Köchin ausbilden. Ein Roboterkoch beschwert sich nicht über Wochenend­arbeit und schlechte Bezahlung. Er steht laut den Gründern 24/7 parat. ­Anders als eine Kantine brauche das Modell von Aitme zudem bedeutend weniger Raum.

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„Wir wollen ein Full-Service-Angebot sein“, sagt Pallua. Der Firmen­kunde zahle für den Roboter eine Gebühr, die sich danach richte, wie viele Mitarbeiter das Angebot nutzen. Auf der Speisekarte sollen pro Tag etwa insgesamt zehn Pasta-, Reis- und Salat­gerichte stehen, die über das Smartphone oder Tablet bestellt werden können. Preislich wollen die Gründer unter Restaurantpreisen bleiben – bei maximal 6,50 Euro pro Gericht. Das lohne sich ab ungefähr 100 Mitarbeitern für beide Seiten. Jeder Mit­arbeiter könne zudem ein eigenes Profil erstellen, in dem er Vorlieben und auch Allergien hinterlegen kann. Jedes Gericht werde individuell gekocht und jeder Topf im Anschluss gereinigt.

Ganz ohne Menschen geht es dabei nicht: Der Roboterkoch wird über einen Cloud-Dienst gesteuert. „So können wir die ­Anlage überwachen und wissen immer, wie viele Portionen in der Anlage sind“, erklärt Stoß. Die Zutaten für die Gerichte werden zentral von Menschenhand frisch vorbereitet und an den jeweiligen Einsatzort geliefert, im Moment aus der Küche von Kitchentown.

Die Coronakrise mit ihren Kontaktbeschränkungen wird Marktanalysten zufolge auch den Catering-Markt stark verändern. Die Kosten werden wieder stärker in den Blickpunkt ­rücken, heißt es in einer Analyse des Branchenverbands. Das klingt danach, als hätte zumindest Aitme mit ihrem voll automatisierten Roboterkoch ein gutes Timing erwischt. Ein erster Partner will ihren Prototypen im vierten Quartal testen.

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